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1937

Paris. 10. Januar 1937. Sonntag

Früh um neun Nasenbluten, das sich allmählich zu einem Blutsturz entwickelte, so daß ich fast in meinem Blut erstickte. Der Arzt kam und stillte allmählich das Blut. Ich mußte aber den Tag über regungslos auf dem Rücken liegen. – Nachmittags kamen Jacques und Andre Hugon und wachten abwechselnd bis spät an meinem Bett.

Paris. 11. Januar 1937. Montag

Nachmittags brachen plötzlich Cocteau und Picasso in mein Zimmer ein und waren sofort wieder verschwunden. Nachher entschuldigte sich Cocteau, er habe die Zimmer verwechselt; machte mir im übrigen Vorwürfe, daß ich ihn Sonntag nicht habe rufen lassen.

Paris. 13. Januar 1937. Mittwoch

Nachmittags bei Misia Sert, die mir vorschlug, mich bei Quiñiones de Leon einzuführen, damit er mir meine Reise nach Mallorca und den Rücktransport meiner Papiere aus Palma erleichtere. Er scheint der offiziöse Vertreter der Rebellen-Regierung von Burgos in Paris zu sein. Außerdem sagte sie mir sehr viel Schönes über mein Buch. Sie ist so jung und charmant geblieben wie vor zwanzig Jahren. Sie meinte, ich solle unbedingt im zweiten Bande die Verleumdungen erwähnen und widerlegen, die über mich hier bei Kriegsbeginn verbreitet worden sind. Sie halte das für unerläßlich. Ich machte Einwände: warum diese alten, peinlichen Dinge wieder aufwärmen? Sie hielt aber stand.

Über die zweite Madame Sert, die geborene Mdivani, die halb wahnsinnig geworden ist infolge des Todes ihres Bruders, sagte sie: diese habe in ihrem Wahnsinn lange Zeit abgelehnt, sie zu sehen, habe sie aber oft nachts plötzlich antelephoniert in dem Gefühl, Misia sei der einzige Mensch, der ihr helfen könne. Misia fügte merkwürdigerweise hinzu, diese Frau, die ihren Platz als erste Frau eingenommen hat, sei der einzige Mensch in der Welt, den sie, Misia, wirklich liebe, über alles liebe. Sie und ich sind ›pour ainsi dire la même personne›. Darin liegt subjektiv wahrscheinlich eine tiefe Wahrheit, die Misia gefühlsmäßig über die schiefe Situation hinweghilft.

Abends in der Comédie-Française, die ich zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder besuchte. Mussets ›Chandelier‹ und Moliéres ›École des maris‹ gesehen. Reizende Inszenierungen, an die von Reinhardt anknüpfend, völlig vom alten Comédie-Française-Stil abweichend. Erstaunlich, wieviel näher uns Moliére als Musset steht. Moliére ist wie von heute, Musset ganz unleugbar von gestern. Dieses Gefühl wurde noch verstärkt durch den Darsteller des Fortunio, einen jungen Schauspieler namens Julien Bertheau, der einen ausschließlich schwächlichen, weinerlichen Jüngling hinstellte ohne jede Frische oder Knabenhaftigkeit, einen Jüngling ganz aus Schlagsahne, mit einer langen blonden ›indefrisable‹-Frisur wie ein Botticellischer Engel. Das Publikum sehr bourgeois. Alle Frauen, bis auf ganz wenige, ganz in Schwarz, zum Teil elegant, aber alle diese schwarzgekleideten Frauen erweckten den Eindruck einer Trauerversammlung; man suchte unwillkürlich jemanden, dem man sein Beileid aussprechen könnte.

Paris. 14. Januar 1937. Donnerstag

Großes Frühstück bei Misia Sert: Marcel Achard, der ›junge‹ Porel, Sohn der Réjane, usw., lauter mir unbekannte Leute. Unter diesen ein Pole (Jude), Anatole Mühlstein, Schwiegersohn von Robert de Rothschild, polnischer Gesandter z. D., der ein Buch über Pilsudski schreibt, den er für ›größer als Napoleon‹ erklärt. Er sagte mir, er habe mich schon immer kennenlernen, mir schreiben oder mich um eine Unterredung bitten wollen, da er gewisse Einzelheiten über Pilsudskis Befreiung von mir hören möchte, um Punkte, die ihm geheimnisvoll geblieben seien, von mir zu erfahren. Er fragte mich dann unter anderem, ob Pilsudski mir eine schriftliche Erklärung gegeben hätte, daß er nichts gegen Deutschland unternehmen wolle? Ich bestätigte ihm, daß es sich nur um eine mündliche Erklärung in Form eines Ehrenwortes gehandelt habe, da ich mich dem General Hoffmann gegenüber geweigert habe, eine schriftliche Erklärung von Pilsudski zu verlangen. Außerdem habe mir Pilsudski bereits 1915 erklärt, daß er keinen Zollbreit deutschen Bodens wünsche; aber allerdings auch nicht ausschlagen könne, wenn ihm die Alliierten etwa Westpreußen anböten. Mühlstein sagte, das erkläre ihm die Haltung Pilsudskis bei den Friedensverhandlungen, deren Gründe ihm bisher immer dunkel geblieben seien. Pilsudski habe sich nämlich immer energisch geweigert, an den Verhandlungen über Polens Westgrenze teilzunehmen, die habe er Dmowski überlassen, während er sich ausschließlich mit Polens Ostgrenze beschäftigt habe. Offenbar habe er sich durch sein mir gegebenes Ehrenwort, daß er keinen Zollbreit deutschen Bodens verlangen werde, behindert gefühlt und daher von diesen Annexionsverhandlungen ferngehalten. Eine recht plausible Erklärung.

Mühlstein sagte auch und wiederholte es mehrmals, daß der Unterstaatssekretär Filippovicz, der mir das Verlangen zugestellt hat, Warschau zu verlassen, ›un fou‹ gewesen sei, der ohne Auftrag gehandelt habe. Jedenfalls hat sich Pilsudski, wie es scheint, mit einem etwas schlechten Gewissen um sein mir gegebenes Ehrenwort herumgedrückt.

Paris. 15. Januar 1937. Freitag

Mit Hugo Simons und Dreyfus nach Marly zu Maillol, den wir in einem vom Bruder van Dongen ihm zur Verfügung gestellten Atelier an seiner großen Figur für die Ausstellung an der Arbeit fanden, obwohl es schon fast dunkel war. Er sieht frisch aus, behauptet aber, sehr übermüdet zu sein und möglichst bald nach Banyuls zu wollen, um sich auszuruhen.

Die große Figur läßt ihn nicht los. Ununterbrochen seit vielen Monaten arbeitet er daran herum, um ihre Massen zueinander in ein immer harmonischeres und überzeugenderes Verhältnis zu bringen. Wenn er an der einen Stelle, zum Beispiel der Schulter, etwas ändere, so sei es von der einen Seite gesehen richtig, von der andren falsch. So müsse er es wieder ändern. So kommt er von kleiner Korrektur zu kleiner Korrektur, langsam sich vorwärts tastend, endlich zum vollen Zusammenklang der Massen. Er ist dabei von unendlicher Geduld und unendlichem Fleiß. Was ihn aber nicht hindert, auf seinen metteur au point zu schimpfen, der ein imbécile sei, der die Massen nicht richtig angesetzt habe; denn wenn er diese genau nach dem Tonmodell gemacht hätte, wäre die Figur längst fertig! Aber seit dreißig Jahren schimpft er über jeden seiner metteurs au point, daß sie ihn im Stich ließen und unendliche Arbeit verursachten. In Wirklichkeit macht ihm gerade dieses Herumkorrigieren an seinen Figuren am meisten Freude.

Wir fuhren Maillol nach seinem Hause. Kamen aber vor geschlossene Türen, da Mme. Maillol die Schlüssel mitgenommen hatte, so daß er im Garten hätte warten müssen im Dunkeln bei Feuchtigkeit und Kälte, wenn nicht zufällig das Atelier noch offen gewesen wäre. Seltsame Parallele zwischen der Art, wie Maillol von seiner Frau vernachlässigt und mißhandelt wird, und dem, was er nach Judith Cladel von Rodin erzählt, daß er in seinem Haus in Meudon ›mort de froid‹, an Kälte gestorben sei, weil die Stadt Paris sich weigerte, die Zentralheizung reparieren zu lassen.

Nachher in Paris Tee bei Annette Kolb. Dort Dumaine getroffen, den Dezernenten für Großbritannien im Quai d'Orsay. Ich brachte ihn auf die Panik am Sonntag und die vom Radio usw. verbreiteten falschen Nachrichten über die Landung deutscher Truppen in Melilla zu sprechen. Er sagte, sie hätten im Quai d'Orsay keine Nachrichten über die Landung deutscher Truppen gehabt, dagegen wohl darüber, daß dort weit vorgeschrittene Vorbereitungen für solche Landungen bestünden. Aus diesen Nachrichten über Vorbereitungen seien dann durch eine Art von ›génération spontanée‹ die Meldungen über bereits geschehene Landungen entstanden. Aber vielleicht sei das ›un mal pour un bien‹ gewesen, weil diese falschen Nachrichten die Erklärung von Hitler an Poncet verursacht und jedenfalls einen solchen Plan, wenn er bestanden hätte, vereitelt hätten, einen Plan, dessen Ausführung eine Kriegsgefahr herbeigeführt hätte.

Paris. 16. Januar 1937. Sonnabend

Gordon Craig heute zufällig beim Frühstück im Café de la Paix getroffen. Er ist jetzt ganz weiß geworden, eine gewaltige weiße Mähne, die zu seinem mächtigen, schönen Kopf gut paßt. Er setzte sich zu mir und erzählte, er sei kürzlich in Moskau gewesen und habe außerdem ein Privatgespräch von zwanzig Minuten mit Mussolini gehabt. Der letztere hätte ihn erstaunt durch die Dummheit und Leere seines Gesichtes: »Quite the Italian waiter! ›What can I do for you, Sir?‹« In Moskau habe das jüdische Staatstheater die beste Truppe und die beste Regie, die er jemals gesehen habe. Ihr ›Lear‹ sei grandios, erschütternd. Er möchte es nach Europa bringen.

Paris. 18. Januar 1937. Montag

Den Grafen Molina im Hotel Meurice aufgesucht, den Sekretär des früheren Botschafters Quiñones de Leon, der jetzt offiziös die Burgos-Regierung hier vertritt und bei dem mich Misia Sert eingeführt hatte. Ich wollte, in Ermangelung eines Visums, ein Empfehlungsschreiben von Quiñones für die Behörden in Mallorca haben. Ich bekam ihn aber nicht zu sehen. Molina setzte mir auseinander, daß mein Wunsch unerfüllbar sei, da Quiñones kein offizielles Schriftstück ausstellen könne und niemanden in Mallorca kenne, an den er schreiben könnte.

Ich merkte bei Molina eine sehr große Nervosität. »Nous vivons ici en pays ennemi, car vous vous rendez bien compte que la France est pour nous un pays ennemi!« Er fragte, ob ich Franzose sei. Als ich nein sagte, Deutscher, wurde er freundlicher. »Alors c'est différent, si vous êtes Allemand. Nous faisons tout ce que nous pouvons pour les Allemands. Ils nous aident, alors nous les aidons, c'est juste.« Aber irgend etwas von Quiñones mir mitgeben könne er doch nicht. Doch solle ich nur ruhig nach Mallorca fahren, mir als Deutschem werde niemand die Landung verweigern.

Paris. 19. Januar 1937. Dienstag

Gordon Craig bei mir im Café de la Paix gefrühstückt. Er erzählte aus Moskau. Die Russen hielten sich für die glücklichsten und reichsten Leute der Welt, während alle andren Völker in der äußersten Not lebten und versklavt seien. Der Besitzer des ›Hotel Metropol‹ in Moskau habe ihn gefragt, ob sein Hotel nicht das beste in der Welt sei? Worauf er geantwortet habe: »No, Sir! It is the very worst, I have ever been in!« Es habe kein Salz und keinen Pfeffer gegeben, außer ›when you clamoured for it‹. In der Straße sei einem immer irgendein Spion gefolgt. Ein Intellektueller, den er von früher her in komfortablen Umständen kannte, habe mit seiner Familie zu fünfen in einem Zimmer gehaust. Dagegen habe Meyerhold eine luxuriöse Villa bewohnt. Allerdings wenn er als Spielleiter vor dem Publikum auf der Bühne erschien, sei er immer in einem alten, abgeschabten Mantel gekommen.

Ich sondierte Craig, ob er eventuell, wenn die Cranachpresse wieder auflebte, für die Gesamtausgabe von Shakespeare, wie ich sie vor Augen habe, die Holzschnitte, einen pro Band, machen würde. Er sagte, ja gewiß! Er wohnt jetzt in Saint-Germain, das er sehr liebt, im Pavillon de Noailles.

Paris. 21. Januar 1937. Donnerstag

Den ganzen Tag mit Schwierigkeiten über mein Visum bei der Préfecture de Police verloren. Die Préfecture weigert sich, mir eines zu geben, wenn ich nicht die Carte d'identité, die ich nicht besitze, vorzeige, trotz eines Schreibens vom Quai d'Orsay, daß diese in Mende in der Lozère auf der Préfecture für mich liegt. Der Quai d'Orsay verlangt energisch, daß mir die Préfecture das Visum trotzdem geben soll. Im Quai d'Orsay setzen sich vor allem Comert und sein Sekretär de Nerciat für mich ein; letzterer ist Lozérien, oder halb Lozérien, seine Mutter eine Morangiès, und interessiert sich deshalb besonders für mich von einer Art von Lokalpatriotismus. Nach vielem Hin und Her und Reisen vom Quai d'Orsay nach der Préfecture und vice versa siegte schließlich die Beharrlichkeit des Quai d'Orsay, und mir wurde das Visum für morgen versprochen.

Paris. 22. Januar 1937. Freitag

Nachmittags auf der Préfecture endlich mein Visum abgeholt. – Abends mit Jacques bei H. Simon. Dort Schickele, den ich seit vielen Jahren nicht gesehen hatte, und seine Frau, der Marchese Farinolla und seine (zweite) Frau, Annette Kolb, Hans Siemsen. Dieser verursachte einen sehr unangenehmen Skandal, indem er zur Marchesa Farinolla sagte: »Mussolini kann mich am A... lecken.« Farinolla, der daneben saß, stand zum Protest auf und ging hinaus, Schickele sah Siemsen mit weitaufgerissenen Augen wie einen Verrückten an usw. Schließlich ging Siemsen fort und entschuldigte sich dann telephonisch. Farinollas waren beide wütend und ließen es merken. Meine Palma-Reise löste von allen Seiten Proteste aus. Farinolla beschwor mich, nicht hinzufahren.

Zürich. 27. Januar 1937. Mittwoch

Vormittags Hunzikers Ausstellung in einem ihm von der Stadt zur Verfügung gestellten Atelier besucht; Gemälde, Zeichnungen und Lithographien. Starker Eindruck. Eine Beseelung der Landschaft und der Figuren, die mich an Munch erinnerte. Als ich dieses Hunziker sagte, antwortete er, auch von andrer Seite sei in diesem Zusammenhang der Name Munch genannt worden. Einen besonders starken Eindruck machte auf mich eine Zeichnung zu Stendhals ›Le Rouge et le Noir‹, der kleine Julien Sorel nach dem ersten Zusammensein mit seiner Freundin; psychologisch von einer seltenen Feinheit und Tiefe.

Nach Tisch mit Simon und Oprecht zum Vorsitzenden der Züricher Büchergilde, einem früheren Berliner Gewerkschaftler Dreßler, mit dem Oprecht mich in Verbindung bringt, um mit seiner Hilfe die Cranachpresse wiederzubeleben. Dreßler scheint sich in der Tat ernsthaft dafür zu interessieren. Mit ihm allerhand Möglichkeiten besprochen; unter anderen auch die, hier und da mal ein Buch für seine Buchgemeinschaft zu drucken oder wenigstens zu setzen. Etwa ein Buch von Ramuz mit Holzschnitten von Hunziker.

Zürich. 20. Februar 1937. Sonnabend

Bei Brentanos in Küßnacht gefrühstückt. Kleines Landhäuschen in einem kleinen Garten mit kleinen Räumen, aber modern und einfach eingerichtet, mit einer anheimelnden Bibliothek und einem großen, komfortablen Schreibtisch. Nachdem ich so lange nur in unpersönlichen Hotelzimmern mich herumgetrieben habe, machte es mir einen seltsamen Eindruck, mich zum ersten Mal wieder in einem richtigen, gut eingerichteten Arbeitszimmer zu befinden. Zwei dicke, blonde, kleine Buben, dreieinhalb und eineinhalb Jahre alt, Michael und Peterchen, vervollständigten das Bild einer glücklichen, soliden Häuslichkeit.

Ich sagte Brentano, mit welcher inneren Anteilnahme ich seinen ›Theodor Chindler‹ gelesen habe, dessen Held der Krieg sei, der gespensterhaft, mit knochigen, bösen Fingern in alles hineingreife, alles verbiege und schief drehe, bis er sich selber auffresse, und fragte, wer nun, nachdem der Krieg sich umgebracht habe, der Held der Fortsetzung sein werde? Er sagte: »Die Republik.«

Nachher zu Thomas Mann, der ein paar hundert Schritt weiter eine schöne Villa bewohnt. Sehr großes, helles Arbeitszimmer mit einem schönen Blick auf den See. Er sprach von meinen Erinnerungen, die ihm sehr gefallen hätten und von denen er einzelne Stellen hervorhob. Dann von Hofmannsthal; den ›Rosenkavalier‹ halte er für unsterblich wie den ›Figaro‹, den ›Barbier‹ und ›Carmen‹, ein völlig geglücktes Werk. Ich erklärte ihm meinen Anteil am Szenario.

Später kam Frau Mann, und das Gespräch verflachte etwas. Er erzählte, daß er jetzt an einer großen Goethe-Novelle arbeite, Besuch der sechzigjährigen Lotte Buff bei Goethe in Weimar. Schon einmal habe ihm Goethe als Novellenfigur vorgeschwebt, aber er habe sich damals doch nicht herangewagt, und da sei der ›Tod in Venedig‹ entstanden, indem die Situation Goethe-Marianne von Willemer in die eines Dichters, der mehr oder weniger er selbst sei, der in einen Knaben verliebt ist, umgebogen worden sei.

Zürich. 25. Februar 1937. Donnerstag

Vortrag des Dr. Werner Wolff über ›Die Erschließung der altamerikanischen Kultur‹, das heißt seine Entzifferung der Mayaschrift, zu dem Thomas Mann, Frau Reiff und ich gemeinsam in die Kunstgewerbeschule eingeladen hatten. Die ganze deutsche Intellektuellen-Kolonie anwesend: Manns mit ihrer jüngsten Tochter, Frau v. Brentano, Frau Wassermann, Stössinger usw. Der Vortrag langweilte, weil er viel zu ausführlich und mit zu vielen Bildern beschwert war. Nachher alle in ›Old India‹ am Bahnhof.

Paris. 10. März 1937. Mittwoch

Mit Fieber aufgewacht. Den Tag im Bett geblieben.

Paris. 11. März 1937. Donnerstag

Auf Simons Drängen einen österreichischen Arzt, Dr. Berger, hinzugezogen.

Paris. 13. März 1937. Sonnabend

Auf Bergers Drängen in eine Klinik transportiert. Ich habe eine beginnende Lungenentzündung (ödem) und Darmblutung.

Paris. 13. April 1937. Dienstag

Nach wiederholten Bluttransfusionen und immer sich wiederholenden Darmblutungen von Dr. Rouquès operiert: Laparotomie und Abbindung zweier Venen im Darm, die die Blutungen speisten. Eine ganz neue Operation, die noch nie gemacht worden ist. Ich litt sehr, weil ich nicht richtig anästhetisiert wurde aus Angst vor Herzkomplikationen.

Paris. 25. Mai 1937. Dienstag

Endlich heute nach zweieinhalb Monaten die Klinik verlassen und ins ›Castille‹ zurückgezogen, wo Wilma die ganze Zeit über gewohnt hat. Hübsches Zimmer mit Ausblick auf den Garten des Justizministeriums.

Paris. 28. Mai 1937. Freitag

Mit einem Laissez-passer von van de Velde vormittags in die Ausstellung und den belgischen Pavillon besucht. Inneres herrliche Proportionen, diskrete, vornehme Dekoration, sehr schöne moderne Gobelins.

Paris. 31. Mai 1937. Montag

Die ›Deutschland‹ ist gestern im Hafen von Ibiza von spanischen Regierungsflugzeugen bombardiert worden, dreiundzwanzig Mann getötet, über achtzig verwundet. Ein äußerst ernster Fall, der jede Besorgnis rechtfertigt. Deutsche Kriegsschiffe haben als Repressalie Almeria bombardiert und einige zwanzig Tote für die unglücklichen deutschen blauen Jungens in die andre Waagschale geworfen. Damit ist hoffentlich Hitlers Prestigebedürfnis genügt.

Pontanevaux. 21. Juni 1937. Montag

Neue, ziemlich ernst aussehende Komplikationen im Mittelmeer. Die ›Leipzig‹ soll angeblich am Fünfzehnten und Achtzehnten von einem spanischen Regierungs-U-Boot angegriffen worden sein; doch ist kein Schaden entstanden, und niemand hat die Torpedos gesehen. Deutschland fordert gemeinsame Maßnahmen der vier Kontrollmächte gegen die spanische Regierung, worauf England und Frankreich bei dem ungeklärten Stand der Sache keineswegs ohne weiteres eingehen dürften.

Pontanevaux. 24. Juni 1937. Donnerstag

Frankreich und England haben Deutschlands Forderung abgelehnt, worauf dieses erklärt hat, nicht weiter an der Bewachung der spanischen Küsten teilnehmen zu wollen, aber seine Flotte im Mittelmeer weiter verstärkt. Italien solidarisiert sich mit dem Dritten Reich. In den Zeitungen Ausdrücke starker Besorgnis wegen der Zukunft.

Fournels. 11. September 1937. Sonnabend

Heute früh eine Viertelstunde lang geschneit. Witterung recht kalt. Jacques abends nach Paris zurückgefahren. Ihn im Wagen nach der Bahn, nach Saint Chély, gebracht. Unterwegs riet er mir mit großem Nachdruck ab, nach Mallorca zu fahren. Es sei großenteils in deutschen Händen, das heißt in Händen der Nazis. Ebensogut könnte ich nach Berlin fahren. Er ist in Paris mit Bernanos in Verbindung gewesen, der bis vor kurzem in Mallorca geblieben war. Obgleich dieser auf Seiten Francos steht, habe er es dort nicht mehr aushalten können. Er ließe mir sagen, daß er mir dringend abrate, nach Mallorca zu gehen, es sei denn, ich stünde mich mit der deutschen Nazi-Regierung gut. Die Zustände dort seien entsetzlich usw.

Fournels. 30. September 1937. Donnerstag

Mit Christian nach Marvejols, um mein Herz röntgen zu lassen. Angenehmer, junger Arzt, Dr. de Fleury, der im städtischen Dispensaire einen Apparat zur Verfügung hat, der von der Marquise de Chambrun, Frau des Senators, Amerikanerin, mit amerikanischem Geld gestiftet ist. Das Städtchen, altmodisch, malerisch, erinnert in Stil und Atmosphäre an Weimar, aber schon fast südlich.


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