Jean Paul
Titan
Jean Paul

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43. Zykel

Lilar ist nicht, wie so viele Fürstengärten, ein herausgerissenes Blatt aus Hirschfeld – ein toter Landschafts-Figurant und Vexier- und Miniaturpark – ein schon an jedem Hofe aufgesetztes und abgegriffenes Schaugericht von Ruinen, Wildnissen und Waldhäusern: sondern Lilar ist das Naturspiel und bukolische Gedicht der romantischen und zuweilen gaukelhaften Phantasie des alten Fürsten. Wir kommen bald insgesamt hinter dem Helden hinein, aber nur ins Elysium; der Tartarus ist ganz etwas anders und Lilars zweiter Teil. Die Absonderung der Kontraste lob' ich noch mehr wie alles; ich wollte schon längst in einen bessern Garten gehen, als die gewöhnlichen chamäleontischen sind, wo man Sina und Italien, Lust- und Gebeinhaus, Einsiedelei und Palast, Armut und Reichtum (wie in den Städten und Herzen der Inhaber) auf einem Teller reicht und wo man den Tag und die Nacht ohne Aurora, ohne Mitteltinte nebeneinander aufstellt. Lilar hingegen, wo das Elysium seinen frohen Namen durch verknüpfte Lustlager und Lusthaine rechtfertigt, wie der Tartarus seinen düstern durch einsame überhüllte Schrecken, das ist mir recht aus der Brust gehoben. –

Aber wo geht jetzt unser Jüngling mit seinen Träumen? – Noch auf der romantischen einleitenden Straße nach Lilar, eigentlich dem ersten Gartenwege desselben. Er wanderte auf einer belaubten Straße, die sanft auf Hügel mit offnen Baumgärten und in gelbblühende Gründe stieg und die wie der Rhein sich bald durch grünende Felsen voll Efeu drängte, bald fliehende lachende Ufer hinter den Zweigen auftat. Jetzt wurden die weißen Bänke unter Jesminstauden und die weißen Landhäuser vielfältiger, er kam näher, und die Nachtigallen und KanarienvögelSie haben eine ganze Stube zum Winterleben, der man im Sommer bloß die Fenster aushebt. Lilars streiften schon hieher, wie Land ansagende Vögel.

Der Morgen wehte frisch durch den Frühling, und das zackige Laub hielt noch seine leichten ätherischen Tropfen fest. Ein Fuhrmann lag schlafend auf seinem Leiterwagen, den die rechts und links abrupfenden Tiere sicher auf dem glatten Wege zogen. Albano hörte am stillen Sonntage nicht das Feldgeschrei der drängenden Arbeit, sondern die Ruhe-Glocken der Türme; im Morgengeläute spricht die zukünftige, wie im Abendgeläute die vergangene Zeit; und an diesem goldnen Alter des Tages stand auch eines in seiner frischen Brust. –

Jetzt zuckten gabelschwänzige Rauchschwalben mit der Purpurbrust über das Himmelblau des wilden Gamanders und kündigten mit ihren Wohnungen unsre an: als seine Straße durch ein zerstörtes altes offnes, von fetten dicken Blättern wie Schuppen behangnes Schloß durchwollte, an dessen Ein- oder Ausgange ein wegweisender roter Arm sich mit der weißen Aufschrift: »Weg aus dem Tartarus ins Elysium« gegen eine nahe Waldung ausstreckte.

Sein Herz fuhr auf bei dieser doppelten Nähe so verschiedener Tage. Mit weiten Schritten drang er gegen den Elysiums-Wald, den ein breiter Graben abzuschneiden schien. Aber er kam bald aus dem Buschwerke vor eine grüne Brücke, die sich in den Bogen der Riesenschlange über den Graben, aber nicht auf die Erde, sondern in die Gipfel schwang. Sie trug ihn durch die hereinblühende Wildnis von Eichen-, Tannen-, Silberpappeln-, Frucht- und Linden-Wipfeln. Dann hob sie ihn hinaus in die freie Gegend, und Lilar warf ihm schon von Osten über die weite spitzige Gipfel-Saat den Glanz einer hohen Goldkugel entgegen. Die Brücke senkte sich mit ihm wieder ins duftende dämmernde Geniste, und unter und neben ihm riefen und flatterten die Kanarienvögel, Singdrosseln, Finken und Nachtigallen, und die geätzte Brut schlief gedeckt unter der Brücke. Endlich stieg diese nach einem Bogengange wieder ans Licht – er sah schon die grünende Bergkuppe mit dem weißen Altar, woran er in einer jugendlichen Nacht gekniet hatte; und mehr südlich hinter sich die Decke und Scheidewand des Tartarus, einen hochaufgebäumten Wald – und wie er weitertrat, deckte sich ihm das Elysium weiter auf – eine Gasse kleiner Häuser mit welschen Dächern voll Bäumchen lachte den Blick freudig und einheimisch aus der grünen Weltkarte von Tiefen, Hainen, Bahnen, Seen an – und in Morgen schlossen fünf Triumphtore dem Auge die Wege in eine weitausgespannte, wie ein grünendes Meer fortwogende Ebene auf, und in Abend standen ihnen fünf andere mit geöffneten Ländern und Bergen entgegen. – –

So wie Albano die langsam-niederschwebende Brücke herabging, so kamen bald brennende Springbrunnen, bald rote Beete, bald neue Gärten im großen entwickelt hervor, und jeder Tritt schuf das Eden um. Voll Ehrfurcht trat er wie auf einen geheiligten Boden heraus, auf die geweihte Erde des alten Fürsten und des frommen VatersSo hieß überall der einsiedlerische Emeritus, der da wohnende HofpredigerSpener, der mit dem edlen alten frommen Spener nicht nur von väterlicher Seite verwandt war, sondern auch von geistiger. und Dians und Lianens; sein wilder Gang wurde wie von einem Erdbeben umwickelnd gehalten; das reine Paradies schien bloß für Lianens reine Seele gemacht; und jetzt erst machte ihm die scheue Frage über die Schicklichkeit seiner hastigen Nachreise und die liebende Furcht, zum ersten Male ihrem genesenen Auge zu begegnen, den frohen Busen enge.

Aber wie festlich, wie lebendig ist alles um ihn her! Auf den Wassern, die durch die Haine glänzen, ziehen Schwanen, in die Büsche schreitet der Fasan, Rehe blicken hinter ihm neugierig aus dem Walde, über den er gegangen war, und weiße und schwarze Tauben laufen emsig unter den Toren, und an den Abendhügeln hängen rufende Schafe neben liegenden Lämmern; sogar der Turteltaube zittert in irgendeinem verhüllten Tale die Brust vom Languido der Liebe. Er schritt durch ein langes hochstaudiges Rosenfeld, das die Niederlassung und Pflanzstadt von Grasmücken und Nachtigallen schien, die aus den Büschen auf die wachsenden Grasbänke hüpften und vergeblich ausliefen nach Würmchen; und die Lerche zog oben über diese zweite Welt für die frömmern Tiere und fiel hinter den Toren in die Saaten nieder.

Berausche dich immer, guter Jüngling, und kette deine Blumen so ineinander wie der Knabe, dem du zueilst! – Nämlich oben auf dem welschen Dache, vor dessen Brustgeländer Silberpappeln von breiten Rebenblättern umgürtet spielen, und das er in der Frühlingsnacht für eine Laube in Rosen angesehen, stand ein kerniger herübergebückter Knabe, der eine Dotterblumenkette niederließ und dem zu kurzen grünen Ankerseile immer neue Ringe einsteckte. »Pollux heiß' ich,« (versetzt' er frisch auf Albans sanfte Frage) »aber meine Schwester heißet HelenaSie hatten als Zwillinge diese Namen., aber das Brüderchen heißt Echion.« – »Und dein Vater?« – »Er ist gar nicht da, er ist weit draußen in Rom; gehe nur hinein zur Mutter Chariton, ich komme gleich.« – An welchem schönen Tage und Orte, mit welchem schönern Herzen konnt' er in des geliebten Dians heilige Familie kommen als an diesem Morgen und mit dieser Brust?

Er ging ins helle lachende Haus, das voll Fenster und grüner Jalousieladen war. Als er in die Frühlingsstube eintrat: so fand er Chariton, ein junges, schmächtiges, fast noch jungfräulich aussehendes Weib von 17 Jahren, mit dem kleinen Echion an der säugenden Brust, sich wehrend gegen die kränklich-lebhafte Helena, die, auf einem Stuhle stehend, immer aus dem Fenster eine vielblättrige Rebenschlinge hereinzog und die Hülle um die Augen der Mutter gürten wollte. Mit zauberischer Verwirrung, da sie zugleich aufstehen, mit der Linken die belaubten Fessel ohne Zerreißen abnehmen und den Säugling tiefer verhüllen wollte, trat sie dem schönen Jünglinge gebückt entgegen, kindlich-freundlich und feurig, aber unendlich schüchtern, nicht seiner standesmäßigen Kleidung wegen, sondern weil er ein Mann war und so edel aussah, sogar ihrem Griechen ähnlich. Er sagte ihr mit einer zauberischen Liebe auf dem kräftigen Angesichte, die sie vielleicht nie so herrlich gesehen, seinen Namen und den Dank, den sein Herz ihrem Gatten aufbewahre, und Nachrichten und Grüße von diesem. Wie loderte an der furchtsamen Gestalt das unschuldige Feuer aus den schwarzen Augen! »War denn mein Herr« (so nannte sie ihren Mann) »sehr gesund und froh?« Und so fing sie jetzt, unbefangen wie ein Kind, ein langes Verhör bloß über ihren Gatten an.

Pollux sprang mit seiner langen Kette herein – Alban nahm den Trank vom Doktor scherzend aus der Tasche und sagte: »Das sollst du einnehmen.« – »Soll ichs gleich aussaufen Mutter?« sagte der Heros. Hier erkundigte sie sich ebenso unbefangen nach dem ausführlichen Rezepte des Doktors und so lange, bis der kleine Säugling am Busen rebellierte und sie in ein Nebenzimmer über die Wiege trieb. Sie entschuldigte sich und sagte, der Kleine müsse schlafen, weil sie mit Lianen spazieren gehe, auf die sie jede Minute aufsehe.

Kinder lieben kräftige Gesichter; Alban wurde zugleich von Kindern und von Hunden geschätzt; nur konnte er auf dem kindlichen Spielplatze nie mit der kleinen springenden Truppe agieren, wenn erwachsene Logen dabei waren.

»Ich kann sehr viel«, sagte Pollux; – »ich kann auch lesen, Herr!« versetzte dem Bruder Helena. »Aber doch nur deutsch; ich aber kann lateinische Briefe prächtig herlesen, du!« erwiderte ihr das junge Männlein und lief in der Stube nach Lektüre und Leseproben umher, aber umsonst. »Mann! warte ein wenig!« sagte er und lief die Treppe hinauf in – Lianens Zimmer und holte einen Brief von Lianen. – –


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