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Tivoli – Streit – Isola bella – die Kinderstube – die Liebe – Abreise
Albano trat wieder bei dem Fürsten Lauria ab, der bisher in einem solchen Zustrom neuer Begebenheiten geschwommen war, daß er die Abwesenheit kaum innen geworden und sich über die Wiederkunft wundern wollte. Es war unterdessen der deutsche Krieg gegen Frankreich festgesetzt worden. Diese Botschaft trug er seinem Enkel voll von der freudigen Erwartung entgegen, welche große Szenen ein solcher Kampf entfalten müsse. Auch Albano wurde lange mit ihm von diesem hohen Strome gezogen, eh' er daran dachte, daß diese Nachricht anders und niederschlagender auf seine Schwester wirken würde als auf ihn. Aber das heroische Feuer, in welches er sich mit dem politischen Lauria hineinsprach, spielte ihm einen leichten Sieg über die schwesterliche Liebe vor.
Er wollte den Freundinnen seine Ankunft sagen, als er vom Fürsten vernahm, daß beide, wie er von der Fürstin Altieri, bei der sie wohnten, gehört, schon nach Tivoli gegangen. – Wie glücklich reisete er, die freundliche Absicht dieser Zwischenreise erratend, aus dem von Liebe und Frühling strahlenden Rom und sah ebenso heiter nach der Zukunft, wo sein Leben sich blühend auseinanderschlug, als nach Tivoli, wo er zwei Herzen an eines zu drücken hoffte.
Er fand, da er in der Stadt Tivoli ankam, die feurigen Mädchen schon entwichen nach der Kaskade. Wie ein Mensch im Tempe-Tal oder vor dem Genfersee nur im unachtsamen Traum am Ufer vor den Wasserbildern des Himmels und der Erde vorübergeht, weil ihn die blühenden Urbilder rings umher umfangen und entzünden: ebenso glitten die Felsen der bevölkerten Landschaft und der runde Vestas-Tempel und die ineinanderfließenden Täler vom römischen Tore an bis zum Tempel, diese glänzenden Reihen glitten nur als Traum- und Wasserbilder vor dem Herzen vorüber, worin eine Geliebte lebendig blühte und mit der Fülle einer Welt eine Welt verdrängte.
Er irrte unter dem Gewühle der Aussichten umher, ohne die schönste zu finden, als ihn ein kurzer blaßgelber reichgekleideter Mensch mit eingeschrumpftem Gesichte erblickte und mit dem seidnen Arm auf den Weg zur Kaskade zeigte, ungefragt sagend: wenn er die Damen suche, so seien sie bei der großen Kaskade.
Albano schwieg, ging weiter, sah zwei und erkannte Linda an ihrer hohen Gestalt. Endlich sahen, fanden, umfaßten sich die drei Menschen, und der herrliche Wassersturm wehte in die Entzückung. Linda sagte zärtliche Worte der Liebe und glaubte stumm zu sein, denn das schöne Gewitter aus Strömen zerriß die zarten Silben wie Schmetterlinge. Sie hatten sich nicht gehört und standen, schmachtend nach ihren Lauten, umrungen von fünf Donnern, mit weinenden Augen voll Liebe und Freude voreinander. Heilige Stelle, wo schon so viele tausend Herzen heilig brannten und selig weinten und sagen mußten: das Leben ist groß! – Heiter und fest glänzt in der Sonne oben die Stadt über dem Wasser-Krater dahin – stolz schauet Vestas zerrissener Tempel, mit Mandelblüte bekränzt, von seinem Felsen auf die Strudel nieder, die an ihm graben – und ihm gegenüber spielet der strudelnde Anio alles auf einmal vor, was Himmel und Erde Großes hat, den Regenbogen, den ewigen Blitz und den Donner, Regen, Nebel und Erdbeben.
Sie gaben sich Zeichen, zu gehen und das stillere Tal zu suchen. Wie klangen ihnen darin die Worte Bruder, Schwester, Linda wie neue Menschenlaute im Paradies! Hier, ehe sie den Hügel voll neuer Wasserstürze, Blitze und Farben bestiegen, suchten sie sich ihre Reisen und Nachrichten einander zu erzählen. Julienne berichtete die frohe, ihr Bruder, der Fürst, gebe wieder Hoffnung der Genesung, seitdem er wachend, wie er beteuere, seinen toten Vater gesehen, der ihm längeres Leben versprochen. Die schöne Linda blühte im Paradies wie eine verhüllte Göttin, die ihren Geliebten auf der Erde lange suchte und endlich gefunden hat. Sie nahm oft seine Hand und drückte sie wider ihre Augen und Lippen und lispelte kaum hörbar, wenn er mit ihr oder Juliennen sprach: »Lieber! – Freundlicher Mensch!« – Über die Gegend schwieg sie; denn über jede sprach sie erst, wenn sie aus ihr gekommen war.
Julienne, über die brüderliche Genesung so froh, fing allerlei Scherze an, sagte, daß sie bedauere, aus Neapel ihrem Ludwig ein vergebliches Spezifikum gegen sein Übel gesandt zu haben, und fragte endlich Albano: »Kennst du nicht einen Jüngling namens Cardito? er will dich kennen.« – Er sagte Nein, erzählte aber, ein kleiner stämmiger Mensch hab' ihn hier zu kennen geschienen und zur Kaskade gewiesen. Julienne fuhr auf und sagte, es sei entschieden der haarhaarische Prinz, der auf Luigis Tod und Thron so boshaft hoffe; er wohne in Tivoli im Hause des Herzogs von Modena und gehe gewißlich als ihrer aller Spion umher. Um sich selber nach diesem gehaßten Mißlaut wieder auszustimmen, setzte sie die Frage über Cardito fort und sagte: »Es ist ein sehr schöner derber Korse (der Prinz ist ja die lebendige Ungestalt), und er kündigt dir ganz ernsthaft den Krieg an.«
»Den soll er wahrlich haben«, sagte Albano, der nun alles begriff; und – alles erzählte. Cardito war jener Korse, mit dem er früher sich über den gallischen Krieg entzweiet hatte. »Bruder, das ist noch dein Ernst?« sagte Julienne mit gedehntem Akzent. »Jetzt besonders!« sagt' er entschieden, um den Streit sogleich auszuschließen. Heftig drückte Linda seine Hand in ihre Augen, als wolle sie sie damit bedecken. »Nun, so verhandle deinen Prozeß mit mir, so vernünftig du kannst, und lasse deine Rechtsgründe hören; aber laß uns erst auf den Hügel, damit man dabei auch etwas sieht«, sagte die Schwester.
Auf dem Hügel – vor dem Grün des blitzenden Tals, wo überall der Strom wie ein verwundeter Adler mit dem Flügel an der Erde schlug – vor den auf die Blumen herunterblitzenden drei Kaskatellen – fing Albano bewegt und begeistert an: »Ich habe nur einen Grund, liebe Schwester – ich bin noch nichts – ich bin kein Dichter, kein Künstler, kein Philosoph, sondern nichts, nämlich ein Graf. Ich habe aber Kräfte zu manchem, warum soll ichs nicht sagen? – Wahrlich wenn ein Da Vinci alles ist, oder ein Crichton, oder wenn ein Richelieu, ob er gleich den politischen Thron behauptet, doch noch den poetischen besteigen will: soll ein anderer mit kleinern Wünschen nicht entschuldigt sein? – Und bei Gott! eigentlich will ein Mensch doch alles werden, denn er kann nicht anders, er sehnet und treibt sich dazu hin, und das innige versteckte Herz weint Blutstropfen, die keine Menschenhand abtrocknet, nur die hohen Eisenschranken der Notwendigkeit halten ihn auf – Schwester, Linda, was hab' ich denn noch getan auf der Erde?« –
»Diese Frage; – und diese ist genug vor Gott«, sagte Julienne, bewegt von der wund-stolzen Bescheidenheit des Jünglings und von seiner schönen Stimme, welche zornig so klang wie gerührt. »Worte! was sind Worte?« (sagt' er) »O man schämt sich wohl freilich, daß man etwas früher nur denken und sagen muß, eh' mans tut, obgleich der dürftige Mensch nicht anders kann, sondern jede Tat wie eine Statue vorher im elenden Wachs der Worte modellieren muß. Ach, Linda, liegen hier nicht überall um uns Taten, statt der Worte und Wünsche? – Hab' ich nicht auch einen Arm, ein Herz, eine Geliebte und Kräfte wie andere und soll mit einem morschen mürben spanisch- oder deutschen Grafenleben aus der Welt gehen? – O meine Linda, streite du für mich!«
»Ich bin« (sagte sie, scharf nach der großen Kaskatella blickend, die hoch aus Bäumen herniederstürmte) »nicht von vielen oder beredten Worten und verstehe Sie auch nicht ganz. Ich muß mir immer die Worte in Ideen und Wahrheiten übersetzen und vermag es nicht allzeit. Bei Ihren Worten, Graf, denk' ich mir gar nichts. Wem die Liebe nicht allein genügt, der ist von ihr nicht erfüllet worden. Freilich, so mit dem Herzen alles vergessend wie wir, so konzentriert in eine Idee des Lebens sind die Männer nie. Ach und so wenig ist der Mensch dem Menschen, ein Menschen-Bild ist ihm mehr und jede kleine Zukunft!«
»Auch du, Brutus?« sagte Albano betroffen. »Würden Sie« (fuhr er sich fassend fort) »dem Elysiums-Leben auf Ischia eine Ewigkeit für einen Mann geben? Würden Sie ihn als Jüngling ins Kloster der seligsten Ruhe schicken? Gewiß nur als Greis. Jenes hieße den Baum mit dem Gipfel in die finstere Erde pflanzen.«
»Das ist wieder der Deutsche,« (sagte sie) »nur immer recht Betriebsamkeit. Die ruhigen Neapolitaner, die Völker am Apennin, an den Pyrenäen, am Ganges, in Otaheiti, voll Genuß und Beschauung, sind diesem Spanier ein Greuel. Ich dächte, wenn ein Mensch nur für sich etwas würde, nicht für andere, das reichte zu. Was große Taten sind, das kenn' ich gar nicht; ich kenne nur ein großes Leben; denn jenen Ähnliches vermag jeder Sünder.« –
»Wahrlich, das ist wahr,« (sagt er) »es gibt nichts Erbärmlicheres als einen Menschen, der sich durch dies oder das zeigen will, was ihm selber groß, selten und ohne Verhältnis zu seinem Wesen vorkommt und ihm daher gar nicht angehört. Jede Natur treibt ihre eigne Frucht und kann es nicht anders; aber ihr Kind kann ihr niemals groß erscheinen, sondern immer nur klein oder gerecht. – Ists anders, so ist ihr eine ganz fremde Frucht an den Zweig gehangen.«
»Albano! wie wahr! Aber Ihr hattet sonst nie einen halben Willen, wie ist's?« sagte Linda. »Jetzt auch nicht!« sagt' er ohne Härte. Man ist am sanftesten, wo man am stärksten ist mit dem Entschluß. Er suchte nun seine eignen Worte – das Öl und den Wind für sein Feuer – recht zu sparen und zu meiden; um so mehr, weil Worte doch gegen nichts helfen, sondern vielmehr das fremde Gefühl anstatt aus- nur anblasen; dabei wurd' er noch der häufigen Fälle eingedenk, wo er Linda mit einem einzigen Worte bei aller Unschuld zur Flamme aufgetrieben. Sie standen, und er schauete hin über das göttliche Land, als Linda, nach einem stummen Blicken in sein Angesicht, ungeachtet ihres scheinbar-ruhigen Philosophierens, auf einmal heftig seine Hand anfaßte und rief. »Nein, du darfst nicht, bei meiner Seligkeit, bei allen Heiligen – bei der heiligen Jungfrau – bei dem Allmächtigen! – du darfst, du sollst nicht!« Einen Raub gibt es, wogegen ewig der Mann unaufhaltsam entbrannt aufsteht, und beging' ihn eine Göttin aus Liebe und böte sie dafür eine Welt von Paradiesen: es ist der Raub seiner Freiheit und freien Entwickelung. Ja, daß es Liebe ist, aber despotische, zugleich Freiheit übende und raubende, das erbittert ihn nur noch mehr, und aus dem Nebel des Irrtums wird später das Gewitter der Leidenschaft. – Linda wiederholte: »Du darfst nicht.« Er sah' ihr bewegtes glänzendes Antlitz an, dessen südliche Heftigkeit doch mehr einem Enthusiasmus glich als einem Zorn, und sagte fest: »O Linda, ich werde wohl dürfen und wollen!« – »Nein, ich sage Nein!« rief sie. –
»Bruder!« fing die Schwester an. »O Schwester,« (rief er) »Sprich sanft, ich bin ein Mann und habe heftige Fehler.« Ihn zog der erhabene Krieg des Wassers mit der Erde und mit Felsen, das Durcheinanderstürmen der blitzenden Regengestirne umher wie an Flügeln in die Wirbel – die große Kaskatella warf aus hohen Bäumen ihren Wolkenbruch heraus, und aus dem Himmel ohne Donner stäubte eine schimmernde Welt – und in Osten, zeigte sich fern das Meer im dunkeln Schlaf, und die untergehende Sonne drang glänzend in den Glanz herein.
»Gewiß werd' ich sanft reden« (sagte die Prinzessin, die, viel empfindlicher und nachklingender als Linda, einige Mühe hatte, den Sprachton zu ihrem Versprechen zu stimmen) – »Es braucht nichts weiter als die Betrachtung, daß unser Streit zu früh ist; ich tue bloß die Bitte, ihn bis zum Oktober auszusetzen, und das Versprechen, daß er dann anders ausgeht.« – »O es sei!« sagte Albano. Linda nickte sanft und langsam und legte wider Erwarten seine Hand mit beiden an ihr Herz und sah ihn an, aus großen Augen weinend, denen sonst Feuer gewöhnlicher war als Wasser. Ihn zerschmolz der Anblick, daß diese kräftige Natur nur Heftigkeit ohne Hassen und Zürnen hatte, und ihn erfrischte unendlich sein voriges geheimes Niederschlagen seiner auffahrenden Flammen.
Die Schwester wurde durch beide erweicht, und eine Minute der zartesten Liebe umschlang bald die drei Menschen mit einer Umarmung. Die Hyperbeln des Zorns sind dem Menschen nie so ernst als die der Liebe, jene soll nur der andere glauben, diese glaubt er selber; alle hatte das Aussprechen ausgeheitert.
Wenn sonst eine vergangne kalte Minute den Liebenden, wie eine kalte Nacht den Bienen, noch die Blumen zuschließet, woraus sie den Honig nehmen, so war hier nach dem Sturm aus klarer blauer Luft der Himmel reiner und stiller, und die Ruhe wurde Seligkeit wie die Seligkeit Ruhe. Durch Albano war, obwohl schnell, die Furie der Furcht gegangen, die ein umgekehrtes Sternrohr hält und dadurch den Menschen einen ganz fernen ausgeleerten Himmel ohne Sterne zeigt; aber nicht so durch Linda: sie hatte immer in Liebe und Hoffnung fortgesprochen, und für ihr glühendes Herz gab es keine Stellen mit Eis. Darum war er jetzt so selig, und so beglückt vom Anschauen der kräftigen Natur! Eine hohe lange Tal-Kette, worin Wein und Öl in Blütendüften flossen, führte alle dem großen Rom entgegen. Eine Zeitlang durfte sie der Jüngling begleiten; endlich mußt' er zu einer langen Entfernung Herz und Auge von den Geliebten reißen, als über die grünen Täler her schon die mächtige Peters-Kuppel herüberglänzte und die Zypressen, stolz nur von Zypressen umgeben, das Gold des Abends auf den Zweigen trugen, ohne sie zu regen. Alle hatten das Auge am schönen Rom, aber ihr Herz war nur auf Isola bella, wo sie einander wiederzufinden versprachen.