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Als Hermann am andern Morgen ziemlich spät ins Ministerium kam, empfing ihn die freundliche Gräfin auf dem Nischensopha ihres Mannes. – Heut müssen Sie mir berichten, Herr Doctor, sagte sie. Mein Mann ist zu dringenden Vorträgen ins Schloß gefahren. Der König reitet jetzt Nachmittags gern auf die Jagd.
Sie winkte ihn zu sich heran; er mußte ihr vom verlebten Fest erzählen, und berichtete die Ankunft und Vermählung des Freundes Nathusius.
Sie war eben in ihrer liebenswürdigsten Laune, worin sie sich gern mit Freunden neckte. Nichts stand ihr auch reizender als ihr mädchenhafter Muthwille, mit. dem sie sich besonders gegen Hermann gern gehen ließ, nicht sowol vielleicht, weil sie bei seinem edeln und sinnigen Wesen sich mit ihrer Hingebung sicherer fühlte, als weil sie dafür so empfänglich war. Das kleine Geheimniß mit Adelen, das sie von ihm kannte, gab ihrem Wohlwollen eine prickelnde Unterlage, ohne daß es den jungen Freund, der davon nichts ahnete, irgend eingeschüchtert hätte.
Als er in seiner leicht erregbaren Weise von Lina's Besuch erzählte, steigerte sich ihr neckischer Muthwille. Ihrem guten weiblichen Blick entging seine Herzensregung nicht. Sie winkte ihm in ihr Zimmer, setzte sich ans Klavier und sang mit ihrem zarten Singstimmchen die Menuetmelodie:
Als ich noch im Flügelkleide
In die Mädchenschule ging,
O wie hüpft' ich da vor Freude,
Wenn mich
Lina sanft umfing,
Sich – –
Sie konnte vor Lachen über diesen Namen, worauf es ihr nur abgesehen war, den folgenden Vers nur in den Notentönen geben, bis zu den Worten:
Und zu mir sprach: ich bin dir gut.
womit sie aufstand, und lachend nach einem Sessel lief. Frau Gräfin, versetzte Hermann flüchtig erröthend, wenn Sie nicht so »hochgeboren« wären – so gar hoch, daß ich nicht hinaufreichen kann, so würde ich mich rächen! Ich würde – nun ich weiß nicht, was ich würde. So aber darf ich mich nur ein wenig in Ihre berliner Zunge verlieben, wenn Sie singen: In die Mädchenschule »jink«, und – ich bin dir »jut«. Wie glücklich wäre ich, wenn mir einmal eine liebenswürdige Berlinerin sagte: Ich bin dir jut!
Er faßte nach ihrer Hand, sie zu küssen, und sie gab ihm einen lachenden Klapps auf die seinige mit den Worten: Sie Ungenügsamer! Nicht zufrieden, daß Ihnen die liebenswürdigste Casselanerin gut ist, soll Ihnen auch eine Berlinerin noch – »jut sind«. Aber kommen Sie herüber, ich höre meinen Mann anfahren!
Der Minister trat lebhaft und heiter ins Zimmer. – Ah! daß Sie da sind! rief er, Hermann erblickend, und sagte, indem er Hut und Stock dem Diener überließ, zu seiner Frau:
Du kannst gratuliren, Auguste, hier dem neuen Inspecteur des économats!
Excellenz? Herr Graf?
Mehr konnte Hermann in seinem freudigen Schreck nicht vorbringen.
Was lieber Mann? versetzte die Gräfin. Er soll also wirklich unter Baron Coninx arbeiten?
Ja, Liebe, und uns desto öfter als Freund besuchen. Aber, setzen wir uns, und hört! – – Sieh' nur, Auguste, er ist ganz verdutzt! Ich habe ihn überrascht. Aber es kostet mich nichts; ich hatte eben auch eine hübsche Einnahme an Ueberraschung gemacht.
Er führte seine Frau zum Sopha, winkte dem Freund nach einem Stuhle neben ihr und erzählte:
Jerôme war just im Bad, als ich hinkomme, und ich muß warten. Da erscheint unerwartet und mit vergnügter Ungeduld der alte Bongars, und dringt darauf, gemeldet zu werden. Während dies geschieht, flüstert er mir ins Ohr: Ich bringe dem König eine Nachricht, die ihm – in der Hauptsache wenigstens, angenehm sein wird. Wenn Sie etwa eine kitzliche Angelegenheit haben, die auf guten Wind wartet, so lichten Sie die Anker!
In diesem Augenblicke wird er vorgefodert. Die Verhandlungen dauern lange. Meine Ungeduld wächst – ich gesteh's – mit einer gewissen Angst, es möchte eine preußische Neuigkeit sein, so etwa, wie der unglückliche Brief Stein's. Darüber blättere ich in meinem Portefeuille, und finde richtig den früher zurückgenommenen Antrag wegen Ihrer Anstellung, lieber Doctor.
Endlich kommt denn Bongars zurück, mit einem Gesicht, auf dem Vergnügen und Verdruß im Proceß zu liegen scheinen. – Gehen Sie hinein! sagte er mir. Sie werden erwartet. Aber – thun Sie mir um Gotteswillen die Freundschaft, und bringen den König von seiner Idee ab. Er hat für mich – eine Excellenz im Sinn; bitte, lassen Sie mir sie nicht in den Pelz kommen! Geben Sie bessern Rath! Er wird Sie fragen.
Ist es Ernst, General, oder Bescheidenheit? fragte ich. Ich bitte, führen Sie mich nicht in Versuchung!
Voller, gründlicher Ernst! betheuert er. Ich werd's Ihnen danken, wenn Sie von mir abwenden, was mir der König gnädig zugemuthet hat.
Nun? Liebster Hanns, es quält mich; sprich, was ist es? fiel die Gräfin ein.
Gut, ich will nur das Resultat berichten. Also Jerôme, so ungemein freundlich er mich empfing, so höchst aufgeregt sah er aus: lief hin und wieder, wußte nicht wie er mir's sagen, noch weniger wie er's anpacken sollte, und aus den Fingern wollte auch nichts kommen, so sehr er daran nagte und saugte. Die Sache ist die, daß Bongars ihm endlich den geheimen Berichterstatter nach Paris herausgebracht hat. Durch einen gewandten Employé, den er nach Paris geschickt, hat er dort auf der Post alle Briefe aus Westfalen öffnen lassen. Eben war ein sehr umständlicher Bericht über die jüngsten Vorfälle am Hof, ja im Cabinet eingelaufen. Und wer ist der Verräther? Niemand anders als – Herr Savagner, Bercagny's Generalsecretär. Er hat seine Correspondenz nie in Cassel, sondern stets auswärts zur Post gegeben. Sie gelangte unter einer unansehnlichen Adresse an einen Zwischenträger des Kaisers. Bongars brachte Abschrift dessen, was eben in Paris eingelaufen war, mit. Jerôme, der Entdeckung froh, war doch zugleich wüthend, nicht nur gegen Savagner, den er zum Teufel jagen will, weil er ihn nicht hängen lassen kann, sondern auch gegen Bercagny, weil er sich hat täuschen lassen und seinem Generalsecretär Dinge auf die Nase gebunden hat, die zwischen ihm und dem König Geheimniß waren, oder die er durch Marinville kannte. Diese Schwatzhaftigkeit wäre von einem Polizeimann unbegreiflich, wenn man nicht wüßte, daß er eitel auf des Königs Vertrauen ist und dabei zuweilen gutmüthig gegen Angehörige, die er im Jähzorn verletzt hat. Jerôme's erster Gedanke war nun, Bongars als Chef der Gendarmerie zum Polizeiminister zu machen. Er verlangte meine Meinung. Ich schlug ihm vor, die Polizei als selbständige Behörde aufzuheben und als eine besondere Division mit dem Justizministerium zu vereinigen. Dies würde den Hof von aller Spionerie befreien, und im ganzen Lande Freude und Vertrauen erregen; denn die geheime Polizei sei ein Fluch geworden, und die Heuschrecken der Mouchards eine ägyptische Plage. Diese Ansicht machte den König nachdenklich; er behielt sich Ueberlegung vor. Natürlich referirte ich jetzt nur über das Unverschieblichste, ließ aber im rechten Augenblick mein Promemoria über die Anstellung eines Inspecteurs des économats aus der Ledertasche fallen. Jerôme erinnerte sich gleich des frühern Widerspruchs von Bercagny, und – das beförderte jetzt gerade die Sache. – Bercagny hat keinen Blick für die Menschen! sagte er. Aber dies Talent haben Sie, Graf. Auch in dem jungen Mann hat er sich schon geirrt: er wollte ihn als literarischen Spion brauchen. Ah bah! Sie werden aus ihm einen guten Inspector machen. Auch Marinville hat mir ihn empfohlen.
Mit diesen Worten schrieb er sein bewilligt unter meinen Vortrag, und nun bleibt mir nur die weitere Ausfertigung, die ich beeilen werde.
Den Freund unterbrechend, der seinen gefühltesten Dank aussprach, fuhr der Minister fort:
Im Grund hat der König, was man ein gutes Herz nennt, nur mit allen Schwächen des guten Herzens. Hat er einmal etwas Rechtes bewilligt, so juckt ihn sozusagen das Bewilligen. Er ist dann leicht zu misbrauchen, ja er misbraucht sich selbst. So rief er mir, als ich schon entlassen war, nach, ob ich die zwei herrlichen Reitpferde schon gesehen hätte, die er vom Kaiser zum Geschenk erhalten. Und als ich verneinte, sagte er: Es sind zwei kostbare Pferde, Graf, ein feuriger Neapolitaner von kräftigem Wuchs und edelm Anstand, und ein Araber der besten Familie; er wird für einen Kohlani ausgegeben.
ohlani , lieber Mann? fragte die Gräfin.
Ja wohl, Auguste! Du weißt doch, daß die Araber auch Stammbäume ihrer guten Pferderacen führen. Nun haben sie eine Legende, wornach der Prophet fünf Racen besonders gesegnet und über den Augen mit Kohol, wie die Frauen ihre Augenbrauen, gefärbt hätte. Ein Abkömmling von einer dieser Racen heißt dann ein Kohlani.
Ich bin nun überreich an Reitpferden, fuhr der König fort, und habe deshalb gestern dem Obersten von Dörnberg meinen spanischen Rappen geschenkt, der ihm immer so gefiel. Mein lieber Oberst ist ein vortrefflicher Reiter, wie überhaupt ein wackerer, ritterlicher Mann und mir sehr ergeben. Ihnen, lieber Graf, werde ich meinen Grauschimmel der Berberei zuschicken. Haben Sie nicht einmal den kühn geschwungenen Hals und den kleinen Kopf mit den klugen Augen bewundert?
So nöthigte er mich, das Pferd zu preisen, um mir den Dank abzuschneiden. Er that dies auch noch mit abwehrender Hand, indem er lachend sagte: Hören Sie, Graf, ich habe mir einen Spaß ausgedacht. Dieser Tage kommt der Fürstbischof von Corvey, um mit uns zu jagen. Sie wissen ja, er ist einer der Apostel, die nicht in alle Welt gehen, das Evangelium zu predigen, aber in alle Wälder reiten, um Hirsche und Wildschweine zu bekehren. Ihn will ich den neuen Neapolitaner reiten lassen. Mir ist das Thier zu lebhaft; aber der wackere Baron Lüning-Ostwig hat die Schenkel eines Cölibatärs, und wird sich im Sattel halten. Aber wir wollen lachen, wenn er etwa das kleine, dreieckige Hütchen vom Kopfe verliert, das er zu seinem Jagdcostüm zu tragen pflegt.
Als Bülow lachend schwieg, fragte die Gräfin:
Also hast du den Grauschimmel angenommen, lieber Mann?
Nun ja, Auguste! Ich dachte, wenn ein König vom Kaiser nimmt, kann ein Graf vom König nehmen.
Gewiß, lieber Hanns! Und wenn ein Graf vom König nimmt, kann ein Inspecteur des économats vom Grafen nehmen. Dein Mecklenburger muß ja nun doch dem Grauschimmel Platz machen. Unser Freund da braucht nun einen Gaul im Dienst und wird sich auch gern unter den Töchtern des Landes umsehen, und wenn er etwa keine Lina mehr frei findet, kann er sich eine Ida oder Minna nehmen, immerhin ein minnigliches Wesen, das ihm »jut« ist.
Der anmuthige Scherz erregte Lachen und Verlegenheit zugleich; diese nicht nur bei Hermann, sondern einigermaßen auch beim Grafen, der so unerwartet über sein bisheriges Reitpferd verfügt sah. Doch sagte er mit artigem Lächeln:
Du bringst mich um das Verdienst des ersten Gedankens, Auguste, beruhigst mich aber dadurch über ein Bedenken. Wenn der neue Inspector nur Nebenritte auf die Freierei macht, so hat das gute Wege; wie aber, wenn er sich zum berittenen Rebellenanführer machte? Und der Minister hätte ihm sogar noch das Pferd dazu gestellt?
Weißt du was, lieber Mann? erwiderte sie. Er muß uns vor allem versprechen, daß er zuerst heirathen will, dann wird's auch mit der Rebellion gute Wege haben. Was sagen Sie dazu, Herr – Darf ich ihn schon Inspector nennen, lieber Bülow?
Unter uns, ja, liebe Auguste. Ich werde gleich das Anstellungsdecret entwerfen und von der saubersten Hand in meinem Bureau zur Unterschrift des Königs ausfertigen lassen.
Also, Herr Inspector, was meinen Sie dazu? wendete sich die Gräfin an Hermann.
Hermann, der sich auf die gute Laune der liebenswürdigen Frau gar wohl verstand, antwortete mit gutem Humor:
Wie mir scheint, gnädige Gräfin, setzt beides eine ebenso reizende als bedenkliche Cavalcade oder Ritterschaft voraus – aus Freierei für das eigene Haus, oder für die Freiheit des Volks zu satteln. Auch ist es eine schwer zu beantwortende Frage, ob man erst gegen gefährliche Riesen ausreiten und die besiegten seiner Dulcinea zusenden soll, um ihre Huld zu verdienen, oder ob man vorher seine häusliche Statthalterschaft gründe, um zu wissen, wofür man gegen Riesen oder Windmühlen ausreite. Ich bin auf morgen zur Trauung des Herrn Nathusius eingeladen; vielleicht, daß mir in dieser feierlichen Stunde eine gute Eingebung zu Hülfe kommt, oder ich mit Shakespeare's Worten die Warnung erhalte: Sir, set your knighthood a side! (Herr, setzt Eure Ritterschaft beiseite!)
In diesem Augenblicke trat der alte Faust mit der Meldung ein, Herr Nathusius mit Braut wünschten aufzuwarten.
Sehr willkommen! rief Bülow und eilte ihnen entgegen.
Auch die Gräfin erhob sich, die Braut zu umarmen.