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Kaum hatte am andern Morgen der König den Frührapport über den Ab- und Zugang der Badegesellschaft erhalten, als der schon am Abend angemeldete Ludwig ins Schloß befohlen wurde. Marinville empfing ihn im Arbeitscabinet, und besprach einige Geschäftssachen, bis der König selbst erschien, sich gegen Ludwig sehr huldreich erwies, und zum Vortrage Marinville's über die vorbereiteten Sachen Platz nahm.
Die Sachen wurden, wie gewöhnlich, leicht behandelt und kurz abgethan. Bei soviel Ungeduld, als Jerôme in Staatsgeschäften hatte, fehlte es ihm glücklicherweise nicht an Scharfsinn und leichter Fassungsgabe, wie er denn auch für Recht und Wahrheit zugänglich war und ein wohlwollendes Herz besaß. Dies Letztere bewies er auch wieder bei dem Antrage zu Gunsten der Familie des kranken Häberlin: er bewilligte für den Fall des Todes die vorgeschlagene Pension und Unterstützung für die hinterbleibenden Kinder. Ludwig sollte alsbald die Verfügung an den Minister entwerfen, damit im Falle des traurigen Ereignisses die Familie wenigstens um den einen Kummer der Zukunft erleichterter sei.
Der König gab sich während der Vorträge sehr pressirt und lehnte einige Gegenstände mit dem Bemerken ab, daß Herr Heister sich morgen wieder einfinden werde.
Sie haben wohlgethan, ihre Frau mitzubringen, sagte er, sich erhebend. Hat sie denn auch Bekannte hier, damit sie keine Langweile habe, während ich ihren Mann in Anspruch nehme?
Die Baronin von Schele will ihr zu Lieb noch einen Tag verweilen, Sire, antwortete Ludwig.
Ah! Wenn Ihre Frau Declamationen liebt –! lachte Jerôme etwas ärgerlich. Aber in Bädern macht man ja leicht Bekanntschaften; die Etiquette der Gesellschaft ist weit und bequem. Marinville sagt mir, daß Sie eine sehr liebenswürdige Frau haben.
Es ist mir sehr schmeichelhaft, Sire, wenn der Herr Baron dies findet, erwiderte Ludwig. Der Mann selbst, der seine Frau liebt, hat jedenfalls diese Ueberzeugung.
Da haben Sie Recht. Vergnügen Sie sich in Nenndorf, Herr Heister! Auf Wiedersehen!
Auf diese Entlassung hatte sich Ludwig kaum entfernt, als Jerôme leiser und lebhaft sagte:
Eh bien, Marinville! Was denken Sie Gescheites anzufangen. Ich muß die Frau sehen, von deren Reizen Sie selbst so hingerissen sind. Wie denken Sie's zu machen?
Daß Heister sie mitgebracht hat, Sire, laß ich mir gleich als gute Vorbedeutung dienen. Dies Mitbringen war unberechenbar, und doch hatte ich bei seiner Absendung darauf gerechnet. Sie sehen, daß ich mich auf den höhern Calcul und auf incommensurable Größen verstehe.
Ueberheben Sie sich nicht, Marinville, und verderben mir am Ende die Sache durch Ihr allzu keckes Vertrauen! Und nun –?
Die schöne Frau wollte doch Cecile's Bekanntschaft machen, als diese schon hierher war. Offenbar aus Freundschaft für unsern jungen Doctor, vielleicht aus Eifersucht.
Es ist mir lieb, Marinville, daß sie schon ein Verhältniß mit dem jungen Mann unterhält: es verräth ein bedürftiges Herz, ein verlangendes. Weiter, Marinville!
Ich gehe jetzt hinüber zu Cecile, und bespreche mit ihr, der schönen Frau den Gegenbesuch hier in Nenndorf zu machen und einen Abendgang mit ihr zu verabreden. Versteht sich – mir zu Lieb. Befehlen Sie nur, Sire, wo Sie die charmante Frau überraschen wollen.
Ich denke auf dem Mineralbrunnen?
Es ist ja wahr! Dort haben wir ja die Einrichtung für dergleichen. Die herrliche Allee ein halb Stündchen dahin ermüdet so angenehm, daß die Damen mit Vergnügen die Einladung der Badewirthin, die ich voraus benachrichtige, in das stille grüne Zimmer annehmen werden. Lucie zieht vor, sich in den Garten zu setzen, und Cecile geht, Erfrischungen zu besorgen. Sie treten ein, und ich halte Cecile solange mit den Erfrischungen zurück, bis Sie die Schelle ziehen.
Recht gut, Marinville! Aber wird die schöne Frau Cecile's Einladung annehmen?
Ohne Zweifel, Sire, wenn der Mann miteingeladen wird.
Den wir aber nicht brauchen können, Marinville?
Den ich daher im rechten Augenblick ihres Weggehens aus dem Logirhause zu einem kurzen dringenden Geschäft rufen lasse. Die Damen gehen einstweilen voraus.
Und Sie, Marinville, begleiten ihn dann – aus besonderm Attachement. In den Anlagen haben Sie Gelegenheit, ihn mit Ihren botanischen Kenntnissen zu unterhalten, ihn bei seltenen Stauden aufzuhalten.
Und Sie, Sire, versuchen indeß bei seiner Frau, ob sie zu den Mimosen gehört und ein Noli me tangere ist.
Tangere ? Meinen Sie Seetang, Marinville?
Pardon, Sire! Man hat ein Blümchen, das den Namen führt: Ne veuille pas me toucher.
Ah! Eine Seltenheit, Marinville, nicht wahr?
Meinen Sie das Blümchen, Sire? Ja, das Blümchen ist eine Seltenheit; denn es ist ihm Ernst mit seinem »Rühr' mich nicht an!«; es fällt gleich in Ohnmacht, wenn man es berührt.
Aber hören Sie, Marinville, wendete Jerôme ein, übereilen wir nichts! Lassen wir die Leutchen erst Vertrauen zur hiesigen Luft fassen. Heut Abend habe ich ohnehin die Frau meines Gardecapitäns zu unterhalten, da ich ihren Mann mit einem Auftrag nach Bückeburg geschickt habe. Also auf morgen Abend? Bis dahin sehe ich auch Cecile selbst.
Ich werde ihr voraus begreiflich machen, erklärte Marinville, daß Madame Heister vor allem für einen Gegenstand interessirt werden müsse, wenn sie nicht den jungen Doctor, ihren jetzigen Verehrer, von einer Heirath abhalten soll. Wir müssen eine Eifersucht mit der andern neutralisiren, todtschlagen.
Jerôme hatte unter dieser flüchtigen Wechselrede die ihm vorgelegten Ausfertigungen unterzeichnet, und eilte nach seinem Bad.
Inzwischen Ludwig nach dem Schloß gegangen war, machte Lina der Baronin von Schele einen Morgenbesuch, um zugleich auch den Tag mit ihr zu verabreden, der sich heiter anließ. Sie hörte im Zimmer reden, und lauschte einen Augenblick. Es war aber die Stimme der Baronin, die eben laut und mit Nachdruck las oder sprach:
Ein getreues Herze wissen,
Hat des höchsten Schatzes Preis.
Der ist selig zu begrüßen,
Der ein treues Herze weiß.
Mir ist wohl bei höchstem Schmerze,
Denn ich weiß ein treues Herze.
Die Dame saß bei ihrem Frühstück, ein offenes Buch neben ihrer Tasse. Sie empfing Lina herzlich und zog sie auf das Kanapee an ihre Seite. Da Lina für das angebotene Frühstück dankte, mußte sie wenigstens einige Gedichte von Paul Flemming anhören, dessen alte vergessene Sachen die Baronin ungemein pries, an dessen frommen Empfindungen sie sich entzückte. Dann wurde ein gemeinschaftliches Mittagessen verabredet, und die Baronin übernahm, als Kennerin des Platzes, die Leitung des Ausflugs für den Nachmittag.
Als Lina zurückeilte, ihren Mann zu erwarten, begegnete sie vor dem Logirhause Marinville, der eben von Cecile kam. Er eilte ihr entgegen, sie zu begrüßen und willkommen zu heißen. Indem er beklagte, daß Herr Heister sehr werde in Anspruch genommen werden, versicherte er mit Nachdruck, wie sehr selbst Se. Majestät der König sich Sorge darum mache, daß sie keine Langweile in Nenndorf haben möchte.
Sei es nun, daß seine verwegene Absicht ihn selbst kecker stimmte, oder daß er durch lüsterne Scherze die schöne Frau für diese Absicht zu stimmen dachte: er nahm heut einen freiern Ton an, und erlaubte sich Anspielungen, die wenigstens gegen sein früheres anständiges Benehmen sehr abstachen. Er schien des Königs Warnung, ihm sein Bemühen um die liebenswürdige Frau nicht durch allzu keckes Vertrauen zu verderben, in den Wind geschlagen zu haben. Sein frivoler Sinn täuschte ihn oft noch mehr über sich selbst, als seine Eitelkeit. Denn als Lina rasch abbrach und mit würdevoller Haltung ihn stehen ließ, dachte er nichts weiter dabei, als daß eben wie die Männer gute Miene zu schlechtem Spiel – die Frauen umgekehrt in der Liebe schlechte Miene zu gutem Spiel zu machen pflegten.
Lina dagegen nahm sich vor, dem unheimlichen Menschen künftig auf alle Weise aus dem Wege zu gehen.
Ludwig erwartete sie oben. Seine Heiterkeit, seine Zufriedenheit mit der Aufnahme des Königs setzten sie schnell über den kleinen Verdruß hinaus, den sie Ludwigen nun lieber ganz verschwieg. Nur mit dem Vorschlage der Baronin machte sie ihn gleich bekannt, und da er damit einverstanden war und, um sich für den Nachmittag frei zu machen, noch einmal ins Schloß eilte, setzte sie sich, ihn bei einer von der Baronin mitgebrachten Lecture zu erwarten, ans Fenster.
Nicht lange saß sie, in das Buch vertieft, als ihr Mademoiselle Delahaye gemeldet wurde. Die Eintretende brachte Cecile mit. Für Lina kam der Besuch, da sie bereits von der Anwesenheit Beider wußte, weniger überraschend. Die Unterhaltung blieb aber befangen durch die Hinterhaltsgedanken auf beiden Seiten sowol, als durch die Sprache, in der sich Lina nicht frei genug bewegte.
Ich dachte, die Damen auf dem Rückwege in Pyrmont zu finden, sagte Lina; worauf Lucie rasch, als ob diese Erinnerung erwartend, versetzte:
Allerdings war ich dahin gewiesen, Madame, wie Ihnen die Mutter gesagt hat. Aber Doctor Zadig kennt unsere Bäder schlecht, und der Arzt in Pyrmont schickte mich auf der Stelle hierher. Es war uns recht fatal, des Hofes wegen. Aber wir haben gleich dem Herrn von Marinville erklärt, wir wären hier Badegäste und wollten das Schwefelwasser ganz incognito genießen.
Und der König respectirt auch unser Incognito, bemerkte Cecile, – heißt das, das Incognito meiner Cousine; denn meine kleine Person ist ihm ohnehin ein halbes Incognito.
Im Laufe der Unterhaltung, die sich wie der Faden einer ungeübten Hand ungleich und oft abbrechend abspann, erfuhr Lucie das Vorhaben Lina's für den heutigen Tag und sagte:
Für heut sind Sie also ganz in Anspruch genommen, und Sie werden die kleinen Partien des Ortes erschöpfen. Aber ein halb Stündchen weiter ist noch ein gar anmuthiger Platz, – der sogenannte Mineralbrunnen. Diesen Spaziergang müssen Sie sich für uns aufsparen. Wir wollen Ihnen auch etwas zeigen, und freuen uns auch einmal in Gesellschaft zu wandeln; denn wir halten uns hier sehr zurück. Cecile geht nicht einmal an den Brunnen. Also, wir holen Sie morgen Nachmittag ab, es ist ein angenehmer Gang zu Fuß, eine schattige Allee entlang, und es fehlt dort nicht an einfachen Erfrischungen zum Ausruhen.
Lina zog sich hinter die Zustimmung ihres Mannes zurück, dessen Absichten für morgen sie nicht kenne.
Versteht sich, daß er uns begleitet! rief Lucie aus. Wir gehen auch gern in Gesellschaft eines liebenswürdigen Mannes. Und gewiß hat er soweit hinaus noch nichts bestimmt. Nicht wahr, Sie sagen uns zu?
Unter diesem Vorbehalt des Schutzes und der französischen Zunge Ludwig's fühlte sich Lina geborgen genug, um die Einladung so lieber anzunehmen, als die Gelegenheit, Cecile kennen zu lernen und zu beobachten, nicht erwünschter sein konnte.
Im Ganzen würde ihr Cecile einen vortheilhaften Eindruck gemacht haben, wäre nicht der fatale Brief gewesen, den sie sogar, wenn auch ohne besondere Absicht, mitgebracht hatte. Diese Erinnerung lag ihr jedoch zu lebhaft im Gemüthe, als daß sie sich von dem schüchternen, ehrsamen Gebahren der Französin hätte irre machen oder im mindesten anfechten lassen.
Ludwig, der bald darauf zurückkam, billigte die angenommene Einladung
Wie wollen wir's besser finden? sagte er. Es müßte mit dem Kuckuk zugehen, wenn sich in der Atmosphäre eines Bades und bei ländlicher Fröhlichkeit auch das versteckteste Mädchenherz keinen Augenblick verrathen und vergessen wollte! Und – ich denke, zum Aufpassen sind wir gestimmt genug, Lina? setzte er schalkhaft hinzu.
Mit soviel guter Erwartung genoß Lina des heitern Tags. Das Gewicht der Weltbildung und der vornehmen Manieren der Baronin ward durch ihre etwas lächerliche Schwachheit für poetische und declamatorische Stellen erleichtert, und da zum Schluß des Abends der jungen bürgerlichen Freundin auch sonst nichts Unangenehmes, sondern überall nur eine schmeichelhafte Aufmerksamkeit der gemischten Badegesellschaft für ihre Erscheinung begegnet war, so blickte sie am andern Morgen mit Heiterkeit und aufgeräumtem Sinn dem schönen Tag entgegen.
Sie hatte Lucien schon früh von der Trinkquelle zurückkommen sehen, und fand daher kein Bedenken, sobald Ludwig nach der Schloßkanzlei gegangen war, den beiden Damen den Gegenbesuch zu machen. Diese wohnten just unter ihr, eine Treppe hoch, erstes Zimmer in den Gang rechts. Aus diesem trat aber, gerade wie sie anklopfen wollte, eine Kammerjungfer, die das Zimmer reinigte, und beschied Lina nach der folgenden Thür, wo sich die Damen einstweilen befänden. Hier wurde eben lebhaft gesprochen, und Lina erkannte die Stimme Marinville's. Sie zog sich daher, ihres Vorsatzes eingedenk, rasch zurück, und verschob den Besuch, um mit der Baronin einen Gang durch die Kaufhallen des Arkadenbaues zu machen.
Die kleinen Einkäufe der Hofdame, ein Aufenthalt im Kursaal, wo musicirt wurde, und ein Spaziergang in den Anlagen brachten den Mittag herbei, und Lina eilte, ihren Ludwig zu Hause zu finden.
Auf dem Platze vor dem Logirhause wandelten in angelegentlichem Gespräche Marinville mit Lucien, als ob sie auf Jemand warteten, hin und wieder. Lina suchte unbemerkt ins Haus zu kommen Als sie sich von Lucien angerufen hörte, eilte sie, ohne daraus zu achten, nur desto mehr der Thüre zu Die Verlegenheit ihres Benehmens setzte sie in Angst; in der Angst glaubte sie auf der Hausflur Schritte hinter sich zu vernehmen, dachte an Marinville, und stürzte mit Herzklopfen die Stiege hinauf. In ihrer Verwirrung wendete sie sich schon auf dem ersten Gang rechts, öffnete die erste Thür, und erblickte statt ihres Ludwig – Cecile, die von den Knien eines auf dem Sopha in leichter Kleidung sitzenden Mannes aufsprang und sich vor ihn stellte.
Es währte einige Augenblicke, bis die entsetzte Frau ihren Irrthum begriff, flüchtig um Entschuldigung bat, und forteilend jetzt erst, die zweite Treppe hinaus, rechts das richtige Zimmer erreichte, wo sie erschöpft in Ludwig's Arme sank und zu Athem zu kommen suchte.
Ludwig war nicht wenig erschrocken. Auch Lina's Erzählung konnte ihn nur über sie selbst, nicht sobald aber über den Eindruck und die Nachwirkung beruhigen, die ihre Uebereilung, wie er es doppelsinnig nannte, hinterlassen würde.
Es ist der König und Niemand Anderes, den du bei Cecile getroffen, flüsterte er.
Der König? versetzte sie, zuerst ziemlich betroffen. Ich war so bestürzt und verwirrt –! Und Cecile hatte sich aufspringend vor ihn gestellt. Der König also? Wirklich der König?
Ja, fuhr Ludwig fort, und seine Unruhe ward durch ihr Staunen noch verdrießlicher. Aber, es ist doch – nimm mir's nicht übel, Lina! – aber, ist es nicht kindisch von dir, so fortzurennen vor einem Menschen, der nicht einmal allein ist? Und – fühlst du nicht, daß du auch eine Blöße gegeben hast? Einem Menschen, wie dieser Marinville ist, muß eine so echte Frau, wie du, schon durch ihre bloße Haltung Respect einflößen. Aber – fortlaufen bei seinem Anblick! Was soll ein Mensch, wie der, denken! Ja, ich will dir sagen, was ein so leichtfertiger Bursche denkt: eine Frau, denkt er, die so läuft, ließ erwarten, daß sie auch – fallen könnte.
Ludwig! rief Lina zurücktretend, mit einem Blick und Ton, der ihn zur Besinnung über seine Selbstvergessenheit brachte, wenn man es hinsichtlich seines Benehmens gegen Lina Selbstvergessenheit nennen konnte, daß er nur zu sehr an sich selbst und an die Folgen dachte, die der Vorfall gerade für ihn haben möchte.
Nein, Ludwig, sprach Lina, ihm die Hand reichend, mit steigender Seelenerhebung weiter, nein, es thut mir keinen Augenblick leid, daß es so gekommen ist. Dich selbst kann es nicht anfechten: was kannst du für die Uebereilung deiner Frau? Dagegen sind wir nun außer allem Zweifel, was –
Sie schwieg. Doch Ludwig, der es errieth, was eben ihre Gedanken am lebhaftesten beschäftigte, versetzte mit mehr Ruhe und Fassung:
Nun ja, Lina, du hast Recht: mir kann es nichts schaden, und was unsern Hermann betrifft – das wolltest du doch sagen, so sind wir außer allem Zweifel. Was mir aber noch mehr gilt, so erwarte ich jetzt, daß diese Cecile nun von selbst abbreche, da sie ja weiß, daß du vertraut genug mit ihm bist, um ihm die Entdeckung mitzutheilen.
Lina warf sich an seine Brust.
Ja, liebster Ludwig, rief sie, das dachte ich eben auch, das fühlte ich eben selbst! Wie glücklich bin ich, bester Mann, daß unsere Herzen so auf das gleiche Gefühl der Liebe und der Freundschaft gestimmt sind, und daß meine dunkelsten Empfindungen in deiner klaren Seele laut werden!
So war denn ein liebevoller Einklang abermal hergestellt. Ludwig beruhigte sich um so leichter, als er diesen Morgen bei Hof entlassen worden.
Wir können nach Tisch abreisen, Lina, wenn wir wollen, sagte er.
Nein, Ludwig, laß uns lieber nicht wollen! erwiderte sie. Du bist ja auch noch nicht ganz entlassen.
Eigentlich doch, Lina, versetzte er. Nur, wenn noch etwas vorfiele, wollte mich Marinville rufen lassen. Sind wir aber fort, so bin ich eben nicht mehr zu rufen und – es kann nichts mehr vorfallen.
Ludwig hatte freilich keine Ahnung davon, was mit dem vorbehaltenen Vorfallen und Rufen gemeint war. Er besorgte vielmehr im Stillen, Marinville könnte den unangenehmen Vorfall zur Sprache bringen, und dies wünschte er zu vermeiden. Aber Lina meinte:
Nein, Ludwig, warte es ab! Ueberlege dir, was du Treffendes antwortest, wenn er etwa meiner Ungeschicklichkeit gedenken sollte. Du bist ja ein Mann, und bist mein Mann, mein ritterlicher Schutz! Ueberdies haben wir auch den beiden – Personen zugesagt, uns abholen zu lassen. Warten wir das ab! Eilten wir fort – Du weißt ja (lächelte sie), wie ungeschickt es von mir war, daß ich vorhin fortrannte; liefen nun gar wir Beide –?
Und plötzlich in feierlichen Ton übergehend rief sie aus:
Sie wird uns nicht abholen, diese Mademoiselle Cecile! Gewiß nicht! Und sollte sie dennoch so unverschämt sein, zu kommen –
Sie eilte nach ihrer Brieftasche, nahm sein Papier heraus, das sie heftig aus dem Tisch ausbreitete, und fuhr fort:
Jetzt wäre der Augenblick, Ludwig! Das Räthsel des Briefes ist gelöst; da liegt er offen! Sie soll ihn finden, sie soll ihn lesen. Laß mich ausreden! Du bleibst ganz aus der Sache. Höre, Ludwig, wie wir's machen! Ich sage nichts, – ich nehme diese Schmach nicht in den Mund; aber du verlässest einen Augenblick das Zimmer, und ich trete vor den Spiegel, meine Perlenschnur am Halse zu ordnen. Dann mag sie ihn lesen. Und sie wird ihn lesen. O ja! Ihr Schelmenauge wird wahrlich auf diese Zeilen, auf dies gelöste Siegel, auf dies gelöste Geheimniß fallen. Und wenn sie dann noch bleibt und nicht in die Knie sinkt unter dem Gewicht ihrer Schmach, dann werd' ich ihr den Brief spendiren und sagen: Gehen Sie, Mademoiselle Cecile, werd' ich sagen, gehen Sie mit diesem Pagen, aber nicht mit uns!
Ludwig, bewegt und lächelnd, zog die exaltirte Frau an seine Brust, küßte sie auf die Stirne und sagte:
Kind, Kind, in wessen Namen bist du solch' ein Racheengel! Wahrlich, du wärst eben toll genug dazu, Linchen! Glücklicherweise sind noch einige Stunden bis dahin, und mit Suppe, Gemüß und Braten werden uns wol andere Gedanken kommen, mein Herz. Nicht wahr?
O lieber Ludwig! rief sie, wir sind doch zum Wohl für unsern edeln Hermann durch meine Uebereilung weiter gekommen, als mit aller Klugheit und mit allen guten Vorsätzen zu prüfen und zu beobachten! Aber komm', lieber Herzensmann, und laß uns zu Tische gehn!