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Siebentes Capitel.
Adieu, Mademoiselle Cecile.


Die glückliche Stimmung des wackern Nathusius kam dem jungen Freunde zu statten, insofern sie die Zerstreuung seiner Aufmerksamkeit und die Unruhe seines Innern einigermaßen deckte.

Als ihn nämlich Pigault verlassen, war er in der kürzesten Richtung der hoch aus dem Wald hervorleuchtenden Burg zugeeilt, bis sie in den waldigen Pfaden, die er betrat, aus seinen Augen verschwand. Hier, wo die entfernte Fröhlichkeit der Musik und des Tanzes verhallte, hätte er aufjauchzen mögen über Babet's verstohlene Nachricht von Cecile's Verbannung aus Cassel. Doch die jäheste Steige, die er nach dem Augenmaße zu seinem Ziele genommen hatte, ließ ihm zum Aufjubeln keinen Athem übrig, und er kam bei seiner Hast ziemlich angegriffen vor der Zugbrücke an, als er eben überlegen wollte, wie er sich jetzt am klügsten zu benehmen hätte.

Diese wechselnde Stimmung Hermann's entging der Theilnahme Lina's nicht. Ihr fiel es mehr als den zärtlichen Verlobten auf, wenn der Freund bald überhörte, was er gefragt wurde, bald über eine Kinderei, wie ein Kind, lachen konnte, oder wie ein ausgelassener Knabe tolle Sprünge machte. Was mochte er so Aufregendes von dem Vorleser des Königs vernommen haben? Lina konnte es nicht errathen, wagte aber auch nicht, ihn darum zu befragen, weil sie die Gelegenheit dazu ungeeignet fand und sich im voraus auch mehr Betrübendes als Erfreuliches davon erwartete. Diese Besorgniß nahm zu, je mehr sie bei der Vermuthung, daß es Cecile betreffen möchte, zu bemerken glaubte, daß Hermann's Aufregung doch eigentlich vergnüglicher Art war. Sie verlebte daher einen unruhigen Abend bei Engelhard's, wohin auch Ludwig kam, und einen kummervollen Montag, an welchem Hermann sich nicht sehen ließ. Aber in die heftigste Unruhe versetzte es sie, als er sich Dienstag gegen Mittag zu ihrem Fünfuhrtische ansagen ließ. Sie zweifelte nicht, daß es einer Erklärung in Ludwig's Beisein gelte. Gerade hieraus vermuthete sie das Unglücklichste zu vernehmen, und ängstigte sich darüber, wie sie und Ludwig ihm das Entsetzlichste offenbaren sollten, oder wenn es zu spät sei, ob sie es ihm vorenthalten dürften. Das Einzige, was ihr einige Beruhigung gab, war der Gedanke, daß er den unglücklichen Brief vielleicht jetzt erst in seinem Kleide gefunden hätte und zur Sprache bringen möchte.

Ludwig, vom Bureau kommend, hatte kaum bemerkt, daß für Drei gedeckt war, als Hermann eintrat, und Lina nicht ohne Beklommenheit erklärte:

Hier kommt der Dritte, der sich hat ansagen lassen, als du schon aufs Bureau warst.

Aha! lachte Ludwig. Ich weiß nun schon –! Und, Lina, – du hast doch eine Flasche Champagner heraufbesorgt?

Sie erschrak.

Ja, sagte sie kleinlaut, weil du das gern hast mit einem Freunde, Ludwig. Von einer andern Bedeutung weiß ich nichts. Es wird doch nicht etwa –

Sie vermochte es nicht auszusprechen, was sie sagen wollte, und Ludwig rief abermals lachend:

Nein, Linchen, du erräthst es nicht. Es gilt dem Freund eine Verzweiflung wegtrinken zu helfen. Vielleicht kostet es zwei Flaschen, je nachdem –! Denke dir nur: Cecile ist diesen Morgen nach Paris abgereist!

Hermann, einen Augenblick stutzend, sprang auf Ludwig los, faßte ihn an beiden Schultern und mit dem lachenden Ausrufe:

Mensch, Kerl, Halunke! machte er einen dreifachen Luftsprung, und fuhr dann, ihn freundlich schüttelnd, fort:

Wahrhaftig, Ludwig?

Wie käm' ich denn sonst darauf?

Aber, Mensch, Chef de division, du bringst mich ja um meinen ganzen Spaß! Komme ich da extra zum Essen, um euch zu sagen, daß sie fort soll, und nun überraschest du mich, daß sie schon fort ist!

Ludwig umarmte ihn mit ernster Herzlichkeit, indem er sagte:

Danke dem Himmel, Freund, und nimm meinen innigsten Glückwunsch!

Bei dieser so unerwarteten Wendung war Lina ihrer Bewegung nicht mächtig. Sie sank einen Augenblick an Hermann's Brust, und die Thränen standen ihr nahe, als sie ausrief:

O welche Angst und Sorge nimmt uns das vom Herzen! Nicht wahr, Ludwig? Aber sag' mir doch lieber, bester Mann –?

Und als ob sie ihre Selbstvergessenheit gegen den Freund ungeschehen machen wollte, warf sie sich ihrem Ludwig um den Hals und küßte ihn.

Nun ja doch! lachte Ludwig, ich will's euch eben erzählen. Wie ich diesen Morgen nach dem Palais gehe, finde ich das Thor offen und nehme diesen kürzern Eingang nach unserm Hinterbau. Ein Reisewagen hielt da, der Postillon auf dem Bock. Der Minister stand neben Pigault-Lebrun, dieser im Reiserock, am Wagen, Cecile erwartend. Er erwiderte meinen Gruß mit den Worten: »Denken Sie, lieber Herr Heister, meine Nichte verläßt uns! Ihre Mutter in Paris bedarf ihrer, und Herr Pigault hat die Gefälligkeit, sie nach Mainz zu bringen.« Ich sprach mein innerlich vergnügtes Bedauern aus, und Pigault lächelte mich mit seinen schwimmenden Augen malitiös wie ein Faun an. Indem höre ich Frau von Simeon mit der Nichte kommen, und stehle mich fort. – Nun fasse dich, Hermann, in deinem Verlust! Sei ein Mann, und denke mit Vater Claudius:

Das Sternlein ist verschwunden,
Ich suche hin und her
Wo ich es sonst gefunden,
Und find' es nun nicht mehr.

Hermann lachte und sprach:

Ja wol war's ein Sternlein, – nur bei Nacht zu erblicken, ein Trabant von Jupiter, – ein Page Jupiter's!

Er lachte schalkhaft, und tanzte, die Hände reibend, durch das Zimmer. Der Ausdruck Page hat Bedeutung, sag' ich euch, rief er mit Nachdruck in Blick und Wort, und sehr vergnügt, daß Beide so herzlich lachten. Dann setzte er hinzu:

Aber kommt, daß die Suppe nicht kalt wird. Wenn ich ans Erzählen komme, werden euch Mund und Augen offen stehen.

Bedrohe uns nicht mit Ueberraschungen, lächelte Lina, indem sie die Suppe vorlegte, du bist in dem Artikel nicht immer glücklich gewesen.

Ludwig blinzte ihr Stillschweigen zu, und sagte:

Aber, daß du so ausgelassen lustig darüber bist, scheint mir doch eine besondere Art von Verzweiflung zu sein, – eine krampfhafte Verzweiflung. Hm?

Du wirst es begreifen, wenn ich dir hernach – Doch halt! Ich geb's einstweilen in nuce und auch in einem Vers:

Das Sternlein ist verschwunden,
Es sank schon lang' gar tief.
Zum Trost hab' ich gefunden
'nen bitterbösen Brief.

Gut! lachte Ludwig auf. In Cassel kommen Briefe oft gar wunderbar in die unrechten Hände. Aber – ein etwas leichtsinniger Liebhaber scheinst du mir doch; denn eine Geliebte verlieren, schmerzt ja doppelt, wenn man zugleich den Glauben an sie einbüßt.

Hermann sah ihn einen Augenblick betroffen und verwundert an, und sprach dann mit weichem Ernste:

Geliebte? O bester Ludwig, das war ja eben meine Thorheit, die ich jetzt weglachen möchte, meine Kinderei, oder wie du's nennen willst, daß ich mich zu lieben überredete, zu freien hetzte, egomet memet. Forcirte Bewerbung, Ludwig! Und warum?

Er legte den Löffel hin, sah den Freund gerührt an, und wiederholte:

Und warum, Ludwig?

Ich weiß es, aber sag's nur heraus! versetzte Ludwig. Hermann sprang auf und fiel Ludwigen um den Hals, indem er ausrief:

Dir zur Beruhigung! Dich nicht zu entbehren und Lina nicht! Ich wollte im Spiel unserer Herzen auch meinen Partner haben, auch meinen Einsatz geben, und hätte um ein Haar anstatt des Goldstücks, – wie du, Freund, eine Karoline eingesetzt hast, – statt des Goldstücks eine schmuzige Spielmarke, einen goldgelben, klappernden Rechenpfennig eingebracht. Heiliger Gott, Ludwig! Oh!

Ludwig umarmte ihn mit den Worten:

Beruhige dich, lieber Hermann! Wir hätten deinen Einsatz gar nicht angenommen. Aber freilich, du hättest deine Blechmarke in der Tasche gehabt, und die Züchtigung für deinen Argwohn wäre zu hart gewesen! Aber ohne alle Buße kommst du nicht ab: ich absolvire dich; aber geh' hin und bitte Lina um einen Kuß, und ich hole den Champagner!

Nein, Hermann, nein! gebot Lina. Ich dächte, ihr hättet an Gemachtem, an Forcirtem genug. Setze dich, und Ludwig wird eine Gesundheit ausbringen, die ich frohen Herzens mittrinken kann.

 

Der einfache Tisch unterhielt die erneute Herzlichkeit. Lina bereute jetzt in ihrer weichmüthigen Fröhlichkeit, daß sie der unvermutheten Glücksstunde keine festliche Schüssel bieten konnte. Sie bekannte, daß sie zu besorgt und ängstlich gewesen, und von Hermann's Tischbesuch eine so peinliche Verhandlung erwartet hätte, daß Einem wol der Appetit vergangen wäre. Wirklich wollte auch jetzt noch keines von den Dreien nur durch den Austausch so unwürdiger, wenngleich glücklich ausgegangener Geschichten in ihrer so herzlichen Stimmung gestört sein. Man verschob die beiderseitige Erzählung auf einen morgigen Spaziergang nach Napoleonshöhe, wo König und Königin zurückerwartet wurden.

Beide Freunde setzten sich zu ihrem Wein und einer Pfeife Taback auf das Sopha, und Lina zur Unterhaltung derselben an ihren Flügel, wo sie nach der Polonaise von Oginski, die Hermann seit jenem Abend immer gern hörte, ein damals beliebtes einfaches Lied, so gut es eben nach Tische mit der Stimme gehen wollte, ausdrucksvoll sang:

Beglückt, beglückt, wer die Geliebte findet,
Die seiner Jugend Traum begrüßt;
Wenn Arm in Arm und Geist in Geist sich windet,
Und Seel' in Seele sich ergießt.
Die Liebe macht zum Goldpalast die Hütte,
Sie pflanzt auf Wildniß Tanz und Spiel;
Enthüllet uns der Gottheit leise Tritte,
Gibt uns des Himmels Vorgefühl.

Am andern Nachmittage war wirklich die Allee nach Napoleonshöhe sehr belebt. Da jedoch heut auf Mittwoch der Park für das Publicum nicht geöffnet war, so wurde desto mehr in den Wirthshäusern beider Dörfer und im Keilholz'schen Kaffeegarten eingekehrt.

Jerôme hatte seine Rückkehr aus Nenndorf beeilt, um seiner Gemahlin zuvorzukommen und sie zu empfangen. Die hohen Staats- und Hofbeamten erwarteten ihn unter den Säulen der hohen Treppe. Er schien nicht aufs heiterste gestimmt, sprach nur mit Einzelnen, und zog sich mit Bercagny in eines der nächsten Zimmer zurück. Hier warf er sich ermüdet auf ein Sopha und ließ den Polizeichef mit den Worten an:

Sagen Sie mir, Bercagny, wer ist der verwünschte Correspondent nach Paris? Der Kaiser erfährt auch das Geheimste, was um mich her vorgeht. Haben Sie noch immer nichts ausgemacht?

Ich habe bis jetzt noch keine Spur entdecken können, Sire, antwortete der Polizeichef. Es ist durchaus nichts unterlassen worden. Ich habe mit Pothau die genaueste Ueberwachung der nach Paris gehenden Correspondenz angeordnet; kein pariser Brief bleibt ungelesen, aber – gar nichts, Sire!

Nun, Sie wissen, daß die Heberti, die Thörin, die dem Theater entlaufen war, sich selbst im Justizpalast und bei aller Klugheit nicht hat verborgen halten können. Der gute Simeon thut mir leid, der in das liebenswürdige Geschöpf ganz vernarrt war. Ich weiß, wie man in Paris von ihr denkt, und es ist mir daher ganz recht, daß sie fort ist; nur hätte es nicht vom Kaiser dürfen befohlen werden können. Und sie ist nicht das Einzige, was mein erlauchter Bruder von hier weiß. Sorgen Sie dafür, Bercagny, daß der fatale Spion in aller Kürze entdeckt werde, damit ich mich nicht nach einem bessern Kopfe für die Polizei umzusehen brauche, als wofür ich Sie bis jetzt gehalten habe.

Marinville erschien und Bercagny zog sich ziemlich verblüfft aus dem Gemach zurück. – Es ist in der Ordnung, Sire, berichtete der Cabinetssecretär. Baron Boucheporn hat zu seinem Feste, da es in Costüm sein soll, bereits eingeladen; er wird aber die Einladungen ausdehnen, so wie ich ihm vorgeschlagen. Aus den Ministerien sollen Einzelne der Bureauchefs Einladung erhalten, und ich werde bei Herrn Simeon veranlassen, daß Herr Heister nicht übergangen wird. Der Minister weiß ohnehin, daß sein Divisionschef dem König ein angenehmer Mann ist.

Und wird das Paar annehmen und kommen? fragte Jerôme. Sie sagten mir, Marinville, daß es sich von der Gesellschaft zurückgezogen hält?

Niemand kann ablehnen, Sire, oder wegbleiben, da das Fest zum Wiederempfang beider Majestäten gegeben wird und die Theilnahme als Beweis der Ergebenheit gilt.

Im Augenblick hörte man die blasenden Postillone. Der König erhob sich und eilte mit aufgeräumter Miene hinaus. Die Wagen der Königin fuhren an, und Jerôme stieg die majestätischen Stufen hinab, seine Gemahlin zu umarmen.

Katharina brachte die Prinzessin Hohenlohe-Kirchberg mit und stellte sie dem König vor. Jerôme hieß sie mit vieler Artigkeit willkommen, und führte sie so wie seine Gemahlin an beiden Armen die Treppe hinauf. Und kaum waren sie durch die grüßenden und begrüßten Reihen der hohen Beamten in das Schloß getreten, als vor demselben die volle Musik der Garden zur Bewillkommnung die Nationalhymne spielte: »Où peut-on être mieux qu'au sein de sa famille!«



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