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Der Weg zu der heutigen Zeit führt über Frankreich, über Molière, dem der nicht minder große Bayle, in seinem »Dictionnaire historique et critique« die erste Würdigung zuteil werden ließ. Wobei er nebenbei erwähnt, dieser Sprößling eines Lakeien beim Hof sei Höriger einer schönen Komödiantin, mit ihr zu der Schauspielerei gekommen und habe später seine eigene Tochter zur Frau genommen. Ob es wahr ist, kann nicht mehr festgestellt werden. Daß er nach Goethe so groß gewesen ist wie der griechische Dichter Menander, ist sicher.
Wenn er seine eigene Tochter zur Frau genommen hat, muß man im Urteil sich in jene Zeit zurückversetzen, in der das möglich war und Blutschandeprozesse, wie 1930, keine beliebte Lektüre für brave Leute waren. Jean Baptiste Poguelin (Molière) ist 1622 in Paris geboren, und die Sittenkomödien waren nicht seine schwächste Seite. Übrigens wurde er nur 51 Jahre alt, was sicher ein Zeichen seiner Unsittlichkeit war.
Damals herrschte Le Roi Soleil über die Franzosen. Achtundzwanzigjährig, setzte er Molière tausend Franken jährlich aus seiner Privatschatulle aus. Freilich: Der Dichter ist – Einundfünfziger, vom Leben zermürbt, rheumatisch, an ewigem Husten leidend. Er muß ins Bett. Der einzige Freund und Armande, die Gattin, werden geholt.
»Solange in meinem Erlebnis Leid und Lust wechselten, hielt ich mich für glücklich. Jetzt? Keine Stunde bin ich ohne Schmerz, habe ich keinen Ausblick ins Helle. Ich muß das Spiel aufgeben.»Was leidet der Mensch, ehe er stirbt! Mit mir gehts zu Ende!«
Frau und Freund beschwören ihn, die Vorstellung abzusagen, sich Ruhe zu gönnen. Er wird genesen.
»Wie denn absagen? Fünfzig arme Schauspieler um ihr Brot bringen?«
Während der Komödie stirbt er. Kaum, daß Armande noch den Arm um ihn legen konnte, dieselbe Armande, die schöne Edelleute nicht gehen lassen konnte, ohne ihnen gefällig zu sein. »Lasse sie einsperren, die Ehebrecherin,« sagte der Freund. Darauf Molière: »Ich bin zu zärtlich, Junge. Ich brauche Zärtlichkeit. Ich suche sie fiebernd bei Armande, aber erst, als sie den Grafen Guiche liebte, merkte ich, daß sie zärtlich sein konnte – wie sie es konnte. Was tun? Als keuscher Joseph, sie verachtend, neben ihr leben? Sie ist nicht einmal schön, und ihr Geist ist mein Geist. Aber was nützen Vorsätze? Ich liebe sie. Das sagt alles. Sehe ich sie vor mir, so schwindet mein Verstand. Ich bin nur mehr Gefühl – für sie.«
Dies war Molière, und es regierte Ludwig XIV., unter dessen glorreichem Leben so ziemlich alle Frauen es wie Armande machten und ihre Männer keineswegs, wie zärtliche Inskribenten versichern, alle freudig zugesehen haben.
Schon unter Ludwig IX. glich Paris einem großen Bordell. Aber nichts von der Frechheit Korinths, nichts von dem göttlichen Laster des Piräus! Die Heuchelei lag in den Vorstädten, in Tavernen und schmutzigen Kneipen, in den Schatten der Friedhöfe und den Nischen der Kirchen. So konnte es kommen, daß die Pest der Liebe, welche die idealen Kreuzfahrer aus dem Orient nach Europa verschleppt hatten, einen wohlvorbereiteten Boden fand und sich entwickeln konnte. Und das Gift ward zum furchtbaren Strafgericht für die unnatürlichen Exzesse an allen denen, die doch eigentlich an der Urheberschaft dieses Zustandes unschuldig waren.
Die schlimmste Verderbtheit scheint aber unter Ludwig XV. in Frankreich geherrscht zu haben. Als der König eines Nachts bei seiner Geliebten Diana von Poitiers Einlaß begehrte, bemerkte er, als Diana die Tür öffnete, unter dem Bette seinen besten Marschall namens Brissac, der daselbst ängstlich bemüht war, den Atem anzuhalten, um seine Königliche Hoheit nicht von seiner Anwesenheit in Kenntnis zu setzen. Der König legte sich ruhig mit seiner Geliebten zu Bett und knackte unter anderm frische Welschnüsse auf. Nach einiger Zeit warf er einige derselben unter das Bett mit den Worten: »Hier, Brissac, jeder Mensch will leben,« drehte sich um, löschte das Licht aus und schlief neben Diana ein.
Am andern Morgen tat er, als bemerke er den Marschall gar nicht, der halbtot samt seinen Nüssen immer noch unter dem Bett lag.