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Das Glück war wieder in Prospers Wohnung eingekehrt; Pauline und Prosper verstanden sich gegenseitig, ohne daß sie noch einander ihre Gefühle gestanden hätten. Die von der Marquise zurückerhaltene Summe mußte alle Besorgnisse für die Zukunft heben; indessen schien Prosper unaufhörlich von Etwas eingenommen zu sein; er war zerstreut, träumerisch. Pauline bemerkte es und sagte zu ihm: »Lieber Freund, seit den vierzehn Tagen, wo Frau von Clairville da war, bin ich ganz glücklich und ganz zufrieden! aber Sie beschäftigt etwas und ich will den Grund davon kennen; thut es Ihnen vielleicht leid, daß Sie die Hand dieser Dame ausgeschlagen haben?«
Prosper blickte Paulinen zärtlich an und entgegnete ihr: »Ach! das ist Ihr Ernst nicht!«
»Aber an was denken Sie denn seit vierzehn Tagen ohne Unterlaß?«
»Ich wollte es Ihnen verheimlichen, um Ihnen im Falle des Gelingens eine angenehme Ueberraschung zu bereiten, aber ich fühle es wohl, daß es mir von nun an schwer werden wird, einen Gedanken zu haben, den ich Ihnen nicht mittheilen darf. Hören Sie mich an, Frau von Clairville ist wieder in den Besitz all der Güter eingetreten, welche ihr Vater, der Graf von Trevilliers, als Emigrant verloren hatte. Ihr Vater, meine theure Pauline, war auch reich. So hatte er Geld bei einem Bankier in Antwerpen stehen. Ohne Sie davon zu unterrichten, habe ich eine Forderung an diesen Mann ergehen lassen, aber er ist ein Schurke, der seine Verpflichtung abläugnet. Die Schuldscheine sind verloren gegangen, man darf also nicht mehr an dieses Geld denken; aber Herr Derbrouck hatte wenige Monate vor seiner Verhaftung ein herrliches Landgut in der Touraine gekauft ... Warum sollen Sie, wenn dieses Besitzthum nicht als Nationalgut verkauft wurde, jetzt, wo die Regierung der Bourbons den Opfern der Revolution das Verlorene zurückerstattet, nicht auch wieder in den Besitz des Gutes eingesetzt werden, welches Ihrem Vater angehörte?«
»Ach, mein Freund, warum wollen Sie sich wegen eines Bißchens Vermögen quälen! Sind wir jetzt nicht glücklich? wir haben genug und kein Elend mehr zu fürchten. Ich versichere Sie, daß ich mir gar nicht mehr wünsche.«
»Aber ich, meine theure Pauline! muß als Ihr Beschützer, als der von Ihrer sterbenden Mutter für Sie ernannte Pflegevater, alle meine Bemühungen anstrengen, um Sie in den Besitz eines Gutes zu setzen, das Ihnen gehört. Wenn es mir nicht gelingt, so habe ich doch meine Pflicht gethan, und man kann mir nicht den Vorwurf machen, etwas vernachlässigt zu haben, was Ihr Interesse berührt.« – Aber wie hoffen Sie in der Sache zum Zwecke zu gelangen? Dazu gehören Protektionen, die Verwendung einflußreicher Personen. Wenn Sie zu diesem Ende zu Frau von Clairville gehen müssen, so erkläre ich Ihnen, daß ich lieber auf die Güter meines Vaters verzichte.«
»Frau von Clairville würde nicht anstehen, Ihnen nützlich zu sein, wenn sie es im Stande wäre, aber nicht an sie will ich mich wenden. Roger, mit welchem ich über diese Angelegenheit gesprochen habe, und der, trotz seiner üblen Stimmung gegen die neue Regierung, denen, die sich lobenswerth betragen, Gerechtigkeit widerfahren läßt, hat mir, während er dabei wie ein Bootsknecht fluchte, gesagt: Geh' zu der alten Herzogin von Delmas, sie gilt sehr viel bei Hofe, und hat mehrere getreue Diener des Kaisers protegirt, die ihr früher Dienste geleistet hatten. Bei dieser Frau sitzt das Gedächtniß im Herzen und das ist sein rechter Platz. Hierauf hat mir der Oberst die Adresse der Herzogin gegeben und ich bin entschlossen, ihr meine Aufwartung zu machen.«
»Wie! ohne Empfehlungsschreiben?«
»Bei Leuten, die gerne Gutes thun, braucht man sie nicht, und bei solchen, die keine Lust dazu haben, helfen sie nichts.«
Pauline gab sich keine weitere Mühe, Prosper von seinem Vorhaben abzubringen, obgleich sie sich durchaus keinen Erfolg davon versprach. Am folgenden Morgen begab er sich, nachdem er sich passend gekleidet und mit allen Papieren versehen hatte, welche die Ansprüche des Fräuleins Derbrouck außer allen Zweifel setzten, in die Straße Saint-Dominique, im Faubourg Saint-Germain, zu der Herzogin von Delmas.
Prosper trat in den Hof eines alten Hôtels, welches stolz schien, so vielen Revolutionen getrotzt zu haben; ein Thürsteher hielt ihn an, indem er ihn in einem Kauderwälsch, welches fremd klingen sollte, übrigens bloß lächerlich war, fragte: » Wo wolle Sie hin ... potz Sapperment?«
Prosper betrachtete den vorgeblichen Schweizer, der eine ungeheure schwarze Perrücke und einen dicken Schnurrbart hatte, der ihm die Hälfte des Gesichtes bedeckte; die falschen Augen dieses Menschen machten einen widerlichen Eindruck auf ihn, und er antwortete schnell: »Ich wünsche mit der Frau Herzogin von Delmas zu sprechen.«
» Die Frau Herzogin lasse noch nicht vor Jemand ...also Adieu!« – Ein sehr einladender Empfang!« sprach Prosper zu sich, und wollte wieder fortgehen, da fiel es ihm ein, dem Portier seine Karte zu geben, indem er sagte: »Wollen Sie so gut sein und der Frau Herzogin sagen, daß die Person, deren Namen hier auf der Karte steht, sie bitten lasse, ihr gnädigst einen Augenblick Gehör zu schenken.«
Nachdem der Portier einen Blick auf die Karte geworfen hatte, machte er eine krampfhafte Bewegung und wendete rasch das Gesicht ab; Prosper entfernte sich mit den Worten: »Ich werde in zwei Stunden wiederkommen.«
Da Prosper nicht wußte, wie er die Zeit bis dorthin zubringen sollte, und nicht in sein Logis zurückkehren wollte, von dem er sehr entfernt war, so ging er im Garten des Luxemburg spazieren; er war schon einige Zeit darin, als er eine ungeheuer dickleibige, ziemlich einfach gekleidete Frau auf sich zukommen sah, die sich einen ehrbaren Anstrich zu geben schien, ein Meßbuch in der Hand und am Arme einen Korb trug, aus dem mehrere kleine Brode heraussahen.
Trotz des ungeheuren grünen Hutes, der den Kopf dieser Dame bedeckte, warf sie einen verstohlenen Blick auf Prosper, hielt an, lief dann auf ihn zu und rief aus: »Ich täusche mich nicht! es ist mein lieber Freund Prosper! ...« – Ei! mein Gott! Sie sind es, Madame Picotin? ... Ach! wie dick sind Sie geworden! – »Daran ist der Kummer Schuld, lieber Freund! ich habe gar so viel Leid erlebt! ... Alle diese Revolutionen ... die liegen schwer auf Einem ... man wird dick, weil man gar nicht weiß, was man sonst anfangen soll.« – Und was ist aus Ihrem Manne geworden? – »Ach! sprechen Sie mir nicht von dem! ... pfui! was ist das für ein Lump! ... er hat mein ganzes Vermögen aufgefressen, und nicht das Mindeste dafür gethan ... ich habe ihn zum Teufel gejagt!« – Und was treibt er jetzt? – »Er handelt mit Hasenbälgen, der erbärmliche Kürschner! der nicht einmal den kleinsten Pelz ausklopfen konnte und doch mein ganzes Vermögen in Rauchwerk aufgehen ließ! ... Gott sei Dank, daß ich ihn los bin! ... er wurde zuletzt so gottlos, daß es mich empörte!« – Und Ihre Freunde, die Kürassiere ... die Dragoner ... die Pompiers ... – »Still! ... still! um Gotteswillen! was fällt Ihnen da ein ... Glauben Sie, daß ich noch an diese Herren denke? Sie wissen wohl, daß man zur Zeit des Usurpators genöthigt war, gut mit dem Militär zu stehen.« – Ah! Sie standen nicht bloß gut mit ihm ... und jetzt nennen Sie Napoleon einen Usurpator! ... – »Mein Gott! ich spreche nie über Politik ... Ich denke nur noch an mein Seelenheil ... Ah! ich sehe dort den Kirchenvorsteher meines Viertels, der mich zur barmherzigen Schwester vorschlagen wird ... Auf Wiedersehen, mein lieber Prosper; verzeihen Sie, daß ich Sie verlasse, aber ich muß meinen Kirchenvorsteher einholen.«
Damit watschelte Euphrasia, so schnell es ihr dicker Körper gestattete, davon.
Prosper schaute ihr nach, indem er ausrief: »So geht es! ... Unter der Republik wollte sie die Göttin der Freiheit machen; unter dem Kaiserreich kleidete sie sich als Amazone und versäumte keine Revue; jetzt will sie barmherzige Schwester werden ... Mein alter Pathe Brillancourt hatte Recht: es gibt Leute, für welche das Leben nur eine lange Komödie ist!«
Dann kehrte Prosper wieder in den Palast der Herzogin zurück: der Schweizer trat ihm abermals in den Weg und sagte mit gebücktem Kopfe, als ob er das Gesicht verbergen wollte, in noch rauherem Tone zu ihm: »Die Frau Herzogin wolle Ihre Besuch nicht!« – Sie will meinen Besuch nicht?« entgegnete Prosper; »diese Antwort setzt mich in Erstaunen ... ich kann es nicht glauben ... – »Vorwärts! marschire Sie augenblicks naus ... es ist mir verbote, Sie reinzulasse!«
Die Grobheit des Thürstehers bewog Prosper beinahe, ihn zu züchtigen, allein er that sich Gewalt an und entfernte sich, indem er bei sich dachte: »Wenn ich diesen Menschen durchprügle, werde ich dadurch Paulinens Interesse nicht fördern.«
Prosper kehrte traurig nach Hause zurück, und theilte der Waise den geringen Erfolg seiner Schritte mit; diese sagte, weit entfernt, sich hierüber zu betrüben, lachend zu ihm: »Ich hatte es wohl vorausgesehen! aber Sie wollten mir nicht glauben. Lassen Sie ab, mein Freund, von dem Gedanken mich zu bereichern; ich wiederhole Ihnen, ich suche mein Glück nicht in etwas mehr oder weniger Reichthum.«
Prosper antwortete nichts, er schien auf das Vorhaben zu verzichten. Aber als er am andern Morgen die schwarzen Beinkleider, die er Tags zuvor getragen hatte, wieder in die Commode legte, so fielen seine Blicke auf einen Gegenstand, den er lange nicht betrachtet hatte. Es war die weißatlaßne Hose, die ihm sein Pathe hinterlassen hatte, der ganze noch vorhandene Rest seiner Erbschaft.
Prosper nahm die Hose heraus, besah sie, dann schlüpfte er mit einemmale, wie von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, in sie hinein, zog weißseidene Strümpfe, eine Piquéweste und seinen schönsten Frack an, und in dieser Kleidung stellte er sich Paulinen vor, welche in ein schallendes Gelächter ausbrach und fragte: »Ach! mein Gott! lieber Freund! wo gehen Sie denn in diesem Kostüm ... in einer weißatlaßnen Hose hin?« – Zu der Herzogin von Delmas. – »Was fällt Ihnen ein? .. Gestern hat man Sie ja nicht vorgelassen.« – Heute will ich nochmals einen Versuch machen, zu ihr zu gelangen ... – »Aber diese Hose von weißem Atlaß ... Es ginge etwa an, wenn Sie auf einen Ball wollten, und selbst dann noch ...« – Aber, liebe Pauline, die Hosen meines Pathen haben mir noch immer Glück gebracht. Ich will es mit dieser versuchen, welches die letzte aus meiner Erbschaft ist. Halten Sie mich für abergläubisch, für närrisch, für was Sie wollen; aber ich will das Abenteuer versuchen. Nur muß ich Sie bitten, mir einen Wagen vor das Haus kommen zu lassen, denn in diesem Kostüm kann ich nicht zu Fuße gehen.«
Pauline gab Prospers Wunsch nach; der Wagen fuhr vor, er stieg ein, und ließ sich vor den Palast der Herzogin fahren.
Da Prosper den Hof durchschritt, ohne mit dem Portier zu sprechen, so trat der schreckliche Schweizer aus seiner Loge heraus, lief auf ihn zu, indem er ausrief: »Ah! so wolle Sie sich Eingang in die Palläste verschaffe ... Ich hab Ihne doch gestern gesagt, daß die Frau Herzogin Sie nicht vorlasse will, warum komme Sie denn wieder? Sie Sappermenter!« – Weil ich nicht glauben kann, daß die Frau Herzogin den Befehl gegeben hat, den Sie mir überbrachten, und weil ich durchaus mit ihr sprechen muß. – »Sie werde nicht mit ihr spreche, Sie dürfe einmal nit nein!« Damit hatte der Portier nach seinem großen Stock gegriffen, und bediente sich desselben, um Prosper den Weg zu versperren; dieser schien geneigt, sowohl den Stock als den Schweizer auf die Seite zu werfen. Indessen waren aber schon einige Bedienten, die den Lärm gehört hatten, herbeigeeilt, und wollten für ihren Kameraden Partie nehmen, als man ein Fenster im ersten Stock aufmachte, eine alte Dame heraussah und ausrief: »Mein Gott! was geht denn in meinem Hofe vor? Was bedeutet dieser Lärm, dieses Geschrei? ...«
Prosper, der vermuthete, daß die Herzogin diese Worte gesprochen hatte, eilte unter das Fenster, machte einen tiefen Bückling und sagte: »Entschuldigen Sie mich gnädigst, Frau Herzogin, ich wollte Sie nur unterthänigst um einen Augenblick Gehör bitten. Gestern habe ich Ihrem Schweizer meine Karte gegeben, er hat mir aber gesagt, daß Sie mich nicht vorlassen wollten. Ich konnte dieser Antwort keinen Glauben beimessen, Frau Herzogin, da ich unter meinen Namen hingeschrieben hatte, daß ich Ihre Güte für einen Akt der Menschenfreundlichkeit in Anspruch nehmen wolle, und weiß, daß das bei Ihnen die beste Empfehlung ist.«
Die alte Dame verneigte sich leicht gegen Prosper. Während er sprach, schien sie von seiner Toilette sonderbar bewegt, und als er geendigt hatte, wandte sie sich an den Schweizer und sagte zu ihm: »Was soll das heißen, Goulard? Sie haben mir gestern die Karte dieses Herrn nicht übergeben, und Sie erfrechen sich, Jemand ohne meinen Befehl den Eintritt zu versagen! ... Sie werden mir nachher Rechenschaft über Ihr Betragen geben ... Mein Herr, wollen Sie die Güte haben und heraufkommen!«
»Goulard!« brummte Prosper, als er an dem Portier vorbeiging, »Goulard! ... Ach jetzt wundert es mich nicht mehr, daß man mich so schlecht aufnahm ... Elender! muß ich Dich überall treffen!«
Goulard wagte keine Erwiderung mehr, er verbarg sich eilig in seiner Loge, und Prosper konnte endlich bis zu dem Gemache der Herzogin gelangen.
Die Frau Herzogin von Delmas war eine Frau von etlichen sechzig Jahren; ihr Antlitz, welches sehr schön gewesen sein mußte, war noch liebenswürdig, freundlich und geistreich; sie hatte vom Adel nur das Lobenswerthe an sich: ausgezeichnete Manieren, eine außerordentliche Höflichkeit und etwas, was Vertrauen und Achtung einflößte ... Sie gab Prosper einen Wink, sich einen Stuhl zu nehmen, und bat ihn, ihr die Veranlassung seines Besuches auseinander zu setzen.
Als sich Prosper so gut aufgenommen sah, fühlte er seine Hoffnung wieder aufleben; und ohne lange Umschweife, ohne hochtrabende Redensarten zur Ausschmückung seiner Erzählung, theilte er der Herzogin die Beweggründe seines Besuches und das traurige Ende von Paulinens Eltern mit.
Als er den Namen Derbrouck aussprach, stieß die Herzogin einen Schrei aus, und unterbrach ihn mit den Worten: »Derbrouck! ein holländischer Bankier, der in Passy wohnte? ... Ach! ich habe ihn gekannt, mein Herr; er hat mir mehrmals Dienste geleistet, indem er mir Gelder an den Ort, wo ich verborgen war, zukommen ließ. Und für dessen Tochter verlangen Sie meine Verwendung? Ach! ich wäre sehr erfreut, wenn ich dem Kinde dieses Unglücklichen nützlich sein könnte. Hegen Sie von nun an keine Besorgnisse mehr, diese Sache werde ich zur meinigen machen, und wenn das Gut des armen Derbrouck nicht verkauft worden ist, so stehe ich Ihnen dafür, daß es in Kurzem seiner Tochter zurückgegeben werden wird.«
Prosper überließ sich dem ganzen Erguß seiner Dankbarkeit, allein die gute Dame machte demselben ein Ende, indem sie zu ihm sagte: »Mein Herr, ich muß Ihnen jetzt etwas gestehen, was Ihnen vielleicht sonderbar erscheinen wird ... aber Sie werden mich hoffentlich entschuldigen ... Sie haben eine Hose von weißem Atlaß an, die mich auf der Stelle zu Ihren Gunsten eingenommen hat, und soll ich Ihnen sagen, weßhalb? ... Nun! mein Mann trug eine ganz ähnliche an unserm Hochzeitsball. Diese hier wurde bestimmt nicht für Sie gemacht?« – Nein, Frau Herzogin, ich habe sie von einem Pathen geerbt, dessen Nachlaß mir stets Glück gebracht hat; ich finde, daß dieses heute wieder der Fall ist. – »Sie können sich wohl vorstellen, daß mich nicht Ihre Kleidung allein bewogen hat, Sie zu empfangen. Indessen, als ich einen Mann in meinem Hofe sich mit meinem Schweizer herumzanken sah, so hätte ich vielleicht gezögert, Sie anzuhören, wenn mich nicht Ihr Anzug günstig für Sie gestimmt haben würde. Verzeihen Sie mir diese Schwachheit, aber ich bin alt und liebe Alles, was mich an meine Zeit erinnert; das hindert mich jedoch nicht, mich für das Glück der nach mir Gekommenen zu verwenden. – »Frau Herzogin, wenn man so wohlthätig und so gut ist wie Sie, so verdient man die Achtung und Liebe eines Jeden. Sie nöthigen selbst die Republikaner, den Adel zu schätzen.« – Ei! mein Gott! wenn man nur wollte, so könnte man sich gegenseitig recht gut verstehen. Nur das kann ich nicht begreifen, was meinen Portier veranlassen konnte, zu Ihnen zu sagen, ich wolle Sie nicht vorlassen. – »Frau Herzogin, Sie erinnern mich an einen Menschen, den ich in Ihrer Nähe vergessen hatte. Während ich Ihnen das Unglück der Familie Derbrouck erzählte, habe ich auch von einem elenden Kerl gesprochen, der, nachdem er den Bankier denuncirt hatte, auch Paulinens Mutter arretiren lassen wollte ...« – Ja, nun? – »Nun, Frau Herzogin, dieser Schuft hieß Goulard ... und ist jetzt Ihr Portier!« – Er! ein solches Ungeheuer in meinem Hause! O! mein Gott! das Bestreben, Gutes zu thun, bringt uns also auch in Gefahr, das Verbrechen zu unterstützen! ... Dieser Mensch hat sich bei mir für ein Opfer der Revolution ... für einen während der Schreckenszeit Gemißhandelten ausgegeben! ... und trotz seiner rohen Sprache habe ich ihn in meine Dienste genommen; aber er soll mein Haus nicht länger durch seine Gegenwart beschimpfen.«
Die Herzogin läutete, ein Bedienter kam, zu diesem sagte sie: »Sagen Sie Goulard, daß ich ihm befehle, augenblicklich mein Haus zu verlassen.«
Der Diener wollte sich entfernen; die alte Dame rief ihn zurück, übergab ihm eine Börse und fuhr fort: »Man muß übrigens die Strafbaren nicht ohne alle Mittel entlassen; dadurch würden sie zu neuen Vergehen gezwungen ... Hier, geben Sie ihm dieses, er soll aber unverzüglich mein Haus räumen. Und nun,« sagte sie, gegen Prosper gewendet, »will ich mich mit Ihrem interessanten Schützling beschäftigen. Ich habe Ihre Adresse; Sie sollen bald Nachrichten von mir erhalten ... Leben Sie wohl, mein Herr ...«
Die alte Dame reichte Prosper die Hand, die er an seine Lippen führte, indem er ausrief: »Wie viel verdanke ich Ihnen, Frau Herzogin! wie gütig sind Sie ...« – Nein, mein Herr, nein ... Sie sind mir keinen Dank schuldig. Ich bin im Gegentheil Ihnen verbunden, weil ich es Ihnen verdanke, daß ich einen Menschen aus meinem Hause gejagt habe, der es entehrte, und einer armen Waise, wie ich hoffe, das Erbtheil ihres Vaters zurückgeben kann.«
Prosper verbeugte sich von Neuem und empfahl sich der Herzogin. Während er durch den Hof ging, blickte er nach der Loge des Portiers; aber Goulard war schon fort. Prosper stieg wieder in den Wagen und kehrte zu Paulinen zurück. An der Freude, die aus seinen Augen strahlte, ersah die Waise, daß er diesmal keinen vergeblichen Gang gemacht hatte.
»Mein Pathe hat mir wieder Glück gebracht!« rief Prosper, Paulinens Hände drückend, aus. »Diese Herzogin von Delmas ist die achtungswürdigste Frau, die man finden kann ... Ihr Besitzthum wird Ihnen, wie ich hoffe, zurückgegeben werden ... und dann ...« – Und dann?« fragte Pauline, ihn anblickend. – »Werde ich wegen Ihrer Zukunft beruhigt sein.« – Wir wollen uns noch nicht fest darauf verlassen, mein Freund; allein hoffen will ich es auch, weil ich sehe, daß es Ihnen Freude macht!«
Drei Wochen vergingen. Nach Verlauf derselben wurde Prosper von der Herzogin von Delmas aufgefordert, sich in ihren Palast zu begeben. Er eilte auf's Schleunigste zu ihr, und die alte Dame überreichte ihm sodann die Urkunden, wodurch die Tochter des Bankiers Derbrouck wieder in den Besitz ihres väterlichen Guts, welches unter der Republik sequestrirt worden war, gesetzt wurde.
Prosper wollte sich der Herzogin zu Füßen werfen; sie entzog sich aber seiner Dankbarkeit, indem sie sagte: »Ueberbringen Sie doch Ihrem Schützlinge diese Neuigkeit ... Sagen Sie ihr nur, es werde mir ein großes Vergnügen machen, die Tochter eines Mannes bei mir zu sehen, der mir manchen Dienst geleistet hat.«
Prosper war trunken vor Entzücken; er lief nicht, sondern flog nach Hause zurück; dann eilte er auf Paulinen zu, überreichte ihr die Urkunden, wodurch sie wieder in den Besitz ihres Gutes gesetzt wurde und rief aus: »Nehmen Sie! Nehmen Sie! ... Jetzt erst habe ich meine Pflicht vollständig erfüllt.«
Pauline nahm die Papiere mit niedergeschlagenen Blicken, dann bot sie dieselben wieder Prosper an, indem sie mit vor innerer Bewegung bebender Stimme stotterte: »Wenn es mich glücklich macht, dieses Vermögen wieder zurückzuerhalten ... so ist es nur, um es mit Ihnen zu theilen ... Nun! ... Sie werden mich nicht verschmähen, hoffe ich?«
Prosper konnte seiner Empfindung nicht widerstehen; er drückte die Waise an sein Herz und rief aus: »So ist es denn wahr? ... Sie könnten mich lieben?« – Er kann noch fragen! ... Und Sie? – »Ach! Pauline! ... haben Sie nicht errathen, warum ich Camilla nicht mehr liebte? ... Doch ich wage es kaum, an den Besitz Ihrer Liebe zu glauben! ... Bedenken Sie, daß ich neununddreißig Jahre alt, siebzehn Jahre älter bin, als Sie! ... Sie sind mir gegenüber so jung! ...« – Um so besser, mein Freund, um so länger wird mir dann vergönnt sein, Sie zu lieben.«
Einen Monat darauf wurde Pauline, welche sich bei der Herzogin von Delmas für ihre Fürsprache bedankt hatte, Prosper Bressange's Gattin; Zeugen dieser Vermählung waren Maximus, der sich bewogen gefühlt hatte, einmal seinen ländlichen Wohnort zu verlassen, um Theil an dem Glücke seines Freundes zu nehmen; der tapfere pensionirte Oberst Roger, der an diesem Tage wieder seine gute Laune fand und weit weniger als sonst fluchte; endlich Poupardot und seine Frau, jedoch ohne ihre drei Söhne, da Navet, der älteste, auf Reisen, Napoleon, der zweite, in der Schule und Louis, der dritte, kaum vorher geimpft worden war.
Eben als die Gesellschaft aus der Kirche herauskam und in den Wagen stieg, bemerkte Prosper einen armen Hasenbalghändler, den ein Gendarme fortführen wollte; er entfernte sich einen Augenblick von den Uebrigen, erkundigte sich nach dem Vergehen des armen Handelsmannes, und erfuhr, daß er arretirt worden sei, weil er seine Zeche in einer benachbarten Schenke nicht habe bezahlen können.
Prosper lief dem Gendarmen nach, ließ den Gefangenen wieder zu seinem Gläubiger zurückbringen, bezahlte den Schenkwirth, und steckte dem Hasenbalghändler heimlich eine Börse zu, denn er hatte in ihm Euphrasia's Gatten, den unglücklichen Picotin, erkannt.
Die Neuvermählten brauchten zu ihrem Glücke die Vergnügungen und das Geräusch der Hauptstadt nicht. Ihr Plan war schon gefaßt: sie zogen sich in die Touraine zurück; auf dem schönen, Paulinen wieder geschenkten Gute wollten sie das häusliche Glück und den Frieden genießen.
»Ich hoffe, meine Freunde, daß ihr uns in der Touraine besuchen werdet,« sagte Prosper zu seinen Zeugen.
»Ja, ich werde manchmal hinkommen,« entgegnete Maximus; »das Gemälde eures Glückes wird mich meine verlorenen Illusionen vergessen lassen.« – Ich werde euch oft besuchen,« sagte Roger, »denn bei guten Freunden darf ich fluchen, rauchen und brummen, so lange es mir gefällt ... und dann werde ich dort von meinen Feldzügen ... von meinem Kaiser erzählen, und man wird mir gerne zuhören! – »Wir werden euch bestimmt auch einmal besuchen,« sagte Poupardot, »wir müßten denn keine Zeit dazu haben oder meine Frau mich mit einem Vierten erfreuen ... worüber ich mich übrigens sehr verwundern würde.«