Jean Paul
Die unsichtbare Loge
Jean Paul

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Neununddreißigster oder 1ter Epiphaniä-Sektor

Erst jetzt ists toll: die Krankheit hat mir zugleich die juristische und die biographische Feder aus der Hand gezogen, und ich kann trotz allen Ostermessen und Fatalien in nichts eintunken.......

Vierzigster oder 2ter Epiphaniä-Sektor

Mich wird, wie es scheint, nebenbei auch der schwarze Star befallen; denn Funken und Flocken und Spinnweben tanzen stundenlang um meine Augen; und damit – sagen Plempius und Ritter Zimmermann – meldet sich stets besagter Star an. Schielen – sagt Richter, der Starstecher, nicht der Starinhaber, in seiner Wundarzeneikunst (B. III, S 426) – läuft untrüglich dem Stare voraus. Wie sehr ich schiele, sieht jeder, weil ich immer rechts und links zugleich nach allem blicke und ziele. – Werd' ich denn wirklich so stockblind wie ein Maulwurf. so ists ohnehin um mein bißchen Lebensbeschreiben getan....

Einundvierzigster oder 3ter Epiphaniä-Sektor

Ich besitze ein paar Fieber auf einmal, die bei andern glücklichern Menschen sonst einander nicht leiden können: das dreitägige Fieber – das Quartanfieber – und noch ein Herbst- oder Frühlingfieber im allgemeinen. – Indessen will ich, solang' ich noch nicht eingesargt bin, dem Publikum alle Sonntage schreiben und es etwa zu zwei oder drei Zeilen treiben. Auch der Stil sogar wird jämmerlich; hier wollen sich die zwei Verba reimen....

Zweiundvierzigster oder 4ter Epiphaniä-Sektor

O ihr schönen biographischen Sonntage! ich erlebe keinen wieder. Zu den Übeln, die ich schon bekannt gemacht habe, stößet noch eine lebendige Eidechse, die sich in meinem Magen aufhält und deren Laich ich im vorigen Sommer aus einem unglücklichen Durst muß eingeschluckt haben....

Dreiundvierzigster oder 5ter und 6ter Epiphaniä-Sektor

Von Kirschkernen, die im Magen aufgekeimt, wie von Erbsen im Ohre hat man Beispiele. Noch aber hab' ich nicht gelesen, daß der Same von Stachelbeeren, den man gewöhnlich mit einschluckt, in den Gedärmen getrieben hätte, wenn diese durch Verstopfung etwa zu wahren Lohbeeten des gedachten Staudengewächses gediehen wären. – O guter Himmel, was wird endlich meine Krankheit sein, deren unsichtbare Tatze meine Nerven ergreift, erdrückt, ausdehnt, entzweischlitzt....

Vierundvierzigster oder Septuagesimä-Sektor

Wenns eine Krankheit gibt, die aus allen Krankheiten, aus allen Kapiteln der Pathologie auf einmal kompiliert ist: so hat sie niemand als ich. Apoplexie – Hektik – Magenkrampf oder eine Eidechse – dreierlei Fieber – Herzpolypus – aufgehende Stachelbeerstauden: – – das sind die wenigen sichtbaren Bestandteile und Ingredienzien, die ich bisher an meinem Übel auskundschaften können; eine vernünftige tiefere Sektion meines armen Leibes wird auch gar die unsichtbaren, wenn ihn beide Bestandteile erlegt haben, noch dazu gesellen....

Fünfundvierzigster oder Sexagesimä-Sektor

Eine bedenkliche Pleuresie – wenn man anders der ganzen Semiotik und den harten Pulsschlägen und Bruststichen glauben kann – umarmt und hält mich seit vorgestern und ist willens, mein gemißhandeltes Leben und diese Lebensbeschreibung zu schließen – es müßte denn durch eine glückliche Kur der Tod in ein Empyema gemildert werden – oder in eine Phthisis – oder Vomica – oder in einen Scirrhus oder auch in einen Ulkus. – – Nach dieser Heilung braucht man bloß meine Brust anzubohren, um aus ihr, aus der einmal ein Buch voll Menschenliebe kam, das Leben und die Krankheitmaterie miteinander herauszuziehen....

Sechsundvierzigster oder Esto Mihi-Sektor

Ihr guten Leser! die ihr mit eurem vergehenden Auge vom Schachbrett des ersten Sektors an bis zum Sterbelager des letzten mir nachgezogen seid, meine Bahn und unsre Bekanntschaft haben ein Ende – das Leben mög' euch niemals drücken – euer Geschäftblick möge nie über das kleine Feld das große vergessen, über das erste Leben das zweite, über die Menschen euch – euer Leben mögen Träume bekränzen, und euer Sterben mögen keine erschrecken.... Meine Schwester soll alles beschließen.... Lebt froh und entschlaft froh!....

Siebenundvierzigster oder Invokavit-Sektor

Mein guter und gemarterter Bruder will haben, daß ich dieses Buch ausmache. Ach, seine Schwester würd' es ja vor Schmerzen nicht vermögen, wenns so wäre. Ich hoff' aber zum Himmel, daß mein Bruder nicht so kränklich ist, als er meint. – Nach dem Essen denkt ers wohl. – Und ich muß ihn, wenn wir beide Friede haben sollen, darin bestärken und ihn für ebenso krank ausgeben, wie er sich selber. Gestern mußt' ihm der Schulmeister an die Brust klopfen, damit er hörte, ob sie hallete, weil ein gewisser Avenbrügger in Wien geschrieben hatte, dieses Hallen zeige eine gute Lunge an. Zum Unglück hallete sie wenig; und er gibt sich deshalb auf; ich will aber ohne sein Wissen an den Herrn Doktor Fenk schreiben, damit er seine Qualen stille. – – Ich soll noch berichten, daß der junge Herr von Falkenberg krank in Oberscheerau bei seinen Eltern ist und daß meine Freundin Beata auch kränklich bei den ihrigen ist.... Es ist für uns alle ein finstrer Winter. Der Frühling heile jedes Herz und gebe mir und den Lesern dieses Buchs meinen lieben Bruder wieder!


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