Jean Paul
Die unsichtbare Loge
Jean Paul

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Wie schmerzlich mußte die rauhe Außenwelt seine wunde innere berühren! Vor ihm stand, seit seinem Zerfallen mit seinem sterbenden Liebling, fest jener Trauerabend mit seinen Tränen und wich nicht; auf sein verlassenes Herz schimmerte noch die blutrote Sonne und ging nicht unter. – Der stumme Abschied seines Amandus, der ihn und andre Wünsche verlor, die abnehmenden Herbsttage seines Lebens und die vorige Liebe drückten sein Auge und Herz zum Trauern zusammen. Die Freundschaft duldet Mißhelligkeiten weniger als die Liebe; diese kitzelt damit das Herz, jene spaltet es damit. Amandus, der ihn so mißverstanden und betrübet und doch dessen innigste Liebe nicht verloren hatte, verzieh ihm alles bis abends um 5 Uhr – dann hört' er (oder es war ihm genug, wenn er sichs nur dachte), daß Gustav den Park (und mithin die Spaziergängerin) besucht hatte – dann nahm er seine Versöhnung bis auf 11 Uhr abends zurück – dann legte die Nacht und der Traum wieder einen Mantel auf alle Fehler der Menschen und auf diesen. Abends um 5 Uhr fing es von vornen an. Lacht ihn aus, aber ohne Stolz, und mich und euch auch; denn alle unsre Empfindungen sind – ohne ihre Löwen- und Narrenwärterin, die Vernunft – ebenso toll, wenn nicht in unserem Leben, doch in unserem Innern! – Aber endlich hatte er seine Verzeihung so oft zurückgenommen, daß ers bleiben lassen wollte, falls nur Gustav anklopfte und von ihm alle die Beschuldigungen anhörte, welche er ihm zu verzeihen vorhatte. Man schiebt oft das Vergeben auf, weil man das Vorwerfen aufzuschieben gezwungen ist. – Aber, trauter Amandus, konnt' er denn kommen, Gustav, und ließ ihn der Romancier? –

Letzter triebs noch weiter und kartete es listig ab, daß Gustav, dieser Großsultan, dieser Held zweier gut geschriebner Bücher, an einem Abend, wo der Kadettengeneral großes Souper gab, vor dessen Haus kam als – Schildwache. Beim Henker! wenn die schönsten Damen vorfahren, die bekannte Residentin – die mit einem zufälligen Blick unsre gute Schildwache ausbälgte und ausgestopft unter ihrer Hirnschale aufstellte – und ihr Gesellschaftfräulein Beata, und wenn man vor solchen Gesichtern das Gewehr präsentieren muß: so will mans viel lieber strecken und überhaupt statt stehen knien, um nicht sowohl den Feind zu verwunden als die Freundin.... Beim Henker! ich werde hier mehr Witz gehabt haben, als wohl gern gesehen wird; aber es versuch' es einmal ein lebhafter Mann und schreib' über die Liebe und entschlage sich des Witzes! – Es geht fast nicht. – Ich behaupt' es nicht und widerleg' es nicht, daß Oefel vielleicht aus den Träumen Gustavs, die immer sprechend und oft nach dem Erwachen nachwirkend waren, die Namen der gedachten weiblichen Schönheit-Ambe mag vernommen haben. Der Romanschreiber hat also einen Vorteil vor dem Lebensbeschreiber (ich bins) voraus: er schläft neben seinem Helden.

Er ängstigte seinen und unsern Helden, ders aber nur im ästhetischen, nicht im militärischen Sinne war, mit der Herbstheerschau; denn jeder kleine Fürst spielt dem großen Soldaten auf der Gasse nach neben noch kleinern Kindern; daher haben wir Scheerauer eine niedliche Taschen-Landmacht, eine tragbare Artillerie und eine verjüngte Kavallerie. Es macht ein Landesherr ohnehin einen Spaß, wenn er einen Menschen zu einem Rekruten macht: es widerfährt dem Kerl nichts, sondern nur Bewegung soll er haben, weil jetztNämlich 1791. unsre wichtigern Kriege, wie sonst die italienischen, in nichts bestehen als in Marschieren, aus Ländern in Länder. So bestehen auch die Feldzüge auf dem Theater bloß in wiederholten Märschen um das Theater, aber in kürzern. Ich ging vor einem Jahre zum Scherze ½ Stunde neben einem Regimente her und machte mir weis: »Jetzt tuest du im Grunde einen halbstündigen Feldzug gegen den Feind mit; aber die Zeitungen gedenken deiner schwerlich, ob du und das Regiment gleich durch diese kriegerische Vexier-Prozession ebensoviel Landplagen abwenden als die Klerisei durch geistliche singende Prozessionen.«

Er ängstigte ihn, sagt' ich; er schilderte die Heerschau nämlich: »Friedrich II. tat kleinere Wunder, als man da vom Kadetten-Korps fordern wird! Mehr Blessierte als Blessierende wird es geben! Unter allen Zelten und Kasernen wird man reden von der letzten Scheerauer Heerschau!« Gustav hatt' es im kleinen Dienst längst so weit gebracht, daß er imstande war, mit der Fortifikation seines Leibes wenigstens einen zu verwunden, diesen Leib selber. – Ich werde die Angst der Welt sicher nicht vermindern, wenn ich noch erzähle, daß Gustav regelmäßig alle sieben Wochen auf fünf Tage verreiset, woraus seine Freunde und der Biograph selber gerade so klug werden als die ältesten Leser – daß Oefel ihm durch geheimes Intrigieren seinen Urlaub so sauer machte, daß er ihn um diesen Preis kein zweites Mal begehren konnte – daß Gustav vom letzten Verreisen an den Dr. Fenk einen Brief von Ottomar heimbrachte, den man zwar dem Leser nicht vorenthalten wird, von dessen Überkommung man ihm aber nichts entdecken kann, weil man selber nichts davon weiß.

Aus allen diesen Dornen und aus der blessierenden Heerschau rettete unsern Gustav eine fremde Infamie. Nach der gedachten Rückkehr wurde in Oberscheerau ein Offizier, dessen Namen und Regiment man hier aus Schonung seiner vornehmen Familie unterdrücken will, für ehrlos erklärt, weil er mit Spitzbuben Verbindung gehabt. Als der Profos ihm in der Mitte des Regiments, das er entehret hatte, den Degen und das Wappen zerknickte und die Uniform abriß und ihm alles nahm, was den gebückten Menschen noch in die Höhe richtet im Unglück: so stürzte Gustav, dessen Ehrgefühl sogar aus den Wunden eines fremden blutete und der noch nie den schwarzen Anblick einer öffentlichen Bestrafung erlebt hatte, in Ohnmacht zusammen; sein erster Laut nach der Belebung war: »Soldat gewesen auf ewig! – Wenn der arme Offizier unschuldig war oder wenn er besser wird: wer gibt ihm die ermordete Ehre wieder? – Nur der untrügliche Gott kann sie nehmen; aber der Kriegsrat sollte nichts nehmen als das Leben! – Die Bleikugel, aber nicht die Infamie!« rief er wie in einer Verzuckung. Ich denke, er hat recht. Zwei Tage war er krank, und seine Phantasien schleiften ihn in die Räuber-Katakomben des Infamierten hinein – – zum neuen Beweis, daß die Fieberbilder der armen, aus dem Krankenbette ins Grab hineingefolterten Menschen nicht immer die Steckbriefe und Abdrücke ihres Innern sind! – Gemarterte Brüder! wie lieb' ich euch jetzt und den sanften Gustav in dieser Minute, wo meine Phantasie unter euch alle hineinblickt, wie ihr, vom Zickzack des Schicksals herumgetrieben, mit eueren Wunden und Tränen müde nebeneinander stehet, einander umfasset, einander beklagt und einander – begrabet! –

Solang' er krank war und phantasierte: hing Amandus an seinen glühenden Augen und litt so viel wie er und vergab ihm alles. – Als der Doktor Fenk versicherte, am Morgen sei er genesen: so kam Amandus am Morgen nicht und wollte wieder hartherzig sein.

Oefel genoß den Sieg seines Plans. Er trug sich selber die Einlenkung des alten Falkenbergs auf und schrieb eigenhändig an den Mann. Da er mit Dinte den guten Vater auf den mosaischen Berg stellete, hinter dem Berg den Prospekt des gelobten Landes der Gesandtschaft, und mitten ins Kanaan den jungen Legationsekretär. so hatte der gute Mann die Freude vieler Eltern, die ihre Kinder gern das werden sehen, was sie selber zu werden hasseten oder nicht vermochten. Er kam zu mir mit dem Briefe und ritt unter mein Fenster. – Alles, was Gustav noch innerlich gegen seine Versetzung ins alte Schloß zu sagen hatte, war, daß die schöne Beata im neuen wohnte, welches vom alten bloß durch eine halbierte Mauer abgeschieden war, und daß er Amandus' Verdacht bewährte. Aber zum Glück verfiel er nach dem Entschlusse auf den eigentlichen Beweggrund, der ihm denselben eingegeben hatte und der Veredlung und Erweiterung seines Wirkkreises war: »er könnte«, sagte er, »nach der Ablösung vom Gesandtschaftposten in einem Kollegium angestellet werden und da dem liegenden Lande aufhelfen u. s. w.« Kurz die größte Schönheit Beatens hätt' ihn nun nicht dahin bringen können, sie zu – meiden.

Überhaupt schälte ihn der Romanschreiber so eifrig aus seiner militärischen Hülse, daß man, da er, wie Ehemänner und Fürsten, den Zügel öfter im passiven Munde als in den aktiven Händen hatte – hätte denken sollen, er werde gelenkt, um zu lenken; aber ich denk' es nicht.

Gustav legte den Abschiedbesuch bei Amandus ab. Ein gutes Mittel, dem zu vergeben, den eine eingebildete Beleidigung auf uns erbitterte, ist, ihm eine wahre anzutun – Gustav dachte in den freiwilligen Umwegen von Gassen, durch die er zu seinem gekränkten Amandus ging, an Beata, die nun seine Wandnachbarin wurde, an die Liebe und den Verdacht seines Freundes, an die Unmöglichkeit, den Verdacht zu heben; und da gerade um 6 Uhr vom eisernen Orchester um den Stephansturm die abendliche Sphärenmusik in die Gassen niederfloß: so sank sein Herz in die Töne hinein, und er brachte seinem Freunde das weichste mit, das es außer der Brust Beatens gab. Ich und der Leser haben hierüber unsre Gedanken: eben diese versöhnliche Weichheit schrieb sich bloß vom versteckten Bewußtsein her, daß er halb den Verdacht der Nebenbuhlerei verdiene; denn sonst hätt' er, von Stolz gehoben, dem andern zwar auch vergeben, aber ihn darum nicht stärker geliebt. – Er fand ihn in der schlimmsten Stimmung für seine Absicht – in der freundschaftlichsten nämlich; denn in Zärtlich-Kranken ist jede Empfindung ein gewisser Vorbote der entgegengesetzten, und alle haben abwechselnde Stimmen. Amandus war im Anatomier-Zimmer seines Vaters – der Sonnenstrahl fiel vor seinem Untergang in die leere Augenhöhle eines Totenschädels – in Phiolen hingen Menschen-Blüten, kleine Grundstriche, nach denen das Schicksal den Menschen gar ausziehen wollte, Menschchen mit verhängendem großen Kopf und großen Herzen, aber mit einem großen Kopfe ohne einen Irrtum und einem großen Herzen ohne einen Schmerz – auf einer Tafel lag eine schwarze Färbers-Hand, an deren Farbe der Doktor Proben machen wollte.... Welche Nachbarschaft für eine Aussöhnung und einen Abschied! Drei Blicke machten und versiegelten jene – schon Blicke reden in dieser nackten Entkörperung der Seelen eine zu schreiende Sprache –; aber als Gustav diesen, vom schönsten Enthusiasmus über Verdacht und Furcht hinübergehoben, seinem Freunde ansagte; als er ihm, der noch nichts davon begriff, seine neue Wandnachbarschaft und den Verlust der alten kundtat: – zerflogen war der Freund, und ein schwarzer Feind sprang aus seiner Asche heraus – diese Minute benützte der Tod und schlug die letzten Wurzelfasern seines wankenden Lebens gar entzwei.... Gustav stand zu hoch, um zu zürnen – aber er mußte sich noch höher stellen – er fiel um ihn und sagte mit entschlossener reiner Stimme: »Zürne und hasse, aber ich muß dir vergeben und dich lieben – mein ganzes Herz mit allem seinem Blut bleibet deinem getreu und sucht es auf in deiner Brust – und wenn du mich auch künftig verkennest: so will ich doch alle Wochen kommen, ich will dich ansehen, ich will dir zuhören, wenn du mit einem Fremden redest, und wenn du mich dann mit Haß anblickst: so will ich mit einem Seufzer gehen, aber dich doch lieben – ach ich werde alsdann daran denken, daß deine Augen, da sie noch zerschnitten waren, mich schöner anblickten und besser erkannten.... o stoße mich nicht so weg von dir, gib mir nur deine Hand und blicke weg.« –

»Da!« sagte der zertrümmerte Amandus und gab ihm die kalte schwarze – Färbers-Faust.... Der Haß überlief wie ein Schauer das liebreichste Herz, das sich noch in einer menschlichen Brust verblutete – Gustav zerstampfte auf der Erde seine Liebe und seinen Haß und ging verstummt mit erstickten Empfindungen aus dem Hause und am andern Tage aus Oberscheerau.

Kaum hatte Amandus den gemißhandelten Jugendfreund über die Gasse zittern sehen: so ging er in sein Zimmer, hüllte sich mit dem Kopfkissen zu und ließ, ohne sich anzuklagen oder zu entschuldigen, seine Augen so viel weinen, als sie konnten. Wir werden es hören, ob er sein krankes Haupt wieder vom Kopfkissen erhob und wann er wieder von Gustav ins stille Land begleitet wurde, aus dem er ihn zurückzustoßen suchte. O der Mensch! – warum will dein so bald in Salz, Wasser und Erde zerbröckelndes Herz ein anderes zerbröckelndes Herz zerschlagen – Ach eh' du mit deiner aufgehobnen Totenhand zuschlägst: fällt sie ab in den Gottesacker hin – ach eh' du dem feindlichen Busen die Wunde gegeben, liegt er um und fühlt sie nicht, und dein Haß ist tot oder auch du.


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