Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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X.

Es war Waldenberg, nachdem ihn die Frau von Santalatona verlassen hatte, nicht viel anders zu Muthe, wie Einem, der aus einem Opiumrausch aufwacht.

»Ward je in solcher Laun' ein Weib gefreit!«

rief er aus. »Ach was, ein Weib ist ein schwaches, willenloses und veränderliches Ding – aber ein Mann, ein Lanzenreiter, ein schwerer Kavallerist! Himmelschockschwerenoth! einen Kerl, wie mich, lockt man den in den Ehestand, wie ein Huhn in die Steige! . . . Undankbares Vaterland, hab' ich darum meine Haut zu Markte getragen, daß deine Töchter mir nachlaufen und mich um meine goldene Freiheit bringen! Wie konnt' ich nur alle Kraft und Härte so drangeben an dieß Weibergeschwätz! Ich hätte der Dame nur höflich die Thüre zeigen sollen . . . Nein doch, das wäre eine Rohheit, unverzeihliche Rohheit gewesen. Ich konnte nicht anders, als die arme 192 Frau sich ausreden und sich ausweinen lassen. Und ich würde den Lumpenkerl nicht um seinen Kieselstein in der Brust beneiden, der diese Geschichte ohne Mitleid hören, diese Thränen ohne Rührung hätte fließen sehen können . . . Mir . . .

›Mir ward von alledem so dumm . . .‹

Nein! ich konnt' ihr den Besuch nicht abschlagen. Wozu auch verpflichtet ein Besuch? Zu nichts! Ich bin nach wie vor frei und ledig. Seltsame Geschichte! Wenn das Mädel wirklich sich so Knall und Fall in mich verliebt hat . . .«

Er machte eine Pause und ging an seinem Spiegel vorüber, ohne hinein zu sehen. Als er aber das zweite Mal vorbeikam, blieb er doch so zufällig vor ihm stehen, benützte die Gelegenheit aber nur, um mit der bekannten Bewegung der drei letzten Finger und des Ellenbogens die Manschette unter dem Aermel seiner Uniform vorzuziehen.

Wo ist der Mann, auf den es keinen Eindruck macht, wenn er hört, ein schönes Mädchen, das er nie gesehen, sei bis über die Ohren in ihn verliebt und werde alles Ernstes an dieser Liebe sterben, wenn er nicht seinen Segen dazu gebe?

»Wie aber, wenn sie häßlich ist oder mir doch so erscheint?« sagte Waldemar plötzlich und es ward ihm schal zu Muthe. 193

»Ach was, dann werd' ich mich so unausstehlich geberden und so widerwärtige Gewohnheiten simuliren, daß die Damen alle beide Gott danken sollen, wenn ich aus dem Tempel wieder ausfahre. Wer kennt nicht die alte Geschichte von dem Schauspieler Garrick. Noch kann ich thun, was ich mag. Es lebe die Freiheit!«

Seltsam, so frei er sich fühlte, es that ihm doch wohl, diesen letzten Gedanken mit der Erinnerung zu mildern, daß vernünftige und sachverständige Menschen, wie Thadderich und der jüngste Lieutenant, Leonilla's Schönheit ernstlich gelobt hatten.

Er ward immer nachdenklicher, setzte sich, stützte das Haupt in die Hand und verwunderte sich über die seltsamen Fügungen, welche sich vereinigten, um ihm seinen Junggesellenstand zu verleiden. Sein bisheriges Heimwesen drohte auseinander zu fallen, sein Vater beschwor ihn, im Namen des altehrwürdigen, freiherrlichen Geschlechts der Waldenberge, sich standesgemäß zu verheirathen, und schon kam man von der anderen Seite und bot ihm wie auf dem Präsentirteller eine Braut von Stande, jung, schön und reich! Es traf Alles wie in einem Feenmärchen zusammen. Er wurde glücklich gemacht, wie ein legitimer König gekrönt wird, ohne daß er sich darum zu rühren brauchte. Und wenn er sich glücklich machen ließ, verrichtete er noch überdieß eine gute Handlung . . . 194 nein, drei gute Handlungen auf einmal: er setzte seine historische Familie fort, er rettete ein schönes Kind vom Tode und dessen gute Mutter vor Verzweiflung.

Die Freude seines Vaters, wenn dessen Wille geschah, war dabei noch gar nicht mit in Anschlag gebracht. –

Halt' einmal! Was ihm da durch's Hirn blitzte! Sollte vielleicht der ehrwürdige Thassilo von Waldenberg in den Mußestunden eines unbeschäftigten Diplomaten die ganze Geschichte ausgeheckt, angezettelt und einstudirt haben? Nicht unwahrscheinlich!

Wie Feuer flog ihm der Gedanke da durch alle Adern. Er schlug die rasch aufgerissene Thüre so heftig hinter sich zu, daß die Tauben, die sich schon auf dem Dach zur Ruhe begeben hatten, entsetzt in die Höhe flogen. Er warf sich in den ersten besten Wagen und fuhr vor seines Vaters Haus.

Thassilo von Waldenberg war nicht wenig erfreut, den versprochenen Besuch seines lieben Sohnes so bald zu empfangen. Er hatte zwar eine kleine Gesellschaft bei sich, aber die plötzlich auftauchende Hoffnung, Waldemar bringe bereits die erfreuliche Kunde eines gefaßten Entschlusses mit sich, ließ hochwillkommen heißen, was er unter anderen Umständen als eine Störung empfunden hätte.

Waldemar merkte freilich sofort, daß diese Herren 195 nicht bloß zum geselligen Vergnügen sich auf die weichen Sophas, tiefen Fauteuils und schwellenden Puffs des väterlichen Salons niedergelassen hatten. Da war vor Allem eine leibhaftige Durchlaucht; da war auch ein wirklicher Flügeladjutant der regierenden Majestät; auch ganz andere Herren vom jüngsten Adel waren da, Männer mit krummen Nasen und krummen Fingern. Auch einige annoch bürgerliche Größen, die aber kein Hehl aus ihrem Bestreben hatten, so bald als möglich auf demselben Wege geadelt zu werden, wie ihre anwesenden Verwandten.

Mit so ausgesuchter Höflichkeit er von Allen behandelt wurde, der Rittmeister merkte doch, daß er eine Pause in den Zug einer Verhandlung brachte, und daß diese, so lang er anwesend war, nicht fortgeführt werden würde. Da ihm aber nun einmal der Kopf brannte, so wollte er nicht unverrichteter Sache wieder die Klinke in die Hand nehmen. Er bat seinen Vater, ob dieser ihm in einer persönlichen Angelegenheit zwei Worte unter vier Augen gestatten möchte.

Wie gern willfahrte Thassilo diesem Ansinnen.

Freilich, sobald sie allein waren und Waldemar den erwartungsvollen Blick des Vaters so freudig auf sich gerichtet sah, beeilte er sich, die falsche Hoffnung abzuwehren. »Du irrst, Papa,« sagte er, »ich komme noch mit keiner Freudenbotschaft. So schnell schießen 196 die Preußen nicht. Ich komme nur, um eine Frage zu wiederholen, die Du mir bei unserem letzten Zusammensein – da ein Wort das andere gab – nicht zur Genüge beantwortet hast.«

»Und das hat solche Eile?« sagte Thassilo sehr enttäuscht und sah mit amtlich gefalteter Miene nach seinem Chronometer.

»Mir hat es Eile. Darum kurz: kennst Du . . . oder besser, unterhältst Du irgend welchen Verkehr mit dem Hause Santalatona?«

Thilo sah dem Sohn, ohne einen Zug in seiner auf's Vornehmste gefaßten Miene zu verziehen, genauer in die Augen, als wollt' er sich überzeugen, daß er nüchtern sei und doch mit solch' einer albernen Frage ihm die kostbarste Zeit raube. Dann sprach er scheinbar mit der größten Gelassenheit: »Ich glaube Dir schon unlängst versichert zu haben, daß ich seit Jahren das Haus der Baronin nicht mehr gesehen habe.«

»Du hast auch keinen Verkehr durch Andere . . .« Waldemar stockte, er wußte nicht recht, wie den Satz vollenden.

Thassilo griff ihn auf: »Ich unterhalte weder unmittelbaren, noch mittelbaren Verkehr mit den Santalatona, habe auch ihren Namen – ausgenommen von Dir selber – seit Jahr und Tag nicht nennen hören. Genügt Dir diese Formel? Willst Du mein Ehrenwort zur Bekräftigung?« 197

Waldemar faßte die dargebotene Hand des Vaters und sah ihm in die Augen.

Thassilo hatte unter seinesgleichen immer den alten diplomatischen Grundsatz bekannt und festgehalten, den er von Talleyrand selbst gehört zu haben vorgab: er trog zuweilen, aber er log nicht. Waldemar fühlte, daß in diesem Augenblick auch kein Falsch in des Vaters Worten lag.

Er war dessen froh und eilte, sich zu empfehlen. Der Vater schien ohnehin darauf zu warten. Da mit einem Male veränderten sich die Züge Thassilo's in offenbarer Freude und er zog den Rittmeister, der schon einen Fuß über die Schwelle des Kabinets gesetzt hatte, wieder am Arme zurück.

»Alter Junge!« rief er und seine Augen glänzten, »was gehen denn Dich die Santalatona an? Du Teufelskerl, was kannst Du auch von Jenen wollen! Hast Du vielleicht Deinen Vater zum Besten, Heimtücker?«

»Du bist auf falscher Fährte, Papa!« sagte Waldemar, aber er war nicht der Mann dazu, seinem Vater in's Gesicht zu widersprechen. Darum beeilte er sich hinzuzufügen: »Ich stehle Dir die theure Zeit. Deine Herren werden ungeduldig!«

»Laß die Haubenstöcke aus dem Spiel! Ohne mich wagen sie sich keinen Schritt weiter. Du aber bereitest mir Ueberraschungen! Das hast Du prächtig angerichtet!« 198

»Ich beschwöre Dich, Vater, Du gehst zu weit. Noch ist gar nichts angerichtet. Gute Nacht! Gute Nacht!«

Er hatte sich losgemacht. Er stand auf der Straße. Seines Vaters fröhliches Lachen klang ihm noch in den Ohren. Er besann sich.

Da hatte er sich nun wieder durch Unbedacht und Ungeduld eine Blöße gegeben. War er nun nicht seinem Vater gegenüber doppelt verpflichtet, Ernst mit der Sache zu machen? Sein Vater konnte sich nun an einen Namen halten. Er selbst hatte den in's Allgemeine gehenden Wünschen desselben Richtung auf eine bestimmte Person gegeben.

Verwünscht! Es war doch sonst nicht seine Art, so wie ein Hitziger in's Blaue hinein zu reden und den aufwallenden Zorn zum Rathgeber zu wählen. Ja, wenn so ein gelassener Mensch einmal in Aufregung geräth, dann patscht er heftiger drein als Einer, der von Natur aus die Gewohnheit pflegt, mit allen Leidenschaften sich herumzuschlagen.

Schade! Für jetzt ab nahm er sich indessen vor, wieder so gelassen und vorsichtig zu sein, wie je vordem, und sich weder durch die Ungeduld eines Vaters, noch durch die Thränen einer Mutter ein Tipfelchen im Konzept verrücken zu lassen. Punktum!

Er war auch des Abends im Klub sehr ernsthaft und beredete kein Ding, was nur von ferne mit 199 seinen jüngsten Erlebnissen in Berührung gebracht werden konnte.

Als er nach Hause kam, hörte er versteckten Lärm, der nur dumpf wie ein unterirdisches Getöse sich vernehmlich machte. Er horchte hin, er horchte her. Zuweilen schwieg's, dann ging's wieder von Neuem los. Bis zu Bolle hinauf schien der Schall nicht zu dringen, denn von droben rührte sich nichts. Dennoch kam ihm kein Zweifel, daß wieder der biedere Hunzelsperger den Störenfried abgäbe.

Kaum daß das Licht, welches er vor seiner Thüre stehen hatte, brannte, ging er, nach dem Getöse zu sehen.

Es dauerte eine Zeitlang, bis er sich orientirte. Endlich kam er auf die Spur. Dort freilich hätte er den kunstreichen Orlando am wenigsten zu finden vermuthet. Ein winziges Gelaß neben dem Holzkasten, ein Rumpelkämmerchen, in das man beiseite warf, was zu nichts mehr dienlich war, halbwegs an der Treppe nach dem Stalle gelegen, was zum Kukuk hatte der Komponist hier zu verweilen! zwischen alten Fässern, Scherben und Kehricht!

Nur mit Anwendung voller Kraft gelang es Waldemar, die zweite Thüre zu öffnen. Das hatte guten Grund gehabt, denn sie war von Innen verriegelt gewesen. Und also fand er Hunzelsperger'n, toll und voll, in der Linken ein zerknülltes Notenblatt, 200 in der Rechten einen alten Staubwedel schwingend und zu einer unendlichen Melodie einen immer wechselnden Takt schlagend.

»Aber Meister Orlando, was ist denn los? was haben Sie hier zu finden?«

»Apage, plebs!« schrie der am unrechten Ort Begeisterte aus vollem Halse. »Odi profanum volgus et arceo! Es ist ein Unterschied zwischen Finden und Erfinden. Für euch ist hier nichts zu finden, nichts zu suchen. Auch ich bin hier für euch nicht zu finden. Aber ich erfinde hier. Die süßesten Melodieen huschen hier unter altem Gerümpel: hörst Du's unter den Scherben klirren? lala! Horch', da knistert's die Wand entlang, lalala! Da ist es hinter den Holzscheiten weggelaufen, pizzicato, ganz leise, leise, kaum hörbar: lalalala! Und jetzt tutti quanti im Fortissimo: Lala! . . .«

Er schrie aus allen Leibeskräften, daß ihm die Backen roth anliefen und die Augen thränten, und fuchtelte dabei mit beiden Händen, daß er sich die Finger an den nahen Wänden wund schlug. Aber er achtete dessen nicht. Er hatte seinen schlimmen Rausch heute.

»Vorwärts, Meister Orlando!« rief Waldemar zwischen das Geheule des tollen Musikanten. »Sie sind krank. Legen Sie sich zu Bette!«

»Ja!« höhnte Hunzelsperger mit geiferndem 201 Munde. »Wen der Götterfunke des Genius in Brand gesteckt, der scheint euch krank!«

»Kommen Sie!« rief der Rittmeister ärgerlich und legte Hand an den Alten.

Der aber wehrte sich und rief dazwischen: »Ich will nicht fort von hier! Dieß ist der einzige Ort im ganzen Hause, wo ich komponiren kann und darf. Jeder in seiner Weise! Habt ihr nicht gehört, daß Gluck, der unsterbliche Gluck, nur im Sonnenscheine komponiren konnte? Auf eine grüne Wiese ließ er sich sein Klavier tragen und dazu Champagner einschenken . . . Verstanden? Champagner! . . . Ein Anderer faßte den Genius nur in einem finstern Loch, das er nicht anders als mit einer härenen Mönchskutte auf nacktem Leibe betrat, wo ihn Schauder und Zähneklappern ankam . . . das war . . . zum Teufel mit dem schlechten Gedächtniß! War es Paesiello? oder Palestrina? oder gar ich selber? . . . Gleichviel! Jeder von uns hat seine Eigenheiten, die man respektiren muß. Rossini durfte keine Eisenbahn pfeifen hören und Richard Wagner braucht eine Flugmaschine und je nach der Farbe seines Zimmers einen anderen Schlafrock mit entsprechenden Höschen von Seide und Rosen auf den Pantoffeln . . . Nur ich armer Hund soll keine Eigenheiten haben: in meiner Wohnung läßt mich Bolle nicht schaffen, als ob dieß Murmelthier, dieser ausgesungene Harfenist nicht 202 schnarchen könnte, wenn ich Musik mache! Hehe! . . . und hier unten, im elendesten Winkel des ganzen Hauses, in diesem salpetrigen Rattenloch will man mich auch nicht dulden? Haro!«

Er knirschte, stampfte, schrie und warf mit Scherben und Holzscheiten um sich. Dann auf einmal fing er zu weinen an; hüllte sich sorgsam in seinen zerrissenen Schlafrock und beide Hände sanft nach Waldemar ausstreckend, lispelte er in recitativischer Singsangweise: »Sachte, sachte! folget mir! von hinnen! Prinzi-bim-bam-bum! . . . bam . . . bum!«

Er schlich gutwillig, erheitert in Augen und Mienen, aus dem Rumpelkämmerchen hervor, und unter wiederholten Aufforderungen, recht stille zu sein, die Treppe hinan. Den Finger auf dem lächelnden Munde sang er wunderlich ausgeschliffene Weisen. Im Erdgeschoß angekommen, machte der Rittmeister Kehrtum, den Trunkenbold allein zu lassen. »Gute Nacht, altes Haus,« rief er, »eilen Sie, daß Sie die Treppe hinauf und zu Bett gehen!«

Orlando Hunzelsperger aber schüttelte den Kopf und deklamirte:

». . . ich mag's und will's nicht glauben,
Daß mich der Max verlassen kann!«

Als aber der Rittmeister sich nicht weiter um ihn kümmern wollte, sprach er schmeichelnd: »Kommen 203 Sie mit, Barone, wir trinken und singen die ganze Nacht. Was wollen Sie für Musik hören? Ich spiele Ihnen ›Die Keller von Pistoja‹ vor, alle vier Akte mit allen Varianten, und meine letzte, meine komische Oper auch! Eine komische Oper mit fugirten Chören! . . . Unsinn! . . . Aber ihr wollt ja Unsinn! . . . haha!«

»Zu Bette, zu Bette!« antwortete der Rittmeister ungeduldig.

Darauf der Organist in Wuth gerieth. »Ajutami, Bettina!« rief er, daß es im Hause widerdröhnte. »Komm' herab und hilf mir, ihn überreden! Er soll in die Keller von Pistoja! . . . er soll hinein!«

Er schrie, er lallte, er gerieth in's Taumeln. Es war ein unerfreulicher Anblick. Zur rechten Zeit erschien Bolle oben auf dem Treppenabsatz und stieg wieder ohne Licht, ohne Kleider, ohne die Augen recht zu öffnen, herab; packte den Schreienden, der sich aus Leibeskräften sträubte, und trug ihn, ohne ein Wort zu sprechen, auf seinen gewaltigen Armen nach Oben. –

Waldemar war allein. »Das ist nicht Rausch mehr, das ist Wahnsinn!« sagte er zu sich selbst. »Wer den wüsten Gesellen mit in den Kauf nehmen muß, ist als Gatte oder auch nur als Geliebter Bettinens nicht zu beneiden. Pfui über den alten Narren!« 204

In seinem Zimmer fand er dumpfe Luft. Ein seltsames Schwirren und Flattern ließ sich über seinem Haupte hören. Er leuchtete gegen die Decke und sah eine Schwalbe, die in ängstlichen Kreisen nach einem Ausweg suchte und mit den irrenden Flügeln bald an die Wände, bald an die Scheiben stieß. Sie mußte sich hier gefangen haben, während der Diener die Fenster geschlossen hatte.

»Armer Wandervogel, dir ist leichter zu helfen. Da, fliege fort!« sagte Waldenberg und öffnete weit die beiden Fensterflügel und die Läden davor. Das flinke Thierchen kreiste noch einmal oben an der Decke hin, gab einen leisen Ton von sich und, wie von der Luft davongezogen, schwirrte es in die Nacht hinaus.

Es war so schwül in der Stube, daß der Rittmeister nicht gleich vom Fenster zurücktreten mochte, durch das die nächtliche Kühle wohlig ihn anwehte. Der Aerger über die letzte Begegnung fiel leicht von ihm ab. Allzu viel war an diesem Tag über sein sonst so unbelästigtes Gemüth gekommen und beschäftigte seine Gedanken. während er zu den ungewissen Sternen emporsah, die nach frommem Glauben der Menschen Schicksal vorbedeuten sollen.

»Was wird das meine sein?«

Ein schriller Knall hinter ihm, wie von einem heftigen Schlag auf flaches Holz, ließ ihn plötzlich 205 das Haupt umwenden. In seinem alten Instrument war eine Saite gesprungen.

Das ging natürlich genug zu. Im Zimmer erst die ganze Tagesschwüle, dann die herbe Zugluft, die plötzlich eindrang und jählings in das offene Klavierchen blies, welches dem Fenster allzu nahe stand.

Waldemar gehörte nicht zu den abergläubischen Leuten. Auch legte er wenig Werth auf den alten, zerhämmerten Klimperkasten. Er schloß weder diesen, noch das Fenster sofort. Er stand noch lang an der wehenden Luft, die ihm die Stirne kühlen sollte, und seine Gedanken wanderten von der Erde zum Himmel und vom Himmel wieder zur Erde und kehrten dazwischen zu einem Mädchen zurück, das zwischen Himmel und Erde zu schweben schien, dessen Züge jedoch weder Erinnerung noch Phantasie erkennen ließen, weil er sie nie gesehen. 206

 


 


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