Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Capitel.
Unverstandene Liebe.


Von einem so pünktlichen Manne, wie Müller war, blieben die zugesagten Empfehlungshandbriefe nicht lange aus. Hermann nahm sich dann auch vor, den ihm besonders nahe gelegten Besuch bei Minister Simeon nicht zu verschieben, um zugleich seinem eigenen innern Drange der Ehrerbietung genug zu thun.

Heut Vormittag nahmen ihn aber Geschäfte in Anspruch, und schon in der Frühe hatte ihm Lina sagen lassen, daß sie ihn im Laufe des Tags zu einem unverschieblichen Ausgang in die Stadt erwarte. Er machte sich daher für den Nachmittag frei. Als er zu ihr kam, erklärte sie ihm, die Appellationsräthin Engelhard wünsche sich mit ihnen zu berathen, und zwar, wie es scheine, über einen Gegenstand, für den sie besonderes Vertrauen zu einem Philosophen habe.

Lina versteckte unter diesem Scherz eine gewisse Befangenheit, die dem Freunde hätte verrathen können, daß ihr die Angelegenheit bekannter sei, als sie es Wort haben wollte.

Die Räthin empfing Beide in ihrem Zimmer allein, und sorgfältiger als sonst gekleidet, was dem Ehrengaste des Hauses, dem Landstande Nathusius, gelten mochte. Ihr Mann war in einer Gerichtssitzung abwesend, und die Töchter ließen sich nicht sehen. Die Stille und der leise Geruch eines schon abduftenden feinen Rauchpulvers setzten die Wohnung in eine gewisse Feierlichkeit, die unvermerkt auf die Eintretenden überging. Die Räthin gespannt, Lina bewegt, Hermann erwartend brachten sie keine leichte Unterhaltung zu Stand, noch weniger in Gang, und Frau Philippine rückte daher mit ihrem Anliegen heraus.

Es betraf eben den Ehrengast Nathusius. Der reiche Fabrikant hatte sich erklärt, und um die Hand einer der Töchter angehalten. Diese Hand, wie er sich mit Rührung ausgedrückt hatte, sollte ihm eine so liebevolle, glückliche Häuslichkeit schaffen, als die sei, worin er sich jetzt so unaussprechlich wohl und heimisch fühle.

Es ist ein herzensguter, edeldenkender und sehr gebildeter Mann, versicherte die Räthin. Er kam über seine Weichmüthigkeit, als er sich mir offenbarte, ein wenig in Verlegenheit, und setzte gleich lächelnd hinzu, er wünsche sich einen Ableger von dem Engelhard'schen und engelhaften Paradiesbaum für die weite Steppe seines großen Geschäftsbetriebs, wo es ihm bisher an einer Oase der Liebe, an einer schattigen, quellenreichen Ruhestätte der Herzensinnigkeit gefehlt habe. Kurz, er wurde ganz poetisch, woraus ich sah, wie innig er es meinte.

Hermann, vor dem Eintritt in das feierliche Haus sehr heiter aufgelegt, brachte in dieser rückkehrenden Stimmung unbefangener, als es die Mutter erwartet haben mochte, seinen Glückwunsch und die lächelnde Frage vor, welche von den sieben Liebenswürdigkeiten der wackere Mann als Setzling in den fruchtbaren Boden seines Geschäfts zu verpflanzen dächte.

Die Räthin mußte sich von einer leisen Empfindlichkeit über diesen scherzhaften Ton einen Augenblick erholen, und sagte dann:

Das ist es eben, Herr Doctor, und darum habe ich mir eben Ihren angenehmen Besuch gewünscht, gerade darum. Sie haben jüngst so schöne und tiefe Worte über die Ehe gesprochen, die Ihnen gewiß aus dem Herzen gekommen sind, und hier haben wir nun den Fall, daß Herr Nathusius sich für keines meiner Mädchen apart erklärt hat, sondern uns überläßt, welche von den Sieben sich am ehesten entschließen möchte, ihn zum glücklichen Mann zu machen. Die Wahl scheint ihm mithin schwer zu werden, und – fehlt es da nicht an dem Fundament einer guten Ehe, an der entschiedenen Liebe? Sehen Sie, das ist für mich ein schweres Bedenken!

Sie meinen, Frau Räthin, ein solches Werben auf Gerathewohl dürfte weniger wohl gerathen, versetzte Hermann, und Lina, indem sie ihm verstohlen ein ernsthaftes Gesicht vormachte, nahm das Wort:

Er überläßt also jedem andern Bewerber die Vorhand? Und freilich würde ihm die Wahl leichter werden, wenn erst Einer oder der Andere die Gegenstände seiner Wahl vermindert hätte.

Sie brach erschrocken ab, und Hermann sprach mit ruhigem Ernste:

Ich sehe die Sache anders an, und glaube auch das Herz des Mannes aus einigen Aeußerungen verstanden zu haben. Er macht sich bei der Jugend Ihrer Töchter Skrupel über sein vorgerücktes Alter, und nicht sowol, daß ihm die Wahl schwer werde, fürchtet er vielmehr, daß seine Wahl der Geliebten wehthue. Und zu dieser Aengstlichkeit kommt eine ebenso zarte Achtung, die ihn abhält, das Gewicht seines Reichthums und Ansehens mit in die Wagschale seiner Bewerbung um die Eine zu legen. Er mag vielleicht denken, Eine der Andern könnte mehr Neigung für ihn haben, als gerade die von ihm Begehrte, und scheut sich doch, nach einer abschlägigen Antwort dieser Einen seinen Antrag auf eine nächste Schwester zu übertragen. Dies würde sich allerdings auch etwas beschämend für ihn und die Töchter ausnehmen.

So meinen Sie? erwiderte die Räthin. Das ist 'was Anderes, und doch – sieht es eigentlich nur anders aus; der liebe Mann hat hiernach sehr viel Zartgefühl, aber – das ist ja noch noch keine Liebe.

Vielleicht hofft er, versetzt Hermann, daß Diejenige, die er im Stillen liebt, ihn verstanden habe, und wünscht nur, sich durch ihre freiwillige Erklärung auf seine allgemeine Bewerbung von ihrer wirklichen Gegenneigung zu überzeugen.

Also, Sie meinen, daß er doch eines meiner Mädchen besonders im Sinn habe? wendete Philippine ein. Wenn nun aber die Erwartung fehlschlüge, und eine andere meiner Sieben, als die von ihm geliebte, empfände Neigung genug zu dem braven, lieben Manne, um die Allen geltende Bewerbung für sich anzunehmen: fiel dann seine wirkliche Liebe nicht in die Brüche?

Nein! lächelte der junge Philosoph. Er übertrüge sie nur auf die dafür empfängliche Tochter. Die Liebe des Mannes, wenn sie sich meiner frühern Betrachtung erinnern, ist ja von der Natur zur Wahl und Werbung nach allen Seiten getrieben, freier als die abwartende, empfangende Liebe der Frau. Ein edler Mann, reif an Sinn und Seele, und der das menschliche Herz kennt, besitzt die volle, sich selbst beherrschende Macht der Liebe, die das liebenswürdige Weib, wo sie es findet, ergreift, und wenn er Gegenliebe findet, es beglücken kann. Seine Liebe ist nicht mehr die des Jünglings, die wie ein Erdfeuer auf Gerathewohl da oder dort, vulkanisch aus dem Boden schlägt, und oft verzehrt, was sie erreicht; sie ist das gemäßigte, gemessene Herdfeuer, das schicklich übertragen werden kann, und ein heiliges Feuer wird, wenn im Lauf der Jahre die qualmenden Stoffe gelöst und entwichen sind, und die Treue den häuslichen Herd zu einem Altar der vollendeten Menschheit einweiht. So denken Sie sich das Herz unsers werbenden Freundes, gleich empfänglich für die, wenn auch unterschiedene, doch gleich anziehende Liebenswürdigkeit Ihrer Töchter. – Keine derselben hat sich also schon erklärt?

Nein, wie Sie sich denken können! entgegnete die Mutter. Alle schwärmen für den lieben und stattlichen Mann, doch an persönliche Herzenszuneigung hat noch keine gedacht. Insoweit wir aber die Bewerbung für ein Glück und für eine Ehre ansehen, ist die Liebe der Schwestern zu einander so groß, daß jede zu Gunsten der andern zurücktreten möchte. Ja, wenn wir wüßten, für welche der Sieben, oder doch der drei Aeltesten, Herr Nathusius den meisten Zug hat?

Ich glaube mich nicht zu irren, erklärte Hermann, daß er sich am entschiedensten von Ihrer Therese angezogen fühlt.

Von Theresen? rief die Räthin erschrocken. Just von meiner Therese?

Nun ja! Warum nicht? Könnten die kleinen Eigenthümlichkeiten, mit denen sie sich unter den Schwestern auszeichnet, in seinen Augen nicht zufällig für besonders ansprechende Vorzüge gelten?

Und Sie sagen das – Sie selbst so ruhig, so –! rief die Räthin, in bekümmerter Empfindung sich selbst vergessend, wehmüthig aus.

Ich verstehe Sie nicht, liebe Frau Räthin! sagte Hermann befremdet, und Lina, die sich bei der Besprechung etwas blöde hielt, fiel jetzt lebhaft ein:

Die Frau Appellationsräthin meint nur, lieber Hermann, du sagtest das mit soviel Ruhe und Zuversicht, als ob gerade Therese ihn auch am ehesten beglücken könnte, weil er sie den Andern vorzieht.

Die Mutter, ihren Empfindungen noch immer nicht mächtig, nickte nur beistimmend, und Hermann versetzte lebhaft und mit Wärme:

Ja, diese Zuversicht hab' ich auch. Therese hat in ihrem ganzen Wesen etwas Ernstes, Sinniges voraus. Ja, in ihren Augen dämmert ein von Liebe und Sehnsucht bewegtes Herz, das nur die Hand eines so edeln weltwirksamen Mannes zu ergreifen braucht, um sich in seiner eigenen Macht, in seinem eigenen Werthe zu verstehen, und in dem Glück und Schaffen des Gatten sich froh und befriedigt zu finden.

Diese Worte machten den wundersamsten Eindruck auf das mütterliche Herz. Die schöne Anerkennung ihres Kindes traf mit einer getäuschten Erwartung zusammen. Die warme Einsicht des jungen Mannes in ein liebenswürdiges Geschöpf ohne alle Empfänglichkeit des Herzens für dasselbe, die Erkenntniß der erwachenden Liebe des Mädchens ohne alle Ahnung, daß diese Neigung ihm selbst gelte, wirkten wohlthuend und verletzend zugleich. Die gute, einfache Frau konnte dieser widerspruchvollen Aufregung der Seele so wenig Herrin werden, daß sie sich an Lina's Brust warf und schmerzlich ausrief:

Was sagen Sie, liebe Freundin, zu solcher Anerkennung! Ach ja, mein Engel Therese hat ein liebreiches Herz, sie hat es! Daß man doch mit einem klaren Kopf, mit einer barfüßigen Logik soviel erkennen kann! Ach, was unsere jungen Herren doch heut so einsichtsvoll und scharfsichtig sind! Nicht wahr?

Und sich rasch zu Hermann wendend: Verzeihung, hochgeschätzter Herr Doctor! Sie haben mich doch sehr beruhigt in dieser ernsten Familienangelegenheit. Ich danke Ihnen! Ich hatte doch gleich viel Vertrauen zu Ihrer Einsicht. O ja, ich kann mich nun doch viel eher mit meinen Kindern berathen. Denn mein Mann hält diese Bewerbung für eine Sache der mütterlichen Instanz, und behält sich seinen Rath und sein Urtheil für den Fall offen, daß die Verhandlungen in appellatorio an ihn gelangen.

Indem trat Therese blaß und verzagt ein, grüßte erröthend Hermann und Lina, und sagte mit leiser, bebender Stimme:

Herr Nathusius läßt fragen, ob er ein Stündchen herüberkommen dürfe.

Frau Philippine war beim Anblick des Kindes sehr erschrocken. Die hastige Bewegungen, womit sie an ihrem Halstuch und an der Haube zurechtrückte, während Therese sprach, verriethen ihre innere befangene Unruhe und die Bemühung, sich zu fassen. Sie konnte auch nicht gleich antworten, sondern zog die Tochter an ihre Brust.

Eine Thräne fiel auf die Stirne des Kindes und überlieferte, wie es schien, das Leid des Mutterherzens dem ahnenden Verständniß der Tochter. Denn Therese, einen Augenblick erschüttert, erhob sich mit Anstrengung, und stand wie gestreckt vor der Mutter.

Geh', mein Kind, sagte diese mit Fassung, und sage ihm – nun ja, du weißt ja selbst, – Herr Nathusius ist uns sehr angenehm. Empfang ihn aber hier nebenan, unterhalte ihn freundlich, setze dich zu dem lieben Gast und sag ihm, ich käme gleich.

Therese verneigte sich mit niedergeschlagenen Augen gegen den Besuch, und ging in stolzer Haltung nach der Thür. Nur die Mutter bemerkte, daß sie, schwer aufathmend, sich einen Augenblick an die Thürpfoste hielt.

Lina wollte nun nicht länger bleiben und nahm Abschied. Allein, die Räthin bat sie und Hermann, nicht so zu eilen; es sei ihrer Tochter gut, wenn sie den lieben Gast etwas länger unterhalten müsse.

Sie waren aber heut ungewöhnlich still und sogar etwas feierlich, liebe Lina? sagte sie beim Aufbruch, und Lina versetzte mit einer leichten Befangenheit:

Ich habe so meine Betrachtung angestellt, wie schwer man es mit der Liebe und Ehe nehmen kann, und wie leichtfertig es doch gewöhnlich damit genommen wird. So unerschöpflich die Liebe in ihren Verbindungen erscheint, so unerforschlich bleibt sie in ihrem Wesen.

Ganz recht, liebe Lina! fiel Hermann ein. Sie beschäftigt den menschlichen Verstand nicht weniger, als sie das menschliche Herz in Beschlag nimmt. Und beide, Herz und Verstand, liefern auch Thoren genug zur Vasallenschaft der Liebe. Drum sollte man es eigentlich mit dem persischen Dichter Rumi halten, wenn er singt:

»Was die Lieb' sei, was Geliebtsein, forsche nicht!
Nimmer lernst du's, wenn's die Lieb nicht selber spricht.
Was die Sonn' sei, Keiner sagt's, als sie allein.
Drum verlangt dich zu ihr hin, so blick' hinein

Ach, das ist recht schön, und so wahr! rief die Räthin aus. Das »Blick' hinein« geht auf die Sonne und auf die Liebe. Wissen Sie was? Schreiben Sie mir's auf! Ich will's als Wahlspruch meinen Sieben vorlegen, um sich für den guten Herrn Nathusius im Herzen zu prüfen. Blickt hinein! will ich ihnen sagen.

Sie holte Schreibzeug herbei, und flüsterte ihm zu:

Nicht wahr, die Bewerbungsart des lieben Herrn bleibt unter uns, lieber Freund?

Hermann drückte ihr die Hand und nickte ihr freundlich zu. Während er schrieb, raunte sie Lina in's Ohr, indem sie nach Hermann blinzte:

Auch Das wegen meiner armen Therese bleibt unter uns Beiden.

Lina umarmte sie und empfahl sich mit dem Freunde, als dieser fertig war.

 

Unterwegs sprach sich Hermann mit lebhafter Achtung über die Mutter Engelhard aus, die nicht wie hundert andere Mütter eine für ihre Verhältnisse so glänzende Bewerbung mit beiden Händen ergreife, sondern sich um den »Nebenartikel« der Liebe und Gegenliebe bekümmere.

Sie wurde ja ordentlich wehmüthig und ärgerlich zugleich, lächelte er, als ich ihr meine Meinung nicht gleich klar machen konnte.

Auf diese Aeußerung verstummte Lina einige Augenblicke. Sie war wunderbar bewegt – eigentlich so seelenvergnügt über Hermann's blinde Unbefangenheit, daß sie ihn gern damit geneckt und beschämt hätte. Doch ein ängstliches Gefühl hielt sie davon ab, und sie überredete sich, daß sie der lieben Therese zu schweigen schuldig sei. Sie versetzte nur lächelnd und zerstreut:

Deine Meinung? O lieber Hermann – solltest du dich nicht geirrt haben? Indeß fuhr der Freund bereits fort:

Ich habe ihr deswegen absichtlich den »Forsche nicht«-Vers gegeben. Du hattest ganz Recht, Lina: wer kann alle die abweichenden Verbindungen berechnen, die durch Liebe zu Stande kommen – die wunderbarsten und die wunderlichsten! Die Liebe ist die freieste Macht der Seele, oder sie ist die freie Seele selbst; aber es scheint über sie verhängt zu sein, daß sie ihr Glück nur wagen kann – verlassen von aller Berechnung und oft auch vom leisen Vorgefühl des Rechten. Drum lacht ja, wie schon die Alten sagten, Jupiter über die Schwüre der Verliebten. Und er selbst, der lachende Gott, ist seiner Welt ironisch genug mit Vorbildern zweibeiniger, vierfüßiger, gefiederter und goldregentropfender Liebe vorausgegangen. Seitdem hat eine hohe Seele ätherische Flügel, indeß der rohe Sinnenmensch, wieder verstierte Gott, einer junonisch geschminkten Europa nachrennt, und der reiche Geck um eine Danaë mit Goldstücken buhlt, die er in ihren Schoos schüttet. Was an der Liebe sich berechnen läßt, ist eben nur die Mischung ihrer sinnlichen Bestandtheile, und es bleibt fast nur eine Fügung oder ein Zufall, daß ein Liebender seine beglückende und ergänzende Hälfte finde.

 

Ludwig war noch nicht von seinem Geschäft zurück, als Beide in der Wohnung ankamen. Hermann wollte seit kurzem eine trübe Niedergeschlagenheit an ihm bemerkt haben und fragte, ob ihm etwas fehle oder begegnet sei, was ihn verstimme. Dies berührte eine wehe Stelle in Lina's Herzen.

Sie war nämlich, seitdem sie Luisens Argwohn gegen ihre Freundschaft für Hermann abgefertigt glaubte, desto ängstlicher und nachdenklicher über ihr eigenes Herz geblieben. Ihre Empfindung für den Freund täuschte sie über den zunehmenden Trübsinn ihres Mannes, und gab seiner Verstimmung eine falsche Auslegung. Sie fürchtete Ludwig's Vertrauen verwirkt zu haben, und hielt nun aus falscher Scheu mit dem ihrigen gegen ihn zurück, sodaß sie sich in den sonderbarsten Kampf mit sich selbst verwickelte. Sie liebte ihren Mann,. und war sich deß mit allem weiblichen Stolze bewußt. Auch hatte er ihr in Bezug auf Hermann noch keine bedenkliche Silbe geäußert. Sollte sie dennoch den lieben Freund mehr von sich entfernen? Aber, da er selbst durch sein Betragen keinen Grund dazu gegeben, unter welchem Vorwande sollte sie es thun? Ihm etwa gestehen, sie traue ihrer eigenen Neigung für ihn nicht? Oder ihren Mann in den Schein einer lächerlichen Eifersucht stellen? Beides unmöglich! Und um sich mit ihrem Ludwig zu verständigen, sollte sie ihm etwa zur Beruhigung betheuern, daß sie frei von Zuneigung für den Freund sei, oder ihm reumüthig bekennen, daß sie nicht ganz frei sei? Sie konnte nicht einig mit sich selbst werden, und die Zweifel, die manche einsamen Stunden ihrer einfachen Häuslichkeit trübten, waren am andern Tage wie flüchtige Wölkchen am heitern Himmel ihrer Seele auch wieder verschwunden. Was blieb ihr in dieser Verwirrung übrig, als zu schweigen und über sich selbst zu wachen? Und hiermit traf sie es auch in der That. Denn wirklich war es nur das anstrengende Geschäft und die ängstliche Heimlichkeit der kurfürstlichen Partei, was Ludwigs Gesundheit angriff und ihn verstimmte.

Von robustem Aussehen, aber sehr reizbarer Constitution, hatte es Ludwig, bei nur mäßiger Begabung, durch Fleiß und Anstrengung zu der Thätigkeit gebracht, durch die er Anerkennung und Beförderung erlangte. Da es ihm dabei nicht an männlichem Ehrgeiz fehlte, so ward er seinem Minister Simeon, der beide Departements des Innern und der Justiz zu organisiren und zu verwalten hatte, mit jedem Tage durch den Eifer angenehmer, mit dem ein so brauchbarer und zuverlässiger Arbeiter allen Geschäften und Aufträgen entgegenkam. Begreiflich, daß solche Anstrengung sehr bald auf ein solches Naturell durch körperliche Störungen zurückwirkte.

Könnte ich ihm beistehen, könnte ich ihn erleichtern! rief Hermann aus, als ihm Lina ihre Vermuthungen und Ludwig's Aeußerungen mitgetheilt hatte. Aber, höre Lina! Wir wollen uns vereinigen, für ihn zu sorgen. Wir wollen seinen Eifer mäßigen, sein Gemüth erheitern. Was ihn erfreuen, erheben könnte, wollen wir ihm entgegenbringen. Er soll öfter Urlaub nehmen, auf euern Landsitz gehen oder kleine Reisen thun. Vielleicht wäre ihm der Gebrauch eines Bades zu rathen. Nicht wahr? Oder was denkst du sonst noch, was ich dabei thun könnte?

Er streckte ihr, wie Hülfe anbietend oder Aufträge fodernd, seine Hände entgegen, und sie, beide lebhaft ergreifend, rief er aus:

Ja, Hermann, das wollen wir! Vereint überlegen; ohne ihn seines Trübsinns zu berufen, was er nicht gern hat, wollen wir lauschen, was ihm erfreulich wäre; bedenken, wozu wir ihn stimmen könnten. Wir lieben ihn ja, und – nicht wahr, Hermann, gerade in dieser Liebe für Ludwig besteht ja unser Beider herzliches und trauliches Einverständniß?

Gewiß, gewiß, Lina! rief er, und zog sie einen Augenblick seiner schwärmerischen Erhebung an seine Brust.

Sie entzog sich ihm erröthend, und beide zarten Hände auf der stürmischen Brust faltend sagte sie etwas verzagt und kleinlaut:

Und weißt du, was ich mir schon ausgedacht habe? Daß du heirathen mußt. Schon dein Verlöbniß brächte ein neues Interesse in unser stilles Haus, wir kämen in eine bessere Stellung zu einander. Nein, misverstehe mich nicht mit deinen Augen! Ich meine nur, es brächte meinen Ludwig dahin, mehr aus sich herauszugehen; er müßte wieder galant sein, wie er gegen mich als Braut war. Unsere Freundschaft wäre dann gepaart, unsere Liebe überkreuzte sich; Ludwig müßte aus Aufmerksamkeit, aus Artigkeit gegen die Braut oder Frau des Freundes Manches thun und lassen, was er um seiner Frau oder des Freundes willen nicht thut.

Indem sie dies und noch mehr immer lauter und lebhafter sprach, kam sie unter Hermann's groß und sinnend auf ihr ruhenden Augen in immer zunehmende Verwirrung. Sie glaubte sich in ihrer heimlichsten Empfindung durchschaut, und sprach immer hastiger von ihrem Glück mit Ludwig, von ihren heiligen Wünschen für den Freund, von ihrer Hoffnung eines reinen, edeln Bundes der Freundschaft – immer eifriger, wehmüthiger, bis sie, von ihrer Angst und Rührung erschüttert, sich laut weinend an seine Brust warf, als ob sie ihre Thränen und ihr klopfendes Herz vor sich selbst verbergen möchte.

Hermann schloß sie fest in seine Arme; eine ängstliche, ahnungsvolle Theilnahme an dem Seelenzustande der Freundin mäßigte den Eindruck und Zauber ihrer reizenden Hingebung und das Entzücken, das ihn im ersten Augenblick durchbebte. Er küßte ihre Stirne und sprach, von stürmischen Empfindungen bewegt:

Ich habe dich verstanden, Lina! Unsere Freundschaft beunruhigt deinen Ludwig. – – Nun, was thun? Lassen kann ich dich darum nicht, entbehren dich und Ludwig nicht. Wie soll ich mich zu euch stellen, um euern Frieden nicht zu trüben, dir dein Glück nicht zu stören? – – Heirathen? Geh' doch, es ist dein Ernst nicht! Und dennoch –! Ja, du hast Recht: damit löste sich aller Misverstand, alles Mistrauen. Und – es wäre freilich auch das Leichteste. – Oder doch das Einfachste. – – Nun ja, Lina, es läßt sich überlegen. Um dich zu behalten – warum sollt' ich nicht heirathen können? Ja, Lina, ich will's überlegen, und du hilfst mir suchen. Du! Du willst mich doch wol auch behalten; drum hilf mir zu 'ner Frau! Adieu, Schwester meines Herzens! Ich will gehen, ehe Ludwig kommt!

Er drückte ihre beiden Hände an seine Lippen, an seine Brust, und eilte fort. Sie blickte ihm nach, als erwarte sie noch einen Gruß, und wirklich sah er an der Thür sich noch einmal um und nickte.

Lina schwebte wie getragen nach Ludwig's Lehnsessel. Hier saß sie eine Weile nachträumend, und rief dann aufblickend in Hermann's Tone aus:

Ich habe dich verstanden, Lina!

Sie lachte wie vergnügt darüber, daß er sie nicht verstanden habe, und wiederholte nach einigen Augenblicken mit betrübter Kopfbewegung:

Ach nein, du hast mich nicht verstanden!

Nach einer Weile, als sie Jemanden kommen hörte, erhob sie sich mit gefalteten Händen, und sagte, wie aus plötzlichem Erinnern, mit leisem geheimnißvollen Ton:

Was die Lieb' sei, was Geliebtsein – forsche nicht!



 << zurück weiter >>