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Wir unglücklichen Brunnengäste! Es ist vorbei mit den Freuden in Lilienbad. – Die obige Überschrift konnte noch mein Bruder machen, eh' er nach Maußenbach forteilte! Denn Gustav liegt da im Gefängnis. Es ist alles unbegreiflich. Meine Freundin Beata unterliegt den Nachrichten, die wir haben und die im folgenden Briefe vom Herrn Doktor Fenk an meinen Bruder heute ankamen. Es ist schmerzhaft für eine Schwester, daß sie allzeit bloß in Trauerfällen die Feder für den Bruder nehmen muß. Wahrscheinlich wird die folgende Hiobspost dieses ganze Buch so wie unsere bisherigen schönen Tage beschließen.
»Ich will dich, mein teuerer Freund, nicht wie ein Weib schonen, sondern dir auf einmal den ganzen außerordentlichen Schlag erzählen, der unsere glücklichen Stunden getroffen hat und am meisten die unserer beiden Freunde.
Drei Tage nach unserer schönen Nacht – erinnerst du dich noch an eine gewisse Bemerkung von Ottomar über die Gefährlichkeit der Entzückungen? – will der Professor Hoppedizel seinen unbesonnenen Spaß ausführen, im Maußenbachschen Schlosse einzubrechen. Der pfiffige Jäger Robisch war gerade nicht zu Hause, sondern mit deinem Vorfahrer, dem Regierungrat Kolb, auf einer Streiferei nach Diebgesindel, bei der sie aus Lust mitzogen. Bemerke, eine Menge Umstände und Personen verknüpfen sich hier, die schwerlich der Zufall zusammengeleitet hat.
Der Professor kommt mit sechs Kameraden und hat eine Leiter mit, um sie an dem seit Jahren zerbrochnen Fenster, das nach Auenthal hinübersieht, anzulegen. Aber als er unter das Fenster tritt: steht schon eine daran. Er nimmts für den besten Zufall, und sie steigen sämtlich, beinahe hintereinander, hinauf. Oben langt eine Hand eine silberne Degenkuppel heraus und will sie geben – der Professor ergreift beide und springt über das Fenster hinein. Darin war, was er schien, ein Dieb, welcher Handlanger auf der Leiter erwartete. Der diebische Realist fällt den Nominalisten mit wütender Verzweiflung an – die Galerie auf der Leiter stürzet gar nach und vermehrt das fechtende Gewimmel. Die Stöße auf dem Fußboden lärmen den horchenden Röper weniger aus seinem Schlafe als Bette auf – er sein ganzes Haus, und dieses seinen Gerichtdiener – es kurz zu sagen: in wenigen Minuten hatt' er mit der Wut, womit der Geizige seine Güter rettet und hält, die spaßhaften Diebe und den ernsthaften zu Gefangnen gemacht, der wahre Dieb mochte noch so sehr um sich schlagen und der Professor noch so sehr disputieren. Jetzo sitzt alles fest und wartet auf dich.
– Ach! hältst du es aus – wenn ich dir alles sage? Die Streifer Kolb und Robisch finden um Maußenbach die Bundgenossen des ertappten Diebs – dringen in den Wald – gehen einer Höhle zu, als wüßten sie, daß sie zu etwas führe – finden eine unterirdische Menschenwelt – O! daß gerade du zu deinem Unglück da getroffen werden mußtest, du Unschuldiger und Unglücklicher! nun schlägt dein sanftes Herz auch an der Kerkerwand! – soll ich dir deinen Freund Gustav nennen? – – Eile, eile, damit es sich anders wende!
Sieh! nicht bloß auf deine, auch auf meine Brust hat dieser Tag sich heftig geworfen. Hältst du es aus, wenn ich noch mehr sage? – daß es nur ein Zufall ist, daß Ottomar noch lebt. – – Ich brachte ihm die Nachricht unseres Unglücks. Mit einem schrecklichen Sträuben seiner Natur, in der jede Fiber mit einem andern Schauer kämpfte, hört' er mir zu und fragte mich, ob keiner mit sechs Fingern gefangen genommen worden. ›Ich habe in jener Waldhöhle‹ (sagt' er) ›einen schweren Eid getan, unsere unterirdische Verbindung niemand zu offenbaren, ausgenommen eine Stunde vor meinem Tode. Fenk, ich will dir jetzo die ganze Verbindung offenbaren.‹ – Mein Sträuben und Flehen half nichts: er offenbarte mir alles. ›Gustav muß gerechtfertiget werden‹, sagt' er. – Aber diese Geschichte ist nirgends sicher, kaum im getreuesten Busen, geschweige auf diesem Papier. Ottomar wurde von seiner sogenannten Vernicht-Minute angefallen. Ich ließ seine Hand nicht aus meiner, damit er über seine Stunde hinauslebte und seinen Eid bräche. – Es gibt nichts Höheres als einen Menschen, der das Leben verachtet; und in dieser Hoheit stand mein Freund vor mir, der in seiner Höhle mehr gewagt und besser gelebt hatte als alle Scheerauer. – Ich sah es ihm an, daß er sterben wollte. Es war Nacht. Wir waren in der Stube, wo die wächsernen Mumien mit schwarzen Sträußern stehen, die den Menschen erinnern, wie wenig er war, wie wenig er ist. ›Beuge‹, sagt' er (denn ich kettete mich an ihn), ›deinen Kopf weg, daß ich in den Sirius sehe – daß ich in den unendlichen Himmel hinausgehe und einen Trost habe – daß ich mich hinwegsetze über eine Erde mehr oder weniger. O mache mir, Freund, das Sterben nicht so sauer – und zürne und traure nicht. – O schau, wie der ganze Himmel von einer Unendlichkeit zur andern schimmert und lebt und nichts droben tot ist; – die Menschen aller dieser Wachs-Leichname wohnen darin in jenem Blau – O ihr Abgeschiednen, heute zieh' ich auch zu euch, in welche Sonne auch mein menschlicher Lichtfunke springen möge, wenn der Körper von ihm niederschmilzt: ich find' euch wieder.‹ –
Das Ausschlagen jeder Viertelstunde hatte bisher mein Herz durchstochen; aber die letzte Viertelstunde tönte mich wie eine Leichenglocke an; ich bewachte ängstlich seine Hände und Schritte; er fiel um mich. ›Nein! nein!‹ sagt' ich, ›hier ist kein Abschied – ich hasse dich bis ins Grab hinein, wenn du etwas im Sinne hast – umarme mich nicht.‹ – Er hatt' es schon getan; sein ganzes Wesen war ein schlagendes Herz; er wollte in der Empfindung der Freundschaft vergehen; er preßte seine Brust an meine, und seine Seele an meine: ›Ich umarme dich‹ (sagt' er) ›auf der Erde – in welche Welt auch der Tod mich werfe: ich vergesse deiner nicht; ich werde dort nach der Erde sehen und meine Arme ausbreiten nach dem irdischen Freunde, und nichts soll meine Arme füllen als die getreue, die belastete Brust derer, die mit mir hier gelitten, die mit mir hier die Erde getragen haben.... Sieh! du weinst und wolltest mich doch nicht umarmen! o Geliebter! – an dir fühl' ich die Eitelkeit der Erde nicht – – du wirst ja auch sterben!... Großes Wesen über der Erde....‹ – Hier riß er sich von mir und stürzte auf seine Knie und betete. ›Zerstör mich nicht, bestraf mich nicht! – ich gehe weg von dieser Erde; du weißt, wo der Mensch ankommt; du weißt, was das Erdenleben und das Erdentun ist – Aber, o Gott, der Mensch hat ein zweites Herz, eine zweite Seele, seinen Freund! Gib mir den Freund wieder mit meinem Leben – wenn einmal alle Menschenherzen stocken und alles Menschenblut in Gräbern verfault: o gütiges, liebendes Wesen! hauch dann über die Menschen und zeige der Ewigkeit ihre Liebe!‹ Ein Aufsprung – ein Flug an mich – eine umarmende Zerdrückung – ein Schlag an die Wand – ein Schuß aus ihr –
Er lebt aber noch.
Fenk.«