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Einige Wochen, nachdem Alfred den Absagebrief auf seinen Heirathsantrag erhalten hatte, befanden sich Prosper und Pauline in einem bescheidenen Logis in dem Marais. Dort trieb man keinen Luxus mit Möbeln und Dienerschaft, sondern man begnügte sich einfach mit dem Notwendigsten. Pauline bewohnte das schönste Zimmer; Prosper hatte es so verlangt; er begnügte sich mit einem kleinen Stübchen ohne Kamin; außer diesem bestand die Wohnung noch aus einem Wohnzimmer, einer Küche und einem Cabinette, wo eine alte Magd schlief. Aus dem Verkaufe seines reichen Mobiliars hatte Prosper noch einiges Geld gezogen, welches er übrigens Paulinen übergab, indem er zu ihr sagte: »Von nun an, meine liebe Freundin, müssen Sie die Kasse verwalten, denn in meinen Händen ist sie nicht gut aufgehoben. Ich werde mich um irgend ein Aemtchen, irgend eine Anstellung umsehen, und was ich verdiene, Ihnen redlich zustellen.«
Und Pauline antwortete ihm mit einem liebevollen Lächeln: »Machen Sie sich keine Sorgen, wir besitzen tausend Franken Rente und einiges baare Geld. Ich will sparsam sein, Alles wohl eintheilen, und Sie werden sehen, daß uns nichts abgeht, selbst wenn Sie kein Amt finden.«
Und, um mit dem Sparen anzufangen, wollte Pauline gar keinen Dienstboten halten; allein Prosper that es so weh, wenn er sie Alles selbst thun sah, daß sie einwilligte, diese Einschränkung aufzugeben.
Man ging nicht mehr ins Theater, nicht mehr ins Concert, nicht mehr in Gesellschaften; aber man machte Spaziergänge in die Umgebungen von Paris; Pauline trug keine prachtvollen Kleider, keine Juwelen mehr; aber ihr einfacher Anzug war geschmackvoll, und sie in ihrem bescheidenen Hütchen eben so schön; wenn man nicht ausging, so leistete ihr Prosper Gesellschaft, las ihr vor, oder erzählte ihr seine Reiseabenteuer, und dabei verfloß die Zeit so schnell, daß man sich oft wunderte, daß es schon Zeit war, sich gute Nacht zu wünschen. Kurz, seit diese zwei Personen nicht mehr reich waren, schienen sie weit glücklicher, besonders Pauline: ihre Heiterkeit war mit den Rosen ihrer Wangen zurückgekehrt, und das Glück strahlte aus ihren Augen, wenn sie dieselben auf ihren Beschützer heftete.
Indessen war eine merkwürdige Veränderung in Prospers Benehmen gegen Paulinen vorgegangen: es war nicht mehr jene freimüthige Offenheit, jene Vertraulichkeit von früher; es war eine gleich zärtliche, aber mehr zurückhaltende Freundschaft; eine ebenso süße, aber nicht mehr so ungezwungene Innigkeit; kurz, es war, als ob sich ein neues Gefühl in aller Stille in Prospers Herz einschliche, welches sein Dasein nur durch das ungekannte Glück verkündete, das es erweckte.
Jetzt erschien Prosper eine von Pauline entfernt verlebte Stunde tödtlich lange, auch ging er selten aus. Außerdem war der General wieder bei der Armee und die Generalin auf einem ihrer Güter. Maximus hatte, einige Stunden von Paris, eine Lehrerstelle angenommen; es blieben ihm folglich nur die Bewohner von Clichy übrig; aber die beiden Söhne Poupardots wurden so unerträglich, und ihr Vater verdarb sie dergestalt, daß man nicht oft hingehen mochte.
Warum sollten wir auch, wenn es uns zu Hause gefällt, wenn unser Herz ein inneres Wohlbehagen empfindet, auswärts Vergnügen und andere Gesichter aufsuchen: das sagte sich Prosper, während er Paulinen treulich Gesellschaft leistete. Zuweilen jedoch verdüsterte sich seine Stirne und eine Wolke zog über seine Augen, Das junge Mädchen bemerkte es schnell, dann betrachtete sie ihren Freund mit fragenden Blicken und sagte manchmal auch mit Seufzen zu ihm: »Ich bin überzeugt, Sie denken an Camilla?« – O! nein ... Sie irren sich,« entgegnete Prosper lebhaft. »Seit einiger Zeit habe ich ganz aufgehört, an die Marquise zu denken, und wenn mich etwas an sie erinnert, so schwöre ich Ihnen, bringt mich das nicht mehr zum Seufzen. – »Wirklich? ... Warum sind Sie denn aber zuweilen so traurig? ...« – Ach! diesen Morgen habe ich wieder einen neuen Stoff ... einen prachtvollen Shawl gesehen ... wenn ich nun daran denke, daß ich Ihnen solche Dinge nicht mehr mitbringen kann wie früher! ...
– »Und das macht Sie traurig? ... In der That, lieber Freund, Sie beurtheilen mich sehr falsch, wenn Sie glauben, ich lege einen Werth auf eine mehr oder minder glänzende Toilette ... Wie oft muß ich Ihnen wiederholen, daß ich unendlich viel glücklicher bin, seit wir bescheiden für uns leben, als früher, wo wir Gesellschaften besuchten! Ich hoffte übrigens, Sie hätten das selbst bemerkt.«
Diese freundlichen Worte trugen stets zur Erheiterung Prospers bei. Er nahm Paulinens Hand und drückte sie in der seinigen; oft hielten sich ihre Hände lange verschlungen, und das junge Mädchen beklagte sich nicht mehr, es hindere sie am Arbeiten.
Nach Verlauf von einiger Zeit gelang es Prosper, eine Stelle in einem Handlungshause zu erhalten; sein Einkommen war gering und er mußte beinahe den ganzen Tag dafür schreiben; allerdings eine große Ueberwindung für einen Mann, der bis dahin an ein bewegliches, vollkommen unabhängiges Leben gewöhnt war; aber es handelte sich um die Vermehrung ihres Wohlstandes, um die Möglichkeit, Paulinen bisweilen noch ein Geschenk zu machen, und Prosper unterwarf sich willig dieser neuen Lebensart; außerdem erwartete und empfing ihn Jemand, wenn er von seinem Bureau kam, mit einem zärtlichen Lächeln, worüber er alsbald das Lästige seiner Arbeit vergaß.
Die Zeit verfloß auf diese Weise ruhig für die beiden Leutchen, welche sich allmählig verstanden; aber der politische Horizont war nicht so friedlich und sturmlos wie Prospers Wohnung. Das Glück hatte Den verlassen, den es so hoch erhoben; der Kaiser hatte große Unfälle erlitten; die Franzosen schlugen sich immer noch mit demselben Muthe, aber die übrigen Nationen, eifersüchtig auf zwanzig Jahre beständiger Siege, vereinigten sich zu ihrer Unterdrückung.
Prosper und Pauline bekümmerten sich nichts um Politik, bei ihnen verdrängte ein anderes Gefühl alle übrigen. Zuweilen fragte jedoch die Waise ihren Freund: »Was geht denn vor? Man verbreitet beängstigende Gerüchte; man sagt, die Feinde wollen Paris angreifen?«
Dann antwortete Prosper: »Das ist unmöglich! so weit dringen sie nie vor, nur Lärmmacher verbreiten solche Gerüchte!«
Pauline ließ sich leicht beruhigen, und man sprach nicht mehr vom Krieg. Eines Tages jedoch, als Prosper, wie gewöhnlich, auf sein Bureau gegangen war, kam er blaß und aufgeregt zurück; er nahm seinen Säbel und seine Pistolen, und küßte Paulinen mit den Worten: »Gehen Sie nicht aus, meine theure Freundin, verlassen Sie Ihr Zimmer nicht, treten Sie nicht an das Fenster, wenn Sie Lärm auf der Straße hören.« – Mein Gott! was gibt es denn?« fragte Pauline entsetzt. – »Man sagt, die Feinde stehen vor den Thoren von Paris; sie wollen die Stadt angreifen!« – O mein Gott! und wo gehen Sie mit diesen Waffen hin? – »Wo ich hingehe? ... wohin meinen Sie? ... ich will für die Verteidigung meines Vaterlandes kämpfen.« – Sie wollen kämpfen? wenn man Sie aber tödten würde? – »So würde ich den Tod eines Tapfern sterben, und Ihres Bedauerns würdig werden. Geben Sie sich keine Mühe, mich zurückzuhalten, theure Pauline; in diesem Augenblick darf man nur auf den Ruf der Ehre hören.«
Die Jungfrau zerfloß in Thränen; sie wollte sich an ihn hängen; allein Prosper machte sich aus ihren Armen los, eilte davon und flog zur Barrière von Clichy.
Hier unter einer Menge von Weltmännern, Künstlern und Gelehrten, welche die Gefahr des Vaterlandes zu Soldaten gemacht hatte, erkannte Prosper Maximus, der sich mit einem Säbel und einem Karabiner bewaffnet hatte.
»Wie, Du bist hier?« rief Prosper aus, indem er auf seinen Freund zueilte. – »Ich bin seit acht Tagen nach Paris zurückgekehrt. – »Aber Du, als Republikaner schlägst Dich für den Kaiser?« – Ich schlage mich für mein Vaterland; wenn es vom Feinde bedroht ist, darf keine Meinungsverschiedenheit mehr bestehen; man vertheidigt es zuvor und disputirt nachher.«
Prosper drückte Maximus die Hand, und beide stellten sich unter die Reihen der Tapfern aller Klassen, welche, selbst in den wichtigsten Umständen, die französische Heiterkeit beibehaltend, Witze miteinander austauschten und muntere Lieder sangen, bis die Zeit kam, ihr Gewehr abzufeuern.
Maximus, ungeduldig, den Feinden zu begegnen, überschritt die Barrière, Prosper begleitete ihn; ein alter Invalide hatte ihm eine Flinte und Patronen gegeben. Die beiden Freunde erreichten das Feld und lenkten ihre Schritte nach der Seite der Hügel von Saint-Chaumont; es dauerte nicht lange, so sahen sie Kosaken in der Ebene heransprengen, einige näherten sich sogar bis auf Schußweite; schon hatten sie zwei derselben niedergestreckt, als ein Pistolenschuß Prosper traf, und derselbe, einige Schritte von seinem Freunde entfernt, niederfiel.
Maximus warf seine Waffen weg, trug Prosper in seinen Armen davon, und den Kugeln der Kosaken Trotz bietend, gelang es ihm endlich, mit seiner kostbaren Last wieder nach Paris hinein zu kommen; dort bot ihm ein Milchweib, welches seine Hütte verlassen hatte, weil sie sich nicht mehr sicher darin fühlte, ihren Esel und ihre Tragkörbe zum Transporte des Verwundeten an. Man legte Prosper, so gut man konnte, darauf; er hatte viel Blut aus der Wunde, die in die Brust gegangen war, verloren, und war ohnmächtig geworden.
Maximus zog durch die Vorstadt des Tempels; er kannte Prospers neue Wohnung nicht, aber er erinnerte sich nach einiger Zeit, daß er Picotin eines Abends in die Rothe-Kinderstraße begleitet hatte; von dort war er nicht mehr ferne, daher entschloß er sich, seinen Freund zu diesem zu führen.
Man langte vor Picotins Wohnung an. »Er wird vielleicht nicht zu Hause sein,« dachte Maximus, »denn heute sollten sich alle Franzosen an den Barrièren einstellen; aber ich werde seine Frau treffen, und bin überzeugt, daß sie sich beeifern wird, meinem Freunde beizustehen.«
Maximus wendete sich an den Portier und fragte nach Picotin; der Portier lächelte, indem er erwiderte: »Er hat mir aufgetragen, wenn ihn Jemand holen wolle, zu sagen, er sei nicht zu Hause; ... aber sehen Sie, mein Herr, wenn man Ihren Verwundeten zu dem Apotheker dort nebenan brächte ... so wäre es besser, als ihn vier Stiegen hinauf zu schleppen.« – Ach! Ihr habt Recht, mein Freund ... helft mir, wir wollen ihn hinüber tragen.«
Der Portier und Maximus nahmen Prosper in ihre Arme und trugen ihn in eine benachbarte Apotheke, wo man ihm mit aller nöthigen Hülfe eifrig beistand.
»Die Wunde ist gefährlich,« sagte der Pharmaceut, »wenn der Herr weit weg wohnt, so kann er nicht nach Hause transportirt werden.« – Seine Wohnung ... warten Sie, mein Herr, ich will dieselbe zu erfahren suchen, während Sie meinem Freunde Beistand leisten.«
Damit eilte Maximus aus dem Laden hinaus und kehrte zu Picotin zurück; dort flog er rasch die vier Treppen hinauf. Unter die Kupferplatte, auf welcher der Name des Schaffellhändlers stand, war mit Kreide groß hingeschrieben: Es ist Niemand zu Hause.
Trotz dieser Warnung drehte Maximus doch die Klinke, rüttelte heftig an der Thüre, brachte sie endlich auf und drang zu Euphrasia's Gatten ein. Das Bureau war leer, aber im Nebenzimmer saß Picotin mit einer baumwollenen Mütze auf dem Kopfe in einem Lehnstuhle, sein rechtes Bein, welches mit Lappen umwunden war, stützte er auf einen Stuhl.
»Ich bin nicht zu Hause, oder vielmehr ich bin krank! verwundet!« schrie Picotin, als er Jemand hereinkommen hörte ... »Ich kann nicht in den Kampf ziehen, da ich nicht gehen kann.«
Als der vorgeblich Verwundete übrigens Maximus erkannte, so flog eine leichte Röthe über sein Gesicht, und er flüsterte: »Sieh' da, unser lieber Freund Maximus ... Ich bin am Beine verwundet, wie Du siehst ... das bannt mich hierher ... ich habe mich an einen Fleischtopf gestoßen.«
»O! beim Kuckuk! ich kann mir wohl denken, daß das nicht bei einer Attake gegen den Feind geschehen ist.« – O! das hätte leicht sein können ... wenn ich im Stande gewesen wäre, zu marschiren. Höre, Maximus, glaubst Du, daß die Feinde in die Stadt eindringen? Schlägt man sich noch immer? – »Was liegt Dir daran, da Du doch daheim bleibst?« – Was! daran liegt mir sehr viel, ob ich ausgeplündert und bestohlen werde ... das ist nicht übel ... Ich habe gute Lust, in den Keller hinab zu steigen ... – »Sage mir einmal, Picotin ... Weißt Du Prosper's neue Wohnung?« – Prosper's Wohnung ... seit er nicht mehr reich ist, denn wie es scheint, hat er auch einen ordentlichen Purzelbaum gemacht ... – »Sag' mir doch schnell ... wo er wohnt ... er ist verwundet ... vielleicht tödtlich verwundet ...« – Ah', bah! der arme Prosper! ... Ich wette, er ist mit Dir zum Kampfe ausgezogen ... So geht's! wenn ihr es gemacht hättet, wie ich ... – »Willst Du mir auf meine Frage antworten?« – Hier ... ganz in der Nähe ... in der Karlsstraße Nr. 22 ... Ich begegne ihm öfters, wenn ich auf den Markt gehe ... – »Karlsstraße ... schon gut ... Adieu!«
Picotin, der vergaß, daß er am Beine verwundet war, stand auf, eilte hinter Maximus drein, und rief ihm die Treppe hinunter nach: »Höre, Maximus, wenn Du meiner Frau auf den Straßen oder an den Barrieren begegnest, so sage ihr doch, die Milch sei schon lange übergelaufen ... Ihr Kaffee gerinne ... es sei kein guter Schluck mehr daran ... Ich weiß beim Teufel nicht, wo mein Weib hingegangen ist ... Ich habe zu ihr gesagt: Geh' nicht aus ... Du könntest Kosaken begegnen ... drauf hat sie mir entgegnet: Gerade um so mehr!«
Maximus hörte nicht auf Picotin, er war schon auf der Straße und bei dem Apotheker. Prosper hatte seine Besinnung wieder erlangt, war aber kaum im Stande, zu sprechen; indessen erkannte er seinen Freund, drückte ihm die Hand und stammelte den Namen Pauline.
»Ja, ja, ich verstehe Dich,« sagte Maximus, »Du willst nach Hause ... zu ihr ... gebracht werden ... Vorwärts, meine Herren, leisten Sie mir einen letzten Dienst, lassen Sie uns eine Art Tragbahre zur Weiterschaffung unseres Verwundeten bilden ... Er wohnt ganz in der Nähe, ich weiß jetzt seine Adresse.«
Jedermann beeiferte sich, Maximus Hülfe zu leisten; wenn die Franzosen immer, selbst in den ernsthaftesten Umständen, zum Lachen und Scherzen aufgelegt sind, so muß man auch zugeben, daß sie stets bereit sind, einem Leidenden Hülfe zu leisten, oder eine gute Handlung zu verrichten. In wenigen Augenblicken wurde Prosper auf eine in der Geschwindigkeit errichtete Tragbahre gelegt und in sein Haus gebracht.
Maximus wollte Paulinen vorbereiten, damit der traurige Anblick, der ihr bevorstand, keinen allzu lebhaften Eindruck auf sie mache; er fürchtete ihre Thränen, ihr Geschrei, ihre Verzweiflung, welche eine schädliche Einwirkung auf den Verwundeten ausüben konnten. Aber die empfindsamsten Seelen zeihen oft in großen Leiden eine Kraft und einen Muth, deren man sie nicht für fähig halten würde ... Als die Jungfrau Maximus blaß und bestürzt eintreten sah, hielt sie ihr Unglück für noch größer.
»Prosper ist todt!« rief sie aus. – »Nein ... nein ... aber durch einen Schuß verwundet ... – »Wo ist er? ... führen Sie mich zu ihm.« – Er kommt ... man bringt ihn hierher ... Sie werden ihn sogleich sehen.«
Pauline sprach kein Wort, vergoß keine Thräne, ihr Schmerz war stumm; aber sie flog auf den Verwundeten zu, nahm ihn bei der Hand, drückte sie in den ihrigen, und er fand noch Kraft, ihr zuzulächeln.
In wenigen Augenblicken hatte man Prosper in sein Bett gelegt, und Maximus einen Chirurgen und einen Arzt herbeigeholt, welche, nachdem sie den Verwundeten untersucht hatten, auf eine nicht beruhigende Weise den Kopf schüttelten, indessen doch sagten: »Es ist möglich, daß er davon kommt! ... Aber es ist sehr gefährlich.« – Dann nahm Maximus Paulinen bei der Hand und sagte zu ihr: »Fassen Sie Muth, liebes Kind ... Der Himmel wird Ihnen Ihren Beschützer nicht rauben. Was mich betrifft, so vermag ich jetzt nichts mehr für ihn zu thun, und kehre auf den Posten der Ehre zurück!«
Hierauf gab Maximus Paulinen einen Kuß und entfernte sich; auch der Chirurg und der Arzt zogen sich zurück, nachdem sie verordnet hatten, was zu thun sei, und versprochen, am Abend wieder zu kommen. Als nun das junge Mädchen allein bei Prosper war, welchem verboten worden, zu sprechen, und keine Zeugen mehr um sich wußte, da warf sie sich auf ihre Kniee nieder, flehte zum Himmel, er möge ihr den Mann lassen, der Alles für sie sei, und vergoß Ströme von Thränen.
Die Nacht brach herein. Alle Augenblicke kam die alte Dienstmagd, welche auf Erkundigungen ausging, zu ihrer Gebieterin herauf und sagte zitternd: »Ach! Fräulein! ... man sagt, wir seien verloren! ... die Feinde dringen in die Stadt ein ... man wird sich schlagen ... wir werden geplündert werden ... und noch viel Schlimmeres! ...«
Pauline gab ihrer Magd kaum Gehör; für sie gab es nur noch eine wichtige Sache auf der Welt, das war das Leben Prospers.
Indessen blieb der Abend ruhig; nur gegen neun Uhr hörte man einen Kanonenschuß, dem aber kein weiterer folgte.
Vierzehn Tage später saß Pauline an Prospers Bett; ein Strahl der Freude belebte ihre vom Nachtwachen und Weinen abgematteten Züge; denn erst seit diesem Morgen hatte der Arzt eine günstige Wendung in dem Befinden des Verwundeten wahrgenommen, und dem jungen Mädchen, während er ihr zugleich ankündigte, daß die Heilung langsam vor sich gehen werde, versprochen, ihren Beschützer zu retten. Darüber hatte sich Pauline so glücklich gefühlt, daß sie gerne dem Arzte an den Hals gesprungen wäre; was kümmerte es sie, wenn die Genesung auch lange anstand, man haftete ihr für Prospers Leben, und schenkte ihr damit auch das ihrige wieder.
Man hatte dem Kranken, der außerordentlich schwach war, Schweigen anempfohlen; nur durch Blicke konnte er für die Sorgfalt seiner jungen Wärterin danken; wenn er ein Wort sprechen wollte, so legte sie ihm einen Finger auf den Mund und rief aus: »Es ist verboten! ... schweigen Sie, mein Freund; wenn Sie wieder gesund sind, wollen wir uns hiefür entschädigen; dann dürfen Sie den ganzen Tag mit mir sprechen, und ich werde Ihnen mit Freuden zuhören.«
An diesem Tage übrigens hatte Prosper, der sich weit besser fühlte, ein wenig gesprochen; vor allen Dingen, um seiner jungen Freundin seine volle Erkenntlichkeit für die Sorgfalt auszudrücken, die sie ihm gewidmet hatte, sodann um sie um einige politische Neuigkeiten zu befragen und zu erfahren, was seit seiner Verwundung bei den Hügeln von Saint-Chaumont geschehen sei.
»Politische Neuigkeiten!« entgegnete Pauline; »mein Gott! lieber Freund, seit vierzehn Tagen habe ich mich nur um Sie bekümmert ... Ich weiß, daß man sich nicht mehr schlägt, und daß wir eine andere Regierung haben ... Aber mehr dürfen Sie mich nicht fragen, denn ich wäre wahrhaftig nicht im Stande, darauf zu antworten.«
Der Schall der Glocke, welcher Besuch ankündigte, unterbrach dieses Gespräch. Bald darauf vernahm man Poupardots Stimme, und nach wenigen Augenblicken standen die gute Elisa und ihr Gatte an Prospers Bett.
»Da sind wir!« rief Poupardot aus. »Wie, armer Prosper, Du bist verwundet worden? ... Du hast Dich also geschlagen? ...« – Gewiß,« entgegnete Prosper, »und Du? – »O ich! ich hatte ganz andere Dinge zu thun!« – Die Kosaken haben unser Haus abgebrannt ... Alles verheert, zerstört und zu Grunde gerichtet!« fiel die gute Elisa mit einem schweren Seufzer ein. – »O! das ist gleichgültig! nun geht es gut! sehr gut!« fuhr Poupardot, sich die Hände reibend, fort, »jetzt haben wir unsere legitimen Fürsten wieder. Wir bekommen nun eine väterliche Regierung, das muß uns glücklich machen; wir werden Sonntags unser Huhn im Topfe haben! ... lieber Freund! und abgerechnet den guten Heinrich IV., den wir nicht bekommen werden, weil er leider todt ist, wird es ganz dasselbe sein.«
Prosper machte große Augen und konnte kaum glauben, was er hörte.
»Wir sind hier im fliegenden Lager,« sagte Elisa; »da wir nicht mehr in Clichy wohnen können, wollen wir uns auf unserem kleinen Pachthofe in Montereau niederlassen, und bis alle unsere Vorbereitungen getroffen sind, wohnen wir hierin einem möblirten Logis.« – Wo wir auch bereits unsere beiden Jungen gelassen haben, die sich mit einem gebratenen Huhn unterhalten ... ich fürchte nur, sie werden sich prügeln, da sie beide die Schlägel gleich gerne essen ... Ei! weil ich gerade darauf komme, Sie wissen die Neuigkeit noch nicht: Madame Poupardot hat schon wieder einen kleinen Sprößling in Arbeit ... Ha! ha! eine letzte Tollheit ... das soll aber das Nesthöckchen sein ... – »Still, still! mein Freund, schweig doch!« fiel Elisa erröthend ein. – »Ei! warum denn? ... es freut mich, noch ein Kind zu bekommen ... das ist nicht verboten ... Ich wette, es wird abermals ein Knabe ... wie soll ich den nennen? ... ich muß mich darüber besinnen ... Uebrigens muß ich machen, daß ich nach Montereau komme, damit meine Frau dort ausruhen kann. – »Und Maximus?« murmelte Prosper. – »Maximus ... o! der ist fort aus Paris; er ist schlechter Laune ... Ein sonderbarer Bursche! unter allen Regierungen habe ich ihn mißlaunig gesehen; der ist nicht wie ich. Nun, mache, daß Du bald gesund wirst, lieber Prosper; dann kommst Du mit Deiner theuern Pauline zu uns nach Montereau ... wir werden sehr gerne dort sein, ich bin's zum Voraus überzeugt; höchstens könnte die Luft dort meiner Frau schädlich sein, aber ich glaube es nicht.«
Elisa seufzte nochmals, indem sie sagte: »Ach! unser armes Haus in Clichy ... es war so hübsch!«
Pauline, welche befürchtete, Prosper möchte sich anstrengen, machte Poupardot darauf aufmerksam, daß, wenn man seine Genesung wünsche, man ihn nicht zum Sprechen nöthigen dürfe, weil der Arzt es ihm verboten habe. Die beiden Gatten sahen die Richtigkeit dieser Bemerkung ein, und nachdem sie den Kranken und seine junge Wärterin zärtlich geküßt hatten, verabschiedeten sie sich von ihnen, und luden sie nochmals ein, zu ihnen nach Montereau zu kommen.
Einige Wochen später saß Prosper an einem Fenster und athmete die milde Frühlingsluft ein. Pauline war immer um ihn und suchte ihm an den Augen den leisesten Wunsch abzusehen.
Mit der Genesung ging es langsam vor sich; die Kräfte kehrten immer noch nicht zurück; aber der Kranke war gerettet und die Waise für ihre Mühe belohnt.
Was die vollständige Herstellung Prospers verzögerte, war der Verdruß, daß er seine Anstellung verloren hatte, war die Gewißheit, daß seine Pflege viel Kosten verursache, und waren die Sorgen, die er sich wegen der Zukunft machte. Pauline, die seine Gedanken errieth, bat ihn, sich deßhalb nicht zu beunruhigen und sich wegen der Führung ihres kleinen Hauswesens ganz auf sie zu verlassen; allein die Furcht, die Waise möchte eines Tags das Notwendige entbehren, setzte den Kranken in Betrübniß, und erschwerte seine gänzliche Heilung.
Ein alter Freund leistete Prosper oft Gesellschaft, dies war nämlich der Oberst Roger, der sich vom Militärdienste zurückgezogen hatte, als er sich nicht mehr für seinen Kaiser schlagen durfte. Roger war auch traurig und mürrisch geworden; während er mit den Fingern seinen Schnurrbart strich, fluchte er bisweilen zwischen den Zähnen, und wenn er seinen Platz neben dem Genesenden eingenommen hatte, verstrichen oft ganze Stunden, während welcher Prosper bloß mit gen Himmel gerichteten Augen seufzte und Roger, seinen Schnurrbart streichelnd, fluchte.
Um die beiden Freunde zu erheitern, suchte Pauline eine Unterredung anzuknüpfen; als sie auf den General zu sprechen kam, sagte Roger:
»Der hat sich, gleich mir, pensioniren lassen, er pflanzt jetzt seinen Kohl mit seiner Frau, und verbeißt seinen Grimm, wie ich.«
»Und Maximus?« fragte Prosper; »er hat mich aufgehoben und auf seinen Schultern hergetragen, als ich verwundet war ... seitdem ist er nicht wiedergekommen.«
»Er hat von Deinem Chirurgen erfahren, daß Du außer Gefahr seiest ... weiter wollte er nicht wissen; er ist nicht mehr in Paris ... ich glaube, er ist Unterlehrer in einer Dorfschule.« »Und was mag aus dem armen Picotin inmitten dieser Ereignisse geworden sein?«
»Picotin! o! tausend Granaten! der hat sich nicht geschlagen! mit dem hat es keine Gefahr. Ich weiß nicht, was er jetzt treibt, aber seiner Frau bin ich mehrmals auf der Straße begegnet. Sie hatte ein Meßbuch in der Hand ... und ich habe sie sogar in eine Kirche hineingehen sehen.«
Nach diesem Gespräche ging Roger noch zwei- oder dreimal im Zimmer auf und ab, stieß noch einige Flüche aus, drückte die Hand seines Freundes, nickte Paulinen zum Abschiede und ging.
Sobald Prosper im Stande war, auszugehen, machte er, auf Paulinens Arm gestützt, kleine Spaziergänge; dann wollte er sich auch alsbald wieder nach einer Beschäftigung, nach einem Amte umsehen, obgleich ihm sein Arzt völlige Ruhe anempfohlen hatte. Allein Pauline ärgerte sich hierüber und schalt ihn sogar deßhalb.
»Soll ich denn die ganze Frucht meiner Mühen einbüßen?« sagte sie zu ihm. »Wollen Sie sich wieder anstrengen, um aufs Neue krank zu werden ... wollen Sie durchaus die Wiederkehr Ihrer Kräfte verhindern? Nein, nein, mein lieber Freund, Sie müssen mir gehorchen, Sie haben es mir versprochen, und ich dringe jetzt darauf. Ich verlange eine vollständige Ruhe ... besonders keine Quälereien und keine Besorgnisse ...« – Aber ... die Zukunft ... das Geld!« fiel Prosper ein. – »Das ist meine Sache ... ich führe die Kasse, und Sie haben mir versprochen, sich nicht weiter darein zu mischen.«
Beinahe ein Jahr verfloß. Prospers Gesundheit war noch sehr schwankend; indessen hatte ihm Pauline, um ihn zufrieden zu stellen, gestattet, Abschreibgeschäfte anzunehmen; eine Arbeit, die ihn nicht zum Ausgehen nöthigte, und die er in ihrer Nähe besorgen konnte.
Eines Tages arbeitete die Waise, wie gewöhnlich, neben Prosper, als der Oberst Roger rasch ins Zimmer trat und voll Freude auslief: »Triumph! meine Freunde ... er kehrt zurück ... er kommt ... wir werden ihn wiedersehen ... Ha! tausend Schwadronen! ich habe wohl gewußt, daß er nicht auf immer fortgegangen war.« – Wer kehrt zurück? wer kommt wieder? – »Ei! zum Kuckuk! der Kaiser! mein Kaiser! denn ich kenne nur ihn! ich liebe nur ihn! ... und werde mich noch einmal für ihn schlagen.« – Wäre es möglich! der Kaiser kommt zurück! ... Ist es keine falsche Nachricht? – »Nein! o! es ist die lautere Wahrheit! ... er ist in Cannes gelandet ... Grenoble hat ihm schon die Thore geöffnet ... und ich eile ihm entgegen ... um ihm meinen Degen und mein Blut anzubieten ... O Kinder! welch' schöner Tag! ... Wie Schade, Prosper, daß Du nicht im Stande bist, mit mir zu gehen! Doch lebt wohl, lebt wohl, ich halte es nicht mehr hier aus. Ich muß meinen Kaiser wiedersehen. Lebt wohl, liebe Freunde! ich gehe ...«
Roger war wie närrisch; er küßte seinen Freund, er küßte Paulinen, und eilte davon, ohne nur ihre Abschiedswünsche anzuhören.
Als sich der Oberst entfernt hatte, ging Pauline auf Prosper zu, betrachtete ihn mit zärtlicher Besorgniß und sagte zu ihm: »Diesmal werden Sie mich hoffentlich nicht verlassen, um in den Kampf zu ziehen ...« – Nein, meine theure Pauline, beruhigen Sie sich,« entgegnete Prosper lächelnd; »ich habe meine Pflicht gegen mein Vaterland erfüllt, und außerdem wäre mein Arm noch zu schwach. Wir wollen hoffen, daß die Tage des Mißgeschickes vorüber sind.«
Einige Tage darauf war der Kaiser in Paris; einige Monate später änderte die Schlacht von Waterloo abermals die Geschicke Frankreichs.
Prosper hatte durchaus keinen Antheil an den politischen Ereignissen genommen: seine Schwäche und Kraftlosigkeit hatte ihn bei Paulinen zurückgehalten. Warum sollten sie auch einander verlassen? er fühlte sich besser bei ihr, und ihr war nur wohl bei ihm.
Roger besuchte sie noch zuweilen, aber selten. Seit den hundert Tagen war der arme Oberst mürrischer geworden als je; jetzt verliefen seine Besuche unter fortwährend derben Flüchen, wobei der Schnurrbart gehörig gedreht wurde.
Aber eines Morgens öffnete Pauline ihre Thüre der Familie Poupardot, die sich um einen Knaben von neun Monaten vermehrt hatte. »Wie! ihr habt euer Pachtgut in Montereau verlassen?« fragte Prosper seinen Freund. – »Unser Pachtgut!« erwiderte Elisa in Thränen, »existirt schon lange nicht mehr ... als wir uns dorthin zurückziehen wollten, fanden wir nur noch die Trümmer davon. Man hat sich im Jahre 1814 dort in der Gegend geschlagen ... und es ist zusammengeschossen und zerstört worden.«
»Ach! mein Gott, ja,« sagte Poupardot, »es steht keine Mauer mehr davon; als ich dieses sah, wollte ich mit dem Erlös aus dem Grundstück einen kleinen Handel anfangen, ich kaufte Pferde zusammen ... und hatte bereits eine hübsche Anzahl, als man sie während der hundert Tage zur Armee requirirte ... Alle meine zum Verkauf bestimmten Pferde gingen in den letzten Schlachten drauf, und ich werde schwerlich einen Ersatz dafür bekommen! Doch, davon abgesehen, geht es gut ... ganz gut ... Wir haben unsern Alten von Gent wieder, ich hoffe, daß es jetzt ein Ende hat und man wieder in Ruhe leben wird.«
»Es ist Zeit, daß es jetzt ein Ende nimmt,« versetzte Elisa, »bei jeder Revolution haben wir Etwas verloren! ... Früher waren wir reich ... und nun bleibt uns kaum genug, unsere Kinder aufzuziehen!«
»Das ist gleich,« entgegnete Poupardot, »haben wir nicht dafür jedesmal einen gesunden Jungen gewonnen, das ist hinlänglicher Ersatz ... dieser heißt Louis, unserem guten Könige zu Ehren ... Nun, mein kleiner Louis, lache doch mit Deinem Papa ... Er will nicht ... drum zahnt er.«
Die Familie Poupardot entfernte sich wieder, um eine Wohnung in Paris zu suchen, wo sie sich ansiedeln wollte, und Prosper rief, während er seinem Freunde nachblickte, aus: »Welch' ein glücklicher Charakter! er ist beinahe zu Grunde gerichtet und dabei stets zufrieden! ... Jede Revolution erhält seinen Beifall! ... und doch gäbe es nie eine, wenn alle Menschen ihm glichen!