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Die vorzeitige Dämmerung eines Novemberabendes lag über den Abhängen und Niederungen der Gebirgsgegend am Fusse des steilen Čerchov und der schlank gestreckten Haltrava. Schwarze und dichte Wolken jagten knapp über ihre Wipfel und über die Wipfel der anderen Berge des Böhmerwaldes, der sich wie ein Riesenwall über die schweigende Gegend erhob, um im Gewölke und in der Finsternis zu zerfliessen.
Es brach eine unfreundliche Witterung ein.
Der Wind beherrschte alles: Wolken und Erde, auf der alles vor ihm zitterte: der hundertjährige Urwald der Bergabhänge, wie der einsame Baum im weiten Felde. Alte und junge Birken, die reichlich auf dem Hrádek-Berge oberhalb des Dorfes Aujezdl wachsen, rauschten, ächzten und bebten in ihrer Blösse, denn der Sturmwind entriss ihnen in Büscheln das letzte, goldene Laub und jagte es im wilden Wirbel durch die schwarze Luft. Auf dem benachbarten Berge Hurka brauste jedoch trotzig der Eichenwald und schüttelte die buschigen Baumkronen im Kampfe mit dem Sturmwinde, der, wild herausstürzend, bis zum schweigenden Dorfe herunterflog, zum Dorfe, das sich wie ein kleines Nest an den kegelförmigen Hrádek anschmiegte.
Die Bäume bei den Gebäuden und in den Anlagen wankten hin und her und rauschten heftig. Am geräuschvollsten jedoch die bejahrte Linde, welche auf dem geräumigen Hofplatze »Bei den Kozinischen« Das z im Namen Kozina wird wie eins im Worte Rose ausgesprochen. Anmerkung des Übersetzers. stattlich emporwuchs. Der alte Brunnenschwengel und die Eimerstange unter der Linde knarrten und rumpelten; doch diese widrigen Laute wurden durch das Getöse des Sturmwindes in der breiten Krone des alten Baumes übertönt.
Im Bauerngut wurde noch geleuchtet. Im matten, durch das niedrige Fenster auf den Hof fallenden Scheine erschimmerte plötzlich unter der Linde ein heftiger Wirbel gelben Laubes, das der Sturmwind im wilden Umdrehen blitzschnell hob und in die finstere Höhe trieb. Und in diesem Augenblicke, als der Sturm, einem Rasenden gleich, am wildesten pfiff und heulte, stellte sich jemand in der Stube knapp ans Fenster. Nur einen Moment sah man diese Silhouette – jetzt öffnete sich ein wenig das Fenster. Entblösste Frauenhände schoben in das Dunkel eine mittelgrosse Schüssel und im selben Augenblicke flog schon aus der Schüssel weisser Staub in die Nacht. Die Wolke, welche gleich gefallenem Schnee plötzlich emporstieg, zerfloss jählings im Winde, dem sie geopfert war. Die jammernde Windsbraut, nachdem sie das ihr zur Beschwichtigung hingereichte Mehl aus der Schüssel im Nu heisshungrig verschlungen hatte, stöhnte noch einmal auf und jagte durch die Finsternis weiter.
Das Fenster schloss sich, der Schatten in ihm verschwand.
Es herrschte eine unfreundliche Witterung.
Im Bauerngute jedoch war es in der genügend geräumigen, hölzernen Stube angenehm und heimlich. Im Kamine loderte das Feuer und die Pechscheite prasselten. Der im schwarzen Leuchter angesteckte Kien brannte lichterloh und sein Schein fiel hell auf die Priesterin, die, nachdem sie der Windsbraut geopfert, vom Fenster trat und die leere Schüssel auf das unangestrichene Gestellbrett stellte.
Es war die Bäuerin selbst, die Hausmutter des Bauerngutes: ein junges Weib, schön gebaut, von hübschem Antlitze, in dem die klaren grauen Augen und die sanft gezogene gerade Nase am schönsten waren. Das Haar hatte sie in ein buntes Tuch gebunden, am Leibe trug sie einen Rock, Hemd und Bauschärmel.
Nachdem sie die Schüssel auf den Schrank gestellt hatte, setzte sie sich in der Nähe des bemalten Himmelbettes auf einen Stuhl, nahm das Schaukelseil in die Hand und begann die Hängewiege Hauswiege = hejèedlo, eine viereckige Leinwandplache, in welcher Kinder gewiegt werden. An jeder Ecke ist ein starkes Zwirnband angenäht. Je zwei dieser Zwirnbänder einer und derselben Seite werden durch einen am Balken in der Decke eingeschlagenen Eisenring gezogen und zugebunden. An einem von ihnen wird ein langes Seil, »Kucel«, das aus drei Flachssträhnen zusammengeflochten wurde, angebunden, und damit wird die Hängewiege in Bewegung gesetzt. in mässige, schaukelnde Bewegung zu setzen, indem sie mit gedämpfter Stimme singend anstimmte:
»Ich sing dir, Kind,
schön's Wiegenlied;
willst schlummern sanft mein Herzelein,
Ruh' geben deinem Mütterlein.«
Draussen brauste das Gewitter. Das Rauschen der Bäume und das Heulen des Windes floss in ein Geräusch zusammen, das die Fenster erzittern machte. Die junge Mutter sang aber ihr Wiegenlied weiter. Aber noch andere Töne als ihren Gesang vernahm man in der Stube. Sie kamen aus der schattigen Ecke des Himmelbettes; von hier aus ertönte ein lautes Gelispel, Flüstern, heimliches Gekicher, das lange gedämpft, jetzt ausbrach und munter und hell wie ein Silberglöcklein klang. Sofort dämpfte und sänftigte es aber eine andere rauhere Stimme, indem gleichzeitig auch schon die Hausfrau von der Hängewiege beide anrief– keinesfalls jedoch scharf und strenge, – sie mögen doch stille sein, da Hanálka im Einschlafen sei.
Sodann fuhr sie, indem sie die Hängewiege schaukelte, im Gesange fort:
»Gibst Ruh' du nicht
dein' Mütterlein,
wir werfen dich in 'nen Weiher 'nein,
vom Weiher in die Donau dann,
komm', pack dir ihn, du Wassermann!«
Die kleine Hanálka murmelte und guckte in der Hängewiege zufrieden um sich, je länger desto stiller jedoch, bis sie verstummte. Noch einige Schwingungen, dann liess die Mutter das Schaukelseil los und wandte sich dem Bette zu, wo sich im selben Augenblicke unter dem reinen Betthimmel der Bauer, ihr Mann, der sich bisher mit seinem ältesten Kindlein herum gebalgt und es schäkernd geneckt hatte, emporrichtete.
Der Bauer, ein Mann von wenig über die Dreissig, stattlich gross und wolgewachsen, strich seine langen kastanienbraunen Haare hinter die Ohren und sah lächelnd seinem Weibe entgegen. Das dreijährige Knäblein im Hemdchen, mit runden Wangen und funkelnden schwarzen Augen, stützte sich am Rücken des Vaters und rief der Mutter zu, sie möge sich zu ihnen setzen.
»Ei, ihr ungezügeltes Volk ihr!« rief die Bäuerin mit fingierter Strenge. – »Ruhig! Paul, du solltest schon längst schlafen – Flink ins Nestchen! Hanálka schläft auch schon.«
»Na, die schläft mir fein!« liess sich lachend der Hausherr hören und wies auf die Hängewiege. Aus dieser guckte über den Rand das allerliebste Köpfchen eines kleinen etwa zweijährigen Mädchens, dessen gelbe Locken vom rötlichen Scheine des flackernden Kienes wie glänzendes Gold durchleuchtet wurden.
Der junge Sladký oder Kozina, wie man ihn nach dem Bauerngrunde nannte, stand auf und ging zur Hängewiege. Er war in lichte Lederkniehosen, Strümpfe und schwere Schuhe gekleidet, ohne Weste, ohne Rock, nur so im vorne mässig geöffneten Hemde mit breiten Ärmeln. Als er mit den Händen nach seinem Töchterchen griff, als er es dann scherzend hoch vor sich in die Höhe hebend zum Bette trug, wurde seine schlanke, stattliche Gestalt erst recht sichtbar. Am Bette traf nun die ganze Familie zusammen; fröhliche am Vater herumkriechende Kinder, und Eltern, fröhlich, weil sich ihre Kinder freuten.
Es erklang hier die süsse Harmonie des Familienglückes. Das Brausen des Herbststurmes störte sie nicht.
Sie hatten aber auch nicht nur so ohne weiters, nicht ohne Kampf dieses Glück erlangt. Die alte Kozina wehrte genug ihrem Sohne, der bereits selbständiger Bauer war, als er ihr vor vier Jahren bekannt gab, welche Brautwahl er getroffen. Es sagte ihr nicht zu, dass auf dem Grundbesitz des Kozina ein zwar stattliches und hübsches, aber armes Mädchen walte, auf einer Wirtschaft, die, obzwar ihre jetzigen Besitzer nicht mehr wie in älteren Zeiten Erbrichter waren, dennoch eine der ersten war. Der alte Ruhm blieb dem Wirtschaftsgute, denn jedes Kind wusste, dass die neue Obrigkeit dem Grossvater Kozina die Erbrichterwürde entzog, weil er nicht nach ihren Weisen tanzen und gegen seine Leute sein wollte. –
Endlich gab aber die Alte dem Sohne doch nach.
»Auf der Eiche wachsen nur Eicheln,« sagte sie. »Er ist ja ein Kozina, ein Dickschädel, hart wie die Eiche. Nur möge ihm dann mit der Hanna die Welt nicht eng' sein –«
Damals lachte der lustige Dudelsackpfeifer Řehůřek, den man Jiskra nannte, und sagte:
»Fürwahr, das wird nicht geschehen! Sie werden mit einander wie im Paradiese leben –«
Wie sollte er auch nicht loben und nicht alles Beste prophezeien, war er doch des jungen Bauers Vertrauter, er allein kannte sein Geheimnis und pflegte sein Bote und Ratgeber zu sein. Was er aber sagte, ging auch in Erfüllung.
Der junge Kozina lebte mit seiner Hanči wirklich wie im Paradiese, und zwar nicht nur ein halbes oder ein ganzes Jahr, wie dies zu sein pflegt, sondern schon das fünfte Jahr. Die Häuslichkeit freute ihn noch immer, ja, je länger, desto mehr. Zu Hause beim Weibe und jetzt gar noch mehr bei den Kindern zu sitzen, mit ihnen zu schäkern und zu herzen, ging ihm über Alles. Es wurde ihm sogar übel genommen, dass er fast nie auf die Strasse unter die Männer oder auf einen Schluck Bier herauskam, um, wie es üblich, sich auszusprechen und zu plaudern.
Am ehesten liess er sich noch mit dem Dudelsackpfeifer Jiskra-Řehůřek in ein Gespräch ein, irgendwo im Felde, am Waldesrain, oder von Zeit zu Zeit Sonntags Nachmittag im Garten des Bauerngutes.
Der junge Sladký hatte sich verändert. Früher schwärmte er gerne die Nächte hindurch, und zwar mit dem Gewehre oder mit Netz und Schlingen im Walde, fing gerne Wölfe in Gruben und spielte, wo er nur konnte, der verhassten Obrigkeit einen bösen Streich. Seit er aber verheiratet war, wurde er zahm wie ein Lämmchen.
Wenn die Herren um einen Wagen sagen liessen, damit er Holz führe oder andere Robot leiste, gehorchte er schweigend und schickte den Knecht. Früher verfluchte er, wie jeder im Chodenland, die ungewohnte Leibeigenschaft, und, wie er nur konnte, widersetzte und entzog er sich derselben.
Die alte Kozina pflegte ihn in solchen Augenblicken finster und strenge mit zugepressten Lippen anzuschauen, und dachte im Geiste oder klagte dem alten Bruder Hrubý aus Trasinau, wenn er zu ihr kam:
»Dieser Bursche! Das ist kein Kozina mehr! Der ist dem Vater nicht nachgeraten. Das Weib hat ihm all' sein Herz genommen.« »Das Weib und die Kinder« sollte man ergänzen. So schien es auch in diesem Augenblicke, als er – ohne das Herbstgewitter zu beachten – mit seiner Familie auf einem Bette lag und herzlich über seine schäkernden Kinder lachte, die auf ihm wie junge Katzen herumkrochen.
Plötzlich richtete er sich auf und horchte. Im selben Momente rüttelte sich auch der alte Wolf unter dem Tische aus dem Schlummer auf und bellte, aus der Stube stürzend, laut auf.
»Der Spinnabend begann ja kaum,« meinte die Bäuerin, indem sie die kleine Hanálka auf den Schoss nahm. Sie glaubte nämlich, es sei jemand aus dem Gesinde vom Spinnabende, an welchem man sich soeben beim Nachbarn versammelt hatte, zurückgekehrt.
»Das ist jemand fremder,« antwortete der Wirtschaftsbesitzer und ging hinaus, um die Haustür, an die jemand gepocht, zu öffnen.
Der Riegel klappte und draussen hörte man eine fremde Männerstimme, die da sang:
»Im Aujezdl-Busch
da singt a' hübsches Vöglein –«
Da sprach der Hausherr etwas, so dass man die weiteren Worte des Sängers nicht mehr vernahm. Dieser liess sich aber nicht beirren und sang weiter:
»'s tut so schön singen,
dass man's hört just klingen,
dass man's hört just klingen,
bis zu unserm Flur.«
So singend trat er in die Stube ein, wo er an der Schwelle stehen blieb, und grüsste. Das lustige Geschrei des kleinen Paul bewillkommte ihn und die Bäuerin lud ihn ein:
»Tritt ein, Jiskra! Jetzt erst aus der Stadt? Das ist hübsch zeitlich. Da wird dich Dorla schön begrüssen.«
»Ob schön, ob schlecht – mir ist's einerlei. Wie man in den Wald hineinruft, so hallt es zurück.«
Der Dudelsackpfeifer rückte mit seinem Instrumente auf der Schulter und lächelte schelmisch.
»Na, dass du doch so lustig bist, lauter Gesang!« meinte der Wirtschaftsbesitzer.
»Wie sollte ich es nicht sein, singt doch dort draussen der Sturmwind so schön, dass es widerschallt. Ein Wetter, dass Gott erbarm! Das war ein Weg! Der Wind blähte mir den Dudelsack, dass er selbst spielte und ich tanzte im Finstern bei so viel Musik; aus nassem Brachacker ging es über Gestein in weichen Feldboden, von Kot zu Kot, dass es nur schmatzte –«
Řehůřek-Jiskra legte den Dudelsack auf die Bank und setzte sich daneben. Die Widdermütze mit dem roten Oberteile nahm er nicht ab. Das runde, glatte Gesicht mit dem Grübchen im Kinn lächelte noch immer. Es waren eigentlich nur seine lustigen, schelmischen Augen, mit denen er blinzelte, wenn er etwas Schalkhaftes im Sinne hatte oder zum besten gab. Er war ein Altersgenosse des Wirtschaftsbesitzers, es sei denn, dass er um zwei, drei Jahre älter war.
Mittlerweile brachte die Bäuerin bereits Salz und einen Laib Brot, das im weissen Tuche eingewickelt war, und mit dem üblichen »Greif zu!« lud sie den Gast, sich nach Belieben zu nehmen.
»Was gibt's Neues in der Stadt?« fragte der Wirtschaftsbesitzer.
»Nicht viel. Zwei Nachbarn erzählten dort in der Schenke, und ich glaube, dass sie vom Stadtgerichte waren, dass sich die Herren über uns erkundigten. Übrigens war der Trasinauer Onkel auch dort und hörte alles –«
»Nach wem sollen sie sich erkundigt haben?« fragte rasch der Grundherr.
»Nach den Chodenrechten. Auf dem Stadtamte. Sie wollen die geschriebenen Rechte, weisst du, die auf unserem Schlosse waren.«
»Es war dieser Verwalter Koš aus Kauth und jener aus Chodenschloss Chodenschloss = Trhanov. Anmerkung des Übersetzers. dorten. Nun, die Nachbarn lachten über den ›gute‹ Fang – und die saueren Gesichter der leer Ausgegangenen. Ich weiss nicht, was da alles vorging, aber dieser Koš war, wie man sagt, fuchswild, und sagte, der Herr vom Chodenschloss werde schon den Choden zeigen –«
Der Dudelsackpfeifer verstummte, doch als ob er sich plötzlich erinnere, fügte er bei:
»Recht hat der Nachbar dort in der Schenke gehabt, wie kostbar auf einmal die Chodenrechte geworden sind. Der verstorbene Lomikar Lamminger. und auch sein Sohn lachten die Choden nach Noten aus, als diese von ›Parkamenten‹ sprachen –«
Der Hausherr und sein Weib, das auf dem Arme die kleine Hanálka hielt, horchten aufmerksam zu und merkten gar nicht, wie der kleine Paul im Hemde vom Bette herunterrutschte und sich zum Dudelsack stellte, vor allem den schönen Ziegenbock am Dudelsack bewundernd. Zuerst sah er ihn nur an, sodann fasste er Mut und betastete das Haar, dann die Augen und das glitzernde Flitterzeug, das Jiskra als Stirnschmuck zwischen den Hörnern befestigt hatte. Und da bemerkte auch die Mutter das Knäblein. Der Vater blickte aber zu Boden und hob die Augen erst empor, als der Dudelsackpfeifer verstummte.
»Vielleicht vorgestern –«
»Dass nur nicht wieder etwas hereinbricht, ein Unheil –« seufzte sorgenvoll die junge Wirtin auf.
»Ich würde glauben –« begann der Dudelsackpfeifer, doch beendete er den Satz nicht, denn im selben Augenblick sprang der alte Wolf heftig vom Boden auf und fing zu bellen an. Der Bauer stand auf, ging zum Fenster und blickte in die Finsternis. Als er jedoch niemanden erblickte, eilte er hinaus in den Vorflur.
Jiskra nahm den kleinen Paul auf seine Kniee und wollte ihm eben die Mundpfeife des Dudelsackes an die Lippen führen, als die junge Hausfrau die Schulter des Dudelsackpfeifers berührte.
»Höre, Jiskra,« sagte sie, »sahst du, wie mein Mann in Gedanken versunken war, als du sprachst? Und so ist er jetzt öfter um nichts und wieder nichts! Er ist lustig, unterhält sich, lacht, alles das, und auf einmal kommt es über ihn. Da fällt es mir nun öfters ein, dass ihm etwas im Kopfe vorgeht, oder dass ihm etwas wie ein Stein am Herzen liegt. Auch kam mir schon der Gedanke, dass er mich vielleicht schon aus dem Herzen schloss, ja, dass er vielleicht bedauert –«
»Sei nicht närrisch!« fiel ihr der Dudelsackpfeifer in das Wort. »Bedauert? Nichts bedauert er. Er bedauert noch nicht und wird nicht bedauern, das weiss ich. Drum sei nicht traurig –«
»Das Glück war mir günstig und du weisst ja, was wir im Herzen tragen, um das fürchten wir – Und was wäre dies also? –«
»Die Gedanken schwärmen sonderbar im Kopfe – Auch das wird vergehen –«
»Das walte Gott und erhöre mich –« seufzte die Bäuerin auf, erfreut durch die Worte des Vertrauten ihres Mannes. Sie lachte auch auf, als der kleine Paul mit Jiskras Hilfe einige quickende, weinerliche Töne herausbrachte.
Unterdessen sah der junge Kozina, der aus der Stube in den Vorflur hinausgegangen war, im Hofe um sich her, um zu erspähen, wer da gekommen wäre. Dass jemand hier war, war sicher, sonst hätte der wachsame Wolf früher nicht gebellt. Es war finster und der Wind heulte noch immer so, dass man nicht einmal gut hörte. Aber doch! – Jemand hatte an das Fenster geklopft. Es war dort drüben, auf jener Seite, wo die Ausgedinger-Chaluppe stand. Dort wohnte die Mutter des jungen Bauers. Sie schlief schon, denn die Fenster waren nicht erleuchtet. Plötzlich zuckte dort ein Schimmer auf, es wurde dort hell und im rötlichen Schein, der durch die Fensterscheiben schlug, konnte man zwei Männergestalten sehen, die hart an der Türe stehen geblieben waren. Sie warteten dort unbeweglich und geduldig, um sodann in der Türe zu verschwinden.
Der Hausherr schien einen Augenblick zu überlegen oder zu warten. In der Stube liessen sich die Töne des ächzenden Dudelsackes vernehmen; der junge Bauer hörte sie nicht mehr. Er zielte hinüber über den Hof zur Wohnung seiner Mutter. Er griff nach der Tür. Sie war verschlossen. Er bückte sich, trat an das Fenster und blickte in die Stube. Er sah dort die Mutter im Pelze und ihre zwei Gäste. Einer von ihnen holte unter dem Mantel ein Kistchen hervor. Der zweite öffnete es und nahm etwas Schimmerndes, wie Silber Glänzendes heraus und zeigte es der alten Sladký.
Im selben Momente sprang jedoch der junge Bauer vom Fenster, denn es ertönte die Stimme seines Weibes, die sich wunderte, warum ihr Mann bei so unfreundlichem Wetter so lange draussen verweilte.
»Es ist niemand hier, Wolf rumorte umsonst,« sprach er, als er von dem Vorflur zurückkehrte.
»Und warum warst du bei der Mutter?«
»Um zu sehen, was sie macht. Sie leuchtet noch, das wunderte mich. Sie sitzt auf der Bank und betet –«
»Komm', komm' in die Stube, es ist kalt bis ins Mark und Jiskra will auch schon aufbrechen. Paulchen will von ihm den Dudelsack –«
Die Eheleute traten in die Stube.
Jiskra beschäftigte sich hier schon wieder mit der Hanálka. Er trug sie, schaukelte sie, und wie er sang, heftete das Mädchen auf ihn die Augen, bis die Augenlider langsam sich schlossen und es in Schlummer verfiel. Der Dudelsackpfeifer legte es vorsichtig in die Hängewiege.
»Du wärst ein braver Vater,« scherzte die Bäuerin.
»Ich wär's. Schade, dass der Storch zu uns den Weg nicht finden kann –« und lächelnd fügte er bei: »Wenigstens würde Dorla mit mir nicht so viel zanken.«
Nachdem er noch bemerkt hatte, dass er den Spinnern noch etwas zum Kunkelabend vorspielen müsse, damit er dem Weibe etwas auf Werg verdiene, nahm er den Dudelsack, von dem der kleine Paul so ungern sich trennte, wünschte ihnen gute Nacht und ging. Der Grundbauer ging ihm nach, um zuzusperren. Er ging jedoch bis vor die Tür, in den Vorflur, und fragte leise den Dudelsackpfeifer, ob der Onkel aus Trasinau gleichzeitig mit ihm aus der Stadt gegangen sei.
»Nein, er blieb in der Schenke. Er setzte sich zu den Nachbarn und besprach etwas leise mit ihnen. Ich verstand aber kein Wort. Und du, dir sage ich auch etwas. Hančí sagte mir vorher, es sei ihr um dich bange. Das Närrchen glaubt, du liebest sie nicht mehr, du seist sehr oft in Gedanken versunken, sprächest nicht, als hättest du eine Last am Herzen. – Wenn ich so ein braves Weib hätte, ich würde fort nur lachen und die ganze Welt wäre mir Wurst. Also merk' es dir. Wozu dies? Das Weib kann nicht dafür: Was der Wolf frass, darüber wächst kein Gras –«
Er sagte gute Nacht und in einer Weile verschwand er in der Finsternis. Der junge Bauer kehrte nicht gleich nach Hause zurück, sondern blieb im Vorflur stehen und blickte starr über den Hof zum Häuschen seiner Mutter hin. Das Fenster war noch immer matt beleuchtet. Die späten Gäste waren noch dort. Er wollte abermals ans Fenster treten, doch plötzlich entschloss er sich und betrat wieder das Vorhaus. Aus der Stube tönte die angenehme Stimme seines Weibes, das ein Wiegenlied zu Ende sang:
»– – Ruh' geben deinem Mütterlein –«
Jetzt erst erinnerte er sich lebhafter der Worte des Dudelsackpfeifers, die er früher, in andere Gedanken versunken, nur halb gehört hatte. Die Stimme des Weibes, an die er sich schon gewöhnt hatte, kam ihm in diesem Momente so vor, als hörte er sie wie damals, als er ihrem Gesange, da er noch ledig war, manchmal heimlich im Garten lauschte. Sie klang immer noch so frisch und lieb, und als er sein Weib jetzt erblickte, wie es sich über das eingeschlafene Mädchen beugte, verschwand die Gedankenwolke, er musste sein Antlitz erheitern und sein Weib anlächeln –
Diesen Abend ging die junge Hausfrau erfreut und zufrieden zu Bette. Die glimmende Kohle des ausgebrannten Kienes glühte noch eine Weile rot in der dunklen Stube, dann verlöschte sie und Finsternis umfasste alles ringsum. Alle schliefen, nur der Grundherr, der neben dem kleinen Paul lag, konnte kein Auge schliessen. Die alten Gedanken kehrten ihm wieder zurück. Er hörte den Atem seines in einen gesunden und tiefen Schlaf versunkenen Söhnleins, er hörte den ruhigen Atem des Weibes und der Hanálka, doch achtete er darauf nicht. Früher, als er diesem Atem lauschte, schlief er selbst ruhig ein – jetzt hörte er auf ihn nicht. Und doch strengte er sein Gehör an, denn er erwartete seine Mutter, ob sie kommen, anklopfen, ihn anrufen würde. Aber nichts wurde laut. Nach einer Weile stand er auf und trat ans Fenster.
Im gegenüberliegenden Gebäude bei der Mutter war immer noch Licht.