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Kehren wir nach Clichy in das bescheidene Landhaus zurück, welches die Eheleute Poupardot bewohnten. Dort finden wir eine friedliche Haushaltung, – etwas Seltenes; eine sanfte, gehorsame, getreue Frau, – etwas Merkwürdiges! einen Mann, der nur seine Frau liebt, – etwas Wunderbares! und der dabei noch Alles im schönsten Lichte sieht ... was in dieser Welt, wo das Häßliche, besonders in moralischer Hinsicht, so gewöhnlich ist, zu häufigen Täuschungen verleitet.
Poupaldot hinkte in Folge des Kartätschensplitters, welchen er am 13. Vendemiaire in das Knie erhalten hatte, aber er war doch entzückt über das Benehmen, welches der Convent damals an den Tag gelegt hatte. Kurze Zeit darauf erwarb sich auch das Direktorium seine äußerste Zufriedenheit, und als er sich am 18. Brumaire zufällig in dem Augenblick in Saint-Cloud befand, wo der General Bonaparte seine Grenadiere gegen den Rath der Fünfhundert marschiren ließ, so bekam er zwar im Durcheinander einen Säbelhieb, der ihm Dreiviertheile seines linken Ohres wegriß; allein obgleich er nicht mehr mit seinen vollständigen zwei Ohren nach Hause zurückkam, so hinderte ihn das doch nicht, den kräftigen Akt zu billigen. Vermöge dessen sich der General Bonaparte an die Spitze der Regierung gestellt hatte.
Der kleine Navet wuchs heran: sein Vater vergötterte ihn und ärgerte sich nicht mehr, wenn ihn seine Frau August nannte, denn der alte Kalender schien den neuen wieder aus dem Sattel zu heben. Der kleine Junge log, naschte, war eigensinnig und jähzornig, aber der Vater nannte das Alles Charakter und sagte: »Mein Sohn hat einen festen Willen ... das freut mich, das zeigt einen großen Mann an. Das Genie muß Unerschütterlichkeit beweisen!«
Elisa hätte, obgleich sie ihrem Gatten nicht zu widersprechen wagte, gewünscht, ihr Sohn wäre auf eine Art erzogen worden, die ihm einen weniger festen Willen gelassen halte, selbst auf die Gefahr hin, etwas von seinem Genie einzubüßen; allein wenn sie den Knaben zur Strafe einsperrte, so konnte ihn Poupardot nicht schnell genug wieder herauslassen und mit Zuckerwerk füttern: – ein Erziehungssystem, welches allgemeiner, als man sich vorstellt, aber darum nicht besser ist.
Zwischen die Unarten des Herrn Navet und die Schwachheiten seiner Eltern drängte sich ein kleines, wunderliebliches Mädchen, welches jeden Tag mehr Reize entwickelte und eine neue gute Eigenschaft zeigte.
Mit drei Jahren war Pauline hübsch, sanft und munter. Mit sechs Jahren lauschte sie schon mit kluger Miene auf die Lehren ihrer Adoptivmutter, und ihre Herzensgüte ließ sich bei den geringsten Anlässen wahrnehmen.
Mit elf Jahren war sie ein liebenswürdiges, liebendes Mädchen, welches eines Jeden Wunsch zuvorzukommen wußte und in den Augen der sie Umgebenden erforschte, womit sie sie erfreuen könnte. Voll Aufmerksamkeit und Vernunft, war sie schon im Stande, die Leiden der Menschen zu begreifen; sie war noch keine Jungfrau und doch auch kein Kind mehr.
Picotin und seine Frau kamen von Zeit zu Zeit zum Besuche nach Clichy. Euphrasia kleidete sich nicht mehr als Athenienserin, die griechische Mode war vorüber. Ueberdies fing Madame Picotin an so dick zu werden, daß ihr eine Tunika nicht mehr gestanden hätte; der Schnürleib war ihr bereits unentbehrlich geworden; indessen war sie immer noch hübsch: was sie an Umfang zugelegt, that ihren Reizen keinen Eintrag, sondern verlieh ihnen sogar eine neue Frische, und ihre natürliche Koketterie, ihre Manier, sich zu frisiren, die eigenthümliche Weise, womit sie ihre Liebesblicke um sich warf, machten zusammen eine höchst angenehme Frau aus Euphrasia, deren Gesellschaft die Männer eifrigst aufsuchten.
Unter dem Consulat hatte Picotin seinen Pelzhandel aufgegeben; seine Frau, die eine Menge Militärs von allen Graden kannte, hoffte durch deren Verwendung ihrem Manne irgend eine Lieferung bei der Armee zu verschaffen. Man hatte dem ehemaligen Pelzhändler versprochen, er werde die Lieferung der Tornister erhalten, daher war Picotin, um derselben gewachsen zu sein, auf den Gedanken gekommen, Alles was er auftreiben konnte, in Schaffelle zu stecken. Damit hoffte er sein Glück zu machen. Aber seine leichtfertige Gattin bekümmerte sich mehr um Bälle und Eroberungen, als um die Leitung ihrer Haushaltung und ihre Zukunft. Jeden Tag präsentirte sich ein anderer schöner, galanter Offizier, um Euphrasia bald in das Theater, bald in irgend eine Gesellschaft abzuholen. Picotin sah so viele glänzende Militärs in sein Haus kommen, daß er ganz geblendet davon wurde; aber er machte diesen Herren allen ein freundliches Gesicht, denn seine Frau sagte zu ihm, indem sie ihrem Cavalier den Arm gab: »Sei ruhig, Picotin, wir stehen unter einer Militärherrschaft, und ich bin glücklich, so viele Offiziere zu kennen, denn durch die Verwendung dieser Herren mußt Du zu Etwas gelangen.«
Picotin, der an Alles, nur nicht an das dachte, wozu er bereits gelangt war, dankte seiner Frau für das, was sie für ihn that ... dann ging er zu Poupardot und sagte zu ihm: »Ich bin überzeugt, ich werde mein Glück machen: es wird sicher dahin kommen. Meine Frau arbeitet dafür. Da sie eingesehen hat, daß wir unter einer Militärherrschaft stehen: so richtet sie sich auch militärisch ein; sie steht mit vielen Offizieren in Verbindung, geht sogar mit ihnen auf den Ball ... Und das Alles nur, damit ich die Lieferung erhalte und dreihundert Prozent an meinen Schaffellen gewinne.«
Poupardot gab keine Antwort und lächelte nur. Die gute Elisa achtete wenig auf Picotins Geschwätz; denn außer der Sorge für ihre Haushaltung, ihren Sohn und Paulinen, war ihr Geist mit neuen Hoffnungen beschäftigt, sie trug ein weiteres Pfand der Liebe ihres Gatten unter dem Herzen.
Es war gegen das Ende des Jahres achtzehnhundertundvier; der erste Consul hatte sich zum Kaiser ausrufen lassen. Poupardot, der in Paris gewesen, um den prachtvollen Feierlichkeiten der Krönung beizuwohnen, kam eben, wegen seines leidenden Kniees ermüdet, nach Clichy zurück, indem er sich an der Stelle seines fehlenden Ohres kratzte und vor lauter Schreien: Es lebe der Kaiser! ganz heiser war, als ihn gleichzeitig seine Frau auch mit einem kleinen Schreier, seinem zweiten Sohn, erfreute, den Poupardot mit dem Ausrufe auf seinen Armen in die Höhe hob: »O! dieser muß Napoleon heißen, denn man könnte ihm keinen schönern Namen geben.«
Der zweite Sohn Poupardots, welcher ungefähr neun Jahre nach seinem Bruder geboren wurde, erhielt also den Namen Napoleon Poupardot. Madame Poupardot theilte ihre Zärtlichkeit getreulich zwischen den beiden Knaben, trug aber deßhalb nicht minder die innigste Sorgfalt für das ihr anvertraute junge Mädchen.
Eine lange Zeit war verstrichen, seit Prosper seine Freunde verlassen und die kleine Pauline geküßt hatte. Während seines Aufenthaltes in England hatte er Nachricht von sich gegeben; aber seit dem Schreiben, worin er seine Absicht ankündigte, die Welt zu durchziehen, um sich von einer unglücklichen Leidenschaft zu heilen, hatte man kein Wort mehr von ihm gehört. Viele Jahre waren verflossen, viele Ereignisse hatten sich in Frankreich zugetragen; Prosper war immer noch nicht in sein Vaterland zurückgekehrt.
Die Familie Poupardot unterhielt sich häufig von ihm, den sie jeden Tag in ihrer Mitte erwartete. Mit den Jahren aber ging die Hoffnung, Prospern wieder zu sehen, in eine zugleich traurige und angenehme Erinnerung über.
»Er braucht lange, um sich von seiner Leidenschaft zu heilen!« sagte Poupardot oft.
»Weil er wahrhaft liebte,« entgegnete Elisa. – »Er könnte auch in irgend einem entfernten Lande gestorben sein,« meinte Poupardot, »denn wenn er noch lebte, hätte er uns gewiß Nachricht von sich gegeben!«
Sprach Poupardot solche Worte in Gegenwart der kleinen Pauline, so wendete das arme Kind das Gesicht ab und weinte; denn man hatte ihr so viel von ihrem Freunde Prosper, ihrem Adoptivvater erzählt, daß sie ihn liebte, obgleich sie ihn nicht kannte, und jeden Tag zu Gott flehte, er möchte seine Rückkehr herbeiführen.
Wenn Elisa die Betrübniß der Kleinen sah, so tadelte sie ihren Mann und sagte: »Warum bringst Du uns auf den Gedanken, Prosper sei todt? Du thust der kleinen Pauline weh, die so sehnlich ihn kennen zu lernen wünscht, und alle Tage von ihm mit mir spricht.«
»Ihn kennen zu lernen? sie hat ihn ja gesehen ... nur war sie allerdings noch zu klein, um sich seiner zu erinnern! Er würde seinen Schützling sehr verändert finden. Pauline geht jetzt in ihr zwölftes Jahr. Und Navet, ich will sagen August, den würde er nicht wieder erkennen, und vollends meinen kleinen Napoleon ... Wie viele Dinge hätten wir ihm zu zeigen! Ach! nur weil ich mir einbilde, er müsse sich auch nach uns sehnen, hege ich Befürchtungen wegen seiner lange dauernden Abwesenheit!«
Wenn Madame Picotin zu Poupardots kam, so fragte sie fast immer, ob noch keine Nachrichten von Prosper gekommen seien; denn trotz der Zerstreuungen, die sie in ihrer militärischen Gesellschaft genoß, hatte sie ihren Beschützer von jenem Tage, wo sie sich als Athenienserin gekleidet in den elysäischen Feldern gezeigt hatte, nicht vergessen, und die Spazierfahrt im Boulognerwäldchen stets in zärtlichem Andenken behalten.
Prosper war somit der gewöhnliche Gegenstand des Gespräches, sowohl bei Picotin, als bei Poupardot; der letztere hatte auch seine beiden andern Jugendfreunde, Maximus und Roger, nicht vergessen. Man wußte, daß Roger den Feldzug in Italien mitgemacht, daß er sich bei Lodi, Rivoli und Castiglione tüchtig geschlagen hatte; daß er zum Lieutenant avancirt war; aber von Maximus wußte man nichts; man hatte weder mehr von ihm sprechen hören, noch ihn irgendwo gesehen.
Eines Tags war die Familie Poupardot im Garten an dem kleinen Hause von Clichy versammelt. Elisa säugte ihren Letztgebornen; ihr Gatte spielte Kegel mit seinem Sohne Navet, der entweder aus Bosheit oder aus Ungeschicklichkeit seinem Vater jederzeit die Kugel zwischen die Beine warf; Pauline endlich liebkoste einen kleinen Vogel, den sie aufgezogen hatte, und der, obwohl er groß genug zum Fliegen war, und die Freiheit, die man ihm gestattete, hätte benützen können, doch jedesmal wieder zu seiner kleinen Herrin zurückflog, wenn sie ihm rief: »Komm, kleiner Tom! komm geschwind!« Und ihr könnt euch vorstellen, wie vergnügt das junge Mädchen war, wenn der Vogel, der irgendwo auf einem entfernten Baume saß, auf den Ruf ihrer Stimme den Zwischenraum eilends durchschnitt, um sich wieder von ihr gefangen nehmen zu lassen.
Tom war jedoch nur ein einfacher Spatz; aber ein getreuer, anhänglicher Spatz, ist besser als ein Colibri, der nicht bei uns bleibt. Die jungen Mädchen verstehen das bei Zeiten.
Plötzlich trat ein Fremder in Husarenuniform in den Garten, lief auf Poupardot zu, drückte ihn an seine Brust, erstickte ihn fast in lauter Umarmungen, dann eilte er zu Elisa, that bei ihr das Gleiche, und die beiden Gatten erwiderten seine Liebkosungen mit dem Ausrufe: »Er ist es! ja wohl, er ist es! ... bist Du endlich da! ...«
Bei diesen Worten vergaß die kleine Pauline ihren Vogel und machte einige Schritte, um in die Arme des eben angekommenen Herrn zu eilen, denn als sie sagen hörte: »Er ist es!« schlug ihr Herz vor Freude, sie zweifelte nicht, daß das ihr Beschützer, den sie schon so lange erwartete, sei; daher flog sie auf den Offizier zu und rief: »Ach! das ist mein lieber Freund Prosper!«
Aber der Soldat stand unbeweglich, blickte Paulinen an, die ihre Arme nach ihm ausstreckte und fragte: »Wer ist die Kleine ... gehört sie auch euch? Sackerlott! ihr seid auch nicht auf der faulen Haut gelegen, während ich mich schlug.«
»Nein,« entgegnete Poupardot, »das ist nicht unsere Tochter. Ich habe nur zwei Knaben ... Navet ... den großen dort ... einen Teufelskerl mit den schönsten Anlagen, Du wirst Dich überzeugen ... und diesen kleinen da von sechs Monaten, dem ich den Namen des großen Mannes gegeben habe, weil das nie etwas schaden kann. Die Kleine ist eine Waise ... die wir bei uns haben ... doch ... das sollst Du später erfahren.«
»Meine arme Pauline,« sagte Elisa, »das ist noch nicht Dein Freund Prosper; das ist Roger, unser alter Freund Roger, von welchem Du uns oft hast sprechen hören, und der nun zurückgekehrt ist.«
Pauline schwieg, ihr Herz war beklommen, die Freude verschwand von ihrem Angesicht; indessen zwang sie sich zu lächeln, begrüßte den Husarenlieutenant und kehrte, betrübt, in ihrer Hoffnung getäuscht worden zu sein, zu ihrem kleinen Tom zurück.
Elf Jahre waren es, seit Roger mit dem Aufgebot abgegangen war; in dieser Zeit hatte er in verschiedenen Regimentern gedient, und sich öfters geschlagen, ohne nach Paris zurückzukehren; jetzt war er Kavallerielieutenant; er war nicht mehr jener zärtliche, blasse Mann, der, als er seine Freunde und seine Familie verließ, kaum Kraft genug zu haben schien, sein Regiment zu erreichen; elf Jahre und der Aufenthalt im Felde, hatten große Veränderungen herbeigeführt; der schmächtige, schwache Körperbau des jungen Soldaten, der seinen Freunden Besorgnisse eingeflößt hatte, war nun erstarkt; man sah einen kräftigen Mann mit gebräuntem Teint vor sich, dessen ganzes Wesen Gesundheit und Stärke verkündigte. Kurz, der Lieutenant Roger schien mit seinem schwarzen Schnurrbart und seinem dicken Backenbart ein vollendeter Husar, ein heiterer, lebenslustiger Soldat, ein guter Kamerad geworden zu sein; in seinen Blicken lag noch der Ausdruck des Vergnügens beim Anblicke einer hübschen Frau, aber keine Spur mehr von jener Sentimentalität früherer Zeit.
Wenn man elf Jahre von seinen Freunden entfernt war, so hat man viele Fragen an sie zu stellen, und eine der ersten Rogers war die Erkundigung nach Maximus und seiner Mutter; sein Antlitz trübte sich, als ihm Poupardot erwiderte: »Ich weiß durchaus nicht, was aus ihnen geworden ist.«
»Ach! tausend Schwadronen! das ärgert mich,« versetzte Roger, »ich hatte mich so sehr gefreut, Maximus um den Hals fallen zu dürfen ... Ach! als ich an jenem Abend zu ihm ging, um Abschied von ihm zu nehmen ... Du warst ja selbst dabei, Poupardot ... da erinnere ich mich wohl, zu ihm gesagt zu haben: Ich weiß nicht, wann ich Dich wiedersehe, Maximus, aber ich glaube, daß sich bis dorthin Vieles geändert haben wird. Nun! mein guter Poupardot, es hat sich Vieles geändert! ich meine, ich habe mich nicht getäuscht? statt einer Republik haben wir jetzt einen Kaiser ... und allenthalben Siege und Ruhm für die Franzosen! ... Ha! potz Bomben und Granaten! wer jetzt nicht zufrieden ist, wird nie zufrieden gestellt werden.«
»O! was mich betrifft, so bin ich sehr zufrieden!« rief Poupardot aus. »Zwar meine Frau findet den Zucker und den Kaffee etwas theuer ... aber die Weiber verstehen nichts von der Politik. Was Maximus betrifft, so weißt Du ja, daß er nichts als Republik wollte und träumte ... Ich bin nicht überzeugt, daß er mit dem Wechsel, der sich in Frankreich gestaltete, zufrieden sein wird.«
»Warum nicht gar! der wäre dann sehr schwer zufrieden zu stellen! gibt es etwas Schöneres, als eine Militärherrschaft? ... Haben nicht die Völker unter großen Feldherren immer am meisten Ruhm geerntet? ... Zum Beispiel unter Karl XII., Friedrich II. und Gustav Adolph!« – Ja, ja. O! ich bin vollkommen Deiner Ansicht ... Ich bin ganz närrisch auf den Ruhm! Meine Söhne müssen Soldaten werden ... außer Navet ... der fürs Seewesen Neigung hat ... er macht bereits kleine Schiffe aus Nußschalen. – »Und was ist aus dem jungen Mann, der mit Maximus in der Druckerei arbeitete, aus jenem leichtsinnigen, wilden Burschen ... kurz, aus Prosper geworden?« – O! der junge Bursche ist nur zu schnell vernünftig geworden ... Wenn ich sage, er sei vernünftig geworden, so will ich damit eigentlich sagen, daß wir gar nicht wissen, was aus ihm geworden ist, denn er zieht in der Welt herum, um sich wo möglich von einer unglücklichen Leidenschaft zu heilen. – »Ah bah! ... Wie! dieser junge Tollkopf ...« – Es ist ihm vielerlei begegnet ... aber er ist jetzt reich; ein Mann, dessen Zuneigung er sich erworben, hat ihn zum Erben eingesetzt und ihm ein Schloß ... und Geld hinterlassen ... es müßte nur sein, daß er Alles auf seinen Reisen verbraucht hätte! Meiner Treu! seit mehr als acht Jahren haben wir nichts mehr von ihm gehört. – »Das kleine Mädchen dort unten,« sagte Elisa, indem sie auf Paulinen zeigte, »gehört ihm.« – Ihm ... was! ... er hat schon ein Kind von diesem Alter? – »Das heißt ihm, weil es ihm die sterbende Mutter desselben übertragen hat. Es ist die Tochter jenes holländischen Bankiers ... Herrn Derbroucks, der während der Schreckensperiode hingerichtet wurde ... Prosper, welcher den Vater nicht retten konnte, verhinderte wenigstens, daß die unglückliche Mutter das Schaffot bestieg, aber er konnte sie nicht verhindern, aus Gram zu sterben ... schwur ihr aber, Vaterstelle bei ihrem Kinde zu vertreten.« – Brav, ganz brav!« sprach Roger, seinen Schnurrbart streichelnd, um seine Bewegung zu verbergen. »Ich sehe, das er ein wackerer Junge ist, und bedaure um so mehr, ihn nicht in meine Arme schließen zu können. Und ihr sorgt für diese Kleine, während Prosper reist?« – Er hat uns zwanzigtausend Livres geschickt, weil er wahrscheinlich befürchtete, die Kleine sei uns zur Last,« entgegnete Poupardot; »aber sein Geld liegt da ... ich habe es nicht berührt. Es wird Paulinen als Mitgift dienen, falls ihr Prosper keine andere geben kann.« – Stets gut und menschenfreundlich! Daran erkenne ich euch, meine Freunde! – »Ei, aber Du fragst uns nicht nach Picotin?« – Und nicht nach seiner Frau?« fügte Elisa schelmisch hinzu. – »Eben wollte ich es thun,« erwiderte Roger lächelnd. »Nun, was ist aus dem tapfern Anacharsis geworden, der immer zitterte? Hat er gute Geschäfte in Pelzwaaren gemacht? ... Ist seine Frau noch immer kokett?« – Picotin handelt jetzt mit Schaffellen; er hofft eine Lieferung für die Armee zu erhalten, was durch den Kanal seiner Frau gehen soll, die zwar sehr dick geworden, aber immer noch hübsch ist und eine Art kleines Hauptquartier von Offizieren aller Grade in ihrem Hause hält, mit denen sie abwechselnd kokettirt; denn das ist ein Fehler, der sich bei den Weibern nicht leicht verliert, und den man ihnen hingehen lassen kann, so lange sie nämlich noch nicht alt sind. Euphrasia ist aber noch in den besten Jahren und liebt das Vergnügen leidenschaftlicher als je. Wir stehen recht gut zusammen und sie besuchen uns häufig ... Ei! mir fällt etwas ein ... Du speisest doch bei uns ... – »Beim Kuckuk, das versteht sich wohl von selbst!« – Ich will Picotin und seiner Frau sagen lassen, daß wir sie beim Mittagessen erwarten ... ohne ihnen anzukündigen, daß Du da bist ... O! das gibt einen Hauptspaß. – »Sehr gut ausgedacht! ... Ach! wie Schade, daß Maximus nicht Theil daran nehmen kann ... Armer Junge! was mag aus ihm geworden sein?« Poupardot ließ auf der Stelle Herrn und Madame Picotin zum Essen einladen, dann nahm er Roger mit sich und zeigte ihm sein Gut, während er seiner Frau die Besorgung der Haushaltung überließ, und die kleine Pauline Tom in seinen Käfig einsperrte, denn sie wollte ihrer guten Pflegemutter bei der Zubereitung des Mittagsmahles helfen, welches glänzend ausfallen sollte, da man höchlich erfreut war, die Rückkehr eines alten Freundes zu feiern.
Gegen vier Uhr war Alles bereit, man erwartete nur noch die Gäste aus Paris. Roger, den es endlich langweilte, den Kohl und Salat in Poupardots Garten anzusehen, war in den Salon zurückgekommen und erzählte dort von seinen glänzenden Feldzügen in Italien, an denen sich seine Wirthe nicht satt hören konnten.
Endlich klingelte es.
»Das sind unsere Freunde,« sagte Poupardot; »ich will sehen, ob sie Dich erkennen.«
Es war in der That das Ehepaar Picotin, aber sie waren nicht allein: ein junger Linienoffizier, ein großer, breitschulteriger, rothbackiger Mann reichte Madame Picotin den Arm, und schien stolz auf diese Dienstleistung, welcher er sich mit dem Phlegma eines zu solchen Galanterien aus Dankbarkeit verpflichteten Militärs entledigte. Hinter ihnen kam Anacharsis mit einem Regenschirm, seiner Frau Ridicule und einem zweiten Shawl für dieselbe, falls es kalt würde.
Euphrasia trat, immer noch ihren Offizier am Arm, in den Salon; dieser grüßte steif, während Madame Picotin mit einem anmuthigen Lächeln gegen die Gesellschaft begann: »Guten Tag, meine lieben Freunde; ihr seht, wir haben ohne Umstände eure liebenswürdige Einladung angenommen; und ich war überdies noch so frei, auch den Herrn Lieutenant Bienlong, einen ausgezeichneten Militär, mitzubringen, dessen Bekanntschaft euch, wie ich mir zum Voraus einbildete, äußerst schmeichelhaft sein wird.« »Sie haben sehr wohl daran gethan,« entgegnete Poupardot. »Allein abgesehen davon, sind die Freunde unserer Freunde ... auch stets unsere Freunde.«
»Ah, sie bringt Offiziere mit sich,« flüsterte Roger, Elisa mit scherzhafter Miene ansehend.
»O, wenn sie nur einen mitbringt, dann ist es noch ein Glück!« versetzte Madame Poupardot, ihren Unmuth bezwingend.
»Der Herr Lieutenant wird Gelegenheit bei uns finden, sich über Schlachten zu unterhalten,« fuhr Poupardot fort. »Hier ist ein Husarenoffizier, der alle Feldzüge in Italien mitgemacht hat.«
Picotin machte einen Bückling bis auf den Boden; der Lieutenant grüßte Roger, ohne ein Wort zu sprechen, und Euphrasia nahm sodann den Husarenoffizier auf's Korn, den sie zum ersten Mal zu sehen glaubte; sie kniff den Mund zusammen, um ihn recht klein zu machen, verdrehte die Augen auf eine höchst beredte Weise, lächelte, um die Zähne zu zeigen, kurz, versäumte nichts, um schön zu erscheinen; aber Roger, der diese Koketteriemanöver bald satt hatte, brach in ein schallendes Gelächter aus und rief: »Was tausend Kartätschen! meine kleine Euphrasia erkennt mich nicht! Dann muß ich die Bekanntschaft von Neuem anfangen.«
Mit diesen Worten schritt Roger auf Euphrasia zu und küßte sie, was dem Herrn Lieutenant Bienlong eine leichte Grimmasse entlockte, der dafür seinen Schnurrbart streichelte; allein Madame Picotin, die sich mit der größten Hingebung küssen ließ, rief gleich darauf aus: »Ist es möglich! ... das ist Roger! ...«
»Roger!« sagte Picotin, »unser theurer Freund Roger!« Und damit warf er sich an die Brust des Husarenoffiziers, der ihm einfach die Hand drückte, indem er sprach: »Ja, meine Freunde ich bin es ... Roger ... den ihr seit elf Jahren nicht gesehen habt. Poupardot wollte euch eine Ueberraschung bereiten, und es ist ihm gelungen, denn ihr waret schwerlich der Erwartung, mit mir zu speisen.« »O! meiner Treu, gewiß nicht!« rief Picotin aus, »wir dachten gar nicht an Dich; nicht wahr, Frau, Du dachtest gar nicht an ihn?«
Euphrasia schien Anfangs verlegen, sich zwischen Roger und dem Lieutenant zu befinden; aber als eine Frau, die gewöhnt war, sich in solche Lagen zu schicken, kehrte bald ihre ganze Sicherheit und Heiterkeit wieder zurück, und sie rief aus: »Mein Mann schwatzt nur Dummheiten ... Entschuldige ihn, mein lieber Roger; gewiß dachten wir oft an Dich ... ich wenigstens. Man vergißt einen ... Jugendfreund nicht. Aber wahr ist, daß wir Dich hier nicht erwarteten ... und es ist eine sehr angenehme Ueberraschung, für die ich unsern lieben Wirthen nicht dankbar genug sein kann.«
Die Ankündigung des Mittagessens machte diesen Freundschaftsbezeugungen ein Ende. Der Lieutenant Bienlong, der streng an seinem Dienst zu halten schien, bot Madame Picotin wieder den Arm an, um sie in den Speisesaal zu führen. Man setzte sich zu Tische und Euphrasia hatte das Vergnügen, ihren Platz zwischen den beiden Offizieren zu finden.
Das Essen war ausgezeichnet. Jeder that ihm Ehre an, aber der junge Lieutenant übertraf alle Gäste durch die Gewandtheit, mit der er das ihm Angebotene verschwinden ließ. Demungeachtet war Euphrasia, die ohne Zweifel befürchtete, ihr Schützling wage nicht, sich nach seinem Appetite zu bedienen, fortwährend beschäftigt, ihn zum Essen aufzufordern. Während des Essens vernahm man folgende Unterhaltung:
»Lieutenant, Sie essen gewiß noch Ochsenfleisch? ...« – Ich werde so frei sein. – »Herr Bienlong, nehmen Sie doch einen Schlägel von dem Geflügel ... Sie lieben ja das Geflügel ...« – Ich werde so frei sein. – »Lieutenant Bienlong, noch ein Stückchen Hammelskeule ... nehmen Sie doch, man genirt sich hier nicht ... unter Freunden läßt man es sich schmecken!« Und der junge Lieutenant, der schon fünf Portionen Hammelskeule verzehrt hatte, nahm noch zwei weitere auf seinen Teller, indem er erwiderte: »Ich bin außer Stand, Ihnen etwas abzuschlagen, Madame.«
Und Poupardot dachte bei sich: »Ei, ich meine, der läßt es sich schmecken.«
»Sackerlott!« sagte Roger zu Picotin, der neben ihm saß, »ich habe auch einen gesunden Appetit ... aber da ist ein Lieutenant, der mich aus dem Sattel hebt ... Speist er oft bei Ihnen, dieser Herr?«
»Wenigstens sechs Mal in der Woche,« entgegnete Picotin mit stolzer Miene.
»Da mache ich Ihnen mein Compliment, lieber Picotin, Ihre Frau hat tüchtige Bekanntschaften ... Beim Kuckuk, das ist ein Bursche, der nicht gleich weich gibt.«
»Er wird mir zu einer Lieferung verhelfen und machen, daß ich meine Schaffelle anbringe.«
»O, ich denke schon, daß er Ihnen zu etwas verhelfen wird.« – Meine Frau setzt auch bei den Offizieren, die uns besuchen, meinetwegen Alles in Bewegung. – »Und es scheint nicht, daß sie mager dabei wird.« – O! meine Frau ist von Eisen! ... sie ist nicht wie ich, den die Erschütterungen krank machen! während der Schreckenszeit war ich fortwährend zu gar nichts tauglich. – »Ja und das Schlimmste ist, daß einem die Wirkungen einer solchen Zeit oft durch das ganze Leben nachgehen.«
Man stand vom Tische auf, und das Gespräch des Lieutenants Bienlog, welches sich während des Mittagessens auf: »Ich werde so frei sein,« beschränkt hatte, ging nun in ein länger oder kürzer andauerndes Verneigen mit dem Kopfe über.
Und Euphrasia, nachdem sie sich einige Zeit mit Roger unterhalten, und ihm einige erfolglose Liebesblicke zugeworfen hatte, stand auf, nahm nun wieder den Arm des jungen Lieutenants, winkte ihrem Manne, ihren Ridicule zur Hand zu nehmen, und empfahl sich der Gesellschaft mit den Worten: »Wir wünschen Euch eine gute Nacht, denn wir müssen noch nach Hause, und Herr Bienlong in seine Kaserne. Lebt wohl, meine lieben Freunde. Herr Roger, ich hoffe, daß Sie uns bald besuchen werden.«
»Ich werde mir das Vergnügen machen,« entgegnete Roger, zugleich den steifen Gruß des Lieutenants erwidernd.
»Kommen Sie zu uns,« sagte Picotin, »Sie werden Offiziere von allen Regimentern antreffen, und wenn Sie von einer Lieferung sprechen hören ...«
»Seien Sie ruhig, mein Freund; ich werde an Sie denken ...«
Das Ehepaar Picotin hatte sich mit dem Lieutenant Bienlong entfernt. Roger drückte die Hand Poupardot's und rief aus: »Hierher werde ich oft kommen und mit Vergnügen meine freien Stunden zubringen, bis uns der Kaiser auf's Neue nach Ruhm ausschickt. Was aber Madame Picotin betrifft, so hat mir diese zu viele neue Bekanntschaften, die nothwendig den alten schaden müssen. Auf Wiedersehen, meine lieben Freunde.«
Damit ging Roger weg, nachdem er noch Poupardot und seine Frau geküßt, ihre Kinder geliebkost und Paulinen einen kleinen Tapps auf die Wange gegeben hatte.