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13. Kapitel.
Die populärwissenschaftliche Literatur.

Die Ähnlichkeit zwischen der Tageszeitung und der populärwissenschaftlichen Zeitschrift ist so groß, daß in theoretischen Auseinandersetzungen ein Unterschied zwischen beiden nicht immer gemacht wird. Hier wie da handelt es sich um eine »in regelmäßigen Zeitintervallen erscheinende, durch mechanische Vervielfältigung allgemein zugänglich gemachte [160] Publikation von kollektivem, mannigfaltigem Inhalte, der durch Allgemeinheit des Interesses gekennzeichnet, sowie aus den Ereignissen und Zuständen der unmittelbaren Gegenwart geschöpft ist.« Dies die Definition LÖBLS (a. a. O. 21f., die zwar für die Tagespresse gemeint ist, aber, wie sich zeigt, auch auf die populäre Zeitschrift paßt. Aber die Unterschiede zwischen beiden Publikationsarten, die ebenso auf der Hand liegen wie die Ähnlichkeiten, sind gerade für die hier zu behandelnden Fragen noch bedeutsam genug, um eine gesonderte Betrachtung nötig zu machen.

Was zunächst die Massenwirkung der Zeitschrift angeht, so ist sie zwar nicht ebenso groß wie die der Tageszeitung, aber – namentlich durch die Einrichtung der sog. »Journallesezirkel« – doch noch so bedeutend, daß ihre ruhmbildende Macht bei jedem Individuum in die Rechnung zu stellen ist. Der erste für uns wichtige Unterschied ergibt sich aus der geringeren Häufigkeit des Erscheinens. Eine Publikation, die nicht mehrmals am Tage, sondern in 1 oder 2 oder 4 Wochen nur einmal erscheint, kann bei der Scheidung zwischen Wichtigem und Unwichtigem bedächtiger vorgehen, das Urteil über das als wichtig Erkannte sorgsamer wägen, die Auswahl der Mitarbeiter kritischer gestalten. Es ergibt sich schon hieraus eine etwas erhöhte Zuverlässigkeit in der Wertung der behandelten Individuen. Eine weitere Folge des seltneren Erscheinens ist die – wenn auch zuweilen nur sehr geringe – Zurückdrängung des Aktualitätsprinzipes. Freilich auf die »Ereignisse und Zustände der unmittelbaren Gegenwart« muß auch die populäre Zeitschrift Bezug nehmen, aber sie ist nicht so sklavisch von ihnen abhängig wie die Tageszeitung. Sie kann ein Individuum auch dann behandeln, wenn weder eine jubiläumsartige Erinnerungsfeier, noch eine Neuausgabe seiner Werke, noch sonst einer von den Faktoren gegeben ist, durch die es, wie sich gezeigt hat‚ aktuell wird. Aber schon eine kurze Überlegung erweist, wie selten die Zeitschrift von dieser Freiheit Gebrauch macht, und so kommt es, daß das bereits historisch gewordene Individuum hinter dem noch lebenden hier nicht viel weniger zurücktreten muß als in der Tagespresse.

[161] Je höher die populäre Zeitschrift steht, desto enger sind ihre Beziehungen zur Wissenschaft, d. h. desto leichter öffnet sie ihre Spalten einem Individuum, das zunächst nur das Interesse der gelehrten Welt erregt. Es begegnen sich in ihr also zwei Tendenzen, die beide auf die Notwendigkeit des Auswählens zurückgehen: nicht jedes Individuum, das aus Gründen der Aktualität in der Tagespresse erwähnt wird, gelangt bis in die Zeitschrift, aber auch nicht jedes dringt bis zu ihr durch, das aus rein gelehrten Interessen von der Wissenschaft behandelt wird. Das der Masse allzu nahe und das ihr allzu fern stehende wird von der Zeitschrift ausgeschieden.

Auf die größere oder geringere Verwandtschaft mit der Tagespresse geht auch eine Differenzierung zurück, die im Zeitschriftenwesen selbst zu beobachten ist: die fast stets illustrierte Familienzeitschrift scheidet sich von der populärwissenschaftlichen im engeren Sinne. Die erstere, die mehr unterhalten als belehren will und sich deshalb um das einzelne Individuum nicht allzu viel kümmert, bringt doch einen gerade für uns nicht unwesentlichen Faktor hinzu: sie reproduziert mehr oder weniger häufig das Bild, meist die Photographie aktueller Persönlichkeiten. Dieser Brauch, der in die Tagespresse bisher nur vereinzelt eingedrungen ist, nimmt zuweilen einen derartigen Umfang an, daß man über seine ruhmbildende Macht nicht im Zweifel sein kann. Das Bild sieht jeder; ein Aufsatz über das Individuum hingegen, selbst wenn er noch so kurz ist, verlangt bereits eine gewisse Versenkung und wird daher leicht übergangen. Nicht nur Herrscher und ihre Angehörigen, auch alle Individuen, die in politischer, wirtschaftlicher, künstlerischer Beziehung irgendwie bedeutungsvoll erscheinen, selbst manche nichteminenten, aber viel besprochenen Personen werden so häufig abgebildet, daß zugleich mit ihrem Äußern ihr Name der Masse förmlich eingehämmert wird. Durch Faktoren, die mit dem Werke des Individuums nur sehr mittelbar etwas zu tun haben, – nämlich vor allem durch die technische Vervollkommnung des Reproduktionsverfahrens in Verbindung mit der kapitalistischen Institution der Zeitschrift – verbreitet sich also irgendeine Erscheinungsform des Individuums in [162] Kreisen, die von seinem Werke nur eine höchst ungenaue Vorstellung haben, an die Bedeutung des Werkes aber deshalb glauben und zu glauben gezwungen werden, weil ihnen das Bild des Werkschöpfers immer wieder vorgeführt wird.

Die populäre Zeitschrift im engeren Sinne verzichtet auf dieses Mittel in den meisten Fällen. Bei ihr kommt auch leicht eine weitere Differenzierung hinzu. Sie vertritt entweder die Interessen einzelner Berufs- oder sozialer Schichten und kümmert sich dann nur wenig um einzelne Persönlichkeiten – höchstens um solche, die diesen Schichten angehören –, oder aber sie wendet sich an Kreise, die durch gemeinsame geistige Interessen zusammengehalten werden. Diese letztgenannten Zeitschriften wirken vor allem auf die Erscheinungsform des künstlerischen Individuums ein, mag es nun als Dichter, als Musiker, als Maler oder sonstwie Aufmerksamkeit erregen. Je nach der speziellen Art wird auch der Politiker, der Wissenschaftler, der Industrielle usw. beachtet. Eine vollkommne Spezialisierung, wie sie bei der wissenschaftlichen Zeitschrift zu beobachten ist, tritt hier jedoch nie ein. Der Bildner der Erscheinungsform ist hier, ebenso wie bei der Tageszeitung, der Kritiker. Sieht man von der größeren Muße ab, die er für die Mitarbeit an der Zeitschrift hat, so sind die transformierenden Tendenzen fast ebenso stark wie die bereits vorher erwähnten, zumal in vielen Fällen der Kritiker der Tageszeitung und der der Zeitschrift dieselbe Person ist.

Immer wieder aber ist hervorzuheben, daß, was das einzelne Publikationsmittel nicht vermag, von der Gesamtheit erreicht wird. Bei der außerordentlichen Menge und der sehr großen Billigkeit der Druckwerke kommt es heute nicht mehr oft vor, daß jemand nur eine einzige Zeitung oder nur eine einzige Zeitschrift liest. Alle Journalisten aber stehen – nicht weniger als die übrige Masse – unter dem Zwange der kollektiv-psychologischen Gesetze, von denen hier immer wieder die Rede ist. Sie werden diesen Gesetzen um so weniger Widerstand leisten, als sie letzten Endes im Dienst eines kapitalistischen Unternehmens stehen, das von der Menge abhängig ist und ihren Strebungen und Wünschen entgegenkommen muß. Unter diesen für die Genesis des Ruhmes [163] wichtigen Strebungen ist das Verehrungsbedürfnis, wie sich gezeigt hat, die bedeutsamste. Es ist stets vorhanden, wird aber namentlich in den Zeiten einer jubiläumsartigen Erinnerungsfeier in seinen stärksten Formen sichtbar. Jede Zeitung und jede Zeitschrift widmet in einer oder in mehreren Nummern dem zu feiernden Individuum Artikel, die – mit geringen Differenzen – alle auf einen Ton gestimmt sind und durch diese Einstimmigkeit um so stärker wirken. Die Transformierung ergibt sich also wiederum durch ein Sichbegegnen zweier Tendenzen: zunächst bei der Masse vorhanden ist das Verehrungsbedürfnis, dem von den Publikationsorganen nur Ausdruck gegeben wird; aber alsbald werden sie – infolge ihrer gewaltigen Anzahl und Verbreitung, sowie der Ehrfurcht vor dem gedruckten Wort – zu selbständig wirkenden Faktoren, die ihrerseits die Masse beeinflussen, d. h. aus der aktiven eine passive machen.

Es ist nun noch eine Reihe anderer populärwissenschaftlicher Druckwerke zu betrachten, die sich – meist in lexikalischer Form – entweder nur oder hauptsächlich mit dem einzelnen Individuum befassen. Man kann sie zusammenfassend als Zeitgenossenlexika bezeichnen. Sie sind bei den meisten Kulturvölkern zu finden und enthalten kurze biographische Nachrichten, sowie ein Verzeichnis der Werke oder der sonstigen Umstände, durch die die Persönlichkeit sich ausgezeichnet hat. Schon dadurch, daß sie sich auf die lebenden Individuen beschränken, unterscheiden sie sich wesentlich von den großen, rein wissenschaftlichen Biographiensammlungen, die ja gerade die lebenden grundsätzlich ausschließen. Ihr Zweck ist vor allem der, Interessenten authentische Daten an die Hand zu geben, letzten Endes wohl auch, eine gewisse Neugierde zu befriedigen. Für uns kommen sie schon deshalb etwas weniger in Betracht, weil ihre Verbreitung verhältnismäßig gering ist, ihr Einfluß auf die Bildung der Erscheinungsform also nicht allzu groß sein kann. Auch von einer Transformierung des Individuums im engern Sinne kann bei ihnen kaum die Rede sein; denn sie beschränken sich auf die Angabe von Tatsachen und bringen, wenn man von ein paar wertenden Adjektiven absieht, fast niemals eine Beurteilung des Individuums.

[164] Trotzdem sind sie für die Ruhmgenesis des Einzelnen nicht bedeutungslos. Die Tatsache der Aufnahme in ein solches Lexikon zeugt bereits von einer gewissen Gekanntheit. Zwar ist es etwa für KÜRSCHNERS »Schriftstellerlexikon« nur nötig, daß man überhaupt selbständige Bücher publiziert habe, wobei die Meinung, die die Umwelt von dieser Publikation hat, nicht in Betracht kommt, in allen anderen Fällen aber steht das Werk des Individuums erst in zweiter Reihe. Woran der Auswählende, also der Redakteur des Lexikons, vor allem denken muß, das ist der Grad der Gekanntheit, zu dem das Individuum es bereits gebracht hat. Seine Aufgabe ist also in den Grenzfällen nicht einfach, d. h. in allen denen, wo er zu entscheiden hat, ob die Persönlichkeit bereits lexikonreif ist oder noch nicht. Er wird schließlich gezwungen sein, dem Gefühl die Entscheidung über Aufnahme oder Nichtaufnahme zu überlassen. Hat er das Individuum aber erst einmal aufgenommen, so wird er eben dadurch Mitbildner der Erscheinungsform.

Sehr viel wichtiger als die Zeitgenossenlexika sind für unser Problem die umfassenden Enzyklopädien oder Konversationslexika, die in den letzten Jahrzehnten ebenfalls bei den meisten Kulturvölkern entstanden sind. Ihre Wichtigkeit beruht vor allem darauf, daß sie sehr stark verbreitet sind, also die Masse jeglichen Grades zu beeinflussen vermögen. Die Tatsache der Aufnahme ist daher für die Ruhmgenesis des Einzelnen von besonderer Bedeutung. Das Konversationslexikon ist in zwei Beziehungen ein Mischprodukt: es bringt Nachrichten sowohl über Dinge wie über Individuen und beachtet unter den letzteren sowohl tote wie lebende. Hierdurch vor allem nähert es sich der wissenschaftlichen Biographiensammlung, wirkt es also auf die Erscheinungsform einer sehr viel größeren Anzahl von Individuen, als es das Zeitgenossenlexikon tut. Für den Redakteur ergibt sich hier freilich eine noch größere Schwierigkeit; denn er hat nicht nur zu unterscheiden, ob ein Individuum bereits lexikonreif ist oder noch nicht, sondern auch: ob es noch lexikonreif ist oder nicht mehr (für die Wissenschaft gibt es kein »nicht mehr« in diesem Sinne). Bereits in die Geschichtswissenschaft trägt die – nie vermeidbare – Notwendigkeit des Aus [165]wählens subjektive, also transformierende Tendenzen hinein, die den stärksten Willen zur Objektivität hat. Der Redakteur einer Enzyklopädie jedoch, den man ja als Ruhmbildner par excellence ansehen kann, ist auf solches Auswählen in erhöhtem Maße angewiesen. Die Frage: wann ist ein Individuum lexikonreif? läßt sich auch hier nur gefühlsmäßig beantworten. Das Gefühl aber ist in diesem Falle nur die Resultante unserer »Faktoren«, und zwar der im zweiten Abschnitt erwähnten mehr oder weniger irrationalen auf der einen und der im dritten zu besprechenden historisch-biographischen Wissenschaft auf der anderen Seite. Indes zeigt sich die Abhängigkeit von den »Faktoren« nicht nur bei der Auswahl der Individuen, sondern auch bei der Abmessung des Raumes, der den einzelnen Ausgewählten zugeteilt wird. Er wird größer oder geringer sein, je nach dem Grade – nicht etwa der Eminenz des Individuums, sondern, wie wir jetzt genauer sagen müssen: nach dem Grade seines Eminenterscheinens. Derjenige, dem zwei Spalten eingeräumt werden, ist »gekannter« oder »berühmter« als der, der sich mit einer oder einer halben begnügen muß. Es handelt sich also auch hier wieder um die Wechselwirkung, der wir nun schon so oft begegnet sind. Die Aufnahme des Individuums ist zunächst nur eine Folge des Ruhmes, entwickelt sich aus dieser Folge aber alsbald zu einer Ursache, und zwar zu einer Ursache weiteren Ruhmes.

Stärker als bei den Lexizis sind die wertenden Tendenzen bei den Reiseführern, deren Einfluß auf die Erscheinungsform des Individuums nicht zu gering veranschlagt werden darf, zumal in einer Zeit, in der wie in der heutigen das Reisen zu so allgemeiner Sitte geworden ist. Der Reiseführer macht, schon um sich selbst Raum und dem Reisenden beim Besuch von Städten im allgemeinen und Museen im besonderen Zeit zu ersparen, nur auf diejenigen Werke aufmerksam, die ihm als die eminentesten erscheinen, ja er setzt unter diesen eine weitere Rangordnung fest, indem er einige mit einem, andere sogar mit zwei »Sternen« versieht. Es ist evident, daß der Verfasser des Führers bei dieser Verleihung von Sternen genau ebenso Sklave unserer »Faktoren« ist wie etwa der Redakteur der Enzyklopädie, daß – hier ebenso wie dort – [166] aus der Folge allmählich wieder eine Ursache wird. Es ist für den Reisenden schwer, ja fast unmöglich, einem Werke, das in seinem Führer 2 Sterne hat, völlig objektiv gegenüberzutreten.


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