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Herrendienst ging in jener Napoleon'schen Kriegszeit mehr noch als gewöhnlich vor Gottesdienst So brachte denn auch unser Pfarrerssohn aus Halle seine Sonntagsandacht am Schreibtische des Ministers mit den Paragraphen seiner Instruction zu, die ihm Herr von Bülow kurz, als bloße Merkpunkte für die einzelnen Momente des Geschäfts, dictirte und in ihrem Inhalt zu Hermann's voller Einsicht mündlich entwickelte. Beide fuhren darauf nach Napoleonshöhe zur Audienz, zu der sich auch Nathusius mit Jacobson bereits eingefunden hatten.
Der König, von einer lustigen Nacht noch nicht ganz erholt und von seinem Bad und seiner Toilette etwas angegriffen, empfing die Angemeldeten in seinem Zimmer.
Dies war mit hellblauem Sammet unter Goldleisten bekleidet; die blausammetnen Vorhänge, mit weißem Atlas gefüttert, hingen mit schweren goldenen Fransen herab. Zwischen den Mahagonimöbeln stand auf einem Theetische das seltenste Porzellan fast mehr zur Schau als zum Gebrauch aus. Eine prächtige Pendeluhr trug die alabasterne Büste des Kaisers, von der Göttin des Sieges gekrönt, mit der doppelsinnigen Schmeichelei der Unterschrift: »Chaque heure est marquée par la Victoire.«
Der König, völlig angekleidet, in der gewöhnlichen weißen Uniform, erhob sich von dem Ruhebett und begrüßte die Eintretenden mit etwas angestrengter Lebhaftigkeit.
Ich wollte Ihnen nur glückliche Reise und gute Verrichtung wünschen, meine Herren Abgeordneten; sagte er. Nun kann ich aber auch Ihnen, Herr Nathusius, zugleich gratuliren: Sie haben sich verlobt, höre ich?
Ew. Majestät sind sehr gnädig, antwortete Nathusius. Die Sache ist so neu, daß ich mich erst heut als Bräutigam vorstellen darf. Ich bin ein Egoist, Sire; in Angelegenheiten des Königreichs hierher geschickt, sorge ich vor allem für mein Haus.
Ma foi, Baron Bülow, lachte Jerôme, wenn das mehr vorkommt, müssen wir für einen Zusatzartikel zum Wahlgesetze sorgen, wodurch bestimmt wird, daß nur Verheirathete zum Reichstag gewählt werden dürfen. Sonst nehmen uns die Landstände alle liebenswürdigen jungen Damen mit fort.
Zusatzartikel, ja, Sire! antwortete Bülow; aber mit der weitern Bestimmung, daß die verheiratheten Deputirten auch ihre Frauen mitbringen müssen, was für allerlei gut sein dürfte.
Allerdings, Baron! Schon um auf die strengen Herren einzuwirken, lachte Jerôme, und betrachtete dabei Hermann mit einer, wie es schien, etwas überraschten Aufmerksamkeit. Herr von Bülow nahm an, es gelte der unberechtigten Uniform, und sagte:
Sire, ich habe es im Interesse des geschäftlichen Auftrags für passend gehalten, meinem Commis eine Uniform zu gestatten, die einen anständigen Rang repräsentire.
Sehr wohl! Aber warum nicht aus dem Departement des Aeußern? fragte der König. Es ist doch eine Sendung.
Einmal, Sire, weil es eine Mission im Finanzgeschäft ist, und dann, weil das Kleid noch anwendbar bleibt, wenn Herr Teutleben es sich im Auftrag Ew. Majestät verdient.
Eben darum, Baron! rief Jerôme. Wenn er sich durch Aufträge mein Vertrauen verdient – Eh bien nous verrons! Was meinen Sie, Jacobson?
Sehr gnädig, Sire! erwiderte dieser. Unmaßgeblich scheint mir, der junge Mann hat einen guten Kleiderleib, und ein solcher nimmt alle Farben an nach dem Departement, in das er gesetzt wird, gleichwie ein – fast hätt' ich gesagt Chamäleon die Farben des Bodens annimmt, über den es läuft. Aber; lieber Herr Doctor – Chamäleon sans comparaison in allen andern Stücken!
Der König lachte, und nachdem er noch die gewöhnlichen Fragen nach Hermann's Herkunft, Studien und dergleichen gethan und dessen Antworten beifällig aufgenommen hatte, sagte er, gegen die drei Abgeordneten gewendet:
Sie gehen unter guten Auspicien. Ich wünsche Ihnen glückliche Reise, und hoffe Sie bald wiederzusehen.
Und in gebrochenem Deutsch setzte er hinzu:
Gesund und lustig!
Er verneigte sich, rief aber, als die Entlassenen unter wiederholten Reverenzen gingen, den Minister zurück.
Im Vorsaale blieb Jacobson stehen und sagte leise:
»Lustig« scheint ein Lieblingswort des Königs zu sein. Er wendet es nur ein wenig curios an. Aber wahr ist es: Jerôme hat ein bewegtes, sprechendes Gesicht. Leserliche Mienen auf dunkelm Grund. Ich hab' gelesen, lieber Herr Doctor, daß er's auf Sie abgesehen hat. Sie können Carrière machen. Und wissen Sie wo? Im diplomatischen Fach! Nun, Herr Nathusius, ist er nicht auch ein Mensch, den man verschicken kann, der sich sehen lassen kann?
Mitschicken kann man ihn, Herr Geheimer Finanzrath! lächelte Hermann; tüchtigen Männern ins Schlepptau mitgeben.
In der großen Vorhalle, in die man durch den gewöhnlichen Eingang von der Gartenseite kommt, zwischen den beiden ägyptischen Figuren, begegneten die Drei der Oberhofmeisterin, die im großen Anzuge nach den Zimmern der Königin ging. Als sie sich gegen die Reverenzen der Herren verneigte, erkannte sie Hermann und blieb verwundert stehen.
Was seh' ich? sagte sie leise und deutsch. Sie kommen von einer Audienz? Und in Gala? So plötzlich zu Ehren gelangt, ohne daß ich ein Wort davon höre?
Hermann, in der vergnügten Stimmung der gut abgelaufenen Präsentation, versetzte:
Ja, Ew. Durchlaucht! Dero gnädiges Wohlwollen hat mich schon in – Kornähren gesetzt.
Er hielt den rechten Aermelaufschlag mit der Stickerei hin, den dreieckigen Hut unterm linken Arm, und erklärte weiter:
Mein Herr Minister gibt mich von Bureauwegen der holländischen Deputation mit.
Ah! so sind «Sie es? rief sie aus. Man konnte mir den dritten Namen nicht nennen. Gratulire! Nur – machen Sie keine zu rasche Carrière an unserm Hofe, damit Ihre wohlwollenden Freunde Sie nicht aus dem Auge verlieren! Es soll mir lieb sein, wenn Ihre Kornähren meine cyanenblaue Vase überwachsen. Darüber fällt mir ein: ich habe von meiner Reise mit der Königin Anlaß genommen, meine Kammerspionin Angelique zu entlassen. Sie sah ganz darnach aus, als könnte sie mir einen Verdruß anrichten. Indeß – Adieu! Halten Sie sich brav!
Sie schied mit freundlichem Nicken nach dem Vorsaale hin, und Hermann eilte den beiden Männern nach, die langsamen Schrittes der Gastwirthschaft zuwandelten. Sie verabredeten, ein gemeinsames Mittagessen zu bestellen, worauf Hermann sich auf ein Viertelstündchen verabschiedete, um dem Dichter Pigault-Lebrun einen bisher ganz vergessenen Besuch zu machen.
Im linken Schloßflügel wurde er nach der Frieß-Etage gewiesen, und fand sich nach den angeschriebenen Namen zur Thüre zurecht, die mit »Pigault-Lebrun. lecteur de S. M. la Roi« bezeichnet war. Auf sein Anklopfen bellte ein Hündchen, und eine angenehme Frauenstimme rief »Entrez!« und wehrte dem kleinen Schreier.
Ein Dämchen lag im leichtesten Negligé anmuthig auf einem Divan und spielte mit einem Wachtelhündchen, das nicht schweigen wollte, und dem sie, verlegen lachend, mit der kleinen Hand die Schnauze zusammendrückte. Der unerwartete Besuch eines ihr fremden hübschen Mannes in Uniform schien doch ihre gewohnte Unbefangenheit ein wenig auf die Probe zu stellen. Ihre zweite Bewegung war, vom Lager herab in die Pantöffelchen zu gleiten. Da blieb aber das zu kurze und knappe Unterkleidchen so weit über die Waden zurück, daß sie die kleinen Füße schnell wieder an sich zog und mit einem Zipfel des Shawls zu bedecken suchte, in den sie sich von oben einwickelte.
Dies Alles geschah so schnell und mit soviel lächelnder Anmuth, daß Hermann ebenso unbefangen lächelnd um Verzeihung bat, und nach dem Herrn Vorleser Sr. Majestät fragte.
Die Schöne nahm seine Entschuldigung leicht, und erklärte sehr freundlich, Herr Pigault sei nicht da, doch nicht weit entfernt. Er halte die Generalprobe seines Lustspiels »Les Rivaux d'eux—mêmes« ab, das diesen Abend zum Abschiede der Königin gegeben werden sollte. Sie blinzte nach einem nahen Stuhl, und bat ihn, Platz zu nehmen, Pigault würde bald kommen.
Also in der Stadt –? fragte er.
Verzeihung, mein Herr, hier am linken Schloßflügel, durch einen Gang mit dem Schloß verbunden, ist ein ganz artiges Theater, ganz nahe, wo wir wohnen.
Bei diesem »wir wohnen« erinnerte sich Hermann, daß – aber nicht was ihm Lebrun von einer liebenswürdigen Babet vorgeplaudert hatte, mit der er hier oben des reizenden Aufenthalts genösse. Er fragte daher leichthin, ob er die Ehre habe, Madame Lebrun –?
Diese Frage setzte die Schöne in neue Verlegenheit, wie es schien. Sie rückte mit einiger Ueberlegung ihrer Antwort sich in der Sophaecke zurecht, wobei der linke kleine Fuß, vielleicht nicht ganz zufällig, unter dem Tuch hervorglitt, und – indem sie die dunkeln Locken aus dem Gesichte strich – ein runder Arm und auf einige Momente eine weiße volle Brust vom Shawl entblößt wurden. Das verlegene Lächeln ging in ein verschmitztes über, und das dunkle, etwas trübe Auge, das, von zarter Braue überwölbt, in einem bläulichen Ringel ruhte, halb zugedrückt, lächelte den Freund an, als sie aus seine Frage versetzte:
O nein, mein Herr! Der alte Pigault ist mein schützender Freund.
Ah! entgegnete Hermann mit entschuldigender Verneigung. Ich erinnere mich nur, da er mir von dem. reizenden Aufenthalt in diesem – wie er es nannte – gothischen Schloß erzählte, und weiß nun nicht, ob er blos die Reize meinte, die man im Ausblick durch die hohen Fenster wahrnimmt, oder auch jene, die man auf dem Sopha noch bequemer hat.
Sie sind sehr liebenswürdig, mein Herr, sagte sie mit verschämter Coquetterie. Aber, wollen Sie sich wirklich nicht zu mir setzen und den – Oheim erwarten?
Hermann entschuldigte sich, daß er selbst erwartet werde, und sagte, als sie nach seinem Namen fragte:
Sie werden ihn schwerlich gut behalten können. Mein Name ist noch gothischer als das Schloß. Ich will ihn lieber aufschreiben.
Er trat an das offene Pult am Fenster, und schrieb auf ein Blatt:
»Doctor Hermann Teutleben, der nur die reizende und liebenswürdige Nichte angetroffen, wird nach seiner Rückkehr aus Holland wiederkommen, auch den berühmten Oheim derselben zu begrüßen.
Indem er sich nun zu gehen verneigte, reichte sie ihm die Hand entgegen, indem sie mit verschämter Miene sagte:
Entschuldigen Sie mich, daß ich so liegen bleibe! Ich darf mich eben nicht sehen lassen. Ich sage Ihnen so Adieu. Es thut mir leid, daß Sie nicht bleiben können. Aber kommen Sie bald wieder! Pigault ist oft, aber nicht immer abwesend.
Wie Hermann die zarte Hand erfaßte, empfand er einen leisen Druck, und es kam ihm vor, als ob ihr Arm kürzer würde. Er erschrak heftig über diese Art von Krampf und eilte fort. Das Hündchen bellte ihm nach, und Babet rief ärgerlich:
Willst du kuschen, Babiche!