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IV. Das Hin- und Hertappen der Flucht.

Um das Nachfolgende zu verstehen, muß man sich die Oertlichkeit deutlich machen, in welcher sich die erzählten Begebenheiten zutrugen: rechts fast überall ärmliche Häuser, links dagegen ein einziges großes Haus mit verschiedenen Nebengebäuden, welche so gebaut waren, daß sie sich allmälig um eine oder zwei Etagen erhöhten, je mehr sie sich dem Picpus-Gäßchen näherten, so daß nach der Ecke zu, von welcher wir gesprochen haben, diese Gebäude so niedrig waren, daß sie nur eine Mauer waren, welche überdem von der Straße zurückstand. Neben derselben befand sich eine Einfahrt von gewöhnlicher Größe.

Eine Linde streckte ihre Aeste über die Wand. Auf der anderen Seite war die Mauer mit Epheu bekleidet.

In der drohenden Gefahr, in welcher sich Johann Valjean befand, sah dieses düstere Gebäude einsam und unbewohnt aus. Das zog ihn an. Er musterte es rasch mit den Augen und sagte sich, daß, wenn er hineingelangen könnte, er sich vielleicht retten könne. Er schöpfte Hoffnung.

In dem mittleren Theile der Vorderseite des Gebäudes nach der Straße Rechts-Mauer zu befanden sich in allen Fenstern sämmtlicher Etagen alte trichterförmige, bleierne Becken. Die verschiedenen Verzweigungen der Röhren, die von einer Hauptröhre zu allen Becken gingen, bildeten an der Façade eine Art Baum.

Dieses seltsame Spalier mit seinen bleiernen Zweigen war der erste Gegenstand, welcher Johann Valjean auffiel. Er setzte Cosetten mit dem Rücken an einen Stein, empfahl ihr still zu sein und lief an die Stelle, wo das Rohr das Straßenpflaster berührte. Vielleicht war es möglich von hier hinaufzusteigen und in das Haus zu gelangen. Aber das Rohr war entzwei. Uebrigens waren alle Fenster dieses stillen Hauses, selbst die Dachfenster, mit dicken Eisenstäben vergittert. Auch erhellte der Mond mit vollem Licht diese Façade und der Mann, welcher am Ausgange der Straße auf Beobachtung stand, hätte ihn beim Hinaufsteigen gesehen. Und was mit Cosetten machen? Wie sie auf ein drei Stock hohes Haus hinauf bringen?

Er gab es auf, an dem Rohre hinaufzusteigen und schlich längs der Mauer hin. Als er an die einspringende Mauer gelangt, da wo er Cosetten gelassen hatte, bemerkte er, daß ihn hier Niemand sehen könne. Auch waren zwei Thüren hier und vielleicht konnte man sie öffnen. Die Mauer, über welcher er die Linde sah, und der Epheu gehörten offenbar zu einem Garten, wo er sich wenigstens verbergen konnte, obgleich noch keine Blätter an den Bäumen waren. Vielleicht konnte er auch in diesem Garten übernachten.

Die Zeit verging. Er mußte sich beeilen.

Er tastete an dem Einfahrtsthore und erkannte sofort, daß es von innen und außen zugenagelt war. Mit mehr Hoffnung näherte er sich dem anderen Thore. Dieses war scheußlich morsch und selbst seine ungeheure Größe machte es minder fest. Die Bretter waren verfault und die drei eisernen Bänder verrostet. Es schien möglich zu sein dieses wurmstichige Thor aufzubrechen. Er untersuchte es und sah, daß das Thor kein Thor war. Es hatte weder Angeln, noch Schloß, noch Flügel. Die eisernen Bänder liefen ohne Unterbrechung von einem Ende bis zum andern. Zwischen den Bretterritzen hindurch konnte man dick mit Mörtel versehene Steine sehen. Niedergeschlagen gestand er sich, daß diese scheinbare Thür einfach der Verschlag irgend eines Gebäudes sei. Er hätte wohl leicht ein Brett abreißen können, würde dann aber vor einer Mauer gestanden haben.


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