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Achtes Capitel.
Sehnen und Suchen.


Während dies Strauchschützenpaar ihren Bogen spannte, um aus dem Versteck einen Gegner zu erlegen, fügte es sich, daß unser junger Freund in den Umkreis des Bedrohten geführt werden sollte.

Hermann war eine Woche lang in seine Arbeit vertieft gewesen. Das Verständniß wie die Verdeutschung des Platonischen »Gastmahls« hatten ihn eingenommen und beschäftigt. Er war aber nicht gemüthsfrei, gewissermaßen nicht unparteiisch genug, um sich bei der bestimmten Arbeit zu halten, sondern von Erinnerungen und Nachklängen seiner leidenschaftlichen Stimmung noch so bewegt, daß er unvermerkt immer wieder aus dem Uebersetzen ins Ueberlegen, aus dem Nachbilden ins Nachdenken gerieth. Die verschiedenen Ansichten der Platonischen Freunde in ihren Reden zum Preis des Gottes der Liebe verlockten ihn zum eigenen tiefern Philosophiren über das Wesen dieser weltbewegenden Gotteskraft. Er war gewissermaßen in den sinnlichen Stoff der Liebe verwickelt worden, aus dem er sich zu befreien suchte, und kam vor allem von dem Irrthume zurück, als ob auf ähnliche Weise, wie die Perle nur durch Erbrechung der Muschel gewonnen wird, auch die Liebe in der Hingebung, die ein reizendes Weib gewähren kann, verschlossen ruhe und von der Leidenschaft erobert sein wolle. Ueber den Unterschied von Liebe und Leidenschaft mußte er sich zuerst ins Klare setzen. Zweierlei kam ihm dabei zu statten.

Hermann's sittliche Bildung war aus einer glücklichen Häuslichkeit und aus einer guten Schule einfacher, klarer Grundsätze hervorgegangen, und ruhte zugleich auf einem gesunden, unverwöhnten und gerade nicht unbändigen Naturell. Sodann aber war die erste Erfahrung, die sein verlocktes, jugendlich-bethörtes Herz in leidenschaftlicher Neigung gemacht hatte, unbefriedigend und beschämend genug ausgefallen. So wurde sein Nachdenken durch nichts getrübt, und die Klarheit der gewonnenen Einsicht war stark genug, seinem fernern Thun und Lassen eine bewußte, befestigte Richtung zu geben. Mit der Schwärmerei, die ihm einmal eingefleischt war, faßte er gleichsam als Wehr und Waffe die schwungvollsten Vorsätze für seine Zukunft, und legte selbst einen gewissen sittlichen Stolz gleichsam als Panzerhemd auf seinen bedrohten Lebensweg an.

Dergestalt war ihm eine gelehrte Arbeit, die ihn zuerst vom geselligen Verkehr zurückzog, in eine ausübende Richtung umgeschlagen, die ihm allmälig wieder den Umgang mit Menschen lieb machte, wie ja ebenfalls ein Bewaffneter, sich zu versuchen und zu bewähren, hinausgetrieben wird. In dem Maße, als er sich dem sinnlichen Triebe, der verlockenden Leidenschaft gewachsen fühlte, gab er einem sehnsüchtigen Verlangen nach Glück und Liebe nach. Die gelehrte Arbeit, die erst durch sich selbst ihm eine volle Befriedigung versprochen hatte, erschien ihm jetzt mehr nur als Mittel und Weg zu einer festen Stellung im Leben und zu Ansprüchen an die Liebe. Er empfand jetzt lebhafter das Oede vereinsamter Liebe zur Wissenschaft. Er wollte keine Monologe, sondern einen Dialog der Liebe; er verlangte auch sein Gastmahl des Lebens angerichtet zu finden. Wie reizend malte er sich den Einklang zweier Seelen aus, die Innigkeit zweier Herzen, das trauliche Glück um ein lustiges Herdfeuer! Aber freilich – die Stelle mußte vor allem gefunden sein, auf der ein häuslicher Herd stehen konnte, mit einem schützenden Dache darüber, mit einer behaglichen Wohnstube daran, einem heimlichen Arbeitszimmer gegen Morgen, weil Morgenstunde Gold im Munde hat, mit einem rein durchlüfteten Schlafgemach, und daran muß eine Kinderstube stoßen, und an der Wohnstube ein Sälchen für kleine gute Gesellschaft, die in einem Vorstübchen Mäntel und Hüte ablegen kann. Ach, es muß doch eine geräumige Stelle sein, die er nöthig hat; denn die liebe Frau wird auch eine Vorrathskammer, einen Verschlag für das Geräth, eine Waschküche, ein Hühnerställchen brauchen, und die einverstandenen Herzen erwarten auch besuchende Freunde, und werden freundliche Mansarden nicht entbehren können.

Diese Stimmung, dies Sehnen und Suchen machte den jungen Freund mittheilsam, und da die Fragen seiner augenblicklichen Beschäftigung so innig mit den innern Erlebnissen des Herzens zusammenhingen, so flossen sie leicht in einander über; das eigene Forschen ward sich klarer durch die übersetzten Reden des alten Philosophen, und Dem, was Hermann den Freundinnen von seiner Arbeit mittheilte, war gar Manches beigemischt, was er nicht aus dem Platon, sondern aus dem träumenden Herzen übersetzte.

Lina, die eine Freundin, nahm viel zu lebhaftes Interesse an allem, was Hermann anging, um Luisen nicht mit hineinzuziehen, mit der sie jetzt in frischem lebhaften Verkehr stand.

Die junge Frau war durch Hermann in einer geistigen Entwickelung begriffen, worin ihrem glücklichen Naturell innere und äußere Lebensverhältnisse zu Hülfe kamen. Eine frühe Heirath half ihr noch vor vollendeter Ausbildung zu jener Freiheit des Gemüths, die eine Verheirathete vor der Unvermählten dadurch voraus hat, daß sie einen höhern Standpunkt in der Gesellschaft und durch die Fülle der Liebe einen weitern Horizont für das menschliche Dasein gewinnt. Es kommt noch hinzu, daß selbst die Conversation sich für sie durch Gegenstände erweitert, die dem Ohr der Jungfrau entzogen bleiben. Mit dieser Freiheit der Betrachtung verknüpfte sich bei Lina durch ihre guten Vermögensverhältnisse eine freiere Bewegung im Alltagsleben. Ihr kleines Haus brachte keine überladenen Verrichtungen mit sich, zumal sie von guten Dienstboten unterstützt und nicht ängstlich war, bei außerordentlichen Vorkommnissen des gesellschaftlichen Verkehrs Aushülfe zu nehmen. Dabei legte sie weniger, als viele Frauen, Werth auf künstliche Leistungen der Nadel, des Häkels oder der Strickstöcke. Andere damit zu beschäftigen, die davon leben müssen, schien ihr anständiger für Alle, die nicht gerade auf beengende Sparsamkeit angewiesen sind, und edler für Jene, die Geist und Herz auf edlere Beschäftigungen wenden mögen. So gewann sie Zeit, jene Seite ihres schön begabten Wesens auszubilden, die im älterlichen Hause unbeachtet geblieben war.

Sie las indeß nur das Beste, was Geist und Herz erheben und durch eigenes Nachdenken bereichern konnte. An Begabung dazu fehlte es ihr nicht. Lina besaß von Natur ein leises Empfindungsvermögen für das Schöne und Wahre und den feinen errathenden Sinn für geheimnißvolle oder tiefe Gedanken. Phantasie und Verstand kamen unter dem Einflusse eines besonnenen Gatten und unterrichteten Freundes bald in jenes seltene Gleichgewicht, das ihre Thätigkeiten auseinanderhält und auf die richtigen Gegenstände vertheilt. Lina that nie phantastisch mit dem Alltagsleben, aber auch nie hausbacken in Dingen einer höhern Anschauung. Und so gehoben oder gesteigert ihre Gedanken und Empfindungen zuweilen sein mochten, fanden sie immer doch einen einfachen, natürlichen Ausdruck. Anfänglich ging es ihr wie vielen begabten Frauen, die mit ihrer verschönernden Einbildungskraft jene Erscheinungen und Begegnisse des Lebens zu überkleiden lieben, über die sich reizbare oder verzärtelte Gemüther gern täuschen mögen, oder die sie in Abrede stellen, wenn sie es nicht etwa schicklicher finden, sich vor ihnen zu entsetzen. Auch Lina meinte, man müsse das Leben idealisiren. Sie ließ sich aber nach und nach bescheiden, daß der richtige Idealismus nicht darin bestehe, daß man die wirklichen Dinge der Welt umträume oder über ihre Erscheinung erhöhe, sondern darin, daß man sie in der Nothwendigkeit ihrer Beschränkung und Verkümmerung begreife, und den lebendigen Punkt erkenne, in welchem sie, ihrer Idee entsprechend, dem gesammten Dasein angehören, wie sie eben sind. Sie hatte sich eine Aeußerung des Kapellmeisters Reichardt gemerkt, der gelegentlich einmal sagte: Es kommt wol vor, daß auch in gleichgültigen Dingen phantasievolle Frauen gern hohe und bedeutende Beziehungen erblicken und sich entzücken. Daran mögen denn auch junge Leute ihr Wohlgefallen haben. In höhern Jahren aber thut einem Manne nichts wohler, als mit Frauen zu verkehren, die das Leben auch in seinen dunkeln Untiefen kennen, kennen und verstehen, und mit denen man sich dann – da edle Frauen die Welt doch immer wieder anders als die Männer ansehen – darüber verständigen kann, wo denn der letzte Funke von Wahrheit auch in den größten Thorheiten und Verirrungen der Menschen liege, und wie das Göttliche in den Dingen, und in den Bildungen des Lebens auch in den tiefsten Ausartungen am Ende doch wieder zu seinem Recht und Sieg gelangen werde.

 

An den musikalischen Abenden bei Reichardt fand Hermann gewöhnlich beide Freundinnen ein Stündchen vorher auf Luisens Zimmer. Lina pflegte nämlich ihrem Manne vorauszukommen, weil Ludwig nach seinem Fünfuhrtische der Ruhe bedurfte. Sein Diensteifer war bei überladenem Bureau stärker als seine etwas nervöse Constitution. Lina und Luise wurden bald nach der ersten Bekanntschaft vertraut noch durch manches Andere, als ihr gemeinsamer Gesang war, in welchem Lina's Sopran und Luisens Alt prächtig zusammenklangen. Beide interessirten sich nämlich für den Freund, der ihre Bekanntschaft vermittelt hatte. Aber in diesem Interesse klangen ihre Herzen nicht immer so wohlthuend zusammen, wie ihre Stimmen am Streicher'schen Flügel. Ein Misverständniß oder eine falsche Voraussetzung störte einige mal ihre Herzlichkeit. Lina begriff, wieviel Anziehendes Luise für Männer hatte, setzte sich aber immer fester in dem Zweifel, ob Hermann durch eine Verbindung mit ihr glücklich werden könnte. Sie misverstand eben Luisens Theilnahme an dem Freunde oder doch dessen bewundernde Begeisterung für dieselbe. Und Luise hinwieder nahm die unbefangene Zuneigung der jungen Freundin für Hermann viel zu schwer. Sie sah darin wenigstens ein gedankenloses Sichgehenlassen auf die Gefahr einer Herzensverirrung hin. Für den jungen Freund fürchtete sie von der schmeichelhaften Vertraulichkeit einer so schönen Frau, wenn keine Verlockung, doch eine Verweichlichung, während sie damit umging, ihn für die ernsten Angelegenheiten des Vaterlandes einzunehmen Bei solcher Absicht blieb sie nicht frei von jener Eifersucht des Herzens, die auch ohne eigentliche Liebe einen bevorzugten Freund gern ausschließend erfüllen und lenken möchte. Daß sich dabei nach und nach auch eine zärtliche Neigung einschleichen könnte, schien sie unter dem wehmüthigen Andenken an den seligen Geist ihres theuern Eschen nicht zu fürchten, wenn sie sich überhaupt Rechenschaft darüber gab. Denn die klarsten Menschen behalten gern eine dunkle Stelle im eigenen Herzen. Luise hatte mit ihren reizbaren, selbst von der täglichen Atmosphäre abhängigen Nerven zu kämpfen. Sie unterlag leicht trüben, ja verdrießlichen Stimmungen, wobei sie durch Nachgiebigkeit des auf sie stolzen Vaters und der rücksichtsvollen Stiefmutter etwas Herrisches angenommen hatte. Gegen Lina kam noch ihre Ueberlegenheit des Alters und unglücklicher Erlebnisse dazu. Denn die Schläge des Schicksals sind oft Ritterschläge, die auch ein edles Herz stolz machen, indem sie es adeln.

Heut unter Gewitterluft konnte sie, als Lina fröhlich bei ihr eintrat, eines stillen Verdrusses kaum mächtig werden, sodaß die unbefangene junge Frau etwas betreten ward. Luise besann sich indeß, und brachte gleichsam als stillschweigende Entschuldigung ein Schreiben ihres berliner Freundes Schleiermacher zur Sprache.

Der edle, hochgesinnte Mensch, sagte sie mit Stolz, hat wieder eine herrliche Predigt gehalten. Der unansehnliche, etwas verwachsene Mann, wenn er hoch über den Bayonneten des entsetzlichen Marschalls Davoust auf der Kanzel steht, wird durch Muth und Trotz groß und mächtig, und reißt mit seinem gewaltigen Wort für König und Vaterland die volle Kirche hin. Nur die nähern Freunde setzt er in Angst und Sorge. Freilich – lächelte sie – wenn auch unser Hermann keine Berichte mehr über die gottgesandten Männer des Vaterlandes erstattet, so wird es doch an Polizeispionen von Profession oder auch Confession in der Charitékirche schwerlich fehlen. Schleiermacher selbst scheint ganz heiter dabei. Unbekümmert um die Besorgniß der Freunde, wie um sich selbst, schreibt er mir da. Nur die eine Stelle scheint sich auf die Warnungen seiner treuen Anhänger zu beziehen.

Sie nahm den Brief von ihrem Schreibtische und las:

»Wer einen höhern Gesichtspunkt für sich selbst gefunden hat, als sein äußeres Dasein, kann auf einzelne Momente die Welt aus sich entfernen. So werden Diejenigen, die sich selbst noch nicht gefunden haben, nur auf einzelne Momente wie durch einen Zauber in die Welt hineingerückt, ob sie sich etwa finden möchten.«

Ich glaube den Gedanken zu verstehen, sagte Lina, und er ist tiefsinnig und so wahr als schön gesagt.

O das ist mir lieb, daß Sie das finden, liebe Lina! rief Luise, indem sie ihre Hand ergriff. Wissen Sie, woran ich dabei gedacht habe? An unsern Freund Hermann. Helfen Sie mir ihn auch in die Welt hineinrücken, damit er sich endlich finde. Ich weiß, wir lieben ihn ja; doch gerade darum können wir ihm eben nichts Lieberes erweisen, als daß wir ihm zum vollen Werth seines Selbst verhelfen. Sie wissen ja – nur durch die Welt kommen wir zu uns selbst.

Und wie meinen Sie das? fragte Lina. Wie helfen wir dem Freunde?

Er muß sich den öffentlichen Angelegenheiten widmen, rief Luise mit Begeisterung: der großen Aufgabe der Zeit – unsere Schmach, unsere Erniedrigung zu brechen, was es auch koste, und wenn selbst das Leben!

Lina war einige Augenblicke betroffen, dann versetzte sie etwas ängstlich gespannt: Ich weiß es, was Schiller sagt: Das Leben ist der Güter höchstes nicht – aber, liebe Luise, wie man durch das Leben zu sich selbst kommt, so gibt es in demselben auch Richtungen und Wege, auf denen man sich selbst verliert. Und allerdings halte ich es für noch schlimmer, am Leben zu bleiben und sein wahres Selbst zu verlieren.

O ja, oder Die zu verlieren, Die zu entbehren, die man liebt, und mithin für sein besseres Selbst hält! fiel Luise mit anzüglicher Leidenschaftlichkeit ein, suchte sich aber rasch zu fassen und zu verbergen, indem sie etwas gelinder fortfuhr:

So verliert man auch oft liebe Freunde dadurch, daß diese sich im Leben finden. Mir geht's ebenso mit Schleiermacher. Er schreibt mir noch –

Sie las eine andere Stelle des Briefes:

»Freundschaft ist partielle Ehe, und Liebe ist Freundschaft nach allen Richtungen, universelle Freundschaft. Das Bewußtsein der nothwendigen Grenzen ist das Unentbehrlichste und das Seltenste in der Freundschaft.«

Sie setzte dann mit wiedererwachendem Eifer hinzu:

Wie ich nämlich von anderer Seite höre, geht mein alter Freund damit um, sich zu verheirathen. Nun ja! Er will's mit der universellen Freundschaft versuchen! Dann wird er auch bald genug die Kriegsfahne einziehen, und – zwei Kopfkissen daraus machen!

Indem sie dabei aufstand und den heftig zusammengefalteten Brief beiseite legte, sprach sie weiter:

Da hat er mir auch noch ein Blatt beigefügt, das mich wenig angeht. Ich will's Ihnen mitgeben. Es gehört, wie er mir schreibt, zu einem »Katechismus der Vernunft für edle Frauen«. Schreiben Sie es sich ab. Es sind neue Zehn Gebote der Liebe. Nicht jetzt lesen, Liebe! Stecken Sie's ein und bringen mir's nächstens wieder mit. Es kann als Amulet, als Talisman in Cassel dienen, wo es keiner schönen Frau an Anfechtung fehlt. Lina empfand das Scharfe, das Anzügliche aus Luisens Ton und Blick, aber es regte nur ihr liebevolles Herz zu weicherm Wohlwollen an.

Sie haben mir gelegentlich einmal von Ihrer ersten Freundschaft mit Schleiermacher erzählen wollen, theure Luise, sagte sie. Sie könnten es jetzt thun, wo sie den Freund zu verlieren glauben. Mir scheint aber, Sie gewinnen nur noch eine Freundin dazu, wenn er sich verheirathet. Denn nach der Bekanntschaft mit Ihnen kann er nur die würdigste Verbindung treffen. Und sehen Sie, dies Glück haben dann Sie gestiftet.

Es lag eine solche Herzlichkeit in diesem Wohlklang der Stimme und rührte zugleich an die Erinnerung schöner Tage der Vergangenheit, daß Luise den Thränen wehren mußte, und erst nach einer Weile und einer gleichsam abbittenden Umarmung der liebenswürdigen Frau, in ihrem leisesten Ton versetzte:

Ach, das ist eine sehr einfache Geschichte, lieb Frauchen! Sie ist mit wenigen Worten erzählt. Schleiermacher kam als schon berühmter Kanzelredner und Schriftsteller an die Universität Halle. Er ward bald unser Hausfreund auf dem nachbarlichen Giebichenstein, und man hat ihm später nachgesagt, er sei in unserm Hause verwöhnt worden. Ach, könnte ich Sie auch, theure Lina, einen Augenblick dorthin zaubern, an jene traulichen Ufer der Saale, in mein Jugendparadies Giebichenstein, in das anmuthige Haus, den reizenden Garten, in jene Anlagen und Pflanzungen meines Vaters! Steffens und Schleiermacher, uns die liebsten unter so vielen vortrefflichen Männern, die bei uns aus- und eingingen, wurden unsere täglichen, unsere vertrautesten Hausfreunde. Beide so abstechend in ihrer äußern Erscheinung. Steffens, der junge Norweger, heiter, jugendlich-hübsch, sprudelnd in geistvoller Rede, genial und liebenswürdig, gewann meine Schwester, seine jetzige Frau. Schleiermacher, unansehnlich, etwas verwachsen, zurückhaltend im Benehmen, Gemüth und Begeisterung wie verleugnend, erschien neben Jenem ganz zu verschwinden. Dennoch, wer einmal einen Blick in sein reiches Innere gethan, das zuweilen doch sich in einem gemüthvollen Wort öffnete, der mußte ihm huldigen. Durch seinen klaren, leuchtenden Verstand wußte er besonders die Frauen in die geheimnißvolle Tiefe seines Innern zu ziehen, sodaß wir Alle mit Andacht an ihm hingen, und uns selbst seine Ironie, seine Scherze, als den Schmuck der Dörnchen an der Rose seines Geistes, gefallen ließen. Er wendete sich sehr bald mit besonderm Vertrauen mir zu. Bei all' seinem kalten Verstande hatte er das Bedürfniß sich anzuschmiegen, und hielt dies selbst für ein Talent, das man ausbilden müsse. Er wollte geliebt sein, und war es nicht. Niemand konnte der Liebe bedürftiger sein und durch seine Erscheinung so wenig Liebe einflößen, als er. Und gerade dadurch bildete sich unsere Freundschaft so ganz eigenthümlich aus. Es war in den ersten Jahren nach dem entsetzlichen Ereigniß, das meinen unvergeßlichen Eschen in der Eisspalte des Büet –

Sie schauerte zusammen und verstummte. Lina faßte theilnehmend ihre Hand, zog sie an ihre Brust und küßte sie auf die Stirn, als ob sie die leidvolle Erinnerung hinweghauchen oder besänftigen wollte. Nach einer Weile fuhr Luise fort:

Es war, genau besehen, ein wunderbarer Irrthum, der uns mit der Miene einer ungewöhnlichen Freundschaft anlächelte. Schleiermacher suchte sich ein Herz zu gewinnen, und meines mochte dem Ungeliebten durch den tiefen Schmerz, den es erfahren, bewährt und zugleich zugänglicher erscheinen; ich selbst, weniger der Liebe als der Erhebung bedürftig, schloß mich an ihn, der so wenig zur Liebe verlockte, mit desto lebhafterm Vertrauen an, als an einen Priester des Unglücks, einen Bischof für die höhern Lebensweihen. So tauschten wir gegen einander das Kostbarste aus, was unser Innerstes bewegte, und als es sich aus der großen Aufregung unserer Seele beruhigte und verklärte, war es eben – eine reine, edle Freundschaft, nur eine partielle Ehe, wie er im Briefe die Freundschaft nannte. Gebe ihm der Himmel das volle Glück einer universellen Freundschaft, die er eben zu schließen denkt!

Wie alt ist er denn jetzt? fragte Lina.

Den 25. November wird er vierzig Jahre alt! antwortete Luise, und erhob sich mit der Erinnerung, daß es Zeit sei, hinüber zu gehen.


Im Salon fanden sie die gewöhnliche Gesellschaft schon großentheils beisammen. Auch Hermann, der sich heute für die Vorstunde bei Luisen verspätet hatte, trat kurz hinter ihnen in das Gesellschaftszimmer. Die Baronin von Bülow winkte den Grüßenden näher zu sich heran, um ihn einem neben ihr stehenden neuen Gaste des Abends vorzustellen, den sie selbst mit des Kapellmeisters Vorwissen mitgebracht hatte.

Herr Provençal, Generalsecretär im Finanzministerium! nannte sie ihn in französischer Anrede. Ich wollte die Herren mit einander bekannt machen, sagte sie. Sie werden manche Berührungspunkte aus der Wissenschaft und dem Leben an einander finden, und Herr Provençal kann Sie demnächst mit meinem Manne, den wir erwarten, bekannt machen. Der Minister will Ihnen wohl.

Hermann antwortete mit einigen dankenden und verbindlichen Worten, und zog sich dann mit dem neuen Gaste nach einem entferntern Sitze zurück.

Provençal war ein Dreißiger, von interessantem Aeußern, nicht groß, aber schlank gebaut, blaß, mit dunkler Gesichtsfarbe und tiefen Augen, die mehr einnehmend und sehnsüchtig, als bedeutend und klar ausblickten. Er hatte das Gepräge seiner Herkunft aus der französischen Schweiz sowie seines vormaligen Berufs als Prediger einer reformirten Gemeinde. Im Uebrigen gab er sich gegen Hermann als einen zartsinnigen, für die gesellschaftliche Unterhaltung feingebildeten Mann, nicht eben von glänzendem Geist, aber wohl unterrichtet, ohne gerade tief in seiner theologischen Wissenschaft zu sein, und für das Staatsgeschäft nicht durch die Schule, sondern durch das Bureau zugebildet.

Nach allem, was ich durch Frau von Bülow von Ihnen wußte, sagte er, hatte ich schon früher ein lebhaftes Verlangen, Ihre Bekanntschaft zu machen. Nun erfülle ich aber zugleich einen Wunsch des Herrn Ministers selbst, der sich sehr für Sie interessirt. Er wünscht Ihnen als preußischem Landsmanne nützlich zu werden, und glaubt, wenn Sie nicht ausschließend nach dem Katheder strebten, gerade jetzt etwas für Sie thun zu können, wo die Finanzverwaltung in ihrer Ausbildung und Ausbreitung begriffen sei.

Dieser Vorschlag zu einem andern als dem gelehrten Berufe, für den er sich bestimmt hatte, überraschte den jungen Freund. Aber es lag viel Ansprechendes für ihn darin, und der Gedanke blieb immer verlockend für ihn, auch wenn er einiges Mistrauen in seine Befähigung setzen mußte. Das schmeichelhafte Vertrauen eines hochgestellten Mannes erschien ihm als günstige Antwort auf die Frage um seine Zukunft, mit welcher seine jüngste Sehnsucht sich wieder lebhafter beschäftigte. Eine bestimmte und feste Stellung im Leben war ihm noch wünschenswerther, man durfte sagen – pressanter geworden, seit ein neues Verlangen nach Glück und Liebe sein träumendes Herz beunruhigte.

Es ist mir höchst schmeichelhaft, was Sie mir da mittheilen, Herr Provençal, versetzte er. Ich fürchte nur, Se. Excellenz setzen Kenntnisse und Einsichten bei mir voraus, die ich nicht besitze. Denn wenn ich mich auch bei meiner Vorbereitung zu einem höhern Lehramte den Staatswissenschaften nicht ganz fremd gehalten habe, so geschah dies doch nur zur Unterstützung meiner Geschichtsstudien, aber nicht in Absicht auf irgend eine Stelle der Staatsverwaltung.

Ihr Bedenken könnte mich beschämen, erwiderte Provençal. Denn ich bin aus einem schon angetretenen, der Finanzverwaltung noch weit fremdern Berufskreise, nämlich von der Kanzel, in die Bureaux getreten. Wissen Sie, daß ich Prediger der französischen Gemeinde in Magdeburg war. Dort stand Herr von Bülow als Präsident der Kriegs- und Domänenkammer, und ich war gut aufgenommen im Hause. Durch den ausgebrochenen Krieg ward seine amtliche Thätigkeit in die Wirbel des öffentlichen Lebens gezogen, besonders als die Franzosen nach dem jenaer Verhängniß Magdeburg besetzten. Der edle Mann sah sich nun mit seinem echtpreußischen Herzen zwischen die Anfoderungen des Siegers und die Bedrängnisse seines unglücklichen Königs gezwängt. Ich hatte mich schon früher gern mit dem ausgezeichneten Geschäftsmanne über Gegenstände des materiellen Volkslebens und über die Frage unterhalten, wie der öffentliche Wohlstand und der Staatsbedarf gegen einander abzuwägen seien. Jetzt konnte ich nun auch meinem Gönner im Drang der Geschäfte kleine Aushülfe leisten. Ein Besitzergreifungsprotokoll wurde sehr genau verlangt; es gab Abschriften zu machen, Rechnungen aufzustellen und besonders auch französische Berichte und Schreiben an die fremden Behörden zu entwerfen. Dabei bedurfte der gewissenhafte Mann im Widerspruche seiner alten und seiner neuen Pflichten zuweilen eines berathenden Freundes, den er an dem Prediger zu finden glaubte. Hier machte ich denn die Erfahrung, daß ein Vertrauen, dem man für zweifelhaftes Handeln Entschiedenheit gibt, zur Vergeltung Dessen in uns selbst eine stärkere Zuversicht in die eigenen ungeprüften Kräfte zurückläßt. Als später die Provinz zum neuen Königreich geschlagen und Herr von Bülow nach Cassel berufen wurde, fühlte ich mich sehr verlassen, ja wahrhaft unglücklich, bis er in diesem Frühjahre aus dem Staatsrath an die Spitze der Finanzverwaltung trat und mich dann zu sich berief. Seitdem gehöre ich noch inniger dieser liebenswürdigen Familie an; denn ich wohne selbst im Geschäftspalais. Besuchen Sie mich dort, oder vielmehr – machen Sie an meiner Hand der Frau von Bülow Ihre Aufwartung. Die liebenswürdige Frau hat sich schon gewundert, daß Sie von den musikalischen Abenden und sogar von jenem Abende, da Sie dieselbe nach ihrer Wohnung begleitet, keinen Anlaß zum Besuch genommen haben.

Hermann, etwas beschämt von dem wohlwollenden Vorwurf, entschuldigte sich mit seiner Bescheidenheit und fragte nach der schicklichen Stunde.

Für Frau von Bülow ist es die gewöhnliche Besuchszeit, antwortete Provençal, wegen meiner brauchen Sie keine Rücksicht auf die Bureaustunden zu nehmen. Sie brauchen gar nicht zu wissen, daß, um einen Employé zu sprechen, die Zeit zwischen 12 bis 1 Uhr vorgeschrieben ist. – –

 

Die Musik sollte eben angehen, als der verspätete Ludwig eintrat. Jetzt erst fiel es Lina ein, daß sie ihn im voraus hatte entschuldigen wollen. Er selbst bat mit einigen Worten um Verzeihung, und sie rief:

Mein lieber Mann nimmt gleich mehr Nachsicht in Anspruch, weil er selbst mehr geworden ist. Er ist heut vom Bureauchef zum Divisionschef gestiegen, und hat deshalb noch spät ins Ministerium gemußt.

Alles kam nun mit Glückwünschen herbei, und Reichardt, indem er ihm die Hand drückte, rief in seiner Laune aus:

Der Himmel weiß, was ihr Alles für Chefs habt! Sagen Sie uns auch gleich, Herr »Divisionär«, welch' ein Unterschied zwischen einem Bureauchef und einem Divisionschef ist? Vielleicht, wie zwischen einem Divisionsgeneral und einem Brigadegeneral?

Worauf Ludwig lächelnd versetzte:

Division bezeichnet eine höhere, umfassendere Geschäftsabtheilung. Das Ministerium des Innern hat deren zwei, und jede derselben hat zwei Bureaux. Ein besonderes Bureau der Comptabilität geht von beiden Divisionen aus.

Natürlich haben Sie nun auch andere Arbeiten? fragte Reichardt.

Andere und angenehmere, erwiderte er. Ich stand bisher dem zweiten Bureau erster Division vor, das mit dem Gemeindewesen – dem Budget, der Schuldenliquidation, der Vormundschaft über die Gemeinden – und mit den Gefängnissen, den öffentlichen Gebäuden und Anstalten zu thun hatte. Jetzt stehe ich der Division vor, deren Geschäftskreis den öffentlichen Unterricht, die Künste und Wissenschaften, das Kirchen- und Medicinalwesen umfaßt, und bin zugleich Chef des ersten Bureau derselben. Eine Stellung über den Divisionen und Bureaux für die mehr formellen, leitenden, überwachenden, mit den andern Behörden verkehrenden Arbeiten nimmt dann der Generalsecretär ein.

Darüber geriethen die Männer auf den besten Weg, sich über die Vorzüge der französischen oder der preußischen Verwaltung zu verbreiten, vielleicht zu entzweien, als Luise mit starkem Flügelanschlag die Musik wieder an die Reihe brachte. Sie präludirte ein von der Baronin Reinhard erbetenes Lied von Luisens eigener Composition. Und kaum hatte sie die ersten Accorde angeschlagen, als der so leicht exaltirte Kapellmeister rief: Vivat Spanien! Und Luise sang mit ihrer vollen Stimme und eigenthümlichen Declamation das Lied von Brentano: »In Sevilla, in Sevilla!«



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