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Drittes Capitel.
Eine gefährliche Saloppe.


Hatte man sich einmal mit heimlicher Besorgniß oder mit ruhigem Abwarten in das erfurter Geheimniß ergeben, so behielt die Neubegierde auf die glänzenden Vorgänge an jenem politisch dunkeln Hintergrunde die Vorhand zu ihrem Spiel, und beschäftigte die Gemüther. Daher war in diesen Tagen das literarische Casino in der Königsstraße besuchter als je. Wer irgend eine Nachricht von Erfurt hatte, eilte dahin, voraus versichert, daß er sie mit Glanz anbringen und sich an der aufgeregtesten Theilnahme befriedigen konnte.

Die frühesten Nachrichten und zugleich die zuverlässigsten lieferte der Gesandtschaftssecretär der französischen Legation; denn Herr von Reinhard war ja schon beim feierlichen Empfang Napoleon's am 27. September in Erfurt anwesend, während Jerôme mit seinem Gefolge erst am 3. October Cassel verlassen hatte.

Ehe heut Monsieur Lefèvre, mit seinem Ehrenlegionskreuz im Knopfloch, erschien, saß Hermann über dem »Journal de l'Empire«, vertieft in einen kleinen Artikel, der offenbar mit Spott auf Oestreichs Kriegsrüstungen zielte. Es wurde berichtet, mit welch' lebhafter Theilnahme man in den verschiedenen Provinzen des Kaiserstaats das kriegerische Feuer der Knaben betrachte, die ordentliche Regimenter bildeten, Manoeuvres ausführten und sich schon blutige Kämpfe lieferten. Es könnte nichts rührender sein, als solches Schauspiel anzusehen, und ohne Zweifel werde der so auffallend plötzlich freigelassene General Mack, dieser große Krieger, sich um das Commando über die junge furchtbare Armee bewerben.

Herr von Rehfeld trat heran, seit gestern von Berlin zurück, las ebenfalls den Artikel und flüsterte dem Freunde zu:

Wenn den Franzosen der Humor säuerlich und schal wird, ist es immer ein Zeichen, daß er mit zu viel Aerger versetzt ist.

Als jetzt Lefèvre eintrat und mit feinem Lächeln einen Brief aus der Tasche zog, drängte man sich um ihn her. Die Nachricht betraf die erste Zusammenkunft beider Kaiser. Napoleon war dem russischen Alexander eine Meile Wegs entgegengeritten. Der Czar hatte seinen Wagen verlassen, Napoleon war vom Pferd abgestiegen und Beide umarmten sich. Dann hatten Beide zu Pferd, unter dem Donner des Geschützes und dem Geläut aller Glocken, ihren Einzug in die von den Vivats der Einwohner wiederhallende Stadt gehalten – Alexander mit der großen Decoration der Ehrenlegion, Napoleon mit dem großen Alexander-Newskiorden geschmückt.

Am folgenden Tage ging schon ein Strom kleiner deutscher Fürstlichkeiten durch den Audienzsaal Napoleon's.

Das französische Theater gab seine classischen Stücke. In der »Andromache« hatte Talma den Orest, Mademoiselle Duchesnois die Hermione gegeben, und in der »Zaïre«, Mademoiselle Bourgoin sich als Zaïre, Lafond als Orosman hervorgethan.

Die großen Bänder des russischen St. Andreasordens und der französischen Ehrenlegion waren verschiedentlich ausgetauscht worden.

Unter den ausgezeichneten Fremden, die in Erfurt angekommen waren, wurde auch der berühmte Violinspieler Rode aus Petersburg angeführt.

Der wird sich sehr irren, wenn er glaubt, in Erfurt die erste Violine zu spielen! bemerkte der Hofbanquier Jordis-Brentano.

Oder gar, wenn er meint, die deutschen Fürsten würden nach seiner Geige tanzen! lachte Baron Rehfeld.

Hervorgehoben wurde im Briefe des Gesandten die Nachricht, daß der östreichische Botschafter, General Graf St. Vincent, eine sehr lange Audienz bei Napoleon gehabt habe. Es war dabei ganz leise auf eine Verständigung wegen Krieg und Frieden hingedeutet.

Hermann brachte diese Neuigkeit mit dem spöttischen Artikel in Bezug, den er eben im »Journal de l'Empire« gelesen hatte. Er wußte, daß es jetzt brave Leute gebe, die um das Heil des Kriegs beteten.

 

Einige Tage später, an dem trübsten, schwärzesten Octoberabende, verließ Hermann mit Herrn von Rehfeld ziemlich früh das Casino. Ein Begegnender nahm den Baron auf dem obern Gang einige Augenblicke beiseite, und Hermann, der indeß voraus die erleuchtete Treppe hinabging, bemerkte, daß eine weibliche Gestalt durch die Hausthür hereinblickend stehen blieb. Wirklich wurde er von einer frischen, jugendlichen Stimme französisch angesprochen:

Haben Sie die Güte, mein Herr, mich zurechtzuweisen. Ich kann mich hier noch nicht orientiren. Ich bin erst seit kurzem aus Paris hier, und habe mich verirrt.

Ein piquantes, lebhaftes Gesicht blickte mit lachenden Augen aus einem Kammerjungferhäubchen, und die zierlichsten Füße, weißbestrumpft, sahen bis über die Knöchel unter einer schwarzseidenen Saloppe hervor, die eine angenehme Gestalt in weißen Unterkleidern mehr verrieth als verhüllte.

Wo wollen Sie denn hin? fragte der Freund, oder wo wohnen Sie?

Ich diene bei Frau Generalin Du Coudras, dem königlichen Schloß gegenüber.

O dann bin ich Ihr Nachbar, Mademoiselle! und ich bringe Sie dahin.

Husch hing sie in seinem Arm, und Hermann sagte lächelnd:

Nur einen Augenblick! Ein Freund begleitet mich.

Aber ich habe Eile, mein Herr! flüsterte sie vertraulich.

Da kommt er auch schon! – Sehen Sie einmal, Baron, was ich da für eine allerliebste Pariserin eingefangen habe! sagte Hermann französisch.

Ah! j'y retiens part! Halbpart! rief Rehfeld, und faßte nach dem rechten Arme der Schönen, die aber ihre Hand rasch unter die Saloppe zurückzog.

Es fing an zu tröpfeln, und man eilte schräg über den Königsplatz, die enge Jacobigasse hinab.

Es ist ein Nachtvogel! Ich bin begierig, wo sie uns hinlockt! sagte der Baron deutsch. Zu Zwei können wir schon etwas wagen.

Aber schon machte sie vor einem ansehnlichen, der alten Burg zugekehrten Hause Halt, und schloß auf.

Also doch hier? fragte er. In der That, es ist die Wohnung des Generals – Aber schade, daß wir Ihnen schon Gutnacht sagen sollen! Wir wären gern noch wieweit mit Ihnen gegangen – auf geraden und krummen Wegen, Mademoiselle! Wie heißen Sie denn, mein schönes Kind?

Ich? Ich heiße eben – Mademoiselle! Was geht Sie mein Name an?

Oho! Mademoiselle heißen gar vielerlei Mädchen, die bei Nacht über die Straße gehen, und Sie müssen noch einen schönen Beinamen haben, der uns mehr sagt als – Mademoiselle.

Fanchon, wenn Sie's doch wissen wollen.

Charmanter Name! Fanchon, wissen Sie – Fanchon bei Madame Du Coudras – wäre mir sogar lieber als Madame Du Coudras selbst.

Was haben Sie gegen Madame Du Coudras, was?

Aber, Baron, es fängt heftig zu regnen an! bemerkte Hermann. Eilen wir nach meiner Wohnung.

Treten Sie ein, mein Herr! sagte Fanchon zu ihm. Ich bin allein zu Hause. Heißt das, Sie brauchen sich nicht zu geniren. Madame ist in großer Gesellschaft und der General mit dem König verreist. Treten Sie nur herein, bis der Regen nachläßt.

Hermann hatte keine Lust; allein der Baron zupfte ihn am Aermel und flüsterte ihm deutsch zu:

Gehn Sie nur! Es ist ein artiges Abenteuer; aber es gilt nur Ihnen. Ich gönn' es Ihnen!

Mit diesen Worten drängte er ihn ins Haus. Hermann aber faßte ihn rasch am Rock und zog ihn lachend mit hinein. So tappten sie nach der Treppe und fanden sich, der Führerin nach, zurecht. Fanchon, mit raschen Schrittchen und rauschender Saloppe voraus, öffnete eine Thür, durch die ein Schimmer von Licht auf den obern Hausgang fiel.

Es war ein üppig eingerichtetes sogenanntes Schmollstübchen, das sich ihnen öffnete – traulich zum Aufenthalt, bequem zum Aus- und Einschlüpfen, von einer kleinen Ampel matt erleuchtet und von süßem Wohlgeruch durchduftet. Ein tiefes Ruhebett, mehr zum Liegen als zum Sitzen gepolstert, stand zwischen einem großen beweglichen Spiegel und einem seidenen Schirm, den man zu einem Versteck vorschieben konnte, zwischen beiden ein Tischchen mit Erfrischungen, Wein und Leckereien besetzt, – nicht anders, als ob man Gäste erwartet hätte.

Die ganze Einrichtung sah nach einer Dame aus, die hier orientalische Ruhestündchen zuzubringen oder auch einen vertrauten Freund zu empfangen pflege, von einer Zofe bedient, die, wie eben Fanchon, in die Geheimnisse des Gemachs eingeweiht genug schien, um in Abwesenheit der Herrin die Gewohnheiten derselben mit Glück nachzuahmen. Wenigstens warf sich Fanchon mit der anmuthigsten Nachlässigkeit auf die Ottomane, indem sie die Herren Platz zu nehmen einlud. Ihre Saloppe behielt sie an, und freilich sah man, wenn das Mäntelchen auseinanderfiel, wie leicht, ja leichtfertig sie darunter gekleidet war.

So reizend und verführerisch sie dergestalt für einen Einzelnen gewesen wäre, so anständig benahm sie sich gegen die Zwei; mit dem Unterschiede, daß sie gegen Hermann ebenso aufmerksam, als kurz und abweisend gegen den Baron verfuhr. Diesen ließ sie deutlich genug merken, daß sie ihn eben für überflüssig ansah.

Desto zuthätiger benahm sich der Schalk. Er führte eine leichtfertige Unterhaltung mit so drolligem Ernste, daß Hermann nicht aus dem Lachen kam. Als das Gespräch einen Augenblick stockte, fragte Hermann mit Hinblick auf einen daliegenden Brief, ob gute Nachrichten vom Herrn General eingelaufen seien.

Ja, diesen Brief hab' ich erst heut noch erhalten, antwortete sie, – haben wir erhalten, wollt' ich sagen, heißt das, hat Madame Du Coudras erhalten. Interessirt es Sie, wie die Könige zu Erfurt im Theater sitzen? Da, lesen Sie!

Sie reichte den Brief aber nicht an Hermann, der gefragt hatte, sondern an Rehfeld, vermuthlich um ihn zu beschäftigen, wobei sie mit dem Finger auf eine Stelle im Brief deutete, und hinzufügte:

Es sind allein zweiundvierzig Fürsten und Prinzen anwesend, außer vier Königen und zwei Großherzogen, nebst einem halben Hundert Generale und dergleichen.

Der Baron blickte Fanchon mit verschmitztem Lächeln und zweifelhaftem Kopfschütteln an, und las dann laut, während Fanchon gegen Hermann liebäugelte:

»Hinter den Musikern sitzen im ersten Parterre die beiden Kaiser in der Mitte, – Alexander rechts von Napoleon, und diesem zur Seite reihen sich der König von Baiern, von Sachsen und der Fürst Primas an. Auf Napoleon's Seite sitzen der König von Würtemberg, der Großfürst Konstantin und der Prinz Wilhelm von Preußen. Dem Theater gegenüber, in einer mit carmoisinrothem Sammet ausgeschlagenen Loge, nehmen unsere beiden Majestäten von Westfalen nebst Gefolge, worunter ich, ihre Plätze. Die übrigen Fürsten, Prinzen, Generale u. s. w. finden sich im Amphitheater zwischen den kaiserlichen Sitzen und den ersten Logen zusammen.«

Den Brief zurückgebend sagte der Baron mit schalkhaftem Lächeln:

Aber, wahrhaftig! Mademoiselle Fanchon steht sich gut mit dem General; er schreibt Ihnen recht artig!

Mir? Der Brief ist an Madame! Sie sind unartig, mein Herr. Ich hatte mich vorhin versprochen. Wohlan, sehen Sie nur die Adresse, da!

Ah, Pardon! schöne Fanchon! Dann stehen Sie aber desto besser mit Madame, und liegen auch so reizend auf der Ottomane, wie nur immer eine Generalin liegen kann. Eigentlich hätte Madame mit dem König reisen und der General bei Fanchon bleiben sollen.

Sie sind ein Bösewicht! Gehn Sie fort! rief sie mit lachendem Unwillen.

Fort soll ich gehen? rief der Baron und stand auf. Sie sind mir böse, schöne Fanchon? O ich bin in Verzweiflung. Ich gehe denn, und lasse Ihnen meinen Freund zurück. Er soll mir Ihre Verzeihung erbitten.

Fanchon lachte in ihr Schnupftuch, die leuchtenden Augen auf Hermann gerichtet. Jenes galt ihrer Zufriedenheit, dies ihrer Erwartung.

Der Freund, zuerst betroffen und dann lachend, war aber auch schon aufgestanden und sagte:

Scherz beiseite! Aber kommen Sie, Baron; Mademoiselle kann uns nicht länger brauchen, und es hört nicht auf draußen. Wir wollen uns in Gottes Namen durchregnen lassen. Hören Sie nur, wie es gießt!

Ihnen, mein Herr, will ich einen Regenschirm mitgeben, sagte Fanchon zu Hermann. Den Baron da lassen Sie nur durchnaß werden; er verdient's nicht besser.

Hermann wollte ablehnen, – er wohne ganz in der Nähe, sagte er, und würde zu Hause dem Baron einen Schirm geben; allein Rehfeld versetzte:

Nehmen Sie doch nur, Freund! Es gilt nicht um den Schutz, es gilt um das Zurückbringen des Schirms.

Fanchon hatte inzwischen aus einem Tapetenschranke einen gelben Schirm genommen, und Rehfeld ergriff ihn mit der artigen Frage:

Darf Ihnen mein Freund den Schirm morgen Abend um sieben Uhr –?

Um acht Uhr will ich ihn an der Hausthür abnehmen, sagte sie, und zog die Klingel. Ein Mädchen erschien im Hausgang mit Licht. Beide Herren wünschten gute Nacht, Rehfeld mit scharfem, vergleichendem Blick auf beide Dienerinnen. Unterwegs sagte er:

Hören Sie, Doctor, mit der Kammerjungfer ist's nicht richtig! Ich behaupte, Fanchon ist nicht Fanchon; die Fanchon ist von einem andern Himmel, als dem Kapellmeister aus Treuenbriezen componirt. Indeß – ihre Leier verspricht etwas. Sagen Sie, wie theilen wir uns in das Abenteuer?

Das laß' ich Ihnen ohne Halbpart, ganz, Herr von Rehfeld! lachte Hermann.

O das ist mir sehr dankenswerth, mein Freund! versetzte der Baron. Ich hoffe, Sie misverstehen mich nicht. Ich gehe schon lange auf eine Bekanntschaft aus, die bis in den lustigen Liebeskreis des Königs reicht oder – spioniren kann. Madame Du Coudras ist jetzt die Begünstigte Jerôme's, und Fanchon – legt sich auf die Ottomane, liest die Briefe, verfügt über den Regenschirm und die andere Dienerschaft ihrer Dame, hat also auch den Schlüssel zu den Geheimnissen. Sehr begreiflich, Freund: ohne Vertraute kann eine Frau solchen Verkehr mit einem König hinter ihrem Manne her nicht unterhalten. Verstehen Sie mich?

Hiermit waren sie an Hermann's Wohnung angekommen, und Rehfeld fuhr fort:

So! Nun nehm' ich den Regenschirm, und liefere ihn morgen Abend ab – um acht Uhr. Auf gut Glück! Denn Sie werden erwartet, und ich werde einen desto schlimmern Stand bekommen, – ich, der heut schon nicht gern gesehen war. Sie sind einmal für so 'was nicht, sonst hätten Sie's leichter und angenehmer. Mich wird's Geld kosten; Sie hätten mit – dem Herzen bezahlt.

Hüten Sie das Ihrige, Baron! Es ist ein verführerisches Geschöpf! entgegnete Hermann, und trällerte aus der Oper »Fanchon«:

Eine liebenswürdige Schöne,
Sanft von Herzen, redlich scheinend.

Gute Nacht, Baron!

Rehfeld sang laut die folgenden Worte:

Sprach einst zu mir, daß sie mich liebte,
Keinen Umgang hatte, als nur mit mir.

Gute Nacht, Philosoph!

Er eilte unter strömendem Regen den Steinweg hinauf über den Friedrichsplatz, der nach einer neuesten Verordnung des Königs – Ständeplatz hieß, sowie auch das Friedrich'sche Museum in sein – Haus oder Palais der Stände umgetauft war.



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