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Es ist schwer, für den Typus »Vamp« eine Definition zu geben. Nach der modernen Anschauung, die das Dämonische stark verallgemeinert, ist der »Vamp« ein nach außen hin süßes Geschöpf, ein »Püppchen«, dessen teuflische Eigenschaften eben nur in der Stärke ihrer sexuellen Hemmungslosigkeit liegen. Aber diese Frauen sind keine Vamps. Die dämonische Rolle spielen sie weniger aus eigener Kraft, als durch den oft unbewußten masochistischen Trieb der Männer. »Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht!« Diese bis zum Überdruß zitierte Weisheit müßte den Nachsatz erhalten – »für Dich selber!«
Denn der Hörigkeits trieb des Mannes schafft heute geradezu das »Vamp-Ideal«.
So stand vor dem Schwurgericht in Berlin ein 23 jähriger Arbeiter, Walter H., unter der Beschuldigung des versuchten Totschlags an seiner Braut. H. hatte in der Wohnung seiner künftigen Schwiegermutter zwei Schüsse auf das Mädchen abgegeben, das nur dadurch dem Tode entging, daß es sich im Augenblick, als die Schüsse fielen, zu Boden warf. Die Anklage gegen den jungen Mann war deshalb besonders interessant, weil er bereits früher seine Braut durch Revolverschüsse erheblich verletzt hatte. –
Er wurde damals mit sechs Monaten Gefängnis bestraft. Aber sofort, nachdem ihm für diese Strafe Bewährungsfrist zugebilligt worden war, hatte er erneut auf seine Braut geschossen. In beiden Fällen versuchte er, nach der Tat sich selbst zu töten. Das eine Mal brachte er sich einen Kopfschuß bei, das andere Mal schoß er sich in die Lungen.
Der junge Angeklagte, sonst ein arbeitsamer Mensch, der einen sympathischen Eindruck machte, war der Typ eines Sexualhörigen, der durch seine hündische Unterwürfigkeit das Mädchen geradezu herausforderte, ihn zu betrügen. Das tat es denn auch, kam in andere Umstände, schwor ihm wieder, ihm die Treue zu halten und betrog ihn von neuem.
Schließlich wurde sie geschlechtskrank. Aber auch, als seine Braut ihn ansteckte, ließ er nicht von ihr.
»Ich war in meiner Liebe so sinnlos, daß sie mich wie eine Puppe an der Strippe hin und her zog,« sagte der Angeklagte und enthüllte damit sein erotisches Abhängigkeitsverhältnis.
Die Braut verfügte stets über reiche Geldmittel. Er hatte sie auch schon im Verdacht, daß sie das viele Geld als Dirne verdiente.
Schließlich kam es zwischen dem Paar zu den heftigsten Auftritten und Schlägereien, denen immer wieder die Versöhnung folgte. Nach der ersten Bestrafung wegen des versuchten Totschlags an der Braut versöhnte sich H. wieder mit dem Mädchen, bis er bemerkte, daß es ihn aufs neue trotz aller Versprechungen hinterging.
Diese Erotomanie des Weibes scheint gleichfalls noch anormale seelische Untergründe gehabt zu haben. – Wahrscheinlich wurzelte ihr abwegiges Triebleben gerade in der Hörigkeit des Liebhabers, dessen Masochismus sie die sadistische Lust entgegensetzte, ihn durch immer neue Skandalaffären zu quälen, um zu sehen, was er alles zu ertragen imstande war.
Als er sich einmal mit einem ihrer zahlreichen Liebhaber geschlagen hatte, versöhnte sie ihn dadurch, daß sie ihm das Blut von seinem Gesicht und seinen Händen ableckte. (Ein masochistischer Akt ihrerseits!)
Der Unglückliche wurde von neuem verurteilt. Er wird ein Höriger bleiben. Und er wird die Geliebte, die ihn vielleicht auf ihre Weise liebt, nie zu sich zwingen. Denn hier ist ein absoluter Liebessklave auf eine sadistisch veranlagte Frau gestoßen. Diese Gegensätze werden immer von neuem zur Entladung führen, bis beide oder eines von beiden sein Ende in dem ungleichen Kampf gefunden hat.
überschrieb die »Welt am Abend« eine andere Verhandlung vor dem Schwurgericht.
An einem Sonntag fuhr vor dem Bahnhof Charlottenburg ein Auto vor, das von einem zweiten Wagen verfolgt wurde. In dem ersten saßen ein gewisser R. und seine Braut Hedwig K. Der Verfolger war der frühere Verlobte Hedwigs, ein gewisser V.
In der Dankelmannstraße war man zuerst zufällig zusammengetroffen. Dem Wortwechsel, der sich entspann, hatte das Paar durch die Flucht im Auto zu entgehen versucht. Aber der Gegner war gefolgt. Fast gleichzeitig halten die Autos, entsteigen ihnen die Rivalen. Das Mädchen, das noch im Wagen sitzt, sieht durch die Scheiben das erregte Gesicht ihres früheren Liebhabers, springt zur andern Seite hinaus. Sie hört einen kurzen Wortwechsel und sieht über den Kühler hinweg eine Revolvermündung auf sich gerichtet. Im selben Augenblick, in dem sie sich zu Boden wirft, kracht ein Schuß. Er hat aber ein anderes Ziel gefunden. R., der jetzige Verlobte, ist tot. V. flieht erst, wirft die Waffe weg, läßt sich dann aber ruhig festnehmen und benimmt sich, als sei nichts geschehen.
Dieser ist einer aus der andern Generation. Vom Vater hat er den Jähzorn und die Brutalität. Alkohol verträgt er wenig. Die schwere Jugend der Kriegsjahre hat ihre Spuren hinterlassen. Mit der eigenen Familie zerfallen, hat er den Boden des Bürgertums unter den Füßen verloren. Dabei ist er in seiner Gesinnung ganz und gar bürgerlich geblieben. Er ist nicht nur einer Frau hörig. Er ist dem Weibe an sich hörig. Er kann nicht leben ohne Frau. Dabei ist er gegen das Einzelwesen durchaus tyrannisch eingestellt. Ganz naiv spricht diese Lebensauffassung aus all dem, was er – anfangs zögernd – dem Gericht erzählt.
Diesen Menschen in seiner völligen Einsamkeit und krankhaften Abhängigkeit nur vom Weibe mußte ein harter Schicksalsschlag treffen. Sein Schicksal mußte die Frau sein.
1925 lernte er Hedwig K. kennen. Sie ähnelte seiner ersten Liebe. Darum hing er an ihr mit allen Fasern seines Herzens, suchte an ihr den Halt, den ihm die Umwelt nicht geben konnte. 1926 verlobte er sich mit ihr. Trotz des Widerstandes seiner Eltern. Seine brutale Eifersucht führte zu Streitigkeiten. »Wie bei Kaisers auch,« sagt V. Erst prügelt er sie – dann liebt man sich wieder. Streit und Zank werden aber immer häufiger. Schließlich will Hedwig geheiratet sein. Da er zögert, da er ein »Waschlappen« ist, der mehr auf seine Eltern hört als auf seine Braut, entlobt sie sich. Der neue Bräutigam wartet schon vor der Tür.
Da tobt V., beschwört, schreibt Briefe, bittet, droht, überfällt das Mädchen. Er sucht Aussprache um Aussprache. Umsonst! Und dann fällt der Schuß in der Sonntagsnacht. Er ist (mit seinem eigenen Wort) » zum Narren am Weibe geworden«.
*
Ein Fall, der in Berlin seinerzeit ganz besonderes Aufsehen erregte, war der einer sechzehnjährigen Verführerin und Mörderin. Sechzehnjährig und schon ein Kind unter dem Herzen tragend!
Nennen wir diese moderne kleine Messalina Lieschen. Doch sie war gar keine Messalina, dieses halbe Kind, das die beiden Mörder durch ihre sexuelle Hörigkeit zwang, den Uhrmacher Friedrich Ulbrich umzubringen. Sie war ein Kind dieser Zeit, die kaum mehr Hemmungen kennt.
Dieses Lieschen mit der animalischen Libido hat das, was man Moral und Gewissen nennt, überhaupt nicht gekannt. Es kannte nur sich, und wenn man eine menschliche Erklärung für die unmenschliche Handlungsweise dieses Kindes mit dem grausamsten Weibinstinkt anführen will, so darf man vielleicht zu seiner Entschuldigung sagen: es war schon eine Mutter, dieses Kind, es trug, selber über die Pubertätsstürme noch nicht hinaus, bereits das Kind eines jungen Mannes unter dem Herzen.
Man muß sich auch dieses Milieu vor Augen halten: Der Uhrmacher Ulbrich, der da in einem elenden Gelaß einer elenden Mietskaserne im Norden Berlins hauste, hatte besondere Leidenschaften. Er knipste nackte Mädchen. Das war weit und breit bekannt, und die Mädchen, die noch jung und im Besitz eines schönen Körpers waren, erfahren in den Gefilden der Libido sexualis, gingen zu Ulbrich, stellten sich nackt hin und ließen sich photographieren. Dafür bekamen sie fünf Mark. Der sonderbare Liebhaber trieb nicht etwa Handel mit den Aktbildern. Nein, sie waren sein »Heiligtum«, sie gehörten ausschließlich ihm, diese nackten, kleinen Mädchen, die in unbeweglicher Pose Modell gestanden. Als man den Mord entdeckte, als die Kriminalpolizei in der Kammer des Ulbrich nach Spuren suchte, fand sie Dutzende von diesen Aktbildern, unter ihnen auch das Bild des nackten Lieschens – und fanden so auch die Mörder.
Richard hieß der eine, Erich der andere, und von Richard trug Lieschen ein Kind unter dem Herzen.
Lieschen entwarf den Plan, den Uhrmacher, zu dem sie sexuelle Beziehungen unterhielt, zu ermorden. Lieschen gab an dem Mordabend den beiden von ihr verführten Verbrechern das Zeichen, Lieschen verhinderte den Uhrmacher aufzustehen, als er verdächtiges Geräusch hörte, indem sie Liebkosungen und Zärtlichkeit mimte, während sie die beiden Mörder schon im Zimmer wußte.
Die Jungens warfen sich auf ihr Opfer, aber dieses setzte sich zur Wehr, die Jugend drohte zu unterliegen, sie waren nahe daran, zu versagen, fortzulaufen. Aber Lieschen griff selber zu.
»Während Ulbrich«, schrieb das »Tempo«, »nach mehr als einstündigem Kampf in seinen Bettkissen erstickt wurde, lag das 16jährige Mädchen neben ihm und hielt für alle Fälle ein Beil bereit.
Bei der Vernehmung zeigte sie ebensowenig Reue oder überhaupt irgendeine Gemütsbewegung wie die beiden männlichen Täter.
Der Uhrmacher war Lieschen vollkommen hörig gewesen und hatte ihren häufigen Forderungen nach Geld und Schmucksachen zuerst nachgegeben. Sie überredete auch Richard, Ulbrich zu erpressen, was stets Erfolg hatte.
Lieschens starke Geldgier war vielleicht eine Folge ihrer Schwangerschaft. Diese Leidenschaft nach Geld nahm immer pathologischere Formen an. Ihre Forderungen wurden immer höher. Bis eines Tages Ulbrich seine Zuwendungen einstellte. Da überredete Lieschen Richard, den Uhrmacher zu ermorden.
Richard und sein Freund Erich besprachen nun alles mit Lieschen, die den wichtigsten Teil der Ausführungen selbst übernahm.
Am Abend des 29. Oktober begab sich Lieschen zu Ulbrich. Die beiden jungen Leute trieben sich in der Nähe der Ulbrichschen Wohnung umher und warteten auf das Zeichen, das ihnen Lieschen geben wollte. Sobald das Licht im Wohnverschlag ausgelöscht war, sollten sie kommen. Lieschen hatte heimlich die Ladentür geöffnet. Dann begab sie sich mit Ulbrich zur Ruhe. Als der Mann nochmals nach der Tür sehen wollte, erklärte sie, das sei unnötig, sie hätte schon abgeschlossen. Dann löschte sie das Licht aus. Wenige Augenblicke später drangen die beiden Burschen ein. In der Dunkelheit warfen sie einen Gegenstand um. Ulbrich fuhr hoch, wurde aber von Lieschen verhindert, nachzusehen. Wenige Minuten später stürzten sich Richard und Erich auf den Uhrmacher. Sie drückten ihn mit dem Kopf in die Kissen, aber Ulbrich gelang es immer wieder, sich zu befreien. Die Burschen verloren den Mut, sie hätten Ulbrich am liebsten losgelassen und wären geflohen. Lieschen aber hatte ein Beil ergriffen. Sie wollte, wenn die Männer zu feige seien, die Tat auszuführen, Ulbrich den Schädel zertrümmern. Nach einer Stunde verzweifelten Ringens war Ulbrich tot.
Lieschen versuchte bei ihrer Vernehmung die beiden Männer zu schützen. Sie verwickelte sich aber in Widersprüche und Erich sowie Richard wurden festgenommen.«
*
»Ganz in der Tiefe spielt dieses fürchterliche Drama,« schrieb Hans Hyan. »Da sind Menschen, die nichts zu essen haben, in Gelassen hausend, die von Unrat strotzen. Da ist die absonderliche Figur des Uhrmachers Ulbrich, eines Mannes an der Schwelle des Greisenalters, der mit einer Taschenkamera hübsche Mädchen und Frauen auf der Straße knipste und ihnen sagte, wenn sie ein Bild wollten, dann sollten sie es sich in seiner Wohnung abholen. Kamen sie dann in das Zimmer hinter seinem Laden, in das Loch mit einem schmuddeligen Bett, einer wackligen Kommode, mit schmutziger Wäsche in den Ecken, mit dutzenden Bildern nackter Mädchen an den Wänden, mit hundert solcher Bilder in Wäschekörben, dann trug ihnen der Alte an, er wolle sie auch so photographieren. Und er schenkte ihnen neue Schuhe, von denen man noch eine ganze Menge fand, oder Spitzenwäsche, die in Stößen da war, behängte sie mit Ketten, setzte ihnen Perücken auf und zahlte ihnen obendrein fünf Mark – viel Geld am Wedding. So würgend ist die Not, daß ein Mädchen leicht ein anderes bringen konnte, und viele Ehefrauen sind auf den Bildern des Uhrmachers, Frauen, die seine fünf Mark bitter brauchten.
Sie kamen aus Wohnungen, in denen man nicht atmen kann vor Menschen und Geräten, aus Wohnungen, in denen die Behelfe irgendeiner elend gezahlten Heimarbeit den kargen Raum noch mehr verengten, aus Behausungen, in denen Menschen zu dritt und viert in einem Bett schlafen müssen, wenn sie überhaupt noch ein Bett haben. Und bei Ulbrich gab es fünf Mark dafür, daß sie sich ein Weilchen nackt hinstellten, gab es Wäsche und Schuhe und – und das spielt auch eine Rolle – gab es die Bestätigung, daß man noch hübsch sei und jung und begehrenswert.«