Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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V.

Der Wortwechsel, den Bettina noch hinter dem Zaune vernommen, ward von Waldemar und Fridolin Löwe geführt, der, ob ihm das Herz auch klopfte, dem rasenden Verfolger und seinem schußfertigen Hinterlader in den Weg trat, als sollte die Szene morgen in der Zeitung stehen und diese Reklame zu einer Vermehrung der Auflagen der Orlandobiographie wesentlich beitragen.

»Um Gottes willen, Herr von Waldenberg! . . . Hahn in Ruh'! . . .«

Da knallte der Schuß.

Fridolin war es noch eine Viertelstunde nachher, als sei ihm das Trommelfell geplatzt.

»Wer da?!« schrie ihn Waldemar an, der ihn nicht erkannte.

Der Andere wischte mit der einen Hand den Schweiß von der Stirne und zerrte mit der andern, jeder Anstandsregel zum Trotz, den wüthenden Freiherrn am Flausche. 144

»Kommen Sie doch zu sich . . . was treiben Sie für Mord und Todtschlag!«

»Räuber! Diebe! Halt! Bettina! Da haben wir einen der Halunken!«

Gescheidteres kam vorderhand noch nicht aus Waldemar's Munde.

Er schüttelte mit der rechten Faust den armen Löwe, den er am Brustlatz seines Rockes gefaßt hielt, mit der andern sein noch rauchendes Jagdgewehr und wollte dabei doch den Entflohenen nach.

»Ich lasse Sie nicht los. Sie müssen mit, den Anderen nach!«

»Ich habe nicht die geringste Absicht, Sie meiner Gesellschaft zu berauben, Herr Baron,« erwiederte der Geschüttelte, »aber nehmen Sie doch Vernunft an! Kennen Sie mich denn nicht? Ich bin Fridolin Löwe, der Verfasser der ›Schwimmenden Sterne‹, der Freund Orlando Hunzelsperger's und sein Biograph, ich bin . . .«

»Möglich!« sagte Waldemar, der sich abermals nicht deutlich erinnern konnte, wo ihm die dürftige Gestalt schon einmal begegnet war, jetzt aber nichts Anderes dachte, als daß der Mann auf seinen Ruf ihm zu Hülfe geeilt wäre.

Er ließ den Brustlatz Fridolin's fahren, und ihn zur Eile zwingend rief er: »Kommen Sie, man entführt Fräulein Hunzelsperger mit Gewalt. Aber 145 der Verbrecher kann nicht mehr weit laufen. Ich hab' ihn sicher auf's Korn genommen. Ich weiß, daß ich ihn so oder so getroffen habe.«

Fridolin sah unwillkürlich gegen Himmel. Es kam ihm jetzt in der That so vor, als hätte die Nacht sich gelichtet – für ein geübtes Jägerauge zur Genüge. »Getroffen?« sprach er und die Stimme versagte ihm. »Das wolle Gott verhüten!«

»Was?« fragte Waldenberg grimmig, seine Flinte fassend, als wollt' er ihren Kolben gegen Fridolin's erfindungsreichen Schädel erheben. »Was?«

»Daß Sie Herrn Bolle getroffen hätten!« antwortete der treue Knecht, seine ganze Hoffnung in dieß Wort legend.

Und diese Hoffnung täuschte nicht. Der Herr von Waldenberg ließ die halberhobene Hand mit dem Jagdgewehr sinken, und mit ganz anderer Stimme, wie er bisher geredet, fragte er Fridolin: »Um Gottes willen! Bolle? Der alte Bolle ist es, der mit Bettinen davongeht? . . . Wirklich? Oder sind Sie verrückt? Bin ich es? . . . Ich habe nach dem Menschen geschossen. Machen Sie mich nicht rasend! Bolle kommt bei Nacht und Nebel und lauert vor meinem Hause seiner Bettina auf?! Das glaube ein Anderer! Vorwärts!«

»Ich lüge nicht. Allerdings ist Herr Bolle . . .« 146

»Mein Freund Bolle?!« unterbrach Waldemar den Wortgewandten.

Und Dieser, im festen Glauben, daß ihm die halbe Lüge nicht anders als zum Guten angerechnet werden könnte, verbesserte: »Mein Freund Bolle! Bolle, der Fräulein Hunzelsperger mit einigem Recht als seine Verwandte und sich für ihre Aufführung, ihren guten Ruf, ihr Lebensglück mit verantwortlich betrachtet.«

Waldemarn kam es wie Schwindel an. Er stützte sich auf sein Gewehr und sagte dann: »Wer kommt wie ein Dieb in der Nacht, kann sich nicht wundern, wenn er nicht besser behandelt wird.«

»Entschuldigen Sie,« versetzte Fridolin Löwe, und jetzt war der kleinere Mann der Heftigere. »Herr Bolle kam mit mir und wir Beide kamen als ehrliche Leute mit den besten Absichten. Der Zufall hatte ein wenig seine Hand im Spiel, sonst würden wir noch vor Abend an Ihrer Thüre sittig um Einlaß gebeten haben.

»Wir legten die anderthalb Meilen von der Station zu Fuße zurück. Der Anblick Ihres hochgiebeligen Hauses, vom Glanze der untergehenden Sonne wahrlich feenhaft angestrahlt, ließ uns die Zeit nicht achten und länger verweilen, als der noch übrige Weg hätte gestatten sollen. Dennoch bereue ich das nicht. Wir genossen einen Beleuchtungseffekt ohnegleichen. Aber wir bezahlten die Freude theuer. 147

»In der finstern Nacht liefen wir irre. Müde wie Jagdhunde kamen wir hier an. Das Thor der Umzäunung stand offen. Keine andere Menschenwohnung, geschweige gar ein Gasthaus in der Nähe. Zum Anklopfen an Ihrer Thüre war's schon zu spät. Rathlos gingen wir um das nachtschwarze Haus herum. Wir hofften einem Knechte zu begegnen, der uns im Stall schlafen ließe, oder sonst einen gnädigen Zufall zu entdecken . . . Da auf einmal – wir begrüßten es wie ein Glück – sahen wir eines der Fenster im Halbstock erleuchtet.

»Wir näherten uns . . . Auf Ehrenwort! ohne jegliche Absicht, ein Geheimniß zu behorchen . . . nur um uns bemerklich zu machen. Da – es ist nicht meine Schuld, daß Sie das Fenster offen stehen ließen . . . Wir hörten auch nicht viel Gescheidtes. Entschuldigen Sie, Herr Baron! Aber können Sie einem Bolle« (die vorsichtige Wendung freute den Arglistigen nicht wenig), »können Sie einem Bolle verübeln, daß das, was er wider Willen hören mußte, ihm keine Freude machte?

»Ich stand wie auf Kohlen. Ich klammerte mich an ihn, da er mir nichts dir nichts in's Haus hineinstürmen und Sie zur Rede stellen wollte.

»Im nächsten Augenblicke kam Bettina aus dem Hause gerannt . . . Sie hinterdrein . . . Das Weitere wissen Sie ebenso gut wie ich.« 148

Waldemar stöhnte auf wie Einer, der einen schweren Traum vergebens abzuschütteln sucht. »Wenn ich nur wüßte, ob ich den braven Mann getroffen habe. Mein Gott! welche beklagenswerthe Unvorsichtigkeit!«

Ein Knecht und eine Magd kamen jetzt aus dem Hause, vorsichtig mit einer Stalllaterne in die Nacht hineinleuchtend.

Sie erkannten den Herrn an der Stimme. Nun er sie anrief, eilten sie herbei.

Waldemar nahm ihnen das Licht ab, hieß sie ein anderes holen und bezeichnete ihnen die Richtung des Waldes, in der sie nach einem wunden Manne suchen sollten. Die Gesichter, mit welchen der biedere Joseph und seine Begleitung diesen Auftrag entgegennahmen, schienen mehr auf überflüssige Furcht als bereiten Eifer hinzudeuten, im finsteren Walde nach Einem zu suchen, der sie nichts anging.

Dem Herrn war auch nur darum zu thun, ihre Neugier zu beschäftigen. Nichts wäre ihm ungelegener gewesen, als daß ein Anderer als er den verwundeten Bolle gefunden hätte. Darum wollt' er jetzt mit Fridolin, so eilig als er konnte, beim Zaun am Flußufer und darüber hinaus nach den Entschwundenen suchen, ihnen das Mißverständniß aufklären und sie in's Haus zurückholen.

Dem treuen Knechte konnt' es hinwiederum 149 durchaus nicht passen, daß Waldemar denjenigen Bolle, der allein im Umkreise Waldenbergs zu finden war, heute noch wirklich fände. Was sollte solch' eine Erkennungsszene für ein Ende nehmen! Es war ihm zwar ein gewisser Trost, daß der Major die Flinte von sich geworfen und mit der unschädlicheren Stalllaterne vertauscht hatte. Dennoch that und sprach er Alles, was ihm einfiel, um den Hastigen noch auf eingeschlagenem Wege zu verzögern. Dieser hörte nur leider nicht zu und stürmte weiter. Er schien von der Sicherheit seines Schusses überzeugt und ganz untröstlich.

»Ich glaube nicht, daß Sie Herrn Bolle getroffen haben. Bettina wäre sonst in jedem Falle nach Ihrem Hause zurückgekehrt und wär' es nur, um Hülfe aufzubieten.«

»Wer weiß! Sie hat sich vielleicht verirrt in der Dunkelheit.«

»In dieser Dunkelheit konnten Sie auch nicht sehen und zielen.«

»Sie irren sich! Ich sah von oben ganz deutlich, wie die Silhouette des übersteigenden Mannes sich auf dem Hintergrunde des lichteren Flusses abschattete. Ich konnte sein Gesicht nicht erkennen, aber die größere Gestalt von der kleineren, die schärfer umrissene dunklere von der lichteren mit den flatternden Kleidern wohl unterscheiden.« 150

Ueber das Herz des treuen Knechtes ging bei diesen Worten tödtliche Angst. Er war nun selber froh, daß sie wieder bei dem halbzerstörten Zaune angelangt waren. Er hielt sich mit den Händen an der Latte fest und beugte sich hinüber, immer »Bolle!« rufend und: »Ich bin's, Ihr Freund Löwe, der Sie rufet!«

Waldemar rief auch nach Bollen und noch mehr nach Bettinen. Dann stiegen Beide über den Zaun und durchirrten den angrenzenden Wald anderthalb Stunden lang nach rechts und links, ohne eines Menschen Spur zu finden. Fridolin wußte nicht, ob er sich darüber freuen oder es beklagen sollte. Geartet, wie er war, behielt zuletzt die frohe Zuversicht die Oberhand, daß der nirgends zu finden gewesen, auch heil entkommen sei.

Endlich ließ sich auch Waldenberg überzeugen, daß es klüger sei, der Hoffnung Raum zu geben und umzukehren. Er ging wie ein Verlorener neben seinem unverhofft empfangenen Gaste dahin.

Todmüde kam Fridolin in's Haus.

Knecht und Magd waren auch – und wohl schon längst – von ihrer Suche zurück und hatten nichts entdeckt.

Fridolin bat um eine kleine Erfrischung. Da stellte sich heraus, daß die Schlüssel zur Speisekammer an Bettinens Gürtel hängen geblieben waren. Die 151 Dienstleute sahen sich verwundert an, als sie den Herrn sagen hörten, es sei nicht nöthig, daß sie Fräulein Hunzelsperger aufweckten, und sie möchten selber schlafen gehen.

Vor Fridolin bedurfte das freilich keiner weitern Entschuldigung. Waldemar bat ihn, mit dem kalt gewordenen Glase Grog vorlieb zu nehmen, das noch unberührt auf dem Tische stand.

Noch ehe sie zu einem weitern Worte Zeit gefunden hatten, kam Frau von Waldenberg herein. Die Magd hatte sie von des Herrn Zurückkunft unterrichtet. Nun fragte sie mit verstörten Zügen, was geschehen sei und vor Allem, was der Schuß zu bedeuten habe.

»Nichts, nichts!« versicherte Waldenberg. »Nur ein Mißverständniß! . . . ein unschädliches Mißverständniß . . . ich glaubte Diebe im Garten . . . um sie zu schrecken, schoß ich in die Luft.«

»Und der Herr . . .?« fragte, auf Löwe deutend, die geängstigte Frau weiter, die wohl ahnen mochte, daß man die Wahrheit entweder selbst nicht wußte oder ihr geflissentlich vorenthielt. »Ich glaube, den Herrn schon einmal gesprochen zu haben.«

Fridolin verbeugte sich tief. Nicht nur aus Ehrfurcht; auch um die flammende Röthe zu verbergen, die ihm in die Wangen schlug. Nichts war in diesem Momente gerathener, als die blasse Hand, die sich ihm zum Willkomm entgegenstreckte, zu küssen. 152

Derweilen sagte der Hausherr mit allzu lächelnder Verlegenheit: »O . . . Herr Löwe . . . kam schon, kaum daß Du zu Bette gegangen warst. Er wollte uns besuchen . . . Auch Herr Bolle war mit ihm gekommen . . . Wir waren recht heiter mit einander.«

Leonilla warf einen Blick auf das halbgeleerte Glas, das einsam auf der großen öden Tischplatte stand, sie sah, daß hier nicht war gezecht worden, und mußte wieder an den Schuß denken, den sie fallen gehört hatte, und die Namensrufe, die sie vorher und darnach vernommen zu haben glaubte.

»Wo ist Herr Bolle denn?« fragte sie.

Die beiden Männer wechselten einen raschen Blick, der sich vor Leonilla nicht verbergen konnte. Darauf Waldemar seiner Frau nichts Besseres zu sagen wußte als: »Herr Bolle hatte keine Zeit zu verweilen . . . er ist bereits wieder fort.«

Leonilla mußte lächeln über die Befangenheit ihres Gatten, nur ein kurzes Lächeln, denn was sie hörte, klang nach einem Unheil, das man ungeschickt genug verbarg.

»Wieder fort?« sagte sie tonlos und sah zu Boden. Vor ihr lagen die Trümmer der alten Uhr, die man noch nicht beseitigt hatte. Sie konnte lange ihre Augen nicht von dem zerstörten Hausrath abwenden und wußte nicht, wie in alle diese kleinen 153 räthselhaften Zeichen ein vernünftiger Zusammenhang zu bringen sei.

Derweilen bemühte sich Waldemar, irgend etwas zu sagen, aber kein Mensch hörte auf ihn, er selber hätte in der nächsten Minute nicht angeben können, was seine Lippen kurz vorher geredet.

Als Frau von Waldenberg nun plötzlich aufblickte, sah sie Fridolin's Augen mit forschendem Ausdruck auf sich gerichtet.

»Warum sprechen Sie kein Wort, Herr Löwe?«

»Was soll ich Ihnen sagen, gnädige Frau?«

»Warum Herr Bolle gekommen ist,« antwortete Leonilla rasch.

»Um Fräulein Bettina mit sich zu nehmen,« versetzte Fridolin ebenso rasch, als hätt' er Sorge, seine Ehrlichkeit durch Besinnen zu kränken. Er wollte diese Frau um keinen Preis der Welt belügen und auch ihren Mann nicht Lügen strafen müssen, wenn dieser andere Antwort für besser fände.

Ein eigenthümliches, bösartiges Lächeln war auf Leonilla's blassen Lippen zu sehen, indem sie sagte: »Sie aber ist nicht mit ihm gegangen!«

»Doch!«

Waldemar's Gattin erschrak bei diesem kurzen Worte. Unwillkürlich zuckte sie zusammen. Sie mußte sich an der Tischplatte halten, so daß die Lampe, die darauf stand, erzitterte. Sie lächelte 154 nicht mehr. Und doch klang es freudiger als Alles, was sie bisher gesagt hatte, ob sie sich auch verstellte, um sich zu beklagen: »Ohne Urlaub ist sie von mir gegangen . . . mitten in der Nacht . . .«

»Herr Bolle hatte es so eilig!« sagte Waldemar.

Der Ton mißfiel seinem Weibe. Sie sah den beiden Männern einem nach dem andern fest in's Gesicht. Sie standen trotz ihrer männlichen Würde und Klugheit wie arme Sünder vor ihr.

»Herr Bolle hatte es eilig? . . . so eilig scheint mir, daß man hinter ihm drein zu schießen für gut fand! Nicht?«

Die Beiden wollten Ausflüchte machen. Leonilla, die eine Hand auf der tobenden Brust, mit der andern sich noch immer an der Tischplatte haltend, unterbrach sie: »Ich weiß, daß ihr mir jetzt nicht die Wahrheit sagen wollt. Aber beruhigt mich nur in dem einen Stück: ist kein Unglück geschehen? ist kein Mensch verwundet oder getödtet?!«

Waldemar wollte sie durchaus besänftigen.

Sie wies ihn zurück und streckte nach Fridolin die Hand aus: »Meinem Mann legt die Besorgniß für mein Wohlergehen Schweigen auf. Ich will keine Schonung! Herr Löwe, von Ihnen verlange ich rücksichtslose Wahrheit. Geben Sie mir die Hand darauf, daß kein Menschenblut vergossen worden ist!«

»Beruhigen Sie sich, gnädige Frau! Ich glaube 155 zuversichtlich, daß Ihre Befürchtung grundlos. Hier, meine Hand darauf!«

Fridolin meinte es ehrlich und er reichte mit einer kühnen Bewegung, wie sich die männliche Statue des Freimuths nicht besser hätte darstellen lassen, seine Rechte der blassen Dame hin. Das Licht der neben ihr stehenden Lampe fiel voll darauf.

»Jesus Maria!« rief Leonilla laut, und statt die dargebotene Hand zu fassen, wies sie schaudernd mit dem Finger darauf hin.

Auch die beiden Männer erschraken, und als Fridolin die innere Fläche seiner Hand bei vollem Licht vor die Augen brachte, sah er, daß sie mit einem deutlichen blaßrothen Streifen ungleich gezeichnet war.

»Das war am Zaune! Ich hielt mich an der Latte mit der Hand,« sagte er unwillkürlich zu Waldemar, der ihn wie ein Gespenst anstarrte. Ob er es auch halblaut sprach vor Entsetzen, Leonilla mußte es doch hören. Aber die Sorgen der Männer hatten jetzt einen dringenderen Gegenstand.

»Also doch!« flüsterte Waldemar. Dann stürzte er hinaus, um seine paar Leute noch einmal aufzuschrecken und mit ihnen den Wald abzusuchen.

»Um Gottes willen! welch' räthselhaftes Unglück!« stöhnte Leonilla, in einem Stuhl zusammensinkend. »Blut, unschuldiges Blut! Wie konnte man es vergießen!« 156

Fridolin trat hart an die entsetzte Frau heran. Da sie das Angesicht in die Hände auf der Tischplatte verborgen hielt und nichts mehr hören noch sehen zu wollen schien, glaubte Fridolin sich so weit vergessen zu dürfen, ihr sanft die Schulter mit klopfendem Finger zu berühren.

Sie hob das Haupt und starrte ihn an.

Er sagte: »Als Hamlet sich mit Willen thöricht stellte, wunderte er sich nicht über des Polonius vergossenes Blut, noch die anderen rothen Tropfen, die in Folge seiner Mißverständnisse Dielen und Hände färbten. Warum wundern Sie sich, gnädige Frau?«

Es war ein harter Ton, mit dem der Mann diese Frage an Leonilla richtete. Fridolin vergötterte diese Frau in der Stille seines Herzens. Aber um sie dem Leben wiederzugewinnen, setzte er ihr die schneidige Frage grausam wie einen Dolch auf ihre Brust. Und sie erschrak bis in's Innerste.

Sie antwortete nicht. Sie sah ihn lange seltsam an. Dann lief sie fort, ohne ein Wort erwiedert zu haben.

Fridolin ging zum Saale hinaus. Er hörte Leonilla Treppen hinaufeilen und Thüren abschließen.

Dann, als Alles still geworden war, hörte er von draußen, fern aus dem Walde, die Stimmen Waldemar's und seines Knechtes, die nach dem wunden Bolle streiften. 157

Die Angst um den gefährdeten Genossen kehrte mit aller Macht in Fridolin's Seele zurück. Ohne Besinnen wollte auch er hinaus zu den Suchenden, noch einmal an den Zaun, tiefer in den Wald, auf der Landstraße weiter.

Er stürmte an die Hauspforte hinab. Und – fand sie verschlossen! Von Außen verschlossen. Alles Rütteln an den Angeln, alles Schieben an den Riegeln half ihm nichts. Auf sein Rufen tönte nur ein schwacher Wiederhall aus dem Stiegengewölbe zur Antwort.

Er war gefangen. Gewiß, ohne daß die Fortgehenden etwas Böses dabei gedacht hatten. Der gute Joseph hatte wohl nur, durch die unruhige Nacht entsetzt, ein Uebriges an Vorsicht leisten mögen und, ohne die Wünsche des Fremdlings in Betracht zu ziehen, es für sicherer erachtet, das Haus, das er mit seinem Herrn verließ, zu verschließen.

Was wollte der Arme thun? Er setzte sich in's geöffnete Fenster im Halbstock und horchte hinaus, horchte nach dem Walde hinüber, hörte nichts, fürchtete und verzweifelte und verbrachte so eine schlaflose Nacht im finsteren, menschenöden Hause Waldenberg. 158

 


 


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