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Heut zum letzten mal hatte sich so ziemlich Alles eingefunden, was bisher zu Reichardt's musikalischen Abenden ein- für allemal geladen war. Auch Herr von Bülow und der Gesandte Baron von Reinhard waren wieder einmal gekommen. Aber man stand noch durch einander, und eine wilde Unterredung brauste im Salon. Eine solche Besprechung, wo Jeder, ehe er seinen Platz genommen, was ihm eben am nächsten liegt, gegen seinen Nachbar vorbringt, gleicht dem Wirrwarr, in welchem die verschiedenen Instrumente zu einem Concert gestimmt werden. Erst durch Luisens Eintritt erhielt die zerstreute Gesellschaft einen Vereinigungspunkt. Alles begrüßte sie, und als sie sich niederließ, rückte man sich in einem weiten Halbkreis um sie her.
Luise, ohnehin so anziehend für ihre Bekannten, erschien heut auch noch als Scheidende, von der sich ein Jeder an diesem Abende einen letzten Antheil anzueignen suchte. Und sie verstand sich, wenn sie bei freier Seelenstimmung war, auf die Leitung einer vielstimmigen Unterhaltung, wie ihr Vater auf das Commando eines Orchesters; nur daß sie die Partitur zu schaffen oder zu ergänzen hatte, die dem Kapellmeister fertig vorlag. Man war nicht klar über die Ursache oder den Zweck ihrer Abreise, und sie sagte lächelnd:
Es ist eigentlich eine Universitätsangelegenheit, die mich auf einige Wochen in die Nähe von Halle abruft. Nachdem unser König die von seinem kaiserlichen Bruder gesprengte Universität wieder hergestellt hat, werden neue Kräfte dahin gezogen. Sie wissen, daß an Wolf's Stelle der berühmte Philolog Schütz getreten ist; Ersch und Vater sind an die Bibliothek gekommen; Voß, Herausgeber des Journals »Die Zeiten«, besteigt den Lehrstuhl der Staatswissenschaften; Reil und Meckel übernehmen das klinische Institut –
Und Luise Reichardt wird wol Professorin der musikalischen Composition? fiel Doctor Harnisch mit ceremoniöser Verbeugung ein.
Verzeihung! erwiderte sie. Für die Musik ist schon Herr Director Türk in Halle, und der König hat ihn auch zum wirklichen Professor der Musik ernannt.
Ich kenne Herrn Türk, rief Baron Rehfeld. Er ist ein alter Bekannter von mir; nur war mir noch unbekannt, daß König Jerôme ein Freund der türkischen Musik ist. Eine zarte Harfe mit ein paar Hörnern ist ja bekanntlich seine Leibmusik und türkische Instrumente machen ja auch zuviel Spectakel für seine – Notturnos.
Um aber mein Universitätsräthsel zu lösen, fuhr Luise fort, müssen Sie wissen, daß mein lieber Schwager Steffens aus Holstein und Lübeck, wo er sich bisher aufhielt, zurückgekehrt ist und mit besonderer Unterstützung des Gouvernements eine Bergwerksschule errichtet. Sie können denken, wie es mich verlangt, ihn und meine theure Schwester zu sehen.
Ist Steffens wieder da? rief Hermann freudig aus, und Luise bejahte es mit dem schalkhaften Zusatze:
Ich werde ihm auch gelegentlich berichten, welche Fahrten und Gefahren sein Empfehlungsbrief unter Ihrer Obhut bestanden hat, und wie er sich vor den Zähnen eines Spitzes und vor den Krallen eines Spitzbuben unter einen Kleiderschrank retten mußte.
So heiter dies gemeint war, blieb doch für Hermann diese Erinnerung an seinen ersten unbesonnenen Morgen in Cassel nicht ohne flüchtiges Erröthen. Aber schon bemerkte Baron Reinhard:
Sie geben gleichsam die Losung, liebe Luise, zu vielen Sommerreisen, die unsere Societät sehr erschöpfen werden. Se. Majestät der König werden um den 7. August Bad Nenndorf besuchen.
Ja, fiel der Arzt Harnisch ein, der König wäre sehr angegriffen, sagte mir gestern Doctor Zadig in Beisein des ersten Arztes, des Chevalier Garnier de St. Romain. Jerôme habe den Staatsrath nicht besuchen können, und sogar einige vornehme Fremden, die zur Audienz gekommen, unempfangen gelassen. Er leidet an Rheumatismen, höre ich.
Das laß ich mir gefallen! rief mit schalkhaftem Eifer Baron Rehfeld aus. Man spricht immer von seinen Partien; aber nein! es sind die Grobiane von Rheumatismen, die Einen angreifen und erschöpfen. O, ich kenne sie!
Schnell ablenkend fuhr Reinhard fort:
Auch die Königin wird, und zwar noch früher, Bad Teinach besuchen.
Teinach? fragten die Damen, und Harnisch berichtete, daß es eines der würtemberger Schwarzwaldbäder sei, ziemlich hoch gelegen, mit vier Quellen, die flüchtig reizend und belebend auf das Nervensystem wirkten.
Besser als über das Bad waren die Damen über die Reiseausrüstung unterrichtet. Man fand es begreiflich, daß dieser erste Besuch ihres Heimatlandes mit Glanz geschehe, was auch der König verlange. General Salha gehe als Oberhofmeister mit, und außer der Gräfin Antonie, der Oberhofmeisterin, die erste Hofdame Baronin Otterstedt.
Aber auch Morio verläßt uns mit seiner jungen Frau, sagte Herr von Bülow. Eine hübsche Honigmonatreise – durch Italien nach dem paradiesischen Neapel!
Der Kriegsminister? fragten einige Stimmen zugleich. Man wußte nämlich schon im Publicum von dem Befehle des Kaisers und hoffte, das Genauere von dem französischen Gesandten zu vernehmen. Reinhard aber erwiderte mit seiner ruhigen, diplomatischen Vorsicht:
Nun ja, der König nimmt einen so angesehenen Militär zu einer außerordentlichen Sendung nach Neapel, um den neuen König Joachim Napoleon zu beglückwünschen, der nach Joseph's Annahme der spanischen Krone in nächsten Tagen seine Proclamation erlassen wird. Es ist eine diplomatische und Familienangelegenheit zugleich, daher ihn Jerôme auch zum Divisionsgeneral befördert hat, ihm eine etwas höhere Stellung zu geben.
Nun ja, bemerkte Doctor Harnisch, diese Beförderung und das milde Klima von Neapel wird dann leicht die Wunde heilen, die dem gewesenen Kriegsminister die Ungnade des Kaisers –
Ihn freundlich unterbrechend, sagte Reinhard:
Es ist aber merkwürdig, was ein an sich unbedeutendes Wort, misverstanden, sogar einen tapfern Kriegsmann zu erschrecken vermag! Ich stand dabei, als Se. Majestät mit Ihrer anmuthigen Freundlichkeit zu Morio sagten: Es ist ein Paradies, General, wohin ich Sie als jungen Ehemann sende. Sie wissen ja – »Sieh' Neapel und stirb!« – Da hätten Sie den Eindruck sehen sollen, denn dies unerwartete e poi muori auf Morio machte! Entsetzt, wie vor einer Geistererscheinung, wich er einen Schritt zurück, und konnte nur mit stockender Stimme – Mein Gott, Sire! vorbringen. Der König, nicht weniger betroffen, ergriff die Hand, die der General auf die gepreßte Brust drückte. Ich erklärte das Misverständniß, und nun erkannte man, daß von keiner Vorbedeutung, von keinem Geisterwort nur ein Gedanke sein konnte. Vielmehr ist Morio jetzt sehr vergnügt, und wird mit seiner noch vergnügtern Frau wahrscheinlich nach seines Schwagers Verlobung abreisen, wenn ein solcher Verspruch nicht etwa bloßes Stadtgerede ist.
Da war nun der piquanteste Gegenstand des Stadtgesprächs hingeworfen – die muthmaßliche Verlobung des Grafen Fürstenstein mit der Comtesse von Hardenberg. Die Unterhaltung zersplitterte sich ein wenig; denn die Frauen hatten einander so Manches zuzuflüstern. Das leidenschaftliche Benehmen der Generalin Salha war aufgefallen, und man tadelte, daß sie sich in ihrer getäuschten Erwartung für ihre Tochter Melanie nicht zu fassen wisse, – eine sonst so kluge und versteckte Frau. Man meinte, ihrem Manne, soviel auch der General mit seiner Matrosenhaut vertragen könne, sei doch die glückliche Ausflucht nach Teinach zu gönnen, wo er auf die Ausfälle und Drohungen seiner Gebieterin zwischen den vier Quellen seine seemännischen Nerven erquicken möchte.
Die flüsternde Aufregung zur Ruhe zu bringen, rief Reinhard seiner Gemahlin zu:
Nicht wahr, liebe Christine, da halten wir's in der verlassenen Residenz – verlassen vor allem von unserer verehrten, lieben Luise – auch nicht aus, sondern machen uns auf ein paar Wochen fort. Vorausgesetzt, daß mir der Urlaub nicht versagt wird.
Ich habe eben den jungen Freund Doctor da gefragt, lieber Karl, ob er nicht mit uns an den Rhein wolle, antwortete sie. Ich fürchte aber, er hat eine Herzensangelegenheit, die ihm Cassel ausfüllt, auch wenn wir Alle Platz machen.
Sie lächelte Hermann an, der zwischen ihr und Frau Lina saß, und der hierauf, nicht ganz unbefangen, ausrief:
Ach, an den Rhein! Das gehört zu meinen ältesten Wünschen, den Rhein zu sehen! Allein, außer andern Rücksichten kann ich jetzt auch sagen, was ein bekannter Minister des Kurfürsten dem französischen Gesandten Bignon antwortete, als ihm derselbe zuredete, Paris einmal zu sehen.
Und was antwortete er? fragte Reinhard; worauf Hermann sagte:
»Ah, votre Excellence, si j'étais mon propre Monsieur!« (»Wenn ich mein eigener Herr wäre!«)
Ein schallendes Gelächter erfolgte, und wiederholte sich, bis Reinhard lächelnd versetzte:
Nun, ein proprer Monsieur sind sie schon, und wenn Sie von Mainz bis Remagen führen, um uns auf Falkenlust zu besuchen, so hätten Sie die schönste und romantische Strecke des Rheins gesehen; doch würde Ihnen unser Landsitz auch noch einige artige Ausflüge bieten.
Hermann hatte kaum ein so freundliches und ehrendes Wohlwollen mit einigen Worten des Dankes anerkannt, als ihm Herr von Bülow zurief:
Lehnen Sie die Güte Sr. Excellenz nicht so unbedingt ab, Herr Doctor; Sie sind dem Rhein vielleicht näher, als Sie glauben!
Und als man ihn erwartungsvoll ansah, sprach er mit bedeutsamem Lächeln gegen seine Gemahlin:
Wir sind nun mit den dringendsten Angelegenheiten des Reichstags so weit, daß Berathen zu Thaten übergehen kann. Die Provinzialschulden sind als eine gemeinsame Reichsschuld anerkannt, die Verzinsung derselben ist fundirt durch eine allgemeine Personalsteuer, und drittens ist ein Staatsanlehn von zwanzig Millionen sanctionirt. Doch wollen die Stände bei dieser Geldaufnahme die Hände im Spiel behalten, und der König hat daher auch auf meinen Antrag genehmigt, daß eine Deputation von Mitgliedern des Reichstags nach Holland gesendet werde, wo uns gute Bedingungen für ein Anlehn in Aussicht gestellt sind. Ich habe nun zu dem Geschäft zwei tüchtige Männer gewonnen, den Fabrikherrn Nathusius und den Banquier Jacobson, und denke, Sie, Herr Doctor, aus meinen Bureaux als Secretär oder Actuar für das Protokoll beizugeben. Dort kämen Sie ja nun an den versiechenden, versandenden Vater Rhein, und könnten, wenn Sie ein gutes Geschäft machen, rheinaufwärts bis Remagen Ihren Rückweg nehmen. Wie?
Hermann, aufs angenehmste überrascht von der ihm zugedachten Gunst, war lebhaft aufgestanden und gegen seinen Minister vorgetreten; eh' er aber zu Wort kam, rief der ungeduldige Reichardt:
He da, Freund Hermann! Hierher, an meinen schon lange harrenden Streicher! Dort stehen unsere Flaschen und – liebe Sophie, einschenken, herumreichen! Und Hermann singt uns zum Dank an Se. Excellenz und zu endlichem Beginn unsers Abends das herrliche: »Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben!« Und wir denken dabei an Vater Claudius in Hamburg, den 68er, der es uns gedichtet und der mich selbst jetzt zu seinem Asmus omnia sua secum portans macht. Doch nein, nein! Nicht Alles nehme ich mit mir fort; das Liebste laß' ich noch zurück: meine treue Sophie und meine brave Luise!
Er umarmte, mit Thränen im Auge, Frau und Tochter, ergriff dann rasch ein gefülltes Glas, und sprach weiter:
Und noch mehr lasse ich zurück: so theure, verehrte Freunde, die gekommen sind, mir Lebewohl zu sagen. Also denn – ein Lebewohl, aber auf Wiedersehen, auf ein froheres Wiedersehen!
Man stieß an, worauf Hermann das Lied sang – mit soviel Feuer und Ausdruck, daß Alles mit Jubel in den Refrain der Strophen einfiel.
So war denn eine hohe Stimmung erregt, und sank auch nicht, wie es sonst leicht zu geschehen pflegt, im Verlauf herab, sondern ward nur innerlicher, als man sich in die beiden Zimmer vertheilte und zu besondern Gesprächen zusammensetzte. Dies anstoßende Zimmer, durch eine geöffnete Flügelthür von dem andern kaum getrennt, war Reichardt's Arbeitszimmer. Es war mit den Bildnissen der berühmtesten Musiker geziert. Diesen gegenüber hingen die Portraits der Charlotte Corday, Mirabeau's, Pichegru's, und darunter der Schattenriß von Reichardt's Stiefsohn, der – ein Schwärmer für die Republik – als Chasseur in der Pyrenäenarmee diente.
Gleich, als nach Hermann's Gesang der Halbkreis der Gesellschaft sich gelöst hatte, trat Frau von Bülow zu ihrem Mann und sagte:
Ich habe deinen Blick verstanden, lieber Hanns, und wie mir schien, hat deine Mittheilung den jungen Freund wirklich aufs angenehmste überrascht.
So schien's mir auch, erwiderte er, und es soll mir lieb sein, wenn er von dieser Madame Simeon noch nicht so bestrickt ist, daß er Cassel ungern verließe. Diese Reise nach Holland bringt ihn hoffentlich ganz aus dem so bedenklichen Verkehr.
Wenn nicht etwa unsere Voraussetzung oder unsere Besorgniß überhaupt ungegründet sein sollte, lieber Hanns, meinte sie; und da im Augenblick Herr von Reinhard mit seiner Gemahlin herantrat, sprach sie ihn mit der Frage an, ob er denn nichts Genaueres über das mysteriöse Persönchen wisse, das seit kurzem bei Simeon's – eingethan sei.
Nun, nun! lächelte der Gesandte. Bei Ihnen, meine Gnädige, kann ich es also noch als Geheimniß anbringen, was unsere gute Gesellschaft bereits ziemlich ausgewittert hat. Die Heberti ist eine Leidenschaft Jerôme's aus Paris. Er hat sie noch Tags vor seiner Vermählung in Fontainebleau gesehen, und der Kaiser war höchst aufgebracht über die Unbesonnenheit.
Ist sie denn wirklich eine Nichte der Frau Simeon? fragte die Baronin, und Reinhard fuhr fort:
Ja, von einer Stiefschwester, die an einen Italiener und Musiker Heberti verheirathet war. Dieser hatte sein begabtes Töchterchen für Tanz und Schauspiel ausbilden lassen, starb früh, und da es seiner Witwe sehr dürftig ging, so lief das tolle Mädchen aufs Theater. Jerôme, der sie hier bewundert fand, nahm sie fort und unterhielt sie mit der Mutter. Sie soll wirklich eine einnehmende Bildung und bei nicht gerade brillanter Schönheit doch sehr bezaubernde Manieren besitzen. Ich habe sie nur einmal flüchtig an einem Simeonsabende gesehen, wo sie mir auch als »Mademoiselle Cecile« kurzweg, – als liebe Nichte, vorgestellt wurde. Der Name Heberti wird möglichst vermieden, damit er nicht zu weit weg – nicht bis zu den Ohren der Spione des Kaisers komme, und es zum Schreck für den guten Simeon der lieben Nichte ergehe, wie der kleinen Henin, wenn Sie sich erinnern, die auch dem König nachgezogen kam und auf Napoleon's Befehl nach Paris zurückgebracht wurde.
Da liegt denn freilich die Auskunft nahe, versetzte Herr von Bülow, daß man Mademoiselle Cecile an einen Mann bringe, unter dessen Namen sie dann in der Gesellschaft erscheinen könnte.
Wir fürchten, daß man es auf unsern jungen Doctor abgesehen habe! flüsterte Frau von Bülow, und Baron Reinhard bemerkte:
Ich höre, er soll öfter hingehen, und weiß, daß Marinville sich für ihn interessirt. Indeß – ich glaube nicht, daß er zu dem gewöhnlichen Schlag unserer jungen Herren gehört, die es freilich mit den Mitteln und Wegen, ihr Glück zu machen, nicht sehr genau nehmen.
Auch ich, versetzte Bülow nachdenklich, habe eine bessere Meinung von ihm gefaßt. Vielleicht ist es aber gut, wenn er auf eine Gelegenheit stößt, wo er sich uns bewähre. Denn sonst – so gut ich es mit ihm vorhabe, auf jedem andern Weg zu seinem Glück müßte ich ihn fallen lassen.
Nur, lieber Baron, müssen Sie dann aber auch die Ueberzeugung haben, daß er selber weiß, was er thut oder was ihm geschieht, und wer diese Cecile ist. Sie kennen seine Verwickelung bei Bercagny! erinnerte Frau von Reinhard.
Sie haben Recht, fiel die Baronin Bülow ein. Wir müssen ihm also die Augen öffnen!
Aber der vorsichtige Gesandte warnte vor Uebereilung.
Rühren wir an das feine Netz nicht, sagte er, das an den König geknüpft ist und diesen Marinville zur Spinne hat! Wir wissen ja nichts von der Heberti, was wir ihm sagen dürften, und kämen in Verlegenheit, wenn er Das wüßte, was wir ihm zu sagen wagten, und was er misbrauchen könnte. Uebrigens vertraue ich darauf, daß mir Luise Reichardt für seine edle Denkart und Gesinnung gutgesagt hat. Und, er geht ja auch vorerst nach Holland. Aber still, das Quartett beginnt!
Mit dem Quartett wechselte Gesang, und zwischen die Musikstücke fielen kurze Pausen der Unterhaltung. Luise sang einige Lieder ihrer eigenen Composition, wie das Lied von Brentano: »Durch den Wald mit leisen Schritten«, und den Schluß machte ein Duett, von Hermann und Frau Lina vorgetragen.
Als Beide, vom Flügel aufgestanden, im Gespräche nach dem zweiten Zimmer wandelten, wo Ludwig zurückgeblieben war, rief Herr von Bülow den jungen Freund mit den Worten an:
Wissen Sie, Herr Doctor, daß Sie auf dem Wege zur Gunst Sr. Majestät des Königs sind?
Die beiden Frauen Bülow und Reinhard erschraken; doch die auf Ueberraschung berechnete Frage glitt an Hermann's unbefangenem und verwundertem Lächeln ab. Er trat näher, und Lina nahm zuviel Antheil an dieser Nachricht, um nicht auch stehen zu bleiben.
Ja, fuhr Bülow fort, Sie wissen am Ende selber nicht, was man oft mit einer schmeichelhaften Bemerkung für Bresche schießt. Sie haben jüngst in einer Assemblée bei Herrn von Simeon, als die Rede auf des Königs Güte und Heiterkeit kam, die historische Erinnerung gemacht, der König habe darin etwas mit Heinrich IV. gemein, von dem man seiner Zeit gesagt habe: qu'il faisait part aux Siens de sa gayeté (er gäbe den Seinen Antheil an seiner Fröhlichkeit). Die Bemerkung fand Beifall und ward vom König, dem sie Marinville hinterbrachte, sehr gnädig aufgenommen. Sie können sich auf eine Audienz gefaßt machen.
Mit Verneigung und etwas bezüglichem Lächeln versetzte Hermann leise:
In letzter Zeit sollen doch Audienzen nicht so wohlfeil zu haben gewesen sein, Excellenz! Vor der Hand mache ich mich auf Holland gefaßt!
Beide Damen blickten einander auf diese ehrliche Antwort mit lächelnder Zufriedenheit an, als Herr von Rehfeld, der jene Bemerkung mitangehört hatte, näher trat und sagte:
Faire part ist allerdings das treffende Wort für Jerôme's Hofhalt. Man spricht viel von dem lustigen Aufwande; läßt man denn aber nicht die casseler Welt Antheil daran nehmen? Ich rede nicht vom Verdienst der Lieferanten, Händler, Handwerker bis zu den Modistinnen und Friseuren herunter; nein, ich rede vom directen Mitgenuß. Die Lakaien z. B. verkaufen des Königs Badewein und das Publicum hat auf diesem Wege seinen billigen Bordeaux; die Garderobediener veräußern die Ballkleider, Maskenanzüge und was dergleichen bei Festen gebraucht worden ist. Und wer weiß, was noch Alles gebraucht und abgelegt wird! Wie mancher junge Mann macht sein Glück an einer liebenswürdigen Dame, die sich von Hof zurückzieht, den guten Ton und ein Patent mitbringt, nicht für sich, sondern für Denjenigen, welcher – On fait part! Das ist es eben! Es kann aber auch unter Umständen bei artigen Frauen heißen: On prend part!
Eine verlegene Stille entstand. Reinhard hatte gleich bei des Barons Annäherung Herrn von Bülow mit der Miene einer vertraulichen Besprechung mit sich beiseite genommen. Er vermied gern den kecken Sprecher, der einen Mann wie Reinhard in Verlegenheiten bringen konnte. Und allerdings, seit Baron Rehfeld sich in der höhern Gesellschaft in Ungunst wußte, hatte er einen andern Ton genommen. Er hatte den Gecken abgelegt, trug und benahm sich wie ein Mann von Bildung und Geschmack, und wechselte nach den Umständen nur zwischen Galanterie und Ironie, weil er sich doch einmal an eine zweideutige oder zweiseitige Erscheinungsweise gewöhnt hatte.
Eine einfache Abendcollation hielt die Gesellschaft über die gewöhnliche Zeit beisammen. Und als man endlich mit heitern Reisewünschen von Reichardt und Luisen schied, war Hermann einer der Letzten, der nicht ohne Rührung dieser so hochgehaltenen Freundin Lebewohl sagte. Er hatte ihrem Vater Briefe an die Aeltern und einige modische Putzsachen für die Schwester übergeben, und bat Luisen, die Seinigen in Halle zu besuchen.
Der Vater wird doch Vieles zu fragen haben, wovon nichts in meinem Schreiben steht, sagte er. Und erzählen Sie meiner Schwester Lina von der schwesterlichen Lina, die ich hier gefunden.
Ja, und bringen Sie sie mit, wenn Sie zurückkommen, fiel Lina ein, sie soll uns ein liebster Gast sein. Sie kann abwechselnd bei mir und bei der Mutter wohnen. Ach ja! Wir rechnen darauf!