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Gehört auch noch dazu. Er ist ein Bauer, ein besonnener, tüchtiger Bauer des Lebens. Als Ratsschreiber führt er auch die Akten volklicher Gesundheit.
Er hatte innige Zuneigung zu Karl Henckell, obwohl dieser damals noch glühendrot war, und Keller haßte, wenn irgend etwas – das Volksbeglückertum.
Es war eigentümlicher Anblick, wenn die kleine Gestalt mit dem gewaltigen Haupte mit winzigen Schritten herbeischlürfte und eine ganze Weile gebrauchte, ehe sie das wie eine Karawanserei ausgedehnte Gastzimmer des »Pfauen« durchmaß und sich zu uns setzte – zu Henckell und mir. Aus weiter Erinnerung sendet mir Zürich unvergeßliche Erinnerungen. Ich weilte dort im Frühling 1889 und lernte hier allerlei Wunder des Weltbürgertums kennen, als da sind: zutunliche, fidele, nicht steifleinene Professoren, einen Italiener in mehrfachem Hausbesitz, der mit seinen zwei schönen Töchtern im »Pfauen« geigte und diese dann zum Tellersammeln durch die Reihen der Gäste schickte, des ferneren Meister Böcklin, mit dem man am entferntesten Tische bisweilen Keller antraf, wie sie sich beide gesellig anschwiegen.
Keller tauete trotz seiner berufenen Grobheit doch auch mir gegenüber – das machte aber nur die Nähe Henckells – auf, beklagte sich aber dann, daß ich ihm.die Würmer aus der Nase gezogen hätte. Und diese Würmer lege ich auf den Tisch des Hauses nieder:
Da ist zunächst der Gedicht-Zyklus: die Empfindungen einer Leiche, die ja auch Poe beschäftigt haben. Diese Dichtung ist veranlaßt durch das Preisausschreiben einer Leichenverbrennungsgesellschaft in Stuttgart. Und dies wunderbare, so keusche und sinnenglühende, durch Unheil vertiefte und auf verklärenden Liebestod hinweisende Büchlein von zwei jungen Menschen, mit dem zu abhängig sich gebärdenden Titel: »Romeo und Julia auf dem Dorfe«, hat eine geradezu lächerliche Entstehungsursache.
Da liest Keller in den sechziger Jahren in einem Berner Sonntagsblatt einen gar wütigen Frömmlerartikel, wie Zucht und gute Sitten in gar erschrecklichem Maße abnehmen. Da haben ein paar junge Leute, deren zerrüttete Lebensverhältnisse eine Ehe unmöglich gemacht, das göttliche Gebot mißachtet und dann ihr sträfliches Beginnen durch gemeinsamen Selbstmord gekrönt und sich von dem beladenen Heuschiff, das sie festgebunden vorgefunden und das sie dahn haben treiben lassen, nach einer verbuhlten Nacht, ins Wasser gestürzt.
Noch immer höre ich die heisere, leise Stimme, die an eine bescheidene Silberdistel erinnerte; noch immer sehe ich die steile Stirn mit den tiefen, gleichen Furchen, die künstlerische Arbeit über diesen Acker des Geistes gezogen, noch immer höre ich diesen biedern Züribieter, wie er mir im Eisenbahnwagen zuraunte: »Er süft.« Das war alles, was er von diesem Meister Gottfried zu sagen wußte.
Und doch, wie es trifft: Wer den Züricher Landwein kennt, wird schon in dieser Tatsache des Züricher Dichters Heimatsliebe ehren, wie er sie in diesem Rachenputzer immer aufs neue in sich hineintrank. Das blaßrote Schöppli vor ihm: mir ist es sein Ehrenzeichen.
ist die Ehrlichkeit der Sinne.
Nicht gefälscht und nicht verzuckert.
Wie massig und machtvoll zieht sein Panorama durcheinander!
Der Kehraus von Paris, der Kehraus des Weibes, der Kehraus des Reiches: ein Kehraus.
À Berlin und à Paris kreuzt sich.
Der Kehraus. Aber Epik, große Epik, der Hexameterschritt der Zeit.
Und das Epos hat Mut, großen Mut. Und wo eine Zeit zusammenbricht, es wartet nur aufs Ende, um neu zu beginnen den Wiederaufbau.
Si fractus illabatur orbis,
Impavidum revocant ruinae.
Kaum die Feder aus der Hand gelegt, muß der Naturalismus, muß die Aufrichtigkeit selbst Roman werden, ein lebender Roman, sehr zum Schaden vielleicht dessen, der geschrieben.
Trotz dem Französischen: Bauernkrieg. Fränkischer Bundschuh. Flugschrift auf Flugschrift. Anreger und Wecker, auch in fremden Namen zu eigener Sache.
Anschwemmungen, Ungespundetes auf Ungespundetes, Münchener Kindl-Geschichte. Frische, frische Lebensstücke., Geist, viel Geist,
»Fehlt leider das geistige Band«.
Und doch, es ist da: die Persönlichkeit, die alles zusammenhält, der ganze prächtige Kerl, dieser Kraftmensch – und wenn er auch ein wenig zu süddeutsch, und ein ganz klein wenig Kraftprotz ist.
Ist Emile Zola der Protokollführer und Karl Bleibtreu der Weiß, der etwas nörgelnde, gescheite Stratege des Krieges, was ist Liliencron? Der Menschenfreund, fast die gute Gesellschaft des Krieges. Und sonst ein deutscher Muselmann, ein Muselmann mit treuen, tiefen Kornblumenaugen, eine Jugend über alle Jahreszeiten hinaus, und eine Heimatseele, die in jeden holsteinischen Knick getreten ist.
Bierbaum?
Wann lebte doch noch Bierbaum?
Und doch: ein Weinlaub, das Germanistik studiert hat, ein denkender Faun, rosige Reminiszenz, Liebe, die den Doktor gemacht hat, Hagestolzentum mit Hustru.
Kosmisches Kranken, erbitterte pflanzliche Sehnsucht.
Schalkhafte Harzfrische. Sagen und Gnomenzüge in der deutschen Michelseele. Bücherwürmer mit Gemüt. Inkarnierte Engel mit Borsten und Stacheln. Gutmütige Schläue, etwas listig Drolliges und – vor allem Verkniffenheit vor lauter, lauter Seele.
Künstlerische Enge. Auf Goethespuren, Goethevorsicht, ererbtes Mißtrauen. Engbrüstige Monumentalität der Genußfrage. Er reist, aber er findet überall nur seinen abgerissenen Knopf, auch in der ewigen Roma; er bleibt kalt auch in der heißen Sonne Afrikas.
Er kann aus sich nicht heraus.
Schon in jungen Jahren der alte Herr: kann nichts ihn befreien, nichts ihn aufknöpfen. Vielleicht noch ein zweiter abgerissener Knopf.
Else Lasker-Schüler ist die jüdische Dichterin. Von großem Wurf. Was Debora.
Sie hat Schwingen und Fesseln, Jauchzen des Kindes, der seligen Braut fromme Inbrunst, das müde Blut verbannter Jahrtausende und greiser Kränkungen. Mit zierlich braunen Sandälchen wandert sie in Wüsten, und Stürme stäuben ihre kindlichen Nippsachen ab, ganz behutsam, ohne auch nur ein Puppenschühchen hinabzuwerfen.
Ihr Dichtgeist ist schwarzer Diamant, der in ihre Stirn schneidet und wehe tut. Sehr wehe.
Der schwarze Schwan Israels, eine Sappho, der die Welt entzwei gegangen ist. Strahlt kindlich, ist urfinster. In ihres Haares Nacht wandert Winterschnee. Ihre Wangen feine Früchte, verbrannt vom Geiste.
Sie tollt sich mit dem alterernsten Jahve, und ihr Mutterseelchen plaudert von ihrem Knaben, wie's sein soll, nicht philosophisch, nicht gefühlsselig, nein – von wannen Liebe und Leben kommt, aus dem Märchenbuch.
Else Lasker-Schüler ist von dunkelknisternder Strähne auf heißem, leidenschaftstrengem Judenhaupte, und so berührt so etwas wie deutsche Volksweise, wie Morgenwind durch die Nardengassen der Sulamith überaus köstlich. Wie auch Heine einen Einschlag von deutschen Fäden im Blute hatte, wohl noch stärker als Prinzeß Tino. So daß es bei ihm zu Kampf, fast zur Auflösung kam.
Elses Seele aber steht in den Abendfarben Jerusalems, wie sies einmal so überaus glücklich bezeichnet hat. Jüdische Dichter, schöpferische Dichter aus Judäerblut sind selten. Die Glut einer entlegenen Urseele ursprünglich, stark und bei Schmähungen ungereizt zu erhalten, ist nicht leicht. Heinrich Heine hat zu viel kleinliche Gehässigkeit, zu viel geriebenes Feuilleton unter seinen Werken. Ein zweiter Gedichtband ist im Druck. Auf Wiedersehen, Tino
Tino ist der unpersönliche Name, den ich für die Freundin und den Menschen fand, die flammenden Geist und zitternde Welt wie mit Blumenkelchen umfangende Seele.