Jean Paul
Die unsichtbare Loge
Jean Paul

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Eilfter Sektor

Amandus' Augen – das Blindekuhspiel

Die Sympathie, welche Erwachsene in der ersten Viertelstunde ablaktiert, fügt auch oft Kinder aneinander. Unser Paar lief einander täglich über vierzigmal in die Arme und herzte sich. Ihr guten Kinder! seid froh, daß ihr eure Liebe noch stärker ausdrücken dürfet als durch Briefe. Denn die Kultur schneidet dem Ausdruck der Liebe das Gebet des Körpers immer kleiner vor – diese hagere Gouvernante nahm uns erstlich den ganzen Körper dessen weg, den wir lieben – dann die Hand, die wir nicht mehr drücken dürfen – dann die Knöpfe und die Achseln, die wir nicht mehr berühren dürfen – und von einer ganzen Frau gab sie uns nichts zum Küssen zurück als (wie ein Gewölle) den Handschuh: – wir manipulieren einander jetzt alle von ferne. – Amandus hing mit seinem mehr weiblichen Herzen an Gustavs mehr männlichem mit aller der Liebe, die der Schwächere dem Stärkern reichlicher gibt, als er sie ihm abgewinnt. Daher liebt die Frau den Mann reiner; sie liebt in ihm den gegenwärtigen Gegenstand ihres Herzens, er in ihr öfter das Gebilde seiner Phantasie; daher sein Wanken kommt. Dieses Vorredchen soll nur eine Anfurt zu einer kleinen Schlägerei zwischen unserem kleinen Kastor und Pollux sein.

Sie waren nämlich ungern so lange auseinander, als die Augen auf- und zugebunden wurden. Sooft der Verband wegkam, stellte sich Gustav vor ihn und verlangte durchaus, er sollte ihn sehen, und tat seinen Finger sich an die Nase und sagte: »Wo tipp' ich jetzt hin?« Aber er examinierte den Blinden nicht sehend. Nach einer wöchentlichen Abwesenheit fuhr Amandus auf ihn zu: »Schieb mein Band auf,« sagte er, »ich kann dich gewiß auch sehen wie meinen Katzenheinz!« Da Gustav es aufgelüftet hatte und da er wirklich in das Auge des operierten Freundes einging, ganz wie er war, mit allem, mit Rock, Schuhen und Strümpfen: so war er froher als ein Patriot, dessen Fürst die Augen oder den Verband aufmacht und ihn sieht. Er inventierte sein ganzes Bilderkabinett vor seinen Augen mit einem ewigen »Guck!« bei jedem Stück. Aber weiter! Die Welt wird wenig davon wissen – die kleinen Partikelchen derselben ausgenommen, die Kinder, von denen eben ich reden will –, daß diese bei Hoppedizel Blindekuh gespielet. Ein fatales Spiel! wenn Mädchen dabei sind, wie hier war, zumal so schlimme wie des Professors seine! Amandus ließ sich in das Spiel ein und rannte hinter seinem Schnupftuch, das weibliche Pfiffigkeit über seine Augen gefaltet hatte, im Zimmer umher, nichts fangend als entkörperte Kleider. Zum Unglück stießen die Mädchen unter dem Ofen, worunter sie gegen alle gute Spielordnung geschlichen waren, auf die volle Milchschüssel des Spitzhundes. Da sie nun damals zu wenige Moralphilosophen gelesen, obgleich deren genug gesehen hatten: so schoben sie, aus Mangel an reiner praktischer Vernunft, die Schüssel so weit leise vor, daß der greifende Häscher ohne Mühe hineintrampelte und drüberschlug. Gustav mußte als Kind ein wenig lachen. Auf ihn schoben es die Sünderinnen und riefen: »O du! wenn nun Amandus ein Unglück genommen hätte!«Er riß sich von den nassen Scherben auf und puffte dem Gustav, der ihn tröstend bei den Händen faßte, ein wenig hinten ans Schulterblatt, da, wo nach den Kompendien der Milchsaft mit dem Blut zusammenrinnt. »Ich hab's doch nicht hingestellte, sagt' er. – »Ja, ja! und hast mir nichts gesagt«, versetzte der Blinde und stieß ihn wieder, aber heftiger und doch weniger zornig. – »Schlag immer! ich hab' dir nichts getan«, und die Stimme brach meinem guten Helden – jener schlug wieder nach und sagte: »Ich bin dir auch gar nimmer gut«, aber so, als würd' er sogleich zu weinen anfangen. –»Ach du hast dir gewiß einen Splitter eingestochen?« fragte Gustav mit der mitleidigsten Stimme – mitten im Versuch zu einem neuen Stoße glitt die dünne Eisrinde vom erwärmten Herzen Amandus' herunter, er umfaßte den Unschuldigen und sagte unter hellen Zähren: »Du hasts ja nicht getan, und ich geb' dir all meine Spielware: schlag mich doch recht!« und schlug sich selber. – – Bloß die Empfindung der Liebe kämpft mit solchen bittersüßen Sonderbarkeiten. Amandus gestand oft, noch immer wandle ihn, wenn er jemand unrecht getan, mitten in seiner Kränkung darüber die Neigung an, fortzubeleidigen, um sich selber so weit fortzukränken, daß er endlich vor Schmerz sich mit der heißesten Liebe ans versehrte fremde Herz werfen müßte. Aber, o lieber Amandus! wenn gerade ein Pädagog in Gestalt einer Moral die Tür aufgemacht hätte! –

Man muß niemals glauben, als wollt' ich hier persönlichen Groll an sämtlichen Hofmeistern auslassen: denn erstlich hatt' ich gar niemals einen Hofmeister, zweitens war ich selber einer und ein rechter.


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