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Die erste Nacht war im öden Walde und bei den Wachen in gespannter Aufmerksamkeit verflossen. Das Militär rührte sich jedoch nicht und auch am zweiten Tage blieb es in der Stellung, die es gestern und in der Nacht inne hatte. Die Chodenwachen waren desto eifriger und aufmerksamer. Die Flüchtlinge fühlten sich im Walde leichter. Der grösste Schrecken wurde gestern in der Früh überwunden; die von allen gehegten Befürchtungen trafen auch nicht ein. Aujezdl stand noch immer. Lebensmittel hatte man auch noch genug, denn die mitgebrachten Vorräte hätten im Notfalle für einige Tage hingereicht. Es bewährte sich übrigens in dieser schweren Zeit auch die Nächstenliebe. Die Flüchtlinge unterstützten einander gegenseitig, und die Choden jenseits des Waldes in Hochwartl, Tilmitschau und Meigelshof vergassen ihrer auch nicht und trugen ihnen verschiedene Sachen zu, die ihnen nun sehr gelegen kamen und ihnen notwendig waren.
Die Männer nahm es am meisten wunder, dass sie das Militär in Ruhe lasse. Vielleicht will man sie durch Nahrungsmangel und Hunger zum Auseinandergehen und die Aujezdler zur reumütigen Abbitte und Heimkehr zwingen? Dies wäre aber nicht so leicht, und so mancher Chode lachte bei diesem Gedanken, da es doch ziemlich lange dauern würde, bevor das ganze, im Walde verfügbare Vieh verzehrt wäre.
Přibek ermahnte nur vorsichtig und eifrig auf der Hut zu sein, denn er fürchtete einen Überfall. Sein Antlitz wurde wieder finsterer. Es kam ihm der Gedanke, dass es ziemlich schwer fallen wird, alle zum Ausharren zu bewegen, da viele, namentlich die entfernteren, an ihr Heim denken werden. Als aber nachmittags aus dem militärischen Lager abermals der Offizier mit der Aufforderung, sie mögen sich ergeben, kam und diese Zumutung von allen älteren Choden einmütig abgelehnt wurde, heiterte sich sein Antlitz wieder auf.
Es verstrich die zweite Nacht und der dritte Tag war bereits herangebrochen, seitdem sie sich im Walde aufhielten und bewaffnet dem Militär gegenüberstanden. Nachmittag waren in Hammern am Wirtschaftshofe unweit ihrer aufgepflanzten Fahne unter dem alten Birnbäume alle Erbrichter und Schöppen der Chodendörfer versammelt. Die einzigen, die fehlten, waren jene, die man in Prag beim Appellationsgerichte wähnte, ohne zu ahnen, wohin man den Landsleuten vom Gerichte verholfen hat. In allen Gebäuden und um diese herum ging es überaus lebhaft zu; überall sah man bewaffnete Choden. Über dem Walde stieg ein Gewitter, das mit schwarzen Wolken das ganze Firmament überzog, auf. Die Dorfschulzen und Erbrichter achteten auf das geräuschvolle Rauschen des alten Birnbaumes eben so wenig, wie auf das heftige Flattern ihrer wehenden weissen Fahne; man sprach über das Militär. Matthias Přibek, der auf einen Baumstamm gestützt war, fuhr zusammen, als Konopík von Hochwartl, auf Aujezdl hinweisend, bemerkte, jene dort rührten sich deswegen nicht, weil sie auf Verstärkung warten. Es war dies auch Přibeks Überzeugung.
»Nun und fürchtest du dich dann?« fuhr er Konopík heftig an.
»Nun, ich fürchte mich nicht, wenn es ihrer aber so viel, wie Ameisen gäbe –«
»Ei, ei, nun dann muss man Fersengeld zahlen, nicht war?« und Přibek lachte rauh auf. Konopík wurde rot, ehe er aber antworten konnte, entstand draussen ein Lärm. Es wimmelte dort alles nur so; die im Grase ruhenden Choden sprangen auf, wer in den Häusern war, lief heraus und alles scharte sich um einen Angekommenen. Ein Fremdling war es nicht, denn man sah unter den Chodenscherken kein anderes Gewand. Die Dorfschulzen beim Brunnen kehrten sich dem Hoftürl zu, manche gingen zur Umfassungsmauer, um nachzusehen. – Da ertönte fast aus allen Kehlen ein gleichzeitiger Aufschrei. – Brychta! Brychta von Possigkau! Er stürzte von vielen Landsleuten begleitet in den Wirtschaftshof.
»Ei, ei, ihr seid also im Kriege!« rief er die Čakane schwenkend. »Nun denn, wir werden uns schlagen –« und er reichte den nächsten die Hände.
»Wo sind die übrigen?« rief man ihm zu.
»Sie kommen auch.«
»Dort sind sie. Pajdar! Und Syka!«
»Der Prokurator!«
»Aus Prag!«
Es dauerte eine Weile, ehe sich die Bewegung und Aufregung gelegt hatte. Wer hätte das geahnt! Jeder wähnte sie in Prag und sie fallen hier förmlich vom Himmel herab. Da gab es auf einmal Fragen!
»Wie seid ihr zu uns gekommen? Habt ihr gehört, was bei uns los ist?«
»Wo habet ihr das erfahren?«
Die Boten, oder vielmehr Syka allein erzählte, dass sie auf Umwegen durch die Wälder gekommen und von dem Aufstande in Prag gehört hatten.
»Und wo ist der Burggraf von Kauth?« fügte er hinzu.
Viele lachten auf und erzählten, er sei hinter dem Holzschlage im Walde bei einem Baume angebunden und bis auf die Angst, die er hat, gehe es ihm ganz gut.
»Und ihr habt ihn nicht erschlagen?« fragte Syka verwundert.
»Und andere habt ihr auch nicht getötet?« fügte Pajdar aus Putzeried bei.
Jetzt wunderten sich wieder alle anderen, dass man solche Gerüchte über sie verbreitet habe. Syka atmete erleichtert auf, als er vernahm, dass das Gerücht falsch war.
»Und wo sind die übrigen, Kozina, Hrubý? – –« fragten die Choden.
Es donnerte in der Ferne. Hätte aber ein Blitz in den Wirtschaftshof eingeschlagen, er hätte die Choden kaum mehr erschreckt, als die kurze von Syka ihnen mitgeteilte Nachricht darüber, was ihnen und den Genossen beim Appellationsgerichte zugestossen war. Einige waren so bestürzt, dass sie keines Wortes fähig waren: man fühlte, dass die letzte Hoffnung geschwunden sei. Andere schrien auf, als wären sie verwundet worden. Tief in der Seele fühlte man sich durch das an ihnen und den Boten verübte Unrecht beleidigt, und man vernahm so manche anspornende Stimme, man möge nicht abwarten und gegen die Herren aufbrechen, um das Unrecht zu rächen. Matthias Přibek heftete seine finsteren Blicke auf Syka, als würde er abwarten, was er sprechen werde.
»Leutchen, nur Vernunft behalten, damit es nicht ärger wird, als es schon ist!« rief der »Prokurator« Syka.
»Und was denkst du?« frugen einige Dorfschöppen, die die Nachricht von den Privilegien, vom Gerichte und Gefängnisse erschreckt hat.
»Was ich denke! Denket auch nach!« rief Syka. »Die Majestätsbriefe haben sie vernichtet und uns gesagt, alles sei vergebens; unsere Leute wurden in den Arrest gesetzt und hier vor uns steht das Militär, gut bewaffnet, und wir haben schlechte Waffen, sind allein und ohne Hilfe. Glaubet nicht, ich fürchte mich, aber ich würde gerne retten, was noch zu retten ist, damit es nicht noch ärger wird. Es wird Blut fliessen, heute erwehren wir uns, aber wie –«
»Wirst du schweigen, du Dieb von einem Prokurator! Du Judas, du!« donnerte ihn Matthias Přibek an. Seine Riesengestalt stand im Nu vor dem haarigen, untersetzten »Prokurator«. Im zustimmenden Geschrei, das die leidenschaftlichen Worte Přibeks hervorgerufen hatten, vernahm man am deutlichsten die Stimme des Brychta aus Possigkau. Syka blieb jedoch auch nicht ohne und zwar ohne eine ausgiebige Unterstützung. Gerade die ältesten und geachtetsten Bauern aus Klenč, Meigelshof, Possigkau, Hochwartl, Kýčov, Tilmitschau und Medaken waren auf seiner Seite und dämpften sowohl in Güte als auch in strengem Tone das Geschrei der Kampflustigen, die meistens aus den Bewohnern von Aujezdl, Trasinau und dann aus jenen von Melhuten und Putzeried bestanden.
»Lasst ihn!« rief Syka. »Wessen Werk ist denn alles dies, als dein eigenes, Matthias?«
»Willst du, dass man dir den Bauerngrund anzündet, uns, unsere Weiber und Kinder hinmordet?« rief Buršík von Klenč.
»Sollen sie brennen und morden!« schrie Přibek, dessen Augen Feuer sprühten. »Vorerst werde ich mich aber wehren. Und werde ich totgeschlagen, so ist es besser, als wie ein Vieh Sklavendienste verrichten zu müssen. Der Kuckuck soll euch, alte Weiber, holen! Ihr wollt Choden sein?«
Ein Lärm und ein Chaos entstand zu Hammern. Die untereinander uneinigen Choden stritten, ob man sich ergeben und um Gnade bitten, oder ob man den Kampf aufnehmen solle. Die Kampflustigen waren schwächer. Ihr Haupt war Přibek, an seiner Seite bestürmten am meisten der wilde Brychta aus Possigkau und der jugendliche Šerlovský die sanfteren Gegner mit heftigen Reden. Alle waren von der Leidenschaft so geblendet und das Geschrei so tobend, dass man nicht einmal die Rufe der vordersten Wachposten, die auf die Aujezdler Anhöhe hinwiesen, wahrnahm. Doch das stürmische Geschrei zu Hammern verstummte plötzlich. Ein Donnerschlag ertönte, – ihm folgte der zweite, der dritte. – In den Wäldern ertönte das Echo von Geschützdonner. Jawohl Geschütze! Drei Geschütze stehen dort. Sie wurden auf die Aujezdler Anhöhe geführt und gegen Hammern gerichtet. Der lichte Rauchqualm der gelösten Schüsse wälzte sich über der Anhöhe. Und um die Geschütze wimmelt es von Militär! Ein Teil steigt schon den Abhang direkt zum Tale Linab und, siehe, auf der Strasse ist die Reiterei auch verstärkt. Es wimmelt dort förmlich von Soldaten. Es kam Verstärkung. Und während sie noch so voll Bestürzung und Verwunderung den Feind betrachteten, stürzte ein junger Mann ganz atemlos mit der Meldung herbei, Daniels Bolf sei vom Späherdienste zurückgekehrt. Die Geschütze seien früher auf der unteren Flurwiese in Aujezdl gestanden, es sei eine Menge Militär mit ihnen eingezogen. So meldete der »Bursche« von den Wachtposten. Seine Nachricht war in diesem Augenblicke nicht mehr neu, aber dass sie nicht log, davon hatten sie sich eben überzeugt.
»Nun, und wollt ihr auch jetzt noch den Kampf?« rief Syka mit der Rechten auf das zum Sturme schreitende Militär hinweisend.
»Schweige! sagte ich schon einmal!« schrie Přibek. »Fürchtet nichts. Wer ein wahrer Chode ist, der folge mir!«
Viele rieten ihm davon ab und wehrten ihm und seinen Anhängern.
»Lasst sie, sie mögen betteln gehen!« rief der junge Šerlovský. »Kommt zu uns, dort werden wir uns besser erwehren, als hier mit diesen da –«
»Auf nach Putzeried. Kommt!«
Přibek sprang zur Fahne und riss sie mit einem Griffe aus der Erde.
Um diese Zeit kam ein junger Bursche von den Hämmern zum Holzschlag im Walde gerannt. Die dort versammelten Flüchtlinge sahen besorgt zum verzogenen Himmel, der den Wald verdunkelte, empor. Ein heftiger Wind wehte durch die Äste und zeigte das Gewitter an. Gegen dieses bereiteten sich alle vor, auf ein anderes waren sie nicht gefasst. Da kam plötzlich der junge Bursche, der kaum als er die Ersten erreicht hatte, rücksichtslos zu schreien begann, die Boten Syka, Pajdar und Brychta seien aus Prag zurückgekehrt, die übrigen seien ausgeblieben, weil sie in Prag in Haft genommen wurden und eingekerkert seien.
Ein greller Schmerzensschrei durchdrang die Waldöde.
Alles wendete sich Hančí Kozina zu, die händeringend zu klagen begann. Die Weiber umringten sie und trachteten sie zu beschwichtigen und zu trösten.
»Wo sind sie?« rief die alte Kozina dem Burschen zu. Sie weinte nicht, es schien aber, als wäre ihr Gesicht fahl geworden. Der Junge zeigte gegen Hammern. Sie lief hin. Am Waldrand hielt sie aber plötzlich inne. Von Hammern kam ihr eine Männerschar entgegen. An der Tête schritt Matthias Přibek, an seiner Seite Brychta von Possigkau und rechts von Přibek der junge Šerlovský aus Putzeried, der die weisse, stürmisch über den Häuptern flatternde Chodenfahne trug. Die übrigen Männer waren in Hammern; sie liefen hin und her oder blickten in ganzen Haufen gegen Aujezdl, woher man Trompetenstösse und Trommelwirbel vernahm. Plötzlich verliess Jiskra Řehůřek die Schar Přibeks und sprang zur alten Bäuerin.
»Schlimm ist's – eine Menge Soldaten und die Unsrigen wollen die Gnade erbitten –«
Die Greisin schrie vor Entsetzen auf.
»Und was ist mit Přibek?«
Der Dudelsackpfeifer teilte ihr mit, dass er mit seinen Getreuen am Rückzuge nach Putzeried sei.
»Und sind Jan und die übrigen eingesperrt?«
Der Dudelsackpfeifer nickte bejahend.
»Und ihr Memmen werdet noch bitten?« rief die alte Kozina mit geballter Faust gegen Hammern drohend. In Hammern war man eben daran eine Bittdeputation zum Kreishauptmanne zu entsenden. Er erhielt gerade als Verstärkung drei Geschütze, Grenadiere und eine starke Abteilung Fussvolk und Reiterei unter dem Kommando des Grafen Stampach und des Herrn Steinbach von Königsfeld.
Unterdessen kam die Schar Přibeks bereits im Walde beim Holzschlage an. Als man hier hörte, was vorgehe, entstand eine schreckliche Verwirrung. Die Furcht vor dem Militär schreckte alles auf. Die Weiber baten weinend ihre Männer, sie mögen sie nicht verlassen und nicht fortziehen oder sie nicht zurücklassen. Hančí achtete auf dies alles nicht. Sie sass unter dem Baume bei ihrem Lagerfeuer und die Kinder an sich. Welch' eine Nachricht! Im Kerker eingesperrt! Warum ging er doch! Sie hatte es gut vorausgeahnt. – O, er wird nie mehr zurückkehren, sie weiss es wohl – Die Kinder, die armen Kinder! Abermals brach aus ihren Augen ein Tränenstrom, der die Hanálka und den kleinen Paul, die sie an ihren Busen presste, benetzte.