Hans Hopfen
Die Heirath des Herrn von Waldenberg
Hans Hopfen

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XI.

Bettina konnte sich eines Tages nicht genug wundern, als Leonilla ihr die Neuigkeit mittheilte, daß sie noch vor Abend auf die Station und in der Nacht nach der Hauptstadt fahren werde. Ihr Erstaunen wurde noch gesteigert, als sie die Frage vernahm, was Jene dort für ihren Vater thun könnte.

Das kluge Mädchen hörte sofort aus den aufgeregten Worten der Frau von Waldenberg heraus, daß diese sich mit der Absicht trüge, ihren Vater zu sehen. Unwillkürlich trat ihr die Schamröthe in's Gesicht. Sie konnte nicht an den Wahnsinn ihres Vaters denken, ohne zu erröthen. Sie dachte daran wie an eine Schande, drum die Menschen sie verachten müßten.

Dennoch konnte sie nicht umhin, die Reisefertige zu bitten, sie mit sich zu nehmen. Sie sehnte sich sehr nach dem alten Manne.

Leonilla schlug dieß Ansuchen rundweg ab. Sie wies auf dringende Geschäfte hin, um derentwillen 244 ihr Gatte sie nach der Stadt entboten habe, und erinnerte schließlich Bettinen an das gegebene Versprechen, das Haus Waldenberg nicht ohne ihre Erlaubniß zu verlassen.

Es half der Freundin wenig, daß sie die kaum Genesene an ihre zarte Gesundheit, an das Verbot des Arztes, an die anstrengende Reise gemahnte, Leonilla ließ sich von dem einmal gefaßten Entschlusse nicht mehr abwenden. Sie duldete nicht einmal, daß Bettina sie zur nächsten Station brachte. Sie wollte ganz allein reisen. Ihrem Eigensinn war nicht zu widerstehen. Nur Joseph brachte sie im Wagen nach der Bahn. Und als sie diesem Urlaub gab, mahnte sie ihn noch einmal, genau darüber zu wachen, daß auch in ihrer Abwesenheit Niemand das Haus verlasse.

Joseph wußte recht wohl, wer unter Niemand verstanden sein sollte, und dachte getrost, daß außer diesem Einen Wesen die Insassen Waldenberg's gesammt und besonders der Frau gestohlen werden konnten, ohne daß er für deren Entgang Schelte zu erwarten brauchte. –

Unter allerhand Kleinigkeiten, die Waldenberg seiner Frau beim letzten Besuche auf's Land mitgebracht, befand sich auch ein kleines Büchlein in Goldschnitt, das man ihm zu lesen empfohlen hatte; Leonilla hatte es zu sich gesteckt, weil es so gar nicht 245 umfangreich war und ihre Aufmerksamkeit nicht allzu lang von anderen Gedanken abziehen konnte. Nun hatte sie im Fahren darin geblättert und es dann wirklich und ordentlich vom Anfang an gelesen.

Einer und anderer Seite war sie dabei wohl nur mit dem Daumen gerecht geworden, im Ganzen zog sie die zierliche Geschichte doch an, die eigentlich mehr Geplauder als Geschichte war und nicht allzu viel zu denken gab. Eine und die andere Stelle, die ihrer Gemüthsrichtung mit seiner Stimmungsmalerei entgegen kam, las sie wohl zwei- und dreimal.

Zum Schluß fiel es ihr sogar ein, den Titel des Werkes und den Namen seines Urhebers noch einmal zu lesen.

»Schwimmende Sterne, Novelle von Fridolin Löwe«, stand auf dem ersten Blatt in schön verschnörkelten rothen Lettern. Dann kam eine Widmung an einen ungenannten Geist und dahinter sechzig Seiten hübscher Druck. Leonilla fand den Titel seltsamer als die Geschichte, der Name des Autors war ihr unbekannt, das Ganze hatte sie eine Viertelstunde lang gefesselt und war, ehe sie die Stadt erreichte, wieder vergessen.

Frau von Waldenberg kam nicht zur guten Stunde. Ihr Gatte, den sie freilich von ihrer Ankunft vorher nicht unterrichtet hatte, war für einige Tage verreist. Schon das berührte sie seltsam; 246 Waldemar pflegte sonst keine Reisen zu machen, von denen er ihr keine Kenntniß gab.

Ihre Mutter fand sie in fieberhafter Aufregung. Die Frau hatte augenscheinlich kurz vorher geweint. Aber diese wollte mit der Sprache nicht herausrücken. Sie schien es wie ein besonderes Unglück zu betrachten, daß Leonilla gerade jetzt zur Hauptstadt gekommen war. Im nächsten Augenblick drückte sie sie gerührt an ihr Mutterherz und bat sie, nicht auf ihre konfusen Reden zu merken. Sie wüßte heute selbst nicht, was sie sagte.

Besuche, die sich melden ließen, Besuche von Leuten, die sie nicht kannte, gaben der Tochter erwünschten Vorwand, sich von der Mutter, der ihre Anwesenheit nicht gelegen schien, zu verabschieden.

Langsam stieg sie die breiten Stufen der Marmortreppe hinab. Innerhalb des Thorweges blieb sie stehen, besann sich und kehrte um. Es war ihr wunderlich zu Muthe, wie sie so über den Hof hinschritt, an den Stallungen, am Garten vorbei, dem Hintergebäude zu, alter Zeit gedenkend und anderer Leute, die hier besser Bescheid wußten. Sie war seit ihren Kinderjahren nicht mehr auf diesem Wege nach der kleinen Gartenstraße gewandelt. Sie besah Mauern und Bäume mit neugierigen Blicken. Fehlgehen konnte sie freilich nicht. Der Pfad schlängelte sich so zwischen Zäunen und Mauern hin, bis man 247 eben auf die alten Schranken stieß, die vordem Waldenberg's Reitbahn eingezäunt hatten.

Sie fühlte, wie ihr das Herz rascher schlug, halb wie vor Freude, hier so recht an den Geliebten denken zu müssen, halb wie vor Gewissensangst, als ginge sie darauf aus, Böses zu thun. Aber ihr Vorsatz duldete kein Verweilen.

Sie trat rasch in's Haus. Fand Niemand – stieg eine Treppe hinan und fand dort wieder keine lebende Seele. Hier, hinter dieser Thüre mochte Waldenberg vordem gewohnt haben. Sie klopfte erst sachte, dann unverfrorener – keinerlei Antwort folgte.

Sie wandte sich, um noch eine Treppe höher zu steigen. Noch ehe sie diese zur Hälfte hinauf war, sah sie oben hinter dem altersbraunen Holzgeländer einen Mann, der ihr abgewandt, die Beine gegen die weißgetünchte Wand gestemmt, den Rücken an die Treppenbrüstung gelehnt, auf der bloßen Diele saß, sich mit einem Taschenmesser einen Apfel schälte und dazu ein Liedchen kaum hörbar vor sich hinbrummte. Sein Hut lag ziemlich zerknüllt neben ihm. Die langen braunen Haare, die vornüber nickten, legten sich an eine Wange, die so rothfärbig schien, wie der Apfel in seiner Hand.

Leonilla blieb auf der Staffel stehen und wußte nicht, ob sie diesen seltsamen Philosophen in seiner 248 Sorglosigkeit stören durfte, der offenbar ihres Kommens gar nicht achtete.

Just eben, als er sich wenden und die krause, lange Locke seiner Apfelschale über's Messer weg die Stiege hinabwerfen wollte, ward er der blassen Frau gewahr, die vor seiner ausholenden Hand scheu zur Seite zuckte.

»Ich bitte tausendmal um Entschuldigung,« rief er, sprang auf die Beine und verbeugte sich mehrmals, indem er das offene Messer wie den geschälten Apfel in die hinterste Tasche seines Rockes gleiten ließ.

»Ich suche den königlichen Hofsänger Herrn Eduard Bolle zu sprechen,« sagte die Dame. »Können Sie mir nicht sagen, wo er wohnt?«

»Er wohnt hier, gnädige Frau, hier hinter eben dieser Thüre. Aber er ist nicht zu Hause. Niemand ist zu Hause. Man könnte rechts und links einbrechen. Ich meine, wenn man so schändliches Metier triebe. Ich kam in der friedlichen Absicht, gleichfalls Herrn Bolle meinen Besuch zu machen. Und da ich ihn nicht traf, beschloß ich ihn zu erwarten, und studirte derweilen einige kleine Beleuchtungseffekte, die ich nirgends so schön beobachten konnte, wie im Halbdunkel auf dieser morschen Holztreppe. 's ist Stimmung in der wurmstichigen Barracke. Ja!«

Das war nur blauer Dunst. Fridolin war 249 durchaus nicht hiehergekommen, um Bolle'n einen Besuch zu machen. Mit dieser Absicht konnte er sich nur jedesmal entschuldigen, so oft ihn Einer auf dem obersten Treppenabsatz vor der Wohnung des Tenoristen störte. Dieß geschah äußerst selten. Und eben weil er das wußte, weil Fridolin Löwe sich's ausstudirt und ausgeprobt hatte, daß die Treppe des kleinen Hauses um diese Tageszeit von Niemandem besucht werde, so kam er fast täglich hieher, um in diesem stimmungsvollen Halbdunkel, unbelauscht, unbespottet, unbedauert, seine frugale Mahlzeit zu halten. Kein König labte sich froheren Muths von goldenen Schüsseln wie dieser sanfte Cyniker, der hier zu seinem Groschenbrode sich ein Würstchen oder einen Apfel schälte, zur besseren Hälfte schon von der Weisheit gesättigt, daß nur der Bedürfnißlose glücklich und nur der Glückliche reich sei.

War diese nothdürftige Fütterung abgethan, so strich sich Fridolin frisch zurecht, erinnerte sich, wie nöthig es für einen epochemachenden Schriftsteller sei, auch äußerlich durch eine monumentale Fassung dem Pöbel seinen Abstand klar zu machen, und wenn er ungefähr die Haltung zu haben glaubte, in welcher einst der Geheimerath von Goethe zu Hofe gegangen war, so schritt er die Treppe hinab und wandelte dem Kaffeehause zu, um sich dort großartig in einen Sessel hinzustrecken und zahnstochernd an seinen 250 Nachbar einige sehr abfällige Worte über das »etwas entfernte Gasthaus« zu verlieren, welchem er demnächst seine Kundschaft werde entziehen müssen, wenn es die carte du jour nicht auf die frühere Höhe bringe.

Ueber die Adresse eines Speisehauses, welches sachverständige Gäste so wenig befriedigte, brauchte man selbstredend keine weitere Auskunft zu geben.

Leonilla war in den technischen Ausdrücken modernster Poesie nicht so bewandert, daß sie aus seinen wenigen Worten des Mannes ganze Größe hätte ahnen können. Aber da er gutmüthig aussah und höflich war, scheute sie sich nicht, weiter mit der Sprache herauszurücken.

»Es ist mir nicht so fast um Herrn Bolle zu thun. Meine Absicht geht eigentlich dahin, mich über das Befinden eines alten, unglücklichen Mannes zu unterrichten, der früher hier gewohnt hat.«

»Orlando Hunzelsperger!« rief Löwe, und es war Musik in diesem Ausruf.

»Haben Sie ihn gekannt?« fragte hastig die Fremde.

Und Fridolin warf sich in die Brust und rang seinem Schmerz zwei Seufzer und zwischen diesen die Worte ab: »Der große Musiker war einer meiner intimsten Freunde!«

Leonilla konnte nicht umhin, diese Versicherung mit einem freudigen Ausrufe zu begrüßen. Was 251 sie von Bolle gehört, hatte ihr eine gewisse Scheu vor dem derben Gesellen eingeflößt, dem Alles, was Anderer Herzen bedrückte, immer »so ganz einfach« war. Sie fürchtete, derselbe werde auch mit ihr nicht viel Umstände machen. Sollte der Zufall sie hier auf ein gefügigeres Werkzeug haben stoßen lassen? Der junge Mann schien gerne mit sich reden zu lassen und nicht gewöhnliche Anschauungen über ungewöhnliche Dinge zu haben. Aber konnte man mit ihm sich in ein Gespräch einlassen? Wer war er? Frau von Waldenberg erlaubte sich daher zu fragen, mit wem sie zu sprechen die Ehre hätte.

»Mein Name ist Fridolin Löwe!« lispelte der Mann auf der Treppe mit ebensoviel Stolz als Trauer, denn er war es gewohnt, bei dem rohen Publikum auf kein ebenbürtiges Echo seines Namens zu stoßen.

Um so freudiger überraschte ihn die schöne Dame, welche nach kurzem Besinnen lächelnd sagte: »Mir ist, ich hätte diesen Namen schon gehört . . . Nicht bloß gehört. Sind Sie der Verfasser der ›Schwimmenden Sterne‹?«

»Ich kann es nicht leugnen,« antwortete Fridolin und erröthete wider Willen.

»O, welch' seltsame Begegnung. Doch freut sie mich. Ich danke Ihnen für eine gute halbe Stunde, die mir Ihr Büchlein bereitet hat!« 252

Fridolin dachte bei sich, wie thöricht doch die Welt beschaffen sei, denn die Frau hätte sich nur entschließen brauchen, dieses merkwürdige Poem noch einmal zu lesen, und hätte auf diese einfache Weise ihr Glück bis auf eine ganze Stunde bringen können.

Nichtsdestoweniger hörte er sich gern aus schönem Munde loben. Gleichmüthiger nahm er die Versicherung hin: »Mein Mann hat mich auf die ›Schwimmenden Sterne‹ aufmerksam gemacht. Das Buch gefällt, wie er sagt, allgemein.«

»Die Welt spricht von nichts Anderem!« war Fridolin's lakonische Antwort.

Leonilla sah etwas überrascht auf gegenüber solcher Zuversicht und erlaubte sich, doch davon zu sprechen, daß ihr Mann der Freiherr von Waldenberg sei.

»Ah, ich habe vor Zeiten die Ehre gehabt, einige Male mit ihrem Herrn Gemahl im Hause Hunzelsperger's zusammenzutreffen. Jetzt begreife ich, welches Interesse Sie an dem kranken Genius nehmen. Wie geht es Fräulein Bettina?«

Leonilla gab Auskunft, wünschte dabei aber lebhaft, dieß Gespräch auf der Treppe abzubrechen oder es rascher dem von ihr gewünschten Zwecke zuzuführen, während Fridolin so behaglich darauf losplauderte, als wäre dieß morsche Treppenhäuschen sein Salon und er empfinge dort die Huldigung, die man ihm schuldete. 253

Auf einmal unterbrach er sich selbst. Ein sublimer Einfall war ihm in den Sinn gekommen. Davon versprach er sich etwas, eine Studie, eine Skizze, ein Motiv. Es mußte gesagt sein.

»Gnädige Frau!« rief er. »Sie sollten ihn sehen. Sie sollten Orlando sehen! Ihrer Verehrung wegen, seiner Tochter wegen! Wollen Sie?«

Wenn je sich Fridolin Löwe gewünscht hatte, von einem Staubgeborenen wie ein Werkzeug der Vorsehung angestaunt zu werden, jetzt war der feierliche Augenblick gekommen.

»Könnten Sie möglich machen, daß ich . . . daß eine Dame bei dem Kranken Zutritt erhielte?«

»Ob ich das möglich machen kann? . . . Wenn ich Sie begleite? . . . Seien Sie außer Sorge! Mir öffnen sich alle Thore! Und nun gar das jenes Hauses! . . . War ich es doch, der Orlando auf dem Gange dahin begleitete! Keine Woche verrinnt, daß ich ihn nicht heimsuche. Ihn, meinen einst so berühmten, jetzt so unglücklichen Freund!«

»Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mir die Möglichkeit gewährten . . .«

Fridolin hörte aus der zögernden Redensart recht wohl die Verlegenheit der Dame heraus, die einem Unbekannten kein Stelldichein geben konnte. Auch war er über die kleinliche Eitelkeit erhaben, die sich an Bedenken einer eleganten Frau von Stande 254 gestoßen hätte, welche aller Wahrscheinlichkeit nach seine Toilette zu unvollständig erachtete, um sich mit ihm auf der Straße zu zeigen. Ihm genügte es vollkommen, der Macher der interessanten Szene, der Protektor Orlando's und in diesem Fall auch der Protektor der neugierigen Dame zu sein. Und um diese gleich über alle Skrupel zu beruhigen, sprach er: »Ich denke, die Sache wird für Sie und mich am besten also eingeleitet werden. Haben Sie heute Zeit?«

»Ich glaube wohl . . . allein, ich weiß nicht, ob . . .«

Löwe lächelte verständnißinnig und sprach: »Nehmen Sie heute Nachmittag kurz nach fünf Uhr einen Wagen, gnädige Frau. Etwa eine halbe Stunde später kann dieser vor der Anstalt ankommen. Ich werde Sie dort von fünf Uhr ab am Portal erwarten, nachdem ich vorher einen der dienstthuenden Aerzte – sie sind mir alle sehr ergeben – verständigt haben werde. Sie finden Alles bereit, gnädige Frau, wenn Sie wollen.«

»Ich will!« sagte Leonilla, reichte ihm die Fingerspitzen des rechten Handschuhs zu flüchtigem Abschiedsgruß, zog den Schleier vor's Gesicht und huschte die Treppe hinab.

Fridolin Löwe lehnte sich breit und stimmungsvoll auf das wurmstichige Geländer und sah dem 255 modischen Gewühl von Seiden und Linnen nach, das schleunig, wie ein ängstliches Geheimniß, die Stufen hinab fegte. Er horchte dem echten Frufru dieser eleganten Roben, dem Aufklappen der Stiefelchen, dem vorsichtigen Hüsteln der Enteilenden. Es gab zusammen eine köstliche Musik, von der er sich für eine Viertelstunde berauschen ließ.

Wo war ein Dichter in der ganzen Stadt, der in der Stille seiner Wohnung solche Damen zu Besuch empfing! Fridolin Löwe, der Götterliebling, hatte gar keine Wohnung, sondern nur eine Bettstelle bei einem armen Handwerker, aber ihm genügte ein leeres Stiegenhaus zu so beglückender Unterredung.

Welch' ein Weib! Ganz Elfe, nein, ganz Muse! Welche Hoheit der Erscheinung und doch welch' ein süßer Reiz verhaltener Neugier in diesen Zügen! Der Poet fragte sich ernstlich, ob man die Muse der modernsten Dichtung treffender malen könnte. Und er, der Glückliche, hatte ein Geheimniß mit ihr! Er beschloß, sich in dieses reizende Weib mit aller Macht seines Wesens zu verlieben – für eine halbe oder anderthalb Stunden. Mehr Zeit konnte sich sein vielbeschäftigtes Herz nicht abringen. Für später brauchte er einen unbefangenen Kopf, um dem Vertrauen einer Unbekannten keine Enttäuschung zu bereiten. Auch dünkte ihn hoffnungslose Liebe eines 256 großen Mannes unwürdig. Aber die Stimmung wollte er zu Ende genießen.

Und also blieb er länger als gewöhnlich hier im Halbdunkel lehnen. Den Kopf über die Schultern vorgebeugt, die Arme auf die Brüstung gestützt, schälte er sinnend seinen Apfel zum zweiten Male.

Aber aller Hunger war verschwunden. Er hatte jede Lust zum Essen eingebüßt. Der Apfel in seiner Hand mahnte ihn an das Urtheil des Schäfers auf dem Ida. Ein zweiter Paris, hätt' er wohl gewußt, wem er als Preis der Schönsten diesen Apfel hätte reichen mögen. Da er aber mit ziemlicher Sicherheit vermuthete, daß seine Göttin denselben nicht annehmen würde, so zerschnitt er ihn nachdenklich in kleine Stücke, steckte hie und da eines zwischen seine Zähne und ließ die anderen über's Geländer hinabfallen, wo sie, einen Sonnenstrahl, der durch die Dachlucke sah, durchschneidend, einen Augenblick wie Silberscheibchen glänzten und gleich darauf im Dunkel verschwanden. 257

 


 


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