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XXX

Kozinas Leichnam blieb bis zum Sonnenuntergange hängen. Seine Landsleute waren um diese Zeit schon ausserhalb der Stadt. Sie mussten fort und konnten nicht einmal, wie sie beabsichtigt hatten, an der Bahre des Mannes, der für ihre Rechte so standhaft eingetreten war, ein Gebet verrichten. Der Kreishauptmann ordnete an, dass sie sofort den Heimweg antreten sollen, und liess sie eine Strecke Weges durch das Militär begleiten. Erbost bestiegen sie ihre Wagen. Ihr Zorn galt aber nicht dem Kreishauptmanne, sondern Lamminger. War ja doch jeder überzeugt, er sei der Urheber dieses Befehles. Sie zogen, selbst bestürzt und betrübt, durch eine traurige Herbstlandschaft heim. Hatte Lamminger die Absicht, diesen Tag unvergesslich zu machen, so hat er sein Ziel erreicht. Welcher Chode könnte doch den achtundzwanzigsten November aus dem Gedächtnis verlieren? Ihr Leben lang werden sie seiner gedenken und Geschlecht auf Geschlecht behält ihn im Gedächtnisse. So mancher Chodenbauer beugte sich unterwegs zu seinem Sohne und sprach ihm zu, sich wohl zu merken, wie Kozina für die Chodenrechte litt und heldenmutig starb, und nie zu vergessen, dass Lomikar dies alles verbrochen habe, daher ihm auch niemand verzeihen und sich mit seinem Geschlechte nie aussöhnen möge.

Der Chodengau war voll Bestürzung. Den Männern, die in Pilsen waren und jetzt zu Hause erzählten, traten neue Tränen in die Augen, die Stimme versagte und ihre Zuhörer weinten. Einige Tage war es in sämtlichen Chodendörfern, als wenn es ein Begräbnis gäbe. Niemand ging in die Robot und aus den Herrschaftshöfen wagte man es auch nicht die Choden, wie man dies vorhin sicher gleich getan hätte, in die Arbeit zu jagen oder zu derselben zu zwingen. Man traute sich zu dieser Zeit nicht und verwehrte es auch den Choden nicht, als sie in Taus zusammenkamen und Männer, Greise, Weiber in Trauerkleidern samt den Kindern hinter die Stadt zur Chodenkirche pilgerten, um dort der vom Priester für Kozina gelesenen hl. Seelenmesse beizuwohnen. In der altertümlichen gotischen Kirche, deren Seitenwände altersgraue Malereien zierten und in deren Bodenpflaster sich viele Grabsteine mit kaum mehr leserlichen Inschriften und Wappen befanden, kam eine zahlreiche Volksmenge, und zwar sowohl Choden als auch Städter, zusammen, um das Andenken des Hingerichteten zu ehren. In den Vorderbänken knieten die Mutter, das Weib und die Kinder Kozinas; sie beteten für das Seelenheil ihres Lieben, an dessen Grabe sie nicht niederknien durften. Unter dem Chor kniete in einer Kirchenecke ein Nachbar und betete. Als nach der Messe Kozinas vorübergingen, liess er den Kopf tiefer sinken, damit man ihn nicht sehe. Es war der Drechsler Just, welcher nach Verbüssung der ihm – wie es im Urteile lautete – wegen Aufwiegelung zuerkannten Kerkerstrafe erst unlängst heimgekehrt war.

Um diese Zeit weilte Lamminger nicht mehr zu Chodenschloss. Er kehrte von Pilsen nicht wieder zurück, sondern entsendete einen Eilboten zu seiner Gattin, sie möge ihm nachfahren, er werde sie in Pilsen erwarten.

»Die Angst und sein böses Gewissen jagen ihn fort,« erzählte man überall in Dorf und Stadt.

Dann bedeckte Schnee die Erde. Der Winter war trauriger denn je, namentlich in Aujezdl. Den alten Přibek überkam seine frühere Stimmung von neuem, ja er verfiel mehr denn je in starres Nachdenken und erheiterte sich auch dann nicht, als nach verbüsster Kerkerstrafe der junge Šerlovský in der Erntezeit heimkehrte und um Mankas Hand in Aujezdl anhielt. Der Greis gab seine Einwilligung und da man des Hauswirtes dringend bedurfte, wurde die Hochzeit baldigst, bereits auf den Herbst festgesetzt. Sodann erholte sich Grossvater Přibek einigermassen; er pflegte öfter auszugehen und besuchte von Zeit zu Zeit jenen Hügel von dem aus sich die Aussicht auf Chodenschloss bot. Dies war zu Beginn des Herbstes, als Lamminger unverhofft in Chodenschloss eintraf. Der Greis pflegte auszulugen, ob wohl den unbarmherzigen Herrn die Strafe Gottes erreichen würde, er lugte auf dem Hügel öfter beim Gewitter aus, als wäre er davon überzeugt, dass den Chodenschlosser Herrn ein Blitzschlag hinwegraffen werde. Brach jedoch ein Gewitter aus, während er zu Hause weilte, und liess ihn Manka nicht fort, so lauschte er gespannt, nickte zuweilen mit dem Kopfe, und blickte sehr oft zur Tür, als erwarte er die Nachricht, dass der Blitz diesen Rotkopf bereits gefunden habe. Als sich jedoch der Spätherbst-Frost einstellte, schien es, als wenn der alte Přibek auch erstarren würde und wie die Spinne in ihr Gewebe hüllte er sich in sein Brüten

Herr von Albenreuth traf heuer spät in Chodenschloss ein. Sonst pflegte er schon im Frühling hier zu sein, heuer kam er spät nach der Ernte. Man sagte, er sei zu den Jagden gekommen. Er war jedoch schon einige Wochen hier, in den Wald kam er aber erst einmal. Er schien alle Freude daran verloren zu haben. Er hatte sich nicht geändert, er war kalt wie früher, streng, ja noch strenger als vorher, aber auch ängstlicher. Allein pflegte er nie auszufahren und dem alten Kammerdiener Peter fiel es auch auf, dass der Herr jetzt öfter einsam herumgehe und nachdenklich werde. Auch seine Gesundheit liess viel zu wünschen übrig. Der Kammerdiener Peter bemerkte bereits einigemal, dass der Herr, während er im Gemache umherging, plötzlich sich am Tische oder Lehnstuhl festhielt, und als er sich nach einer Weile wieder erholte, über Schwindelanfalle fluchte. Seiner Gattin, die heuer trauriger als im Vorjahre war, klagte er auch oft über seine Augen, er sehe öfter plötzlich alle Dinge wie in Regenbogenfarben und, wenn er nachts aus dem Schlafe auffahre, sprühen ihm Funken und Blitze vor den Augen. Er beklagte sich hie und da, zwar nicht schmerzlich, aber in knappen Worten und düster, doch von den Träumen, die ihn oft schreckten, machte er keine Erwähnung. Aber der alte, neben seinem Schlafgemach im Vorzimmer schlafende Peter hörte seinen Herrn sehr oft in der Nacht stöhnen und schreien, und es geschah öfter, dass er ihn, als er die Portiere zurückstreifte, im Scheine der Nachtlampe, aus bösem Traume aufgeschreckt, starr um sich herum blicken sah. Einst, es war in einer späten Septembernacht, als draussen der Regen plätscherte und der Wind heulte, weckte den alten Peter abermals des Herrn Gestöhne. Diesmal rief er ihn auch zu sich. Als er eintrat, sprach der ganz in Schweiss gebadete Herr mit schwacher Stimme:

»Reiche mir den Kalender.«

»Den Kalender, Euer Gnaden? Jetzt?!«

»Jawohl – jetzt – ich will wissen, der wievielte heute ist.«

»Morgen ist der achtundzwanzigste – ich weiss es, Euer Gnaden, auswendig.«

Der Herr fuhr zusammen, setzte aber sofort bei:

»Welcher Monat?«

»Monat September – Euer Gnaden.«

»Ja so – dieser Traum hat mich ganz irre gemacht, und wie ich schwitze! Reiche mir ein Hemd«

Der alte Kammerdiener kehrte voll Angst zum Bett zurück. Was nur der Herr hat? Der achtundzwanzigste! Und er stutze plötzlich – Jawohl, da war in Pilsen diese – »Oh, das glaube ich, dass ihm das nicht aus dem Kopfe geht,« dachte der alte Mann und begann im Geiste das Gebet für die armen Seelen im Fegefeuer zu sprechen.

Alle diese krankhaften Anfälle waren aber nur von kurzer Dauer. Herr von Albenreuth erholte sich nach ihnen stets, aber sie wiederholten sich je weiter desto öfter und der Herr wurde noch mehr mürrisch, wortkarg als sonst und immer verschlossener. Vergebens befragte ihn seine Gattin, was ihm fehle, vergebens riet sie, einen Arzt zu Rate zu ziehen. Sie fristete jetzt ein trauriges Leben. Gäste werden keine geladen, denn mit dem unfreundlichen, verschwiegenen Gatten war ja keine Rede. Plötzlich wurde sie aber freudig überrascht. Es langte nämlich unerwartet ein Schreiben der jüngsten Tochter mit der Meldung ein, sie werde mit ihrem Gatten ehestens in Chodenschloss eintreffen. Voll Freude eilte sie mit dieser Nachricht zu dem eben von Kauth heimkehrenden Lamminger. Er hörte die Nachricht ruhig an; plötzlich lächelte er aber sonderbar und sprach:

»Wenn ich es nur erlebe –«

»Warum denn nicht?!« frug Frau Lamminger verwundert.

»Haben Sie denn vergessen, dass mich dieser Bauer, dieser Kozina, vor Gottes Richterstuhl geladen hat?« Er lachte laut auf, aber die Frau überlief es kalt bei diesem Lachen.

Es trat sodann ein nasskaltes, nebeliges Wetter ein und es regnete fast ohne Unterlass. Um diese Zeit war Herr von Albenreuth wieder ein wenig unpässlich; es sauste ihm in den Ohren und oft schien es ihm, als höre er ein feines Glockengeläute, »wie vom Sterbeglöcklein«, wie er sich seiner Gattin gegenüber äusserte. Es hatte überhaupt den Anschein, als denke er sehr oft an den Tod, obzwar er sich dagegen wehrte, da er ihn trotz allen Hohnes doch sehr fürchtete. Die jüngste Tochter Marie, die jetzige Gräfin von Vrtba, klagte oft über die unendlichen, traurigen Abende auf der Chodenschlosser Burg bei dem verschwiegenen, gestrengen Vater. Was würde sie wohl jetzt sagen, wenn sie die Mutter mit dem noch wunderlicher gewordenen und über die Massen reizbaren Vater sehen würde?

Es war eben wieder so ein langer, trauriger Abend mitte Oktober, als Frau von Albenreuth mit ihrem Gatten im Speisesaale weilte. Sie stickte etwas zum Zeitvertreib; der Gatte las. Plötzlich blickte sie auf, denn es schien ihr, als hätte ihr Gemahl im Lehnstuhl eine heftige Bewegung gemacht. Wie blass war er geworden! Er schleuderte das Buch auf den Tisch und starrte wie geistesabwesend vor sich hin.

Eine peinliche Stille trat ein; erst nach einer Weile wagte es die erschrockene Frau zu fragen, was geschehen sei. Ihre Stimme rüttelte ihn aus seinem Brüten auf. Er fuhr zusammen, sodann griff er nach dem auf dem Tische aufgeschlagenen Buche und sprach mit matter Stimme:

»Lesen Sie das–«

Die Frau las die angedeutete Stelle des französischen Buches: »Als nun der Grossmeister der Tempelherren, Jakob Molay, auf dem Scheiterhaufen stand und der Henker sich bereits anschickte den Scheiterhaufen in Brand zu stecken, da rief der Grossmeister mit mächtiger Stimme den Papst Klement und den König Philipp an und lud sie, als die Urheber seines und hundert anderer Tempelbrüder unschuldigen Todes, binnen Jahr und Tag vor den Richterstuhl Gottes. Und welch' ein Wunder! Ehe das Jahr um war, gingen beide in die Ewigkeit ein, sowohl der Papst, als auch der König, der am 29. November starb.«

Sie hatte bereits zu Ende gelesen und doch waren ihre Blicke noch auf das Buch geheftet. Sie fürchtete den Gatten anzublicken. Und dennoch konnte sie nicht anders. Sein kalter, wie von einem Nebel umschleierter Blick war auf sie gerichtet.

»Haben Sie es gelesen? Was sagen Sie dazu?« sprach er und machte den Versuch seine Lippen zu einem höhnischen Lächeln zu verziehen. »Sie können sich ihr Witwenkleid bestellen« setzte er hinzu, verstummte aber sodann unwillkürlich und griff nach der Stirne. Vergebens trachtete sie ihn zu trösten und ihm zuzusprechen.

»Könnten Sie ihnen vielleicht nicht eine Wohltat erweisen« entschlüpfte ihr in diesem Augenblicke unverhofft. Es war dies ihr Herzenswunsch, an den sie oft dachte, den sie aber nie zu äussern wagte.

»Wem? Ihnen, diesen Choden?!« rief er, kaum dass sie gesprochen, wie von einer Viper gebissen. »Ihnen, diesen Rebellen! Ich verstehe Sie. Haben Sie ihnen doch immer die Stange gehalten!«

»Aber nein, ihnen nicht –« wehrte die geängstigte Frau ab.

»Nun, wem also? – Wem, meinen Sie?« drang Lamminger immer heftiger in sie, in steigender Aufregung.

»Ich meinte – nur – dieser Witwe –«

»Genug! Der Kozina?! Für alles das, was mir ihr Mann angetan? Sie werden ihn doch nicht, wie das dumme Volk, für unschuldig halten? Alles, was ich erleide – verdanke ich ihm – seinen verrückten Reden,« stiess er plötzlich hervor.

In dieser Nacht schloss er kein Auge mehr und einige darauf folgende Tage fühlte er sich noch weniger wohl. Peter gegenüber klagte er über Kopfweh und darüber, dass seine Füsse und Hände fortwährend kalt seien. Als sich jedoch der Himmel aufheiterte und klare sonnige Tage des Spätherbstes eintraten, fühlte er wieder eine Erleichterung. Um diese Zeit traf seine jüngste Tochter, die Gräfin von Vrtba, ein. Im Schlosse ging es nun lebhafter zu, denn die neu Angekommenen und ihr Geleite sowie andere zur Jagd geladene Gäste belebten die sonst stillen Gemächer. Frau von Lamminger war durch die Ankunft der Tochter, ihres Lieblings, überglücklich und auch Lamminger runzelte nicht mehr die Stirne. Er war jetzt redseliger, denn je und nahm an den Jagden regen Anteil. Als er einmal mit seinem Schwiegersohne plauderte, gab er seiner Freude darüber Ausdruck, dass er sich jetzt wohler fühle und auch schon besser schlafe. Allein die Tochter, welche ihn schon seit längerer Zeit nicht gesehen hatte, fand, dass er sich wesentlich geändert habe und abgehärmt sei. Sie äusserte diese Ansicht auch der Mutter gegenüber und Frau von Albenreuth seufzte tief auf.

»Ach, liebes Kind, jetzt ist es schon besser, euere Anwesenheit schlägt ihm gut an. Aber vor dem! Viel trug dazu auch seine Einsamkeit bei. Er hat keine Ansprache, meidet die Gesellschaft, wird melancholisch und verfällt dann auf so sonderbare Gedanken –«

»Gewiss – und sonderbare Reden,« setzte die Tochter hinzu. »Als man gestern zur Jagd aufgebrochen war, sprach er zum Grafen: Heute ist der erste – November. Ich habe ihn also doch erlebt. Wenn ich den erlebt habe – Mir scheint, dass dieser –« weiter sprach er nicht und lachte nur auf. Alle blickten ihn an, ohne ein Wort davon zu verstehen, er kam aber gleich auf einen anderen Gegenstand zu sprechen.«

Frau von Albenreuth wurde nachdenklich. Sie wusste, was ihr Gatte gemeint hatte, dass ihm wieder diese Frist einfiel, die ihm der unglückliche Bauer gestellt hat. Oh, wäre doch schon dieser Monat vorbei! Dann wäre das Jahr um, und er würde sicherlich bald genesen!

Die junge Gräfin tröstete ihre Mutter, dass es dem Vater bereits besser gehe und er auch lustiger sei; sie ahnte nicht, dass der Mutter auch diese sonderbare Fröhlichkeit missfalle. Es lag so etwas Gereiztes, Unaufrichtiges und Unnatürliches in ihr.

Spät nachmittags kehrten die Herrschaften mit reicher Jagdbeute heim. Einige Hirsche und auch ein Bär wurden im Schiedshöfe abgeladen. Überall – unten und oben in den Herrschaftsgemächern war fröhliches, reges Leben. Das ganze Schloss war beleuchtet und der Fensterschein strömte hell in das vorzeitige Dunkel des Novemberabendes. Nach den Anstrengungen der Jagd, nachdem man in den tiefen Forsten den ganzen Tag hindurch gepürscht, war es im herrschaftlichen Speisesaale doppelt angenehm und wohlig. Fröhlich prasselte im grossen Kamin das Feuer, es wurde jedoch von der Konversation der Gäste, zumeist benachbarter Edelleute, übertönt. Die Herrschaften nahmen an einer reich besetzten Tafel Platz; die Hausfrau hatte den Vorsitz inne, ihr an der Seite nahm der Gatte Platz. Er sass gerade gegenüber dem Gartenfenster, das eine Fernsicht auf den Wald Křižinovec, die Aujezdler Anhöhe und Hrádek, deren Abhänge das arme Aujezdl verdeckten, bot.

Würziger Bratenduft erfüllte den Speisesaal und das Klirren der Pokale hallte angenehm durch seine Räume. Die Gläser klirrten auch dann noch, als die Teller bereits abgetragen waren. Goldiger und roter Wein perlte in den Pokalen; die wackeren Jäger sprachen auch wacker dem Trunke zu.

Das anfangs ruhige Gespräch wurde immer lebhafter und allgemeiner und lautes Gelächter unterbrach sehr oft die Unterhaltung. Herr von Albenreuth war gesprächiger denn je, was seine Gattin wohl merkte. Es war dies in letzter Zeit öfter der Fall gewesen. Man sprach meistens von der Jagd, von verschiedenen Vorfällen und Schwierigkeiten.

»Und wie stattliche Treiber Sie hier zu haben belieben,« sprach einer der Gäste, ein fremder Edelmann, der mit dem Grafen Vrtba eingetroffen war, Lamminger an.

Lamminger, der eben einen Becher glühenden Rotweines geleert hatte, lächelte und sprach:

»Stattlich sind sie zwar, aber auch hart. Ich musste sie erst dressieren. Und es gab ein tüchtiges Stück Arbeit zu leisten, bevor sich die allgewaltigen Herren Choden gewöhnten –«

»Das waren lauter Choden? Diese –« fragte der Graf.

»Gewiss, diese Rebellen. – Der Herr Kreishauptmann könnte darüber Ihnen, Herr Graf, erzählen, wie viel Kompagnien Militär gegen sie aufgeboten werden mussten –«

Frau von Lamminger hörte nur ungern dieses Gespräch, denn sie hatte bemerkt, dass das Antlitz ihres vom Wein erhitzten Gemahls sich immer mehr rötete.

»Und ich weiss heute noch nicht, wie es mit mir ausfallen wird,« fügte er plötzlich höhnisch hinzu und lachte auf. »Da werden der Herr Graf staunen. Man gab mir eine Frist – binnen Jahr und Tag. Ihr Anführer – oh, dieser Bauernstolz und dieser Starrsinn! Er stand schon auf der Leiter –«

Die Frau, welche die angeschwollenen Adern des Gatten bemerkte, berührte sanft seine Hand und bat ihn, davon abzustehen. Er beachtete dies aber nicht und setzte in seiner Aufregung heftig gereizt fort:

»– die Galgenschlinge hat er schon um die Kehle geschlungen und er wagt es noch, mich vor Gottes Richterstuhl zu laden. Kozina! Kozina! Du schlechter Prophet! Das Jahr ist vorüber, du bist dort und ich bin noch da! –«

Er verstummte plötzlich und wie mit einem Schlage sank er in den Lehnstuhl zurück. Die Schreie der Herren und Damen ertönten in dem Gemach, einige Fauteuils wurden umgestürzt, als die verwirrten Gäste jäh aufsprangen, um zum Hausherrn zu eilen. Lamminger hatte, halb sitzend, halb in seinem Lehnstuhle liegend, das Bewusstsein verloren.

Die Augen waren geöffnet, die Pupillen erweitert, sie standen aber stille, unbeweglich, starr. Er tat noch einige lange tiefe Atemzüge, seufzte tief auf, ein Röcheln entrang sich seiner Kehle, aber das alles dauerte nur kurz. Bevor noch alle die bestürzten und verwirrten Gäste sich um ihn versammelt, hatte er seinen letzten Atemzug getan.

Graf von Vrtba befühlte seine Stirne.

Er fühlte einen klebrigen Schweiss und als er sodann die Hand an das Herz legte, verspürte er keine Bewegung mehr. Vergebens waren beim Herrn von Albenreuth alle Wiederbelebungsversuche, vergebens das Wehklagen der bestürzten Damen, auch um den Arzt hatte man umsonst nach der Stadt geschickt. Der Herr von Chodenschloss war dorthin gegangen, wohin ihn Kozina geladen.

Das war es aber eben, was alle Anwesenden mit besonderem Schrecken erfüllte. Der herbeigerufene Arzt, auf den alle warteten, bestätigte, was die Gäste einander zuflüsterten.

»Es gibt keine Hilfe mehr – Ein Schlaganfall« Jawohl ein Schlaganfall, doch dachten alle daran, was der Verstorbene selbst erzählte. Bestürzt, erschrocken und geängstigt zerstreuten sie sich in ihre Gemächer.

Im Schlosse war das Festgelage zu Ende, die Fröhlichkeit verstummt. Die festliche Beleuchtung war erloschen und nur in zwei Fenstern sah man Licht: in jenen des Gemachs, wo zu Häupten des Freiherrn von Albenreuth die Kerzen brannten. Im Vorzimmer sass der händeringende alte Peter, ganz ausser sich, und lispelte:

»Gottes Gericht! Gottes Gericht!«

Als am nächsten Morgen, der alte, weisshaarige Přibek, sich auf seine Čakane stützend, den Hof verliess, hielt ihn schon von weitem Řehůřek Jiskra mit einem Zurufe an. Der in aller Eile herangekommene Jiskra brachte fast atemlos nur die Worte heraus:

»Lomikar ist gestorben!«

Nachdem er nun in abgerissenen Worten kurz angedeutet hatte, wie Lamminger, als er Kozina herausforderte, sein Leben schloss, faltete der Greis die Hände und blickte anfangs sprachlos zum Himmel empor; dann rief er:

»Es gibt eine Gerechtigkeit, es gibt noch einen Gott! Jetzt kann ich sterben«

Um diese Zeit brachen in Kozinas Bauernhofe, wohin diese Nachricht soeben gedrungen war, Hančí und die alte Mutter in bittere Tränen aus. – –

Und fortan flog diese Nachricht durch den ganzen Chodengau und überall pries man Gott, den Gerechten, und erinnerte sich an Kozina.

Und aus der Nachricht wurde das Gerücht, dass, als dort Lamminger in der Burg zu Chodenschloss Lästerungen vorbrachte, draussen ein heftiger Sturm entstand, alle Türen und Fenster knarrend und klirrend aufgerissen wurden, und dass eine blasse Gestalt langsam durch den Speisesaal schritt, mitten durch den Haufen der vor Schreck gelähmten Gäste. – –

In der Familiengruft zu Klenč wurde Freiherr von Albenreuth in der Kirche bestattet. Flüche aller Choden gaben ihm das Geleite. Als die Totenglocken ertönten, weilte der alte Šerlovský eben beim Sohne zu Besuch, der sich zum Glück für sich und Manka in Přibeks Bauerngut eingeheiratet hatte. Der ehemalige Erbrichter von Putzeried, Šerlovský, wurde nach dem Aufstande von der Erbrichterwürde enthoben und stand jetzt eben mit einigen Nachbarn auf dem Hügel, wo Přibek zu stehen pflegte und auch jetzt eben stand. Er deutete mit der Hand gegen Klenč und sprach:

»Kozina hat gesiegt und wir mit ihm – Was hat jetzt dieser Schelm davon? –«

Gleich nach dem Begräbnisse verliess die hochgeborene Witwe mit ihrer Familie Chodenschloss, um nie wieder zurückzukehren. Bevor noch ein Jahr um war, verkaufte sie es samt Kauth und Riesenberg.

Von Kozinas Bauerngut wich die Trauer nicht. Erst als Paul und Hanálka herangewachsen waren und ersterer die Wirtschaft übernahm drang auch hierher ein wenig Sonnenschein.

Doch einen Versuch, den alten Majestätsbriefen zu neuer Geltung zu verhelfen, unternahm weder er, noch jemand anderer. Jetzt trat in der Tat ein perpetuum silentium ein. Traurig war es im Chodengau, aber immerhin fühlte man sich hier jetzt freier, weil Lamminger nicht mehr herrschte.

Vom alten Chodenruhm blieb nur der Schimmer alter Erinnerungen, der den wackeren Chodenstamm aufrecht hielt, als das Volk ringsherum überall in der Leibeigenschaft und der Finsternis der Sklaverei verschmachtete. Und Jan Sladký, Kozina, wurde auch nicht vergessen.

Von Geschlecht zu Geschlecht vererbte sich die Erinnerung an ihn und sie lebt auch heute noch und wird auch fernerhin im schönen Böhmerwaldgebiete lebendig bleiben, so lange in den ewig denkwürdigen, auch vom Chodenblute oft getränkten Gegenden um Taus ein wackeres, die Sprache, Sitten und Tracht der Väter treu bewahrendes Volk, die heutigen »Buláci« als Nachkommen der »Psohlavci« (Hundsköpfler), leben werden.

 

Als ich diese Gegenden bereiste, blieb ich auch vor Kozinas Bauerngute stehen. Ich traf hier eine hinfällige, schlichte greise Frau und befragte sie während des Gespräches über Jan Sladký. Sie sah mich an, als traue sie mir vielleicht nicht, und erwiderte nur:

»Ich weiss gar nichts, doch der Herr Dechant hat darüber Schriften. Ich weiss nur soviel, dass Kozina unschuldig hingerichtet wurde und dass er ein Heiliger ist –«


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