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»Mein Feind!« rief Albano. Der zweite heiße Schmerz schlug vom Himmel in sein Leben ein, und der Wetterstrahl brannte grimmig wieder hinauf. Als ein herzloser Rumpf der vorigen Freundschaft war ihm Roquairol vor die Füße geworfen; und er fühlte den ersten Haß. Diese Giftmischung von sinnlicher und geistiger Schwelgerei, dieser Gärbottich von Sinnen-Hefe und Herzens-Schaum – dieser Vertrag von Liebes- und Mordlust und gegen dasselbe schuldlose Herz – dieser geistige Selbstmord des Gemüts, der nur ein lustiges, umherschweifendes, sich wechselnd verkörperndes Gespenst übrig ließ, auf das kein Verlaß mehr bleibt und das ein tapferer Mann schon zu hassen anfängt, weil er diesen weichen Gift-Nebel nicht packen und bekämpfen kann – das alles erschien dem Grafen, der ohne die Übergänge und Mitteltinten der Gewohnheit und Phantasie aus dem vorigen Lichte der Freundschaft in diese Abenddämmerung geführet wurde, noch schwärzer, als es war. Neben die flache Wunde, die sein Familienstolz in der gemißhandelten Schwester empfing, kam die tiefe giftige, daß Roquairol ihn mit sich und Lianens Zerstörung mit Rabettens ihrer verglich. »Bösewicht!« knirschte er; auch die kleinste Ähnlichkeit schien ihm eine Verleumdung.
Allerdings hatte Roquairol an ihm sich verrechnet und seine poetische Selbst-Verdammnis zu sehr auf Rechnung eines poetischen Richterspruchs aufgesetzt. Wie man im Geräusche unwissend lauter spricht, so wußte er, wenn die Phantasie mit ihren Katarakten um ihn brauste, nicht recht, was er rief und wie stark. Da er oft doch weniger Schwärze an sich fand, als er schilderte: so setzt' er voraus, der andere finde dann sogar noch weniger als er selber. Auch hatt' er im poetischen und sündigen Taumel sich am Ende das moralische Zifferblatt selber beweglich gemacht, daß es mit dem Zeiger ging; in dieser Verwirrung wurd' ihm nicht gezeigt, wo Unschuld war.
Hätt' er vorausgesehen, daß seine brieflichen Beichten in feindlichern Winkeln an- und abprallen würden als einstmals seine mündlichen: er hätte sie anders gerichtet.
Vor Erschütterung konnte Albano nicht sogleich den kurzen Scheidebrief – keinen Fehdebrief – an den Verlornen schreiben, sondern zögerte in der Gewißheit, daß der Hauptmann nicht selber komme – als er kam. Denn Zögern vertrug er nicht; körperliche und geistige Wunden nahm er als theatralische auf; zu sehr gewohnt, Menschen zu gewinnen, verwand ers zu leicht, Menschen zu verlieren. – Eine schreckliche Erscheinung für Albano; nur der aufgestellte lange Sarg des getöteten Lieblings! – Daß nun über dieses kräftig-knochige Gesicht, sonst die Feste ihrer Seelen, die Furchen des Unkrauts sich krümmten, daß dieser Mund, den die Freundschaft so oft auf seinen gelegt, ein Pest-Krebs, eine deckende Rose des Zungenskorpions für die trauend-annahende gute Rabette gewesen, das zu sehen und zu denken war reiner Schmerz. –
Kaum hörbar war Gruß und Dank; stumm gingen sie auf und ab, nicht neben-, sondern widereinander. Albano suchte seinen Zorn in die Gewalt zu bekommen, um nichts als die Worte zu sagen: gehe von mir und lasse mich deiner vergessen. Er wollte Lianen im Bruder schonen, der ihn das Opfermesser derselben gescholten; ungerechte Vorwürfe erhalten uns in der nächsten Zukunft besser, weil wir sie zu keinen gerechten wollen werden lassen. – »Offen bin ich, siehst du« – (fing Roquairol gemäßigt an, weil seine Wallungen halb vertropft und verschrieben waren) – »sei es auch und antworte dem Brief.« – »Ich war dein Freund – nun nicht mehr«, sagte Albano erstickt. – »Dir hab' ich doch nichts getan«, versetzte jener.
»Himmel! Laß mich nicht viel reden« – (sagte Albano) »Meine elende Schwester – Meine Unschuld an der Gräfin Kommen – Meine elende, verworfne Schwester – – O Gott! empör mich nicht – Ich achte dich nicht mehr, und da geh!« –
»So schlage dich!« sagte der Hauptmann, halb seelen-, halb wein-trunken. »Nein!« (sagte Albano, laut-einatmend wie zum Seufzer des Zorns) »dir ist nichts heilig, nicht einmal ein Leben!« Dieser Zögling des Todes warf den eignen Lebenstagen und Freuden und Planen so leicht alle fremde nach in die Gruft; das meinte Albano und dachte nur an die kranke, so leicht an fremden Wunden sterbende Liane, die Liebe war (statt der Freundschaft) wie ein milderndes Weib vor seine aufgebrachte Seele gegangen; aber der Feind verstand ihn falsch.
»Du mußt,« (spottete wild der Hauptmann) »deines soll mir teuer sein!« –
»Himmel und Hölle! ich meinte ein besseres« (sagt' er) – »Verleumder, gegen deine Schwester hab' ich nicht so gehandelt wie du gegen meine – ich habe sie nicht elend machen wollen, ich bin nicht wie du!- Und ich schlage mich nicht; ich schone sie, nicht dich.« – Aber der Höllenfluß des Zorns, den er durch Liane in flaches Land hatte leiten und seichter machen wollen, schwoll davon wie unter Zauberhand auf, weil Roquairols Lüge ihres Hinopferns dabei so nahe lag.
»Du fürchtest dich«, sagte der erbitterte Roquairol und nahm doch zwei Degen von der Wand. »Ich achte dich nicht – und schlage mich nicht«, sagte Albano, ihn und sich mehr reizend, da er doch sich bezwingen wollte.
Da trat Schoppe herein; »er fürchtet sich«, wiederholte jener gewaffnet. Albano gab errötend mit drei brennenden Worten die Geschichte. »Ein wenig müsset ihr euch vor mir schlagen!« rief der Bibliothekar voll alten Haß gegen Roquairols poetisches Blend- und Gaukel-Herz. Albano, lechzend nach kaltem Stahl, griff unwillkürlich darnach. Der Kampf begann. Albano fiel nicht an, aber immer wütender wehrt' er sich; und wie er so den zornigen Affen des vorigen Freundes mit dem Dolch in der Hand sah, der aus den blühenden Beeten der schönsten Tage ausgeackert war und in welchen er mit seinen Wunden getreten; und wie der Hauptmann mit wachsendem Sturme auf ihn fruchtlos einblitzte: so sah er auf dem grimmigen Gesicht den dunkeln Höllenschatten wieder stehen, der darauf gestanden und gespielet, als er unter sich die sträubende Rabette erwürgte; – die Aufziehbrücke der Gesichter, worauf sonst beide Seelen zusammenkamen, stand hoch, auseinandergerissen in die Luft. Glühender blickte Albano, zorntrunkner griff er den Werwolf der verschlungnen Freundschaft an – plötzlich hieb er ihm wie eine Tatze das Gewehr ab: als Schoppe, vom ungleichen Schonen und Fechten entflammt, mit Rabettens Namen die Rache rufen wollte und schrie: »Die Schwester, Albano!« –
Aber Albano verstand darunter Karls Schwester – und schleuderte das eine Schwert dem andern nach, und Feuertropfen standen in seinem Auge und verzogen unförmlich das feindliche Gesicht vor ihm. »Albano!« sagte zorn-erschöpft Roquairol, auf den weinenden Regenbogen des Friedens bauend; »Albano?« fragt' er und gab ihm die Hand. »Lebe froh, aber geh, noch bin ich unschuldig, geh!« versetzte Albano, der hart das Gewitter des ersten Zorns über sich fühlte, das, zwischen seine Gebürge eingesenkt, fortschlug. »Ins Teufels Namen geht! Am Ende werd' ich auch angesteckt«, fuhr Schoppe dazwischen. »In solchem Namen geht man gern!« sagte der Hauptmann, dem in Schoppens Gegenwart immer die Zungenmuskeln erfroren, und ging schweigend; aber Albano sah ihn längst nicht mehr an, weil er keine fremde Erniedrigung vertrug, sondern, wie jede starke Seele, mit der gebückten Menschheit zugleich sich selber niedergebogen empfand, so wie große Thronen keine Knechts-Abzeichen in ihrer Nähe dulden.z. B. der deutsche kaiserliche Hof keine Bedienten-Livreen.
Schoppe fing nun an, ihn an seine frühesten Weissagungen über Roquairol zu erinnern und sich das große Propheten-Quartett zu nennen – dessen unheilbare Mund- und Herzensfäule zu rügen – dessen theatralische Festigkeit mit dem römischen Marmor und Porphyr zu vergleichen, der außen eine Stein-Rinde habe, innen aber nur HolzIn Rom scheinen Gebäude aus beiden zu bestehen, haben aber nur den Anwurf davon. – anzumerken, dessen innere Besitzung heiße, wie die des deutschen Ordens, nur eine Zunge – und überhaupt so heftig gegen alle Selbst-Zersetzung durch Phantasie, gegen alle poetische Weltverachtung sich zu erklären, daß ein anderer als Albano wohl eben den Eifer für einen Schutz gegen das leise Gefühl einer Ähnlichkeit nehmen konnte. – –
Schoppe hoffte sehr, Albano hör' ihm glaubend zu und werde zürnen, lachen und antworten; aber er wurde ernster und stiller; – er sah den rechtschaffenen Bibliothekar an – und fiel ihm heftig und stumm an den Hals – und trocknete schnell das schwere Auge. O, es ist ein finsterer Trauertag, der Begräbnistag der Freundschaft, wo das ausgesetzte, verwaisete Herz allein heimgeht, und es sieht die Todeseule vom Totenbette derselben schreiend über die ganze Schöpfung fliegen.
Albano hatte anfangs noch heute nach Blumenbühl gehen und seine verlassene Schwester auf das Trauer-Gerüste der Wahrheit führen wollen; aber jetzt war sein Herz nicht stark genug dazu, seine eignen Worte an die Schwester zu ertragen oder ihre Tränen ohne Maß und ohne Tröster.