Paul de Kock
Der Mann mit drei Hosen
Paul de Kock

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Dreizehntes Kapitel.

Aufenthalt in England

Kaum war Prosper in Melun angelangt, so beeilte er sich, zu dem Notar Dumont hinzugehen. Dieser las ihm das zu seinen Gunsten abgefaßte Testament vor und überreichte ihm die Aktenstücke, wodurch ihm das Vermögen zugesichert war, welches ihm übrigens Niemand streitig zu machen suchte.

Der vormalige Bierbrauer war kein Millionär, denn bis zu seinem letzten Gichtanfall hatte er sich nichts versagt und alle seinen Neigungen entsprechenden Vergnügungen genossen. Das nach seinem Tode hinterlassene Vermögen bestand aus dem Gute von Trevilliers und seinen Pertinenzien, was ein Einkommen von jährlich zehn- bis zwölftausend Livres abwarf; alsdann aus seinem in Melun stehenden Wohnhause, und ungefähr hunderttausend Livres baaren Geldes, welche er in einem alten Koffer im Innern eines Schreibtisches verborgen gehabt hatte, was auf wenig Vertrauen zu den Assignaten von ihm schließen ließ, obwohl er das Gut des Emigranten mit solchem Papier an sich gebracht hatte.

Es war also kein ungeheures Vermögen, welches Prosper zufiel; aber für Jemand, der gar nichts hat, grenzt ein solcher Wechsel des Geschickes ans Wunderbare.

Bedenken wir auch, daß Prosper erst zwanzig Jahre alt war, und wenn gleich die Zufälle und Lebenslagen, in denen er sich schon befunden, seinen Charakter frühzeitig gestählt hatten, so konnte sich sein Herz und sein Sinn doch noch jenen der Jugend befreundeten Illusionen überlassen, die selbst das reifere Alter noch lange beizubehalten sucht.

Beim Eintritt in das Haus, wo er Durouleau freudig und bei guter Laune verlassen hatte, fühlte sich Prosper tief ergriffen, und würde willig das eben erlangte Vermögen zurückgegeben haben, wenn er wieder die Hand dieses Mannes hätte drücken dürfen, der zwar in seinem Leben große Fehler begangen haben mochte, ihm jedoch nur Beweise der Freundschaft gegeben hatte.

In dem Gemache angekommen, welches Prosper früher inne gehabt hatte, bemächtigte sich eine andere Erinnerung seiner Seele. Hier hatte Camilla eine Nacht mit ihm zugebracht, hier war er so glücklich und so strafbar gewesen; doch hoffte er immer, aus diesem Fehler werde sein Glück entsprießen, und er dachte in seinem Sinne: »Kann sie jemals, nach dem was geschehen ist, einem Andern ihre Hand reichen? O! nein ... Camilla ist zu stolz, um Jemand zu betrügen. Sie weiß, wie sehr ich sie liebe, und warum sollte ich jetzt, wo ich ihr ein Gut ihres Vaters zurückgeben kann, jetzt, wo ich reich bin, nicht ihr Gatte werden können?«

Prosper blieb einen großen Theil des Tages in Gedanken versunken und mit der Erinnerung an Camilla beschäftigt, in diesem Zimmer. Die Zeit verstreicht den Dichtern und Verliebten schnell; solche Leute langweilen sich nie in der Einsamkeit, das ist eine kleine Entschädigung für all' die Täuschungen, die ihrer warten.

Erst beim Heraustreten aus dem Zimmer gedachte Prosper einer zweiten Person, die es ebenfalls mit ihm getheilt hatte; dann schweiften seine Blicke auf den umstehenden Gegenständen herum und er flüsterte: »Arme Jeannette! diese liebt mich innig! und ich habe sie gezwungen, mich zu verlassen, während die andere ... Unser Herz ist doch sehr undankbar, sehr grausam, sehr unvernünftig! Wenn es nicht liebt, läßt es sich von nichts rühren; es bleibt kalt bei den Beweisen der glühendsten Liebe, während es bisweilen für einen Gegenstand in Flammen geräth und sich verzehrt, von dem es nur Geringschätzung und Verachtung erfährt. Wenn ich aber Jeannetten wieder finde, so will ich ihr wenigstens Beweise meiner Freundschaft geben, indem ich sie für alle Zeiten gegen die Wechselfälle des Glücks sicher stelle.«

Prosper hatte schon seinen Plan gemacht; sein Entschluß stand fest; er beabsichtigte nach England zu gehen, um dort Camilla aufzusuchen; er konnte nicht glauben, daß sie ihn ganz vergessen habe. Da er ihr Schweigen der Macht der Umstände und nicht ihrem eigenen Willen zuschrieb, so tröstete er sich damit, sie habe ihm vielleicht Nachricht gegeben und ihre Briefe seien aufgefangen worden oder verloren gegangen; der damals zwischen Frankreich und England herrschende Krieg, die Seltenheit und die Schwierigkeit der Communikationen, konnten in der That Anlaß zu solchen Vermuthungen geben; außerdem ergreift ein Liebender Alles, was seiner Leidenschaft schmeichelt; er würde eher an eine Erdumwälzung glauben, als vollkommen auf die Hoffnung einer Gegenliebe verzichten. Wenn wir lieben, fordern wir Beweise, um an unser Unglück zu glauben, und selbst dann noch gibt es Viele, die sie haben, und doch nicht daran glauben wollen! Oculos habent et non vident (sie haben Augen und sehen nicht), was übrigens ein großes Glück ist.

Prosper brachte seine Erbschaftsangelegenheiten schnell in Ordnung. Er nahm sodann eine bedeutende Summe Geldes zu sich, vertraute seinem Notar die übrige Baarschaft an, ließ sein Haus unter der Aufsicht zweier Dienstboten, die schon bei Durouleau gedient hatten, und reiste nach Calais ab, wo er eine Gelegenheit zur Ueberschiffung nach England zu finden hoffte.

Mit Gold kommt man zu jeder Zeit und unter allen Regierungsformen fast immer zum Ziele. Prosper wurde mit dem Kapitän eines leichten Segelschiffes, das nach Schottland steuerte, Handels einig. In einer schönen Nacht schiffte er sich ein und verlor bald die Küsten seines Vaterlandes aus den Augen.

Die Hauptsache für Prosper war, aus Frankreich heraus zu sein. Einmal in Schottland, schien es ihm ein Leichtes, sich nach England zu begeben; nur sah er bald ein, daß er wohl daran gethan hatte, sich mit einer beträchtlichen Summe Geldes zu versehen, denn wenn man sagen kann, in Frankreich gebe man viel Geld aus, so scheint es einem in England geradezu davon zu fliegen.

Vierzehn Tage nach seiner Abfahrt von Calais logirte Prosper in London in einem ziemlich hübschen Hôtel der Altstadt, und rannte in allen Straßen umher, in der Hoffnung, der Tochter des Grafen von Trevilliers zu begegnen.

Aber jeden Tag fühlte der arme Verliebte seine Hoffnungen mehr und mehr schwinden. Wie sollte es ihm auch in der That gelingen, die Gesuchte inmitten einer riesengroßen Stadt, einer ungeheuren Bevölkerung zu finden, während er kaum ein paar Worte von der Sprache herausstottern konnte, die rings um ihn her gesprochen wurde.

Der Gastwirth, bei welchem Prosper wohnte, litt an der Einbildung, vortrefflich Französisch zu sprechen und zu verstehen. Als der junge Reisende bei ihm abstieg und sagte, er komme nach London, um Landsleute aufzusuchen, so hatte ihm Herr Betteson, dies war der Namen des Wirths, entgegnet, er werde ihn in seinen Bemühungen unterstützen und ihm die Mittel verschaffen, seine Freunde zu finden. Als aber nach einigen in der Altstadt zugebrachten Tagen Herr Betteson Prospern Bier schickte, wenn er Zucker, ein Beefsteak, wenn er eine Feder, und einen Schneider, wenn er einen Commissionär verlangte, so zog der junge Mann aus und quartirte sich in einem hübschen Hotel des prachtvollen Quartiers Saint-James ein.

Dort fand Prosper einen Wirth und sogar Kellner, die ziemlich gut Französisch sprachen, bei denen er sich nach dem Grafen von Trevilliers erkundigte.

»Emigranten,« erwiderte man ihm, »haben wir in allen Quartieren der Stadt viele; die einen machen tolle Depensen, die andern haben keinen Sou und sind höchst unglücklich; einige davon sind sogar genöthigt, um ihr Leben zu fristen, ihre Talente in Anwendung zu bringen, und unterrichten in der Kunst oder Wissenschaft, die sie verstehen, wobei sie aus Stolz ihren Namen und Rang verbergen. Wir kennen keinen Grafen von Trevilliers; um Nachrichten über ihn einzuziehen, müßten Sie häufig die großen Zirkel Londons besuchen, in den Salons einiger Lords Zutritt haben, oder was noch besser wäre, bei irgend einer hochgestellten Person eingeführt werden.«

Aber Prosper hatte gar keine Bekanntschaften, keine Empfehlungsbriefe; er war von bürgerlicher Abkunft, ein früherer Buchdrucker, war Republikaner, liebte die Freiheit, die Revolution und war Besitzer von Nationalgütern; alle diese Eigenschaften gaben ihm keinen Anspruch, in den Salons der englischen Aristokratie zugelassen zu werden.

Sechs Monate waren verflossen. Prosper hatte alle Quartiere von London durchstreift und alle öffentlichen Orte besucht, er ging oft ins Theater und in die Zirkel, speiste in allen bedeutenden Gasthäusern, trank in allen Tavernen, hatte aber nie weder Camilla zu Gesicht bekommen, noch einen Franzosen den Namen ihres Vaters nennen hören. Der arme Verliebte war in Verzweiflung; mehrmals schon hatte er im Sinne gehabt, England zu verlassen, aber er konnte nicht zum Entschlusse kommen, weil ihm ein geheimes Gefühl sagte, seine Geliebte sei doch in London.

Eines Morgens ging er in einem vom Mittelpunkte der Stadt entlegenen Viertel spazieren. Er suchte nicht mehr, er fragte nicht mehr, denn auch in dieser, wie in den andern Straßen hatte er sich schon längst nach dem Grafen von Trevilliers und seiner Tochter erkundigt, und nur verneinende Antworten erhalten.

Während er so auf- und abging, hielt eine Postchaise vor einem ziemlich einfach aussehenden Hause. Ein Mann von eleganter Haltung stieg zuerst aus; an seinem Anzuge, an seinem ganzen Wesen erkannte Prosper sogleich einen Franzosen; nach ihm sprang ein junges Frauenzimmer aus dem Wagen, und dieses Frauenzimmer war, obgleich er sie nur halb gesehen, das sagte ihm sein Herz, Camilla, die er endlich entdeckt hatte.

Prosper blieb ungefähr hundert Schritte von dem Gefährt entfernt unbeweglich auf der Straße stehen, und heftete seine Blicke starr auf das Haus, in welches die Personen eingetreten waren, die von einer Reise zurückgekommen zu sein schienen. Er wußte nicht, was er anfangen sollte. Dieses Glück, worauf er nicht mehr gerechnet hatte, betäubte ihn und beraubte ihn seiner Fassung. Indessen stieg der Postillon wieder auf. Die Postchaise rollte von dannen. Jetzt erst kehrte Prospers Besinnung zurück, und hinter dem Gefährt herlaufend, rief er dem Postillon zu und zeigte ihm von fern ein Goldstück. Der Postillon hielt seine Pferde an. Der junge Mann näherte sich ihm und suchte sich verständlich zu machen. Seit den sechs Monaten, die er in London zugebracht, hatte er hinlänglich Englisch gelernt, um sich halbwegs auszudrücken. Er fragte, wer die Reisenden seien, welche eben aus dem Wagen gestiegen. Der Postillon griff zuerst nach dem ihm dargebotenen Goldstücke und entgegnete alsdann: » Yes, travellers ... comte french émigré, von Birmingham kommen!«

Hierauf peitschte der Postillon seine Pferde und flog davon. Prosper wußte jetzt nicht viel weiter, als zuvor, doch hatte er die Worte comte, french und émigré wohlverstanden. Außerdem war er überzeugt, Camilla gesehen zu haben; allein was sollte er nun beginnen? er fühlte wohl, daß es jetzt nicht der passende Augenblick sei, sich vorzustellen, da man von einer Reise zurückkehrte, und auch abgesehen davon, wollte er Camilla ohne ihren Vater sehen, und zu diesem Zwecke mußte er zuvor einigermaßen bekannt im Hause sein.

Prosper stand den ganzen Tag wie eine Schildwache in der Straße. Gegen Abend kam eine Frau, an deren Haltung er eine Engländerin erkannte, aus dem Hause heraus. Prosper ging ihr nach, redete sie an, stammelte einige Worte, die keiner Sprache angehörten, weil er in seinem Eifer, sich verständlich zu machen, keine Worte fand, sich auszudrücken. Zu seinem Glücke sprach die Dame, an welche er sich gewendet, vortrefflich Französisch, und sagte lächelnd zu ihm: »Ich glaube, es wäre einfacher, wenn Sie nicht englisch mit mir sprächen.«

Prosper war entzückt, er würde die englische Dame geküßt haben, wenn er nicht gefürchtet hätte, sie aufzubringen; endlich konnte er die ersehnten Erkundigungen einziehen. Mistreß Wilfort, so hieß die Dame, erwiderte ihm mit vieler Höflichkeit: »Die Leute, welche Sie aus dem Wagen steigen sahen, haben schon vergangenes Jahr bei mir gewohnt; ich bin Wittwe und mit zwei Dienstboten allein; mein Haus ist ziemlich groß, daher habe ich die Hälfte davon diesem Franzosen und seiner Tochter abgetreten. Er ist ein Emigrant, und heißt Graf von Trevilliers. Sie sind, wie mir scheint, nicht reich; sie haben mehrere Monate in Birmingham bei einem befreundeten Engländer zugebracht. Heute kamen sie zurück und werden wahrscheinlich in ihrer früher gewohnten Lebensweise wieder fortfahren. Der Vater geht alle Tage aus und miethet zuweilen ein Pferd, um spazieren zu reiten: die Tochter bleibt beinahe beständig zu Hause. Sie erhalten von einigen adeligen, gleich ihnen ausgewanderten Franzosen Besuche; sie schwatzen, sie spielen ... und trinken Alle keinen Thee ... was mir das Auffallendste an ihnen zu sein scheint! ...«

Prosper bedankte sich bei Mistreß Wilfort, die äußerst gesprächig zu sein schien; er gab sich für den Bruder einer von Fräulein von Trevilliers in Frankreich zurückgelassenen Freundin aus, sagte, er werde ihr einen Besuch machen, sobald sie sich von der Reise erholt habe, und bat die Engländerin, ihr nichts von ihm zu sagen, weil er sie zu überraschen gedenke.

Mistreß Wilfort versprach zu schweigen; der junge Mann entfernte sich mit freudeerfülltem Herzen. Zum ersten Mal seit seinem Aufenthalt in London sah er mit Vergnügen um sich herum. Die Stadt erschien ihm schöner, die Läden prächtiger, die Engländerinnen anmuthiger; das schien er Alles vorher nicht bemerkt zu haben.

Prosper verbrachte einige Tage damit, um Camilla's Haus herum zu schlendern. Der Graf von Trevilliers ging gewöhnlich um ein Uhr Nachmittags aus und kam vor fünf Uhr nicht zurück. Als er den Zeitpunkt genau kannte, wo Camilla allein zu treffen war, faßte er den Entschluß, sich bei ihr vorzustellen.

Dieser junge Mann, den wir vor Kurzem noch so kühn und so unternehmend gesehen haben, war jetzt schüchtern und befangen, und sein von Furcht und Hoffnung bewegtes Herz rang vergebens nach Muth und Zuversicht.

»Wie wird sie mich aufnehmen?« fragte sich Prosper hundert Male auf dem Wege zu Camilla. Endlich langte er bei Mistreß Wilfort an und ersuchte sie, die Tochter des Grafen heimlich zu benachrichtigen, daß sie ein Bekannter aus Frankreich zu sprechen wünsche.

Mistreß Wilfort führte Prosper in einen Salon und hieß ihn dort warten, bis sie Fräulein von Trevilliers von seiner Anwesenheit in Kenntniß gesetzt habe.

Nach kurzer Zeit kam sie wieder zurück und sagte zu ihm: »Das Fräulein hat viele Fragen in Betreff Ihrer an mich gerichtet; ich habe jedoch geantwortet, daß ich Sie nicht kenne: sie wird übrigens kommen ... Erwarten Sie dieselbe hier, ich gehe.«

»Mein Gott, welche Förmlichkeiten!« dachte Prosper, sich auf einen Stuhl niederlassend; »übrigens denken wir daran, daß wir nicht mehr in Frankreich sind; daß Camilla hier wieder adelig und eine große Dame geworden ist ... daß republikanische Ideen von der Familie eines Emigranten sehr übel würden aufgenommen werden, und daß ich ehrerbietig mit derjenigen sprechen muß, die sich vielleicht nicht einmal des vertrauten Verhältnisses mehr wird erinnern wollen, das zwischen uns bestanden hat.«

Eine Thüre ging auf und Camilla erschien. Seit ihrer Entfernung aus Frankreich war der Ausdruck ihrer Züge noch strenger und ernster geworden; ihre Gestalt hatte sich entwickelt und ihr gemessener Gang war nicht mehr der des jungen Mädchens, welches spielend auf den Feldern herumlief. Prosper fand sie noch reizender; Staunen und Bewunderung ergriffen ihn bei ihrem Anblicke.

Als Camilla die Person, die sie erwartete, erkannte, wurde sie blaß, stützte sich auf ein Möbel, und blieb einige Augenblicke, ohne sprechen zu können, stehen.

»Sie sind es, mein Herr!« begann sie endlich, und diese Worte drückte sie mit einem solch' vorwurfsvollen Tone aus, daß Prospers Herz sich bereits verwundet fühlte.

»Meine Gegenwart scheint Sie zu überraschen, Fräulein,« versetzte Prosper mit bebender Stimme, »Sie erwarteten mich also nicht? ... Sie glaubten demnach, ich könnte Sie vergessen! ich könnte leben, ohne Sie wieder zu sehen und ohne zu wissen, wie es Ihnen geht! ... Sie hatten versprochen, mir Nachricht von sich zu geben ... ich habe vergebens gewartet ... beinahe zwei Jahre sind verflossen ... und nicht ein Wort kam von Ihnen, meine Sorgen zu beschwichtigen und meinem Herzen etwas Ruhe zu verleihen. Ach! wenn Sie wüßten, was ich gelitten habe! ... Da ich es nicht mehr aushalten konnte, habe ich Frankreich verlassen ... Seit sieben Monaten bin ich in London ... doch endlich habe ich Sie wieder gefunden ... und sehe Sie wieder ... o! ich bin überglücklich!«

Während Prosper dieses sprach, durchdrang Camilla eine Bewegung, die sie zu bemeistern suchte; indem sie einen Stuhl nahm, winkte sie dem jungen Manne, sich neben sie zu setzen, und antwortete ihm in minder strengem Tone: »Herr Prosper ... wenn ich Ihnen keine Nachrichten von mir gab, so rührt es daher, daß ... ich es für meine Pflicht hielt, die Vergangenheit gänzlich zu vergessen ... Erinnerungen aus meinem Gedächtnisse zu verwischen ... die allzu peinigend für mich sind ... Ja, meine Vernunft sagte mir, daß jede Verbindung zwischen uns abgebrochen werden müsse ... Glauben Sie nicht, daß mir dieser Entschluß leicht war ... allein wozu sollte unser Wiedersehen dienen? ... Selbst wenn ich Sie liebte, könnten wir keine ... Gatten werden. Vergessen Sie mich, mein Herr, und glauben Sie, daß ich alles Glück vom Himmel für Sie herabflehe.«

»Ich soll Sie vergessen!« rief Prosper aus, der bei Camilla's Worten kaum an sich halten konnte, »so empfangen Sie mich ... wir dürfen uns nicht wieder sehen ... wir können keine Gatten werden! Und warum nicht, Fräulein ... Jetzt bin ich reich! ... kann Ihre Zukunft sichern ... kann Ihnen das Gut zurückgeben, auf welchem Sie Ihre Jugendzeit verlebten und dessen Verlust Sie so sehr bedauerten ... es gehört mir, und es machte mich so glücklich, kommen und es Ihnen anbieten zu dürfen!«

»Wie, mein Herr, Sie haben das Schloß meines Vaters gekauft!« rief Camilla beinahe mit Entrüstung aus. »Ah! Sie sind ein Käufer von Nationalgütern! ... ich mache Ihnen mein Compliment darüber; unser Gut wird Ihnen nicht theuer zu stehen gekommen sein ... Sie werden es, ohne Zweifel, mit Assignaten bezahlt haben ... Wenn Sie sich dadurch bei meinem Vater empfehlen wollen, so stehe ich Ihnen für keinen guten Empfang.«

Prosper war bestürzt, er war auf keine Vorwürfe gefaßt und glaubte auch nicht, solche zu verdienen; erst nach einer Pause fühlte er sich im Stande, zu erwidern: »Ich habe das Schloß Ihres Vaters nicht gekauft ... wie hätte ich es thun können? ich war arm ... aber ... es starb Jemand ... und setzte mich zu seinem Erben ein; der Verstorbene hatte dieses Ihr ehemaliges Gut an sich gebracht und so kam ich in den Besitz desselben. Wenn dieser Erwerb ein Unrecht war, so glaube ich es dadurch wieder auszugleichen, daß ich Ihnen das Gut zurückgebe ... Ach! Fräulein ... machen Sie mir keine unverdienten Vorwürfe ... Wenn ich Ihr Gatte werde, werde ich jeden Tag meines Lebens Ihrem Glücke weihen ... keinen andern Willen mehr anerkennen als den Ihrigen ... Camilla, Sie wissen nicht, wie sehr ich Sie liebe; ... es ist zwar wahr, Sie sind von Adel und ich bin es nicht; habe ich aber deßhalb gar keinen Werth für Sie? und diese Vorurtheile, die in Frankreich keine Geltung mehr haben, sollen sie hier eine Schranke zwischen uns bilden?«

Prosper war vor Camilla auf die Kniee gesunken; diese blickte unruhig um sich her und rief aus: »Stehen Sie auf ... stehen Sie auf, ich bitte Sie ... Mein Gott! wenn man käme,., es wäre um meinen Ruf geschehen.« – Vergönnen Sie mir nur ein Wort der Hoffnung ... des Trostes ... – »Was soll ich Ihnen sagen? Ich kann nicht thun, was ich will, ich hänge von meinem Vater ab ...« – So gestatten Sie mir wenigstens, ihn zu besuchen, ihn um Ihre Hand zu bitten? – »Das können Sie thun, allein ich glaube nicht, daß Sie Ihren Zweck erreichen werden.« – Sie haben also nie zu meinen Gunsten gesprochen; dem Grafen nie Etwas von Ihrem Retter erzählt, der Ihnen zu Ihrer Flucht aus Frankreich verholfen hat? – »Verzeihen Sie, ich habe Sie meinem Vater als einen Mann bezeichnet, dem ich große Verbindlichkeiten schuldig sei. Ich denke, daß ich nicht mehr habe sagen dürfen; und ohne Zweifel hat er jetzt Ihren Namen vergessen; mein Vater ist so zerstreut, so sehr mit politischen Angelegenheiten beschäftigt ...« – Nun, ich werde ihn sehen; ich werde den Muth haben, mit ihm zu sprechen. Und Sie, Camilla, werden Sie ihn nicht vorbereiten, damit er mir ein williges Ohr leihe? – »Ich habe keinen Einfluß auf den Willen meines Vaters. Hören Sie zuvor, was er Ihnen antwortet ... Und nun, Adieu; wenn er uns beide so beisammen fände, so könnte ihn das nur gegen Sie einnehmen.« – Sie schon verlassen, Camilla, nach einer so langen Trennung! wo ich Ihnen noch so viel zu sagen habe, wo ich so glücklich bin, Sie zu sehen! – »Sie werden mich keinen Unannehmlichkeiten aussetzen ... mir keinen Verdruß verursachen wollen ...« – O! nein! ich gehe, ich entferne mich ... aber morgen werde ich Ihren Vater besuchen, morgen soll sich mein Schicksal entscheiden.«

Prosper stand auf, näherte sich Camilla und, von seiner Leidenschaft hingerissen, machte er eine Bewegung, als ob er sie in seine Arme schließen wolle; aber Fräulein von Trevilliers trat einen Schritt zurück, und ihr Blick wurde so achtunggebietend, ihre Stirne so streng, daß der arme Junge ganz verdutzt wurde und außer Fassung gerieth; er begnügte sich damit, ihre Hand, die sie ihm gnädigst überließ, an seine Lippen zu drücken, und entfernte sich, nachdem er ihr noch einen letzten Blick zugeworfen, in dem sich seine ganze Seele ausdrückte.

Prosper kehrte mißvergnügt und besorgt nach Hause zurück; der Empfang, der ihm zu Theil geworden, war nicht von der Art, ihn zu ermuthigen; indeß suchte er sich immer noch Illusionen zu machen; er sagte sich, daß die Tochter des Grafen bei ihrem Vater jene Strenge der Sitten und der Reden wieder habe annehmen müssen, aber daß sie ihm erlaubt habe, um ihre Hand anzuhalten, und daß, wenn sie ihn nicht ein wenig liebte, sie sich dem widersetzt hätte, daß er mit dem Grafen spreche. Kurz, er sagte sich Alles, was man hervorsucht und ersinnt, wenn man Jemand liebt und kein Unrecht an ihm finden will.

Am folgenden Tage begab sich Prosper, nachdem er sich sorgfältig angekleidet und sein ungezwungenes, republikanisches Wesen unter dem Costüm eines Dandy zu verbergen gesucht hatte, vor der Stunde, wo gewöhnlich der Graf von Trevilliers ausging, zu demselben.

Ein Livréebedienter, dessen Kleider aber abgetragen und an manchen Orten ausgebessert waren, öffnete Prospern die Thüre und fragte ihn, was er wünsche.

»Ich möchte mit dem Herrn Grafen von Trevilliers sprechen.«

Der Bediente zögerte, kratzte sich am Ohr und entgegnete: »Ich weiß nicht, ob der Herr Graf zu sprechen ist ... wen soll ich melden?«

»Sagen Sie einfach, daß ein Franzose, der dem Herrn von Trevilliers Mittheilungen über interessante Dinge zu machen habe, ihn einen Augenblick um eine Unterredung bitten lasse.«

Der Bediente geht, kommt wieder, dreht sich ein paar Mal um und entschließt sich endlich, seinen Auftrag auszurichten.

Nach Verlauf von fünf Minuten, die unserem Verliebten entsetzlich lange schienen, kehrte der Bediente zurück und sagte: »Der Herr Graf wünschten zu wissen, von wem der Herr geschickt sei, und ob er einen Empfehlungsbrief habe?«

Prosper vermochte kaum den Unwillen zu bezähmen, den der unverschämte Ton dieses Bedienten in ihm aufsteigen machte, und seiner Seits ein gebieterisches Aussehen annehmend, sagte er zu ihm: »Ich bin von Niemand geschickt ... Ich selbst, verstehen Sie mich, will mit Ihrem Herrn sprechen ...«

Der entschiedene Ton, den Prosper annahm, imponirte dem Bedienten, der sich nun mit ehrerbietiger Miene verbeugte und entfernte, nachdem er zuvor halblaut zu ihm gesagt hatte: »Der Herr Graf wird kommen ... aber sehen Sie, wir werden von so vielen Bittstellern überlaufen ... die uns lästig sind ... daß man genöthigt ist, Vorsichtsmaßregeln zu treffen ... Warten Sie nur, der Herr wird kommen! ...«

»Welche Mühe, sich den Großen zu nähern!« dachte Prosper, im Salon auf- und abgehend. »Ich muß ihn übrigens entschuldigen ... er hat Gläubiger, so viel mir Mistreß Wilfort sagte. Herrn von Trevillier's Angelegenheiten stehen sehr schlecht. Muß er dann nicht einen Mann, der seine Tochter ohne Mitgift verlangt und sich im Gegentheil glücklich schätzen würde, Alles, was er besitzt, mit ihr zu theilen, günstig aufnehmen? ... Ach! wenn es dem so wäre!«

Der Graf von Trevilliers erschien endlich. Es war ein Mann von etwas über fünfzig Jahren, der aber in Gestalt und Wesen noch einem jungen Manne glich; da er einst sehr hübsch gewesen, so trug er außerordentliche Sorge um seine Person; seine Formen waren elegant und abgeschliffen, aber sein gewöhnlich spöttisches Lächeln und sein zur Satyrs geneigter Geist leuchteten auch aus seinem Blicke hervor.

Camilla's Vater begrüßte den jungen Mann, wies ihm mit der Hand einen Lehnstuhl an, warf sich selbst auf ein Sopha, musterte mit einem Blicke Prospers Anzug, machte eine Bewegung mit den Lippen, welche andeutete, daß er viel daran auszusetzen finde, und begann endlich: »Mein Herr, Sie haben mich zu sprechen gewünscht, Sie wissen, daß ich der Graf von Trevilliers bin. Ich möchte aber, bevor ich mich in eine Unterredung mit Ihnen einlasse, auch wissen, wer Sie sind; das ist englische Mode. In Gesellschaften nennt man Ihnen sogleich alle anwesenden Personen: dieser Gebrauch gefällt mir sehr, er schützt vor aller Art Mißgriffen und Verwechslungen.«

Der Ton des Hofmannes schüchterte Prospern ein, indessen bemühte er sich, seine Sicherheit wieder zu erlangen und er entgegnete ihm: »Herr Graf, Ihre Frage ist ganz natürlich. Ich heiße Prosper Bressange ...«

Der Graf schien in Erwartung, daß diesem Namen noch irgend ein Titel folgen werde, da man aber sonst nichts sagte, so murmelte er: »Prosper ... Bressange ... weiter nichts? ...«

Der junge Mann fühlte das Blut in seine Wangen steigen, schlug jedoch die Augen nieder und antwortete: »Ist mein Name ... nicht genug? ...«

»Ei! wenn er von einigen Titeln begleitet gewesen wäre, hätte es ihm, denke ich, auch nichts geschadet ... obgleich sie in Frankreich alles Derartige abschaffen wollen ... Ach! mein Gott! ... die armen Leute, welche den Adel unterdrücken wollen! Ich wette, es wird nicht lange anstehen, so führen sie ihn wieder ein. Nachdem sie den ganzen alten verbannt haben, so bürge ich dafür, daß sie einen neuen schaffen werden ... Nennen Sie mir eine Welt, wo keine Eitelkeit herrscht! Doch von all' dem handelt es sich nicht. Lassen Sie hören, mein lieber Herr, was Sie mir zu sagen haben?«

Mit diesen Worten lehnte sich der Graf in seinem Sopha zurück und spielte mit der linken Hand an seinem Jabot, während er sich mit der andern die Wade strich.

»Herr Graf,« erwiderte Prosper, »mit meinem Namen glaubte ich vor allen Dingen Erinnerungen in Ihnen zu erwecken ... Umstände in Ihr Gedächtniß zurückzurufen ... die Ihr Herz bewegen sollten.«

Herr von Trevilliers nahm eine Prise Tabak, schüttelte seinen Jabot ab und sprach: »Sie haben nicht das Mindeste in mir erweckt, mein Herr; erklären Sie sich deutlicher, denn der Teufel soll mich holen, wenn ich Sie verstehe.«

Prosper sammelte sich einen Augenblick und entgegnete: »Wohlan! mein Herr, so will ich mich erklären: Sie hatten Ihr Fräulein Tochter in Frankreich zurückgelassen, wo sie den größten Gefahren ausgesetzt war. Es hat Jemand über sie gewacht, sie beständig vor Denjenigen geschützt, die ihre Verhaftung verlangten, und ihr endlich, als kein Heil mehr für sie in Frankreich vorhanden war, unter einem falschen Namen glücklich auf die Flucht geholfen. Dieser Jemand, Herr Graf, war ich.«

Herr von Trevilliers sah Prosper mit einer etwas weniger höhnischen Miene an und antwortete mit größerer Ernsthaftigkeit: »Ah! Sie, mein Herr, haben das Alles gethan! Camilla hat mir in der That diese Umstände erzählt. Nun! so empfangen Sie meinen Dank für das, was Sie für meine Tochter gethan haben. Reichen Sie mir die Hand, junger Mann.«

Prosper beeilte sich, die ihm dargebotene Hand zu ergreifen und zu drücken, aber der Graf zog sie schnell wieder zurück, indem er sagte: »Anders kann ich Ihnen meine Erkenntlichkeit nicht zu erkennen geben, denn ich bin in diesem Augenblicke, wenn nicht ganz, doch beinahe ruinirt.« – Ach! mein Herr, Sie werden doch hoffentlich nicht glauben, ich sei wegen einer Belohnung hierher gekommen! – »Entschuldigen Sie, Herr Bressange, ich hatte nicht die Absicht, Sie zu verletzen, aber wir leben in einem so außerordentlichen Jahrhundert. Ich für meine Person glaube nicht allzusehr an schöne, ganz uneigennützige Handlungen. Allein ich wiederhole Ihnen, ich spreche nur im Allgemeinen; es gibt immer Ausnahmen. Ich erneuere Ihnen meinen besten Dank. Haben Sie mir sonst noch etwas zu sagen?«

Prosper fühlte seinen ganzen Muth schwinden: der Ton des Grafen war eben nicht Zutrauen erweckend. Indessen flößte ihm der Gedanke an Camilla doch Herz ein, und er antwortete, indem er Herr seiner Bewegung zu werden suchte: »Ja, Herr Graf, nun komme ich auf den eigentlichen Zweck meines Besuches, denn nicht um Dank zu betteln, bin ich bei Ihnen erschienen ... Ein anderer ... viel wichtigerer Grund für mich ...« – Reden Sie, mein Herr ... ich höre. – »Nun denn, Herr Graf, ich muß Ihnen gestehen, daß, da ich öfters Gelegenheit hatte, mich in der Nähe Ihrer Fräulein Tochter zu befinden, ich mich nicht erwehren konnte ... eine Leidenschaft für sie zu fassen, die ... kurz, ich bin zum Sterben verliebt in Fräulein Camilla ... und komme, Sie um ihre Hand zu bitten ... Ich bin reich, Herr Graf ... Ich habe ungefähr achtzehntausend Livres Einkünfte ... welches zwar allerdings kein übergroßes Vermögen ist ... aber ich bin jung und kann es durch meine Thätigkeit noch vermehren ... Alles, was ich erwerbe, soll das Eigenthum Ihrer Fräulein Tochter ... und mein einziges Trachten die Sicherstellung ihres Glückes sein.«

Der Graf hatte mit einer bewundernswürdigen Kaltblütigkeit zugehört, nur hatte seine Physiognomie mehr und mehr einen spöttischen Ausdruck angenommen; als Prosper zu sprechen aufgehört hatte, nahm Herr von Trevilliers eine Prise Tabak und antwortete ihm, seine Worte dehnend: »Sie sind jung ... ja ... das sehe ich! ... Wessen Sohn sind Sie, Herr Prosper?« – Gnädiger Herr, mein Vater war ein äußerst rechtlicher, aber nur einfacher Kaufmann. Er hatte mir einiges Vermögen hinterlassen ... da ich aber in meinem sechzehnten Jahre schon Waise und mein eigener Herr wurde, so hatte ich mein Erbtheil bald verschleudert ... Jetzt bin ich einundzwanzig Jahre alt ... die Ereignisse, unter denen ich heranwuchs, haben meine Vernunft gereift ... Vor Kurzem fiel mir eine Erbschaft zu ... und ich schwöre Ihnen ... – »Ganz gut ... ganz gut ... weitere Details wären überflüssig; mein lieber Herr Prosper, wissen Sie, daß wenn ... mir Jemand noch vor acht Jahren den Vorschlag gemacht hätte, den Sie heute an mich richten, ich ihn hätte zum Fenster hinauswerfen lassen? ...« – Mein Herr,« schrie Prosper, sich mit einem zornglühenden Blicke auf den Grafen vom Stuhle erhebend; aber Herr von Trevilliers ließ sich nicht aus der Fassung bringen und fuhr, ihm mit der Hand ein Zeichen gebend, daß er sitzen bleibe, fort: »Ich sage Ihnen, daß ich das vor acht Jahren gethan hätte ... Sehen Sie sich doch ... Die Zeiten haben meine Stimmung etwas geändert. Sie kommen von Paris, und sind ganz und gar durchdrungen von den Grundsätzen der Revolution! ... Sie wollen keinen Unterschied des Ranges und der Geburt mehr gelten lassen ... Sie haben sich in Fräulein von Trevilliers verliebt ... und weil Sie ihr ... allerdings ohne Nebenabsicht, wie Sie mir gesagt, einige Dienste geleistet haben, so haben Sie sich eingebildet, Sie könnten mich um ihre Hand bitten, und ich würde sie Ihnen bewilligen ... Ich entschuldige Sie; denn dieses Alles ist die Folge der großen Worte von Freiheit und Gleichheit, die Sie seit einigen Jahren unaufhörlich an Ihre Ohren klingen hören. Was aber mich betrifft, so kann mich nichts zur Aenderung meiner Grundsätze bestimmen. Meine Tochter ist von Adel ... sie wird, wenigstens so lange ich lebe, keinen Andern als einen Adeligen heirathen ... Ihre achtzehntausend Livres Renten wollen nicht viel bedeuten! ... Das thut jedoch nichts zur Sache! Sie dürften keinen Sou haben, und ich würde Ihnen meine Tochter geben, wenn Sie ihr ebenbürtig wären. Sie sagten mir, Sie wollen arbeiten, um Ihr Vermögen zu vermehren ... So wissen Sie, mein Herr, daß ich keinen Eidam will, der arbeitet ... beim Kuckuk, wenn ich Sie gewähren ließe, so würden Sie vielleicht eine Spezereikrämerin aus Fräulein von Trevilliers machen ... Gehen Sie, gehen Sie, das Alles ist nur ein Scherz und nicht der Mühe werth, daß man sich darüber erhitzt; nicht wahr, Herr ... Prosper?«

Der arme Verliebte war vernichtet; der spöttische Ton des Grafen raubte ihm jede Hoffnung; er sah ein, wie unsinnig er gewesen, ihn um die Hand seiner Tochter zu bitten, und doch konnte er sich nicht vorstellen, daß Camilla sich einem Andern als ihm hingeben sollte.

Nach einer Pause des Schweigens, während welcher Herr von Trevilliers wieder begonnen hatte, sich den Fetttheil seines Beins zu streicheln, stotterte Prosper: »Verzeihen Sie, Herr Graf, die Liebe ließ mich eine Hoffnung nähren, die ich, wie ich wohl einsehe, aufgeben muß ... Ja ... ich bildete mir ein, Sie könnten, um die Zukunft Ihrer Tochter zu sichern ... meine Abkunft vergessen. Man hatte mir gesagt, Sie seien im Gedränge ... und ...« – Nun, mein Herr! was schadet das? ... Man entlehnt, macht Schulden, geht, wenn es sein muß, sogar ins Gefängniß, das Alles ist nicht entehrend. – »Ihr Besitzthum ... in der Gegend von Melun ... wurde verkauft ... Sie wissen es ohne Zweifel?« – Ja, ich habe es vor einiger Zeit gehört, ein ehemaliger Bierbrauer, Namens Durouleau, hat, wie mir gesagt worden ist, sich erlaubt, mit einigen Packen Assignaten mein Gut zu kaufen. Das ist sehr bequem! ... man ist wohlfeil dazu gekommen! Dieses Volk ist im Stande und kauft meine Pachthöfe, meine Waldungen und meine übrigen Güter auch! ... aber das Alles wird hoffentlich sein Ende haben! ... die Royalisten werden wieder in ihre Rechte eingesetzt werden, und dann Alle, die sich mit unserem Nachlasse bereichert haben, aus ihren vermeintlichen Besitzungen hinausgetrieben werden.«

Prosper entgegnete nichts mehr; er schlug die Augen nieder und wußte nicht, welche Haltung er annehmen sollte. Jetzt erst begriff er, daß der Graf den Besitzer seines Gutes mit keinem günstigen Auge betrachten werde.

Als Herr von Trevilliers Prospers Verlegenheit bemerkte, der mitten im Zimmer stand und kein Wort mehr fand, erhob er sich, ging auf ihn zu und entließ ihn im Tone der ausgezeichnetsten Höflichkeit mit folgenden Worten: »Ich glaube, wir haben uns gegenseitig nichts mehr zu sagen; leben Sie wohl, Herr Bressange; seien Sie überzeugt, daß ich nie vergessen werde, was Sie für meine Tochter gethan haben; dies wird die einzige Erinnerung sein, die mir von dieser Unterredung bleiben wird.«

Prosper grüßte ohne ein Wort der Entgegnung zu finden, und befand sich bald allein auf der Straße, ohne zu wissen, wie er aus Herrn von Trevilliers Wohnung herausgekommen war.

Der arme Junge hafte keine Hoffnung mehr, Camilla's Vater für sich zu gewinnen, aber er hatte in Folge der Unterredung mit dem Grafen einen Entschluß gefaßt.

Kaum in sein Hotel zurückgekommen, schrieb er an Herrn Dumont, den Notar von Melun, bei dem er alle seine Papiere zurückgelassen hatte; er bat ihn, ihm sogleich diejenigen zu schicken, die das von Durouleau angekaufte Gut betrafen, und eine Urkunde beizulegen, welche er nur zu unterzeichnen hätte um vermöge derselben dieses Gut wem er wollte, abzutreten.

Nachdem dieses Schreiben abgesandt war, suchte sich Prosper zu zerstreuen, zu betäuben, sich den Vergnügungen hinzugeben, die ihm der Aufenthalt in London darbot, und besonders, sich Camilla aus dem Sinne zu schlagen. Aber die Liebe ist keines jener Gefühle, die man nach Gutdünken aus dem Herzen verbannen kann; und besonders trägt im zwanzigsten Jahre die Vernunft den Sieg über dieselbe noch nicht davon! ... wenn überhaupt je die Vernunft über die Liebe triumphirt, was mir wenigstens zweifelhaft scheint.

Der Notar von Melun schickte die auf das Besitzthum bezüglichen Urkunden und den Akt, den man von ihm verlangt hatte. Prosper beeilte sich, dieses Dokument, laut welchem er erklärte, sein Schloß verkauft zu haben, zu unterzeichnen und schrieb dem Vater Camilla's folgendes Billet:

»Herr Graf!

»Mir war seit einigen Monaten durch eine Erbschaft Ihr Gut anheimgefallen, aber weit entfernt mich als dessen Besitzer zu betrachten, denke auch ich, Herr Graf, daß es nie aufgehört hat, Ihr Eigenthum zu sein. Empfangen Sie es somit zurück! Ich übersende Ihnen anbei alle dieses Gut betreffenden Urkunden (über das ich einen Augenblick zu verfügen hatte), überglücklich, Ihnen noch einen Dienst leisten zu können, und nur von dem Wunsche beseelt, Ihnen den Beweis zu liefern, daß man, wenn auch durchdrungen von den Grundsätzen dieser Revolution, die Sie tadelnswürdig finden, doch ein großmüthiges, uneigennütziges Herz haben kann.«

Prosper unterzeichnete diesen Brief, legte ihn den übrigen Papieren bei und übersendete Alles an Herrn von Trevilliers.

Er hatte einen Kellner des Gasthofes mit dieser Commission beauftragt und ihn gebeten, darauf zu bestehen, das Paket nur dem Grafen selbst zu übergeben. Er hatte ihm nicht befohlen, auf Antwort zu warten, aber er hoffte, man werde ihn einer solchen würdigen, und harrte mit Ungeduld der Rückkehr seines Boten.

Der Kellner blieb lange aus; endlich kam er mit einem Schreiben des Grafen an Prosper; dieser riß schnell das Siegel auf, und las folgendes Briefchen, welches schon von Ferne einen starken Duft von Moschus und Ambra verbreitete:

»Mein lieber Herr Bressange!

»Ich bin wirklich gerührt von Ihrer edlen Handlungsweise gegen mich, und ich glaube, dies nicht besser zu beweisen, als daß ich zustimme, in den Besitz meines Gutes zurückzutreten. Später hoffe ich, mich meiner Schuld gegen Sie entledigen zu können. Ich wiederhole Ihnen, daß, wenn ich Ihnen in Etwas nützlich sein kann, ich Ihnen jederzeit mit meinem Einfluß zur Verfügung stehe.

Ihr dankbarer

Graf von Trevilliers

Prosper überlas den Brief mehrmals. Er hatte etwas Besseres erwartet. Die Phrase: wenn ich Ihnen in Etwas nützlich sein kann, schien ihm beinahe einen Spott zu enthalten. Indessen war er zufrieden mit dem, was er gethan, denn er dachte, Camilla werde von seinem Benehmen unterrichtet werden und nicht umhin können, dasselbe edel und großmüthig zu finden; er sprach zu sich: »Würde Herr von Trevilliers, wenn er nicht später die Absicht hätte, mir die Hand seiner Tochter zu bewilligen, das Dokument über die Zurückgabe seines Schlosses von mir angenommen haben?«

Aber Wochen und Monate verstrichen, ohne daß der arme Verliebte weder von Camilla noch von ihrem Vater sprechen hörte.

»Man denkt nicht mehr an mich! ...« sagte er zu sich, »ich kann England ungehindert verlassen,« und doch blieb er; Etwas hielt ihn noch zurück.

Mehr als sechs Monate waren verflossen, seit Prosper mit dem Grafen gesprochen hatte; öfters war er, von dem Wunsche getrieben, Camilla wiederzusehen, vor ihrem Hause auf- und abgegangen, aber nie wurde seine Hoffnung verwirklicht; dann kam er immer traurig und nachdenkend in seine Wohnung zurück, und an seinem langsamen Gange, seiner düstern und ernsten Miene hätte man keinen Franzosen in ihm erkannt; die Leidenschaft, die in seinem Herzen gährte, hatte seine Stimmung und seine Gesichtszüge verändert. Es war nicht mehr jener heitere, wilde, sorgenlose junge Mann; es war ein unglücklicher Liebhaber, und nichts erzeugt eine sorgenvollere Miene, als eine ungetheilte Liebe.

Eines Morgens, da sich Prosper abermals vorgenommen hatte, England zu verlassen, lenkte er seine Schritte gegen die Wohnung des Grafen von Trevilliers. Indem er sich dem Hause näherte, sah er eine Equipage vor der Thüre stehen. Ein unbekanntes Etwas sagte ihm, diese Equipage warte auf Camilla. Er verweilte in einiger Entfernung. Eine Viertelstunde verstrich, endlich trat man aus dem Hause: es war Camilla, prächtig gekleidet; ein noch junger Mann reichte ihr die Hand und half ihr in den Wagen steigen; der Graf von Trevilliers kam nach ihnen und nahm neben ihnen Platz; dann rollte der Wagen davon, und Prosper stand noch immer da, bestürzt, unruhig, nichts mehr sehend und doch noch immer auf denselben Punkt hinstarrend.

Plötzlich läuft er, da er seine Neugierde befriedigen will, und den Ahnungen, die ihn bewegen, nicht widerstehen kann, auf die eben geschlossene Hausthüre zu, klopft an und stürzt wie ein Wahnsinniger zu Mistreß Wilfort hinein.

Die Engländerin war mit ihren Complimenten noch nicht fertig, als er schon begann: »Um Gotteswillen, Madame, geben Sie mir einige Nachrichten von Fräulein Camilla von Trevilliers ... Ich habe dieselbe schon so lange nicht mehr gesehen ... Sie ist so eben mit ihrem Vater ... und einem Herrn ... in einen Wagen gestiegen ... Wer ist denn dieser Herr? .. Gehen sie noch immer auf's Land? Fräulein Camilla war doch so prächtig gekleidet! ...«

Die Engländerin vollendete ihre fünfte Verbeugung, und entgegnete endlich: »Das große Ereigniß ist Ihnen also nicht bekannt? ... die Tochter des Grafen von Trevilliers ist seit vierzehn ... fünfzehn ... nein, vierzehn Tagen, ich sagte es richtig ... mit dem Marquis von Clairville verheirathet ... Das ist der Herr, welchen Sie ihr die Hand haben reichen sehen ...« – Verheirathet! ... verheirathet!« wiederholte Prosper, den dieses Wort niedergeschmettert hatte; »Camilla ist verheirathet! – »Ja, mein Herr, Fräulein Camilla ist jetzt Frau Marquise von Clairville ... Ei ... sie war etwa zwanzig Jahre alt ... das ist ungefähr das rechte Alter ... Ich glaube, sie machen diesen Morgen Besuche ... oder Einkäufe ... oder ... Wie! Sie gehen schon wieder, mein Herr?«

Prosper hörte nicht mehr auf Mistreß Wilfort; er wußte, daß Camilla verheirathet war, mehr brauchte er nicht zuhören. Er kehrte in seinen Gasthof zurück und dort schrieb er an Poupardot:

»Mein Freund, ich will auf Reisen gehen, die Welt durchziehen. Ich werde vielleicht lange abwesend bleiben, denn ich will nicht eher nach Frankreich zurückkehren, als bis ich von einer tollen Leidenschaft geheilt bin, die mich Alle vergessen ließ, welche mir mit aufrichtiger Liebe zugethan sind. Ich will Ihnen meine kleine Pauline nicht anempfehlen, ich kenne ja Ihr und Ihrer guten Elisa Herz. Mein Notar wird Ihnen eine Summe übermachen, womit Sie die Launen und Liebhabereien des Kindes, welches ich Ihnen anvertraut habe, befriedigen können. Leben Sie wohl!«

Nachdem dieser Brief geschrieben war, gab er seinem Notar in Melun folgenden Auftrag: »Mein lieber Herr Dumont!

»Haben Sie die Güte und überschicken Sie mir umgehend, was Sie noch von meinen Geldern in Händen haben. Was mein Haus in Melun betrifft, so verkaufen Sie es und lassen Sie den Erlös Herrn Poupardort, dessen Adresse ich hier beilege, zukommen.

N. S. Sie werden in dem Zimmer, welches ich in Melun bewohnte, in einer Commodeschublade zwei Hosen, eine blaue und eine weiße, vorfinden. Das ist Alles, was mir von der Erbschaft meines Pathen übrig bleibt, allein es liegt mir viel daran; seien Sie so gefällig und schicken Sie mir sie mit dem Gelde.«

Als dieses Schreiben abgegangen war, traf Prosper seine Vorbereitungen zur Abreise, indem er dachte: »Ich gehe ... ich weiß noch nicht wohin! ich werde, wenn es nöthig ist, die Reise um die Welt machen: aber ich will sie vergessen! ... Ach! Camilla! Camilla! ... Du hast mich nie geliebt! ... sonst hättest Du Deinen Vater erweicht!«

Nach Verlauf einiger Wochen erhielt Prosper von dem Notar den Rest seiner hunderttausend Livres und die zwei Hosen seines Pathen. Mit diesem trat er seine Reise an.


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