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Die Sonne neigte sich zum Untergang, als Laïs das Haus des Bildhauers Myron verließ. Als sie in ihrer Sänfte lag, hielt sie ein lydisches Tuch vor den Mund, um nicht gehört zu werden, wie lustig sie lachte. Und den ganzen Weg dachte sie an nichts anderes als an den Alten, der ihr eben eine tragischkomische Liebeserklärung gemacht hatte. Sie vergaß sogar an das Fest, zu dem sie sich begab, zu denken, und ihre Gedanken verweilten immer wieder bei dem einen Bilde, das sie mit Triumph und Verlegenheit zugleich erfüllt hatte. Seit Wochen arbeitete Myron, der berühmte Meister, an einer Statue der Kurtisane. Täglich sah er sie nackt, täglich formten seine zitternden Hände an dem Kunstwerk. Laïs sah alles und lächelte im Stillen. Heute hatte sie unversehens eine Bewegung gemacht, die seine Selbstbeherrschung zunichte machte. Und wieder trat ihr das Bild vor Augen, wie sie nackt in dem Raume stand und dieser alte, zitternde Mann mit seinem grauen Barte ihre Füße umschlang und sie bei allen griechischen Göttern beschwor, ihm anzugehören. Seine ganze Habe wollte er geben für eine Nacht.
Als ob sie für all seine Habe sich eine Nacht hätte ekeln wollen!
Die Sänfte hielt vor einem prachtvollen Haine. Laïs stieg aus, gestützt von zwei thyrrenischen Sklavinnen, und eilte die blühenden Alleen hindurch bis zu einem Tore, wo zwei Mädchen ihrer harrten. Durch ein Labyrinth von Gärten und kleinen Lusthäuschen geleiteten sie die Kurtisane auf eine Wiese, wo sie von den bekanntesten Hetären Korinths mit Jubel empfangen wurde. Mitten in einem Beet von Rosen war die Tafel aufgeschlagen. Über hundert Flötenspielerinnen wetteiferten in der Kunst der lydischen Flöte, während reizende Tänzerinnen Szenen der Wollust und Grausamkeit parodierten. Man sang, lachte, scherzte und trank. Im Fluge verrannen die Stunden bei diesem interessanten Mahle, das alle Schönheiten Korinths versammelt hatte, wo kein Mann die Heiligkeit der weiblichen Leidenschaften stören durfte. Wo alle Wildheit weiblicher Launen gestattet war, und alle Episoden des galanten Lebens die Gäste erheitern mußten. Es war schon spät in der Nacht, als man sich vom Mahle erhob. Ungezählte farbige Lampen erleuchteten den Garten und verbreiteten Tageshelle. Man riß die Äste von den Lorbeerbäumen, um sich zu bekränzen und befeuchtete die Beete mit den kostbarsten Weinen.
Dann schritt man zur Ausführung des eigentlichen Festes. Sklavinnen liefen geschäftig hin und her, um die Kleider der Gebieterinnen zu sammeln. In kürzester Frist waren alle nackt. Ein Kollegium von reizenden Richterinnen wurde gewählt, die sich abseits auf goldene Thronsessel niederließen, denn es galt, die schönste unter allen Mädchen zu finden und sie zur Königin auszurufen.
Eine Frau nach der andern ging langsam an den Richterstühlen vorüber und ließ ihre Schönheit prüfen. Man betastete die Schenkel, die Brüste, den Leib. Gewissenhaft wurde der Körperbau eines jeden Weibes untersucht. Die Richterinnen machten ihre Aufzeichnungen auf kleine Wachstafeln, und der zweite Teil des Schönheitskampfes begann. Man rang um die Palme der Körperkraft! Seht dort Thryallis in reizender Umschlingung mit Myrrhina! Sie scheinen ein Leib geworden zu sein, sich gegenseitig an Vollendung ergänzend. Und hier Thessala und Bacchis! Ihre Augen sprühen Feuer.
Die Freundschaft, die beide vereinigt, wandelt sich in Grausamkeit aus Ehrgeiz. Die Zähne der Thessala haben sich in einen Schenkel der Bacchis verbissen. Blut fließt auch über die Lippen der Freundin. Glycera und Kleonike ringeln sich am Boden wie glänzende Schlangen. Die Linien ihrer Schenkel treten in wundervollen Rundungen aus dem Grün der Wiese.
Kypsala ist abgetreten. Sie blutet aus mehreren Wunden. Herodike ist ohnmächtig geworden in der wilden Umarmung Manions. Endlich gebieten die Richterinnen auch diesem Wettstreit Einhalt.
Laïs und Myrrhina werden als Siegerinnen ausgerufen. Es kommt der dritte Teil des Festes. Eine nur kann Königin sein. Jede muß versuchen, die Richter von der vollkommenen Schönheit ihres Körpers zu überzeugen. Alle sind jetzt Schiedsrichterinnen. Eine weiße, lebendige Mauer, gruppieren sie sich im Halbkreis um die beiden Kurtisanen.
Der Wettstreit begann. Myrrhina löste langsam, mit koketten Gebärden, den Gürtel, der ihre Tunika umschloß, und ließ ihn fallen. Sie drehte sich blitzschnell im Kreise, daß das Oberkleid um ihre Brüste flog, die starr wie Silberkugeln vom Leibe standen. Der ganze Körper war wie eine weiße Rosenknospe. Ihre Schenkel zitterten, ihr Rücken dehnte sich wie in wollüstigen Zuckungen. Dann warf sie sich plötzlich zu Boden, preßte den Körper in die Erde und lächelte. Eine Skala der Leidenschaften lag in dieser stummen Gebärde. Alle klatschten Beifall und bezeichneten im Stillen schon Myrrhina als alleinige Siegerin.
Langsam trat Laïs vor. Sie hatte einen saphirblauen Mantel umgelegt. Als sie in der Mitte des Kreises stand, sah man nichts von ihr als die Füße in den goldenen Schuhen und den Kopf mit der zitternden Haarkrone.
Sie lächelte und warf den Mantel einer Sklavin in den Arm. Da stand sie nackt. Nur große goldene Spangen schlangen sich um ihre Arme und Schenkel, und Chrysis, ihre Sklavin, setzte ihr aufs Haupt eine kleine Krone aus glitzernden Brillanten.
Sie tanzte. Ihre zartgeschwellten Schenkel bewegten sich rhythmisch zu dem Klange der Flöten. Ihre Arme breiteten sich aus, zitterten mit dem Gesange der Auletriden, senkten sich wie Lotosblätter. Ihre Lippen zuckten, Seufzer der Wollust entflohen dem Munde. Der langgeschwungene Rücken bog und wand sich wie in grausamen Schmerzen. Bald nach vorne gebeugt, im Begriffe zu entfliehen, daß die rundgelockten Brüste zitternd nach auswärts standen, bald tief nach rückwärts gebogen, daß die Linie zwischen den Schultern wie eine Meereswelle verlief, glich sie mehr einem Hauche der Wollust als einem Weibe. Dabei ruhte der ganze Körper auf den Zehen, die sich wie kleine Edelsteine in den grünen Rasenteppich gruben.
Die Muskeln der Schenkel spielten mit den Tönen der Flöten. Der schneeige, zarte Leib bebte mit jedem Wohllaut. Die Rosen der Brüste schienen größer geworden, das Auge flammender, das Zucken der Lippen ging in den Kachymos über, das nur den Dirnen eigene Lächeln der Verzückung. Es war, als sei jedes Gliedmaß zur Grazie geworden. Plötzlich versank der leise, träumende Rhythmus in einem wilden Bacchanal.
Die Schenkel verschwammen in rasender Bewegung zu einer lüsternen Linie. Die Brüste schienen Vasen zu sein mit seltsamen Zeichnungen, die Arme wanden sich wie ringelnde Schlangen durch die Luft, spielten lüstern mit dem gelösten Haar – immer schneller, rasender wurde das Tempo – ein Aufschrei wie der Lustruf taumelnder Sinne – und Laïs ging langsam lächelnd von dannen.
Ein Sturm der Begeisterung erhob sich. Man brachte einen Kranz aus goldenem Lorbeer und flocht ihn ihr ins Haar.
Zwanzig nackte Mädchen bildeten eine weiße Stufe bis zu dem Thron, auf den man die Königin hob.
Unter brausenden Jubelrufen trug man sie in eine große Laube, die matt von kleinen Lampen erhellt war. Man stellte Wachen aus und entfernte alle Sklavinnen. Dann huldigten alle ihrer Königin, und alle mußten ihren wollüstigen Launen dienen. Stumme Grausamkeit wechselte mit jauchzender Lust, bis auch die Gesetze dieser Königin in einem allgemeinen Taumel der Wollust, von dem alle ergriffen wurden, untergingen.
Und doch! – Laïs, die größte Kurtisane des Altertums, wurde liebeshörig! Einzigartig ist ihr Fall, einzigartig ihr Ende. Vielleicht hat sie doch im Sinne der Alten »Schuld« auf sich geladen. Vielleicht ging mancher Mann an ihr zugrunde, denn die Gewalt dieser Hetäre war unbeschreiblich. (Hat nicht Alexander der Große eines Weibes wegen Persepolis in Brand gesteckt?) Wie dem auch sei. Laïs liebte.
Nicht mit den Sinnen.