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Ueber der prunkvollen Herrlichkeit des Festes mit seinen flammenden Kronleuchtern und Wandspiegeln, unter denen soviel Augen von Lust und Liebe, von Neid und Eifersucht loderten; über dem betäubenden Dufte der blühenden Gesträuche und welkenden Blumengewinde, mit dem sich der heiße Athem lauter, leiser und loser Reden mischte; über dem Gewinn und Verlust der Spieltische und der Sofageheimnisse; über der rauschenden Musik der Tänze, und den zusammenklingenden Gläsern des Souper; über dem strahlenden Hause und der gaffenden Menge an dem Platze stand eine laue, ruhige Juninacht, und zog ihre Gewitterwolken zusammen. Niemand fand Vorbedeutung in diesem Zusammentreffen und dachte an ein nächtlich grollendes Deutschland, in dessen Mitte ein lustiges Reich von Fremdlingen schwelgte. – Der gräflichen Wohnung gegenüber, zwischen ihr und der Martinikirche, lag eine Hauptwacht, und die Soldaten saßen im Freien, um bei des Königs Abfahrt unter's Gewehr zu treten. Der Trinkkeller darneben ward heut nicht von Besuchenden leer, die sich auch ihren Antheil einer fröhlichen Nacht nicht nehmen ließen.
Auch in der obern Stadt, um die alte Burg, war die Sommernacht noch nicht entschlummert. Unter den Arcaden wandelten verliebte Paare; aus der Restauration des Franzosen Lelong, in einer der Arcadenhallen, ließ der monotone Gesang einiger französischen Zecher sich vernehmen, und auf einer der nachbarlichen Altane ward auch noch Familienfröhlichkeit laut. Doch Klang und Sang, wie nachbarlich sie auch durch das offene Fenster in Hermann's Zimmer drangen, wurden von ihm kaum vernommen. Er war später als gewöhnlich vom musikalischen Abende bei Reichardt nach Hause gekommen, und überließ sich, im Abschimmer des verblassenden Abendhimmels auf dem Kanapee ausgestreckt und die erquickenden Luftstöße einathmend, seinen etwas wehmüthigen Empfindungen.
Bei Reichardt war das junge Ehepaar auf dessen Besuch eingeladen gewesen; Hermann hatte mit Lina gesungen, und erholte sich jetzt von dem Zwange, den er sich angethan, heiterer zu erscheinen, als er es seither in tiefster Seele gewesen. Wieviel Lust und Leid, die Niemand ahnen sollte, war nicht in den letzten Wochen durch seine Brust gezogen! Er hatte mit Vorwürfen und Vorsätzen gekämpft, war abwechselnd übermüthig und kleinmüthig gewesen, wie sich ja durch wundersame Fügung Glück und Verlust, Liebesgunst und Haß in eine und dieselbe flüchtige Stunde für ihn zusammengedrängt hatten. Dieser Haß Adelens, aus leidenschaftlicher Hingebung plötzlich hervorgebrochen, ihr rascher Uebergang zur Verlobung mit einem nicht geliebten Manne, erschien dem lebensunerfahrenen Freunde als ein Abgrund des menschlichen Herzens, über dem er bald räthselte, bald schwindelte. Doch ein so frisches und gesundes Naturell kam früher über solche Zweifel und innern Kämpfe hinaus. Nur eine zartere Sehnsucht nach einer höhern Liebe und beglückendern Vereinigung blieb in seiner Brust zurück, auch als ein neuer, edler Lebensmuth mit schwungvollern Vorsätzen erwachte. Diese Empfindungen liehen seinem Gesang, wenn er jetzt dazu aufgefodert wurde, einen weichern Schmelz zu dem vollern Klang, den sein Organ selbst körperlich gewonnen hatte. Die Freundinnen freuten sich dieser neuen Erscheinung in seinem ganzen Wesen, ohne den Grund zu ahnen oder die Wehmuth wahrzunehmen, die ihn doch hinterher noch zuweilen in der Einsamkeit seines Zimmers heimsuchte. Auch jetzt hatte sie ihn wieder erreicht, wie er träumend der Dämmerung genoß, Alles überhörend, und selbst einer Mittheilung vergessend, die ihm durch Luisen geworden war.
Da weckte ihn aus der Nachbarschaft eine volle Nachtmusik mit der damals sehr beliebten sogenannten Polonaise von Oginski, – der am berühmtesten gewordenen von den gleichartigen Compositionen des viel umhergeworfenen ehemaligen Großschatzmeisters von Lithauen. Man erzählte sich, die Polonaise sei von einem Manne, oder vielleicht nur in den Empfindungen eines Mannes componirt worden, der eben bereit gewesen sei, sich eine geladene Pistole an die Stirne zu setzen, plötzlich aber einen neuen Lebensmuth gefaßt habe. Für Hermann war dies Musikstück eine Schickung, eine Sympathie der Welt mit der Stimmung dieser einsamen Stunde. Er hatte sich erhoben, und war ans Fenster getreten. Sein Herz löste sich auf in diesen schmerzlich stockenden, hinschmachtenden Passagen des Trio, bis es mit dem Aufschwung, den der zweite Theil des Trio in Dur nimmt, sich mit ahnungsvollem Muth erhob. Es war wie aus seiner Seele gesprochen, als am Schluß der Polonaise von dem Altan, unter welchem die Musik spielte, eine schöne männliche Stimme » Da capo« rief. Beim abermaligen Durchspielen wirkten dieselben Tongänge schon ermuthigender, und wie durch eine wundersame Gedankenverbindung fiel ihm beim Wiedereintritt der Durtonart im Trio der alte, liebe, vergessene Vers wieder ein:
Bis scheue Liebe kühner wird, und nichts
Als Unschuld sieht in reiner Liebe Thun.
Vom nachbarlichen Altan erfolgte lebhafter Beifall; Lachen und Gläserklang wurden jetzt lauter. Die Familie war um bunte Windlichter versammelt; ein häusliches Fest schien für heute beschlossen, oder mit so heitern Vigilien auf morgen eingeleitet zu werden. Nicht lange, so trat ein Bedienter vor, und befestigte einen Korb mit eingelegten Flaschen und Gläsern an zwei Stricken. Die lustige Spende wurde für die Musiker hinabgelassen, und von diesen, während der Korb niederschwebte, mit einem Tusch begrüßt, wie es den Regimentsfahnen geschieht, wenn sie aus dem Hause des Obersten zwischen die präsentirten Gewehre treten.
Während dessen stieg ein Wetter hinter den Söhrebergen auf; rechts und links zuckten abwechselnd die blitzenden Wolken, als ob Süd und Nord sich ein schweres Unternehmen zublinzten. Noch schwieg der Donner; eine dumpfe Stille brütete, und nur wetterflüchtige Luftstöße athmeten die Würze von Wald und Wiesen aus. Indeß währte der Familienverkehr heiter fort, und die Musik, von hinreichenden Flaschen gefesselt, spielte noch manches fröhliche und bewegliche Stück, bis die ersten Tropfen eines milden Regens fielen, der nun auch bald, wie ein Streifzug des am Gebirg entlang hinrollenden Wetterheeres, über die Stadt hereinrauschte.
Diese nächtlichen Bilder und Empfindungen hatten den Zuschauer am Fenster wahrhaft erquickt, als er sich endlich mit dem abziehenden Wetter zur Ruhe begab. Sie spielten noch in seinen Träumen fort, und vollendeten gewissermaßen die Verwandelung seines Innern, sodaß er mit frischem Lebensmuth und mit lebhaften Vorsätzen zu neuer Thätigkeit erwachte. Nun fiel ihm auch Luisens Mittheilung ein. Die Baronin Bülow hatte ihr nämlich in einem Billet, worin sie sich wegen ihres Ausbleibens vom musikalischen Abend entschuldigte, in Betreff des jungen Freundes bemerkt, daß ihr Mann für denselben sehr interessirt worden sei, ehe er aber selbst etwas für ihn thun könne, ihm rathe, falls er ein gelehrtes Amt suche, sich vor allem beim Staatsrathe von Müller vorzustellen, mit dem er seinethalben sprechen werde.
Der Freund empfand lebhaft soviel Theilnahme hochgestellter Personen für ihn, ja er fühlte sich einigermaßen beschämt, ohne eigene Bemühung und während er sich selbst in einer thörichten Neigung vergessen hatte, soviel Gunst und Föderung zu finden. Nun wollte er aber auch desto entschiedenere Schritte thun, und gleich diesen Morgen noch seine Aufwartung beim Staatsrathe von Müller machen. Ob Herr von Bülow inzwischen schon mit dem berühmten Historiker gesprochen habe, ließ er hingestellt sein. Wenn nicht, so wollte er versuchen, was er bei dem einflußreichen Manne für sich selbst vermöchte. Ein wunderbarer Stolz regte sich in seinem Herzen. Der schmerzliche Verlust, den er innerlich erfahren, wie die besten Vorsätze, die er für seine Zukunft faßte, hatten für ihn etwas Erhebendes und gaben ihm ein lebhafteres Bewußtsein, worin er nun auch Dasjenige, was er eben noch für eine Thorheit erklärt hatte, als unschätzbaren Lebensgewinnst anzusehen gestimmt war, besonders nachdem Adele durch ihre Verlobung alle Zweifel und Sorgen, oder vielmehr alle Verbindlichkeiten seines Herzens gelöst, und in leichtfertiger Laune die Schuld des leidenschaftlichen Augenblicks einigermaßen von ihm hinweggenommen hatte. Eine Besorgniß, daß aus dieser Schuld, aus solchem Leichtsinn sich ein Lebensverhängniß für Eins oder das Andere von ihnen entwickeln könnte, lag seinem unerfahrenen Herzen fern. Er hatte Grundsätze von Haus mitgebracht, aber noch keine Vorausblicke für das Leben gewonnen. Statt einer bangen Ahnung stieg ihm vielmehr eine lächelnde Erinnerung auf. Jene Aeußerung Luisens fiel ihm ein: »Sie haben mehr Glück als Recht gehabt. Und – war das nicht auch wieder der Fall sogar bei jener leidenschaftlichen Verwickelung gewesen, wo – wie sie ihm ebenfalls vorausgesagt – der Zufall ihm auch einmal einen Possen gespielt hatte?
Hermann bejahte sich mit schalkhaftem Lächeln die eigene Frage, und er hätte bei einiger Besinnung selber nicht in Abrede stellen können, daß er am Ende aus allen diesen Betrachtungen ein lebhaftes Vertrauen zu sich selbst und für seine Zukunft schöpfte.