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Am 1. Januar 1901 bezog ich, nunmehr professioneller deutscher Dichter, ein Zimmer in der Wilsnacker Straße. Ich kannte nun schon verschiedene Berühmtheiten persönlich und konnte die Namen, vor denen ich mich bisher verbeugt hatte, mit den Menschen vergleichen, die ihre Träger waren. Die ersten Veranstaltungen der »Neuen Gemeinschaft«, an denen ich teilgenommen hatte, führten sofort Bekanntschaften herbei. Heinrich Hart stellte mich seinem Bruder Julius vor. Ich wurde zur Betreuung dem Photographen Fritz Löscher übergeben, einem Bekenner konsequentesten Tolstoianertums, dessen schöne Frau Ida die erste Werkstatt für moderne Frauenbekleidung eröffnet hatte, aus welcher in meiner Erinnerung alle die violettsamtenen hängenden Gewänder der dem Reiche der Erfüllung zustrebenden Damen hervorgingen. Durch Löscher lernte ich die Gemeinschaftsanhänger kennen, die dem »Orden vom wahren Leben« sozusagen als dienende Brüder die Kleinarbeit besorgten, Arbeiter und Künstler, auch Kaufleute, junge Mädchen und Idealisten aller Art. Sie hielten im Architektenhause Tür- und Kassenwacht, führten die Vortragsbesucher zu ihren Plätzen, verkauften Broschüren und verteilten Zettel und Programme.
Einer der Handzettel stellte einen Sonderdruck eines Gedichtes an Böcklin dar, der eben gestorben war. Es war von Peter Hille, von dem ich höchstens einmal den Namen gelesen haben mochte. Das Gedicht war prachtvoll, man erlebte darin die ganze Phantasie der Böcklinschen Schöpfungen, und das seltsame Pathos der lose gebundenen Rhythmen mit der Häufung kühner und unbeschreiblich sinnfälliger Wortbilder – »Ein frohes Tosen wiehert der Stromsturz nieder«, »... des Wageblutes Scharlachtürme ...«, »... zypressendichter Schlaf ...« – ergriff mich mächtig. Der Dichter aber, den bartumwallten riesigen Kopf mit den verträumten Kinderaugen gnomenhaft über dem zarten schlanken Körper, begrüßte die Helfer am Türeingang und gab, seinen Namen nennend, auch mir die Hand, eine zierliche, durchsichtige, verblüffend kleine Frauenhand. Wir gingen miteinander vom Architektenhaus zu Fuß nach Hause, das heißt, ich begleitete ihn zur Kesselstraße, lief noch eine Stunde im Gespräch mit ihm die Chausseestraße auf und ab und schwenkte dann nach Moabit heimwärts. Wir waren Freunde geworden.