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Der Advent und auch die Weihnachtszeit waren vorbei. Die besonders im Dezember anhaltenden Fröste liessen auch zu Beginn des neuen Jahres nicht nach. Überall gab es Unmassen von Schnee und es hatte den Anschein, als wäre der ganze Chodengau im Schnee versunken. Das am Fusse des Böhmerwaldes zwischen bewaldeten Bergen und Hügeln einsam stehende Schloss Lammingers war wie verwaist. In seiner Nachbarschaft war nur eine kleine Mühle und einige Hütten. Stille und Öde herrschte rings um das Schloss herum, noch stiller war es in seinen Gemächern.
Eines derselben, das zwar nicht gross, aber traulich und niedlich eingerichtet war, war vom hellen Schein des bereits ersterbenden Tages beleuchtet. Der kassetierte Holzplafond war zwar schon ziemlich dunkel, an der eichenen Tafelverkleidung der Wände gegenüber dem Fenster zitterte aber noch das Gold der letzten Sonnenstrahlen und beleuchtete das auf schön geschnitzten Füssen an der Wand stehende Clavicembalo. Bei demselben sass Marie, Lammingers jüngste Tochter. Das von der Seite her einströmende Licht machte die falben, dichten Haare am Scheitel und einige leichte Goldlocken des über das Instrument gebeugten Nackens erglänzen. In dieser Beleuchtung hob sich der mit Spitzen besetzte Umschlagkragen und die weissen Ärmelstulpen von der dunkelgrünen Farbe des langen Kleides umsomehr ab.
Eine Weile blickte sie in das oberhalb der Klaviatur aufgeschlagene Notenbuch; sodann legte sie – als hätte sie sich aus den Gedanken, die mit der Masse von Notenköpfchen gar nichts gemein hatten, herausgerissen – ihre weissen langen Finger auf die Klaviatur und begann gewandt eine leichte Ciaccona zu spielen. Die nicht allzuvollen und starken Töne des Clavicembalo zitterten durch das Gemach und unterbrachen angenehm die tiefe Stille desselben. Kaum angeschlagen, verklangen sie aber auch schon. Das Fräulein, das an der »Ciaccona« kein Wohlgefallen fand, wandte rasch einige Blätter um und begann kräftiger und mit mehr Lust die lebhaftere »Sarabante« zu spielen. Sie spielte ziemlich lange, kam aber nicht zu Ende. Abgespannt und verdriesslich schlug sie plötzlich das Notenbuch, welches unlängst »allen Musikliebhabern zur besonderen Freude« Meister Johannes Kuhnau komponiert und herausgegeben hat, zu, liess die Hände in den Schoss sinken und ihre Blicke durch das Fenster in die Ferne schweifen, wo hinter den kahlen Baumkronen das goldrote Flammenmeer des verglühenden Tages loderte.
Tiefe Stille herrschte wieder im Gemach, die Grabesstille eines Winternachmittages, die auch ein zufriedenes Gemüt mit einer eigentümlichen Angst und Bangigkeit erfüllt. Dieser Schatten der Beklemmung und der Ausdruck kindischtrotzigen Überdrusses lagen auf dem freundlichen Antlitz des jungen Fräuleins. Sie sah auf die Bäume, deren jedes Ästchen sie bereits kannte, sie sah auf den verwünschten, unbeweglichen, schneeverwehten, ewig gleichen, jeden Fernblick verwehrenden Waldabhang, sie blickte hin, aber sie sah nichts. Ihre Gedanken schweiften, Gott weiss wo, herum. Sie merkte nicht einmal, dass sich die goldenen Lichtstreifen von der Tafelverkleidung auf die Parketten gesenkt hatten, ja dass sie auch von diesen schon verschwunden sind. Vom verdunkelten Plafond wallte der Schleier der Winterdämmerung herab, der allmählich die Zimmerecken, Wände, das Clavicembalo, ja selbst das in Gedanken versunkene Mädchen an demselben verhüllte. Nur ihr falbhaariges Haupt mit dem weissen Halskragen und die herrlichen weissen Hände leuchteten wie aus dem Dunkel eines verblichenen Bildes deutlicher hindurch.
Plötzlich fühlte sie, dass jemand ihr Haupt berührte; rasch wandte sie sich um. Sie sah das fast blasse, sanfte Gesicht ihrer Mutter und den sorgenvollen Blick mütterlicher Zärtlichkeit.
»Du hast dein Spiel schon beendet, mein Kind?«
»Ach – ja – es freut mich gar nicht. Welch' eine Unterhaltung das! Immer soll ich mir nur allein vorspielen, mich selbst anhören, wie im Gefängnis –«
»Was sprichst du! –«
»Ach, Mama, Sie werden nicht glauben, wie langweilig es hier und wie bange mir zu Mute ist. Diese ewige Stille ringsumher, wie im Grabe – nirgends eine fröhlichere Stimme, und alles ist so stumm, gleichsam eingeschüchtert. Oh, ich weiss es wohl, wenn der Vater ... Er ist so nachdenklich, ernst und oft mürrisch. Sie sehen sich ja, Mama, selbst fortwährend nach ihm um. Und besonders heute – dieser Sonntagsnachmittag ist nicht zu überleben, er hat kein Ende –« setzte sie plötzlich hastig, fast weinerlich hinzu.
Die Mutter suchte ihren Seufzer, der ein Ausdruck der Zustimmung war, mühsam zu unterdrücken. Trotzdem bemühte sich die Freifrau, ihre Tochter zu beruhigen und zu trösten.
»Du bist, mein Kind, zu ungestüm und verlangst zu viel. Diese Zeit bringt es schon mit sich – jetzt ist es nirgends fröhlich.«
»Jetzt, im Fasching? Auch in Prag nicht?«
»Wahrlich, ich würde es dir – und mir – wünschen –«
»Nach Prag zu gehen, nicht wahr? Sehen Sie, Mama, auch Ihnen ist es hier bange.«
»Oh, mir wäre nicht bange. Ich habe mich an diesen stillen Winkel schon gewöhnt. Doch diese Sorgen, diese Befürchtungen!«
»Und welche?«
»Ich fürchte um den Vater. Ich habe mich schon so gefreut, dass alles vorbei sei, dass jetzt endlich Ruhe eintreten werde, nachdem sie diese unglückseligen Majestätsbriefe nicht mehr besitzen. Aber dieses Volk! Und wie sie sich plötzlich geändert haben! Daraus, was man hört, und da wird uns noch fast alles verheimlicht, daraus geht hervor, dass es unter ihnen gärt, dass sie sehr unzufrieden sind, und oft kommt mir der Gedanke –«
Die Freifrau hielt plötzlich inne.
»Was für ein Gedanke? Dass sie sich vielleicht erheben könnten?«
»Überall war Ruhe – nirgends haben sie Widerstand geleistet, bis auf einmal jetzt, unverhofft verweigern sie den Gehorsam. Es ist klar, dass es unter dem Volke einige Aufwiegler gibt, die es aufhetzen, und es würde mich nicht Wunder nehmen –«
»Warum belässt uns der Vater hier? –«
»Um Gottes willen, mein Kind, mache davon vor ihm keine Erwähnung, du würdest ihn dadurch in eine grosse Erregung versetzen. Vielleicht bin ich zu ängstlich und sehe zu schwarz – es dürfte gewiss keine Gefahr drohen. Er würde uns ja sonst nicht hier lassen,« beschwichtigte die sanfte, vor dem Zorne ihres Gatten schon im vorhinein zurückschreckende Frau, und dieser Zorn würde sicherlich entbrennen, wenn seine eigene Tochter selbst davon eine Erwähnung machen würde.
Kaum hatte die Freifrau diese Worte gesprochen, als schon auch die Tür aufging. Der alte Kammerdiener, Peter, trat ein mit den im zweiarmigen silbernen Leuchter brennenden Kerzen. Der graue, glattrasierte Mann im langen, dunkeln, umgürteten Rock, breiten, schwarzen Kniehosen und gleichfarbigen Strümpfen verbeugte sich, einen guten Abend wünschend, tief vor den Damen und stellte den Leuchter auf das Clavicembalo vor das Fräulein. Der herzliche Ton und das ganze Auftreten des Kammerdieners zeigte, dass er den Damen mehr als ein Diener sei. Diese Gunst erwarb er sich schon durch seine langjährigen, dem seligen Vater der Frau Lamminger von Albenreuth, dem alten Herrn von Lobkovic, geleisteten Dienste, nach dessen Tode er als Kammerdiener in die Dienste seiner Tochter, beziehungsweise ihres Gemahles trat. Das Herz und alles Denken und Trachten des alten Peter waren aber dem ersten Herrn, dem verstorbenen Herrn von Lobkovic geweiht, den er nicht vergessen konnte.
»Was gibt's neues, Peter?« sprach ihn die junge Aristokratin an. Peter, der schon am Rückwege zur Tür war, blieb stehen, machte sodann einige Schritte nach vorwärts, blieb wieder stehen, schüttelte den grauen Kopf und sprach:
»Gnädiges Fräulein – wenn ich so dasselbe sagen könnte, was ich S. G. Euerem Herrn Grosspapa – seligen und ruhmreichen Angedenkens zu sagen pflegte! Wie geht's Peter?« geruhte er mich immer zu fragen. »Gut, Euer Gnaden.« »Und was gibt es neues?« »Nichts, Euer Gnaden, mit Verlaub – alles bleibt beim alten. Überall herrscht Ruhe und Ordnung.«
»Ist denn schon wieder etwas vorgefallen?« frug Frau Lamminger, die Augen auf das besorgte Gesicht des treuen Dieners heftend.
»Es wäre, Euer Gnaden, an dem alten genug. Bei uns, d. h. auf der Herrschaft S. G. des seligen Herrn Vaters E. G., war es nie so gewesen. Das Volk verrichtete hübsch seine Fronarbeit und bezeigte jedermann vom Schlosse oder von der Kanzlei Ehrfurcht und Demut. Doch hier? Freilich, die Fronarbeit schmeckt nicht süss, aber dass sie mit der Herrschaft prozessieren und Deputationen zu Seiner Majestät dem Kaiser nach Wien entsenden, um dort Klagen über den Herrn zu führen – das übersteigt doch alles.«
»Der Bote von Kauth ist noch immer in der Kanzlei?«
»Zu Befehl, Euer Gnaden. Sein Ross ist aber schon gesattelt. Er kann jeden Augenblick wegreiten.«
»Und was brachte er?«
»Man hört nur so hie und da etwas – aber auch dies wäre schon genug. Was könnte es aber auch sein als – Ungehorsam, just wie bei uns. Wenn die Possigkauer nicht Treiberdienste bei der Jagd verrichten wollten, die Chodenschlosser alle Wägen verweigerten –«
»Das alles wissen wir schon!« unterbrach das Fräulein den geschwätzigen Kammerdiener. »Was hat aber der Bote gebracht?«
»Aufs Haar weiss ich es just nicht – das wird er wohl nur Seiner Gnaden gesagt haben. Aber soviel ist doch ruchbar geworden, dass diese Choden, Gott sei bei uns, ein sonderbares und unbeugsames Volk, dort in Putzeried und Melhut ganz dasselbe aufführen, wie in Hochwartl und Tilmitschau.«
»In Hochwartl und Tilmitschau?« liess sich Frau Lamminger voll Verwunderung vernehmen. »Was ist denn dort geschehen?«
»Das geruhen, Euer Gnaden, nicht zu wissen? Dort sollen die Bauern in den Wäldern wie im Eigenen jagen, schiessen, Schlingen legen –«
»Und was machen die Heger?«
»Das ist es eben, Euer Gnaden. In Tilmitschau soll der Heger durchgeprügelt worden sein, als er jemandem einen Hund niederschoss.«
»Und in Putzenried?«
»Der Bote überbrachte von dorther eine ähnliche Nachricht, nur soll es dort noch etwas ärgeres gewesen sein. Sogar der Sohn des Erbrichters, des alten Šerlovský –«
Der Kammerdiener verstummte mit einemmale und sah überrascht nach der Nebentür, durch die sein Gebieter, Freiherr von Albenreuth getreten war.
»Schwätzt du schon wieder, du alte Plaudertasche?« rügte er den Kammerdiener strenge. »Selbst ein Hasenfuss, eine feige Memme, flösst er noch andern Furcht ein. Warum schwätzt du in einem fort?«
»Und warum horcht ihr ihm zu?« sagte er, freilich etwas sanfter, aber immerhin rügend, zu seiner Gattin.
Dem Fräulein trat der alte Diener leid, da sie sah, welch' bitteren Lohn er für seine Bereitwilligkeit erntete, als sie aber bemerkte, wie der der Alte erschrocken zusammenfuhr und sich verneigend hinaus eilte, konnte sie sich eines Lächelns nicht erwehren. Erst am Gange fasste er Mut, hielt inne und brummte:
»So behandelt man mich? Wie einen Bauer?« Bei sich dachte er noch: »Da war der selige Herr, S. G. der alte Herr von Lobkovic, ein ganz anderer Herr! Ich ein Hasenfuss, eine feige Memme? Ich? Dreissig Jahre habe ich S. G. dem alten Herrn gedient. Dreissig Jahre und nie, aber nicht ein einzigesmal, habe ich so etwas gehört. Arme Frau – jetzt wird sie noch das Bad ausgiessen, weil sie mich angehört hat. Und wie oft sich S. G. der selige alte Herr von Lobkovic mit mir unterhalten hat – und der war doch etwas mehr –«
»Was hat euch dieser Hasenfuss wieder vorgeschwefelt?« frug der Freiherr nach Peters Abgang.
»Ich glaube, er sprach nur die Wahrheit,« antwortete die Freifrau sanft. »Er erwähnte der Unruhen in Hochwartl und Tilmitschau. Der Bote von Kauth hat sicherlich auch keine frohe Botschaft gebracht –« setzte sie besorgt fragend hinzu.
»Auch nichts trauriges: Raufhändel mit Hegern, Wilderergeschichten. Das alles sind jetzt alltägliche Geschichten, aber er brachte ihrer nicht viel,« fügte er mit einem sonderbaren Lächeln bei.
»Nicht viel?« liessen sich Mutter und Tochter, beide verwundert, vernehmen.
»Gerade genug, um sich zu ärgern, aber doch nicht soviel, um die Hilfe des Militärs anrufen zu können.«
»Das Militär! Um Gottes willen, wo denken Sie denn hin! Soll am Ende Blut fliessen?« rief die Freifrau lebhaft. »In Aujezdl war auch das Militär, und was wurde damit erreicht?«
»Hm – dort waren sie eben noch ruhig, sie waren noch nicht rebellisch – und ich würde Rebellen brauchen –«
»Rebellen wollen Sie haben!«
»Es wäre dies ein vorzügliches Argumentum und Testimonium – doch warum quälen Sie sich damit – lassen Sie mich nur –«
»Aber wir hier,« meinte das Fräulein, die günstige Gelegenheit benützend.
»Ei, Marie, bist du aber eine Heldin, just als wenn du Peters Tochter wärest –«
»Ich fürchte mich nicht – aber es ist hier so traurig,« antwortete sie hastig.
»Und unsicher,« ergänzte die Mutter, welche ihrer Tochter beispringen wollte.
»Ihr ängstigt euch zu viel. Das, was sie hier aufführen, ist eitler Bauernstolz. Die Toren! Sie glauben, wenn sie in Wien einen Advokaten haben, dass sie schon den Prozess gewonnen haben!«
»Und wenn sie sich doch erheben würden?«
»Dann werden einige aufgehängt und die heilige Ruhe ist wieder hergestellt,« antwortete Lamminger kurz und kühl. Diese Worte machten dem ganzen Gespräche ein jähes Ende. Seine Gattin unterdrückte einen Seufzer und blickte die Tochter an. Diese senkte den Kopf und sah zu Boden. Glücklicherweise ertönte draussen die Glocke, welche die Zeit zum Nachtmahle anzeigte.
»Gehen wir!« sprach Herr von Albenreuth ruhig.
Die Gattin schritt schweigend neben ihm und dachte an seine letzten Worte. Den Eltern folgte die Tochter. Sie hätte weinen mögen und fast hätte sie mit dem Füsschen zornig aufgestampft. Der Vater ist unbeugsam! An Prag ist gar nicht zu denken. Dafür erwartet sie eine unendliche Reihe unendlich langweiliger Abende, welche sie alle, gleich dem heutigen, in Gesellschaft ihres unfreundlichen, wortkargen, gestrengen Vaters verbringen wird.
Wider Erwarten empfand sie wenigstens heute eine Erleichterung. Lamminger, der, ganz in Gedanken versunken, während des Nachtmahles kaum ein Wort gesprochen hatte, stand gleich nach dem Essen auf und ging in seine Kanzlei. Er verständigte seine Gattin, man möge auf ihn nicht mehr warten, da er viel dringende Arbeit habe und lange in der Kanzlei bleiben werde. Dort sass schon einer seiner Beamten und schrieb eifrig.
Lamminger blieb bei ihm stehen, sah ihm über die Achsel auf das Schriftstück und las, was er geschrieben. Dann richtete er sich auf und sprach:
»Einstweilen gut – vergesse auf nichts, Wilddieberei, Widerstand, Ungehorsam, verwegene Reden, alles recht lebhaft und meinetwegen stärker, weil die Schilderung immer schwächer ist als die Wirklichkeit. Jemandem, der es nicht gesehen hat, muss man es, wie gesagt, recht lebhaft darstellen, du verstehst mich doch. Und vergesse nicht an diesen Just, das ist ein Prozessmacher und Rabulist, der jede Ordnung und Ruhe untergräbt, in Summa ein gefährlicher Mensch, doch noch mehr dieser Kozina, der mit seiner verwegenen Sprache alle ins Feuer bringt und zum Widerstande aufreizt.«
»Das habe ich schon, Euer Gnaden –«
»Und diese Linde auch.«
»Jawohl, Euer Gnaden.«
»Und das, was heute aus Kauth gemeldet wurde?«
»Das noch nicht –«
»Also das, und die Rädelsführer von Melhut und Tilmitschau nimm auch hinein. – Sobald alles fertig ist, komm damit gleich zu mir. Du wirst mir es vorlesen. Heute muss alles fertig sein, morgen zeitlich früh geht damit Schneider nach Prag. Hast du um den Verwalter geschickt?«
»Zu Diensten, Euer Gnaden!«
»Gut.« Lamminger liess den Schreiber, der eine scharfe Klage gegen die Choden verfasste, allein und begab sich in sein Gemach. Etwa zweimal ging er hier auf und ab, sodann blieb er stehen, als würde er horchen. Im Schlosse herrschte Stille und draussen, wo bereits die schwarze Nacht eingebrochen war, pfiff zeitweilig nur ein eisiger Wind. Lamminger machte die Tür zu und trat an die Wand heran, wo er in der Nähe der Ecke den Schlüssel in ein kaum sichtbares Schloss steckte. Aus der Wand sprang, wie durch eine Springfeder hervorgeschnellt, ein Türl hervor und in der Öffnung sah man einige Verschläge. Dem einen entnahm der Freiherr zwei mit Goldmünzen vollgefüllte Beutel. Sodann schloss er rasch wieder das Türl, setzte sich an den Tisch und fing an zu schreiben. Da klopfte auch schon jemand an die Tür.
»Warte! Gleich!« rief Lamminger und nachdem er zu Ende geschrieben, liess er seinen Verwalter in das Gemach ein. Es war derselbe, der mit Kozina unter der Linde gerungen hatte.
»Du wirst nach Wien fahren,« gab ihm der Freiherr kurz bekannt.
»Wann, Euer Gnaden?«
»Eine dringende Angelegenheit – morgen zeitlich früh. Bereite dich vor!« Ohne auf die Überraschung, welche diese Neuigkeit beim Verwalter hervorrief, zu achten, fuhr er fort:
»Hier hast du das Reisegeld. Die Pferde schone nicht. In Wien kennst du dich doch aus –«
»Ich bin dort fünf Jahre gewesen,« antwortete der Verwalter mit einem selbstbewussten Lächeln.
»Dieses Schreiben überbringst du dem Hofprokurator – und diese da den übrigen Herren je nach der Adresse – jedoch sofort nach deiner Ankunft. Diese Briefe betreffen die Choden, verstehst du? Solltest du noch weiter über sie befragt werden, so sage, was wir mit ihnen auszustehen haben. Und mit diesem Briefe wirst du zum Chodenprokurator Straus gehen. Der Brief enthält nichts anderes als die Bestätigung, dass du in meinem Namen kommst – du zeigst ihm den Brief nur vor –«
»Ich verstehe, Euer Gnaden.«
»Das übrige musst du mündlich abmachen und« – hier lächelte Lamminger und ergriff den Beutel mit den Dukaten. »Dies zur Bekräftigung. Die Quittung wirst du mir bringen.«
»Wie denn, wenn er das Geld nicht annimmt?« frug der Verwalter.
»Ich hielt dich für erfahrener.«
»Und falls er vielleicht mehr verlangen wollte?«
»Das ist etwas anderes. Du borgst dir von Bekannten aus. An alles habe ich gedacht. Nun, hast du verstanden?«
»Ich werde, Euer Gnaden, alles auszuspähen trachten. – Werde mich erkundigen –«
»Wie die Sache bei Hofe und bei Gerichte steht, darüber werde ich Nachricht bekommen. Aber dass du mir bei diesem Straus alle Namen sicherstellst! Wer diese Bauernbengel hingeschickt hat, wer das Geld hergibt, insbesondere wer die Sache leitet. Sei bei ihm auf der Hut! Es scheint ein geschickter und geriebener Mensch zu sein. Er hat bereits eine Kommission zur Erhebung des Sachverhaltes durchgesetzt. Die Namen der Kommissäre muss ich ebenfalls erfahren und zwar so rasch als möglich. Wirst du deine Sache gut machen, so werde ich dich gut und reichlich belohnen. Jetzt bereite dich vor, schweige jedoch über die Reise. Früh wirst du dich, so lange es noch finster ist, auf den Weg machen, damit dich niemand sieht. Ich komme selbst in den Hof hinab. Diesen Straus musst du um jeden Preis, mag es was immer kosten, gewinnen. Doch setze dich und merke dir die Hauptsachen – hier ist das Geld – dies das Reisegeld und dies da für alle weiteren Zwecke.«
Kurz darauf kehrte der Verwalter in seine Wohnung zurück. Da er ledig war und allein wohnte, wusste niemand von seinen Vorbereitungen. Zeitlich in der Frühe führte er sich noch im Nachtdunkel selbst das Pferd hinaus, und nachdem er sich darauf geschwungen, ritt er unbemerkt davon. Sein Herr kam im selben Augenblick ohne Allonge-Perücke, in einer Pelzmütze und im leichten Pelze bis vor das Schlosstor, wo er eine Zeit lang dem Verwalter nachsah, der durch die verschneite Gegend dahinritt. Dieser verschwand alsbald in der Frühdämmerung, durch die nur einige erlöschende Sterne glitzerten.