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4.
Kloster Walkenried

Gründung und Bedeutung. Die Ruinen. Die Zerstörung. Der Kreuzgang.


. Wo die Harzberge gen Süden sich zur goldenen Aue hinabsenken, liegen die Ruinen des Klosters Walkenried. Vier Jahrhunderte sahen die Glanzzeit dieses mächtigen Klosters, bis ein einziger Tag der Zerstörung auch seine Große der Vergangenheit anheimgab. Aber sein Dasein war nicht umsonst gewesen, sein Wirken nicht vergeblich. Walkenried hat eine große Rolle gespielt in der Geschichte des Harzes und eine wichtige, kulturelle Aufgabe erfüllt für die ganze Gegend umher. Als Gräfin Adelheid von Klettenberg im Jahre 1127 das Kloster gründete, welches zuerst mit Benediktinern, später mit Cisterciensern besetzt wurde, litt die Gegend alljährlich von schweren Ueberschwemmungen, welche die wilden Harzgewässer hervorriefen, und die goldene Aue, deren Name gar wenig zutraf, lag versumpft und unfruchtbar. Da ließen die Mönche aus der Gegend ihres Mutterklosters, der ältesten Cistercienser-Abtei Deutschlands, Alten-Kampen bei Köln, Ansiedler kommen, die das Wasser zurückdämmten, die Sümpfe entwässerten und zu fruchtbarem Land umgestalteten; und wie die Mönche hier den Flächen der Erde die Gaben abgewannen, so griffen sie als kühne Bergbauer auch tief in ihren Schooß und hießen das kostbare Erz hervorkommen an das Licht des Tages. Auf die Entfaltung des Bergbaues am ganzen Harz gewann das Kloster durch Energie und Unternehmungslust so großen Einfluß, daß sein Wirken noch heute unvergessen ist, daß ihm selbst aber die kostbarsten Schätze zuströmten und sein Reichthum sprichwörtlich wurde in den tannenumrauschten Bergen. Schnell und mächtig wuchs das Ansehen Walkenrieds, und das reichsunmittelbare Besitzthum, welches das Kloster sich zu erwerben gewußt, umfaßte die Ortschaften Neuhof, Wiede, Zorge und Hohegeiß, von denen die letzteren drei um und aus Eisenhütten entstanden waren.

Auch in der Geschichte der deutschen Herrscher spielt Walkenried's Name in den Jahrhunderten seiner Blüthe eine Rolle. Hier war es, wo Heinrich der Löwe Zuflucht und Pflege fand, als er gebrochen und krank mit Kaiser Heinrich VI. den Frieden suchte. Zu Saalfeld sollte im Beginn des Jahres 1194 die Begegnung zwischen den beiden Männern stattfinden, welche einander so lange bekämpft; auf den schlechten Wegen des Harzes aber stürzte Heinrich der Löwe mit dem Pferde und als schwer wunder Mann ward er zu den Mönchen von Walkenried gebracht, die ihn freundlich aufnahmen und sorgsam pflegten. Und in die Todesstunde seines kaiserlichen Sohnes klang wieder der Name eines Abtes von Walkenried hinein. Als Kaiser Otto IV. sein kampfreiches Leben aushauchen wollte auf der Harzburg, die er neu hatte errichten lassen und vor allem liebte, da sandte er zu dem Abte dieses Klosters, um sich mit der Kirche durch ihn zu versöhnen. In seiner Gegenwart legte er die Beichte ab und ließ sich unter dem Gesänge des Miserere mit Ruthen streichen. So endete ein Herrscher, der im Leben unter Acht und Bann zu trotzigem, verzweifeltem Kampfe stets bereit gewesen und nun im Tode sich doch vor der Macht der Kirche beugte, die in der Person dieses Abtes verkörpert vor ihm stand. Stolz, wie der Geist der Aebte und Mönche, strebte denn auch ihr Kloster empor. Die Cistercienser waren ursprünglich einfache Leute und suchten in ihren Bauten den bescheidenen Sinn des Ordens auszudrücken. So mag der erste Bau des Klosters und der Kirche erschienen sein, ohne großartige Thurmanlage nach Westen, nur auf der Kreuzungsstelle der beiden Kirchenschiffe mit einem Vierungsthurme versehen, dessen Glocken zum Gebet auffordernd riefen, in allen Formen streng, abgeschlossen und ohne Schmuck. Als aber im 13. Jahrhundert eine Erneuerung des Gebäudes nöthig wurde, schwand dieser Charakter. Die Grundform freilich wurde beibehalten, in der Ausdehnung des Ganzen aber und in der Mannigfaltigkeit der Formen wußten die Mönche ein Denkmal ihrer Macht zu schaffen, das die goldene Aue weithin stolz überschaute und nicht mehr als Zufluchtsort eines bescheidenen, demüthigen Ordens dastand, sondern als prächtigster Palast der Allherrscherin Kirche.

Und was ist heute von Walkenried übrig geblieben? Fast nichts als Ruinen. Keine Glocke ruft die Besucher mehr, und wenn alljährlich doch eine größere Schaar von Wallfahrern von den Harzbergen herabsteigt und zu den Trümmern herantritt, so ist es nicht mehr die Stimme des Glaubens, welche sie mahnt, sondern der Ruf der Schönheit und der Poesie, welcher sie lockt. Auf den ersten Blick erscheint der Bau zum größten Theile zerstört und vom Boden vertilgt; denn man sieht zunächst nur die Reste der ehemaligen Klosterkirche, während der Kreuzgang des Klosters den Augen verborgen bleibt. Und diese Reste sind verhältnißmäßig sehr gering; von der Kirche selbst steht nur noch eine Langwand und die Chorpartie, letztere dem Stile nach am jüngsten, beide in Trümmern. Aber auf dem weiten Rasenplatze, der jetzt mit seinen freundlichen, anspruchslosen Frühlingsblumen den Boden der Kirche bildet, liegen hier und dort zerstreut noch mächtige Reste des alten Gebäudes, gewaltige Schlußsteine der verschwundenen Gewölbe, schön gegliederte, kräftige Basen längst gestürzter, verlorener Säulen. Pfeilerstücke und Konsolen und manch unkenntliches Steinstück ragen empor aus dem froh dem Lichte entgegensprossenden Grase. Und hier kann die Phantasie ihr Spiel beginnen und ihre Tochter, die Poesie, zu schönem Leben erwecken. Geschäftig geht sie ans Werk und baut aus den wenigen Ueberbleibseln die alte Herrlichkeit wieder auf. Hier ragten die Säulen empor, hier setzten die Gewölbe sich an, hier, in diesen Fenstern, glänzte buntfarbiges Glas, und durch die leuchtenden Heiligengestalten fiel das Licht der Sonne; hier stand der Altar, und gläubige Menschen neigten reuig das Knie vor der unbekannten Macht über ihren Häuptern. Das Symbol dieser Macht aber war und ist das Licht; nach Osten beugt sich der Christ, wenn er betet, der Sonne, der allgewaltigen, lebenerzeugenden entgegen, wie der Indianer ihr entgegenschauend sie verehrt, wenn sie aus dem Meere emporsteigt, und wie die Griechen das Antlitz zu ihr emporrichteten und das Bild des Apollon anbeteten.

So denkend träumen die Söhne des neunzehnten Jahrhunderts unter den Trümmern der Vergangenheit und, als wären sie gläubig und gottbegeistert, wie die einst in diesen Räumen waltenden Mönche, suchen sie wenigstens im Geiste wieder das Haus zu errichten, das dem Dienste des Höchsten geweiht war. Und wie das Auge emporstreift an den Mauerresten, und wie die Phantasie die mächtigen Wölbungen und Hallen zu erneuern strebt, vermischt sich im Geiste das Endliche mit dem Unermeßlichen; wo sonst ein Schlußstein die aufstrebenden Blicke festhielt, da schweifen sie jetzt in die unermessene Höhe der Himmelswölbung, unbewußt setzen wir das Grenzenlose an die Stelle des Begrenzten und wir erzittern vor der Allgewalt des Erschaffenen. Scheu kehrt der Blick zur Erde zurück und ruht aus auf dem freundlichen nahen Bilde. Aus den sich lockernden Fugen sind kleine Büsche und Gesträuche gedrungen, oben auf einem wankenden Strebepfeiler, auf dem Kapital einer Säule zittert das anmuthige Laub der Birke, und Sommervögel singen in den Zweigen, wenn der Himmel auch heute grau ist und kein Sonnenstrahl sie ermuntert. Wie anders tönt das, als der einst hier von längst vermoderten Lippen verklungene Gesang! Wohin sind sie gekommen, alle die einst hier beteten? Haben sie gefunden, was sie suchten, werden wir finden, was wir suchen? Wir fragen und grübeln, und dabei versinkt die Seele in jenes träumerische Sinnen, das so süß ist und das uns die Erinnerung an jene Orte so lieb macht, welche dasselbe in uns erzeugten.

«Die Kirche ist in den Bauernkriegen zerstört», erzählt der Schulmeister, der die Besucher jetzt in den Ruinen umherführt. Ja, in den Bauernkriegen ist Walkenried zerstört. Von Thüringen her hatte sich der furchtbare Aufstand auch auf den Harz ausgedehnt, und 1525 erhoben sich in der Gegend von Lauterberg und Herzberg die Landleute zu wüstem Kampf. Flüchtige Boten trugen die Kunde von ihren Thaten durch das Land und erzählten von der schonungslosen Zerstörung der Schlösser und Klöster. Auch nach Walkenried drangen diese Nachrichten, und als die Gefahr näher und näher heranrückte, bot der Abt den Mönchen einen Zehrpfennig, um sich mit den Schätzen des Klosters in die benachbarten Städte zu flüchten. Die Meisten folgten der Aufforderung des Abtes und schieden schweren Herzens von der friedlichen Stätte, welche ihnen eine Heimath gewesen, eine kleine Schaar nur wollte sich nicht trennen von den altgewohnten Räumen und blieb muthig zurück, um die Gefahr zu erwarten. In Sorge und Noth harrten sie des Nahens der blutbefleckten Feinde. An einem schönen, jungen Sommertage schaute das bleiche, angstvolle Gesicht eines Mönches vom Thurme herab unermüdet in der Richtung, von wo die Verderber kommen sollten. Kalter Schweiß stand ihm vor der Stirn, seine Lippen bebten, und der Rosenkranz entglitt der zitternden Hand. Der helle Sonnenschein lag auf der einsamen Gegend, aber der Mann auf dem Thurme sah ihn nicht, er starrte auf einen Punkt am Horizonte, das Herz erzitterte ihm, und er mochte sich doch nicht gestehen, was er sah. Aber da war es wieder, klarer, deutlicher, schrecklicher – in einen Mantel dunklen Qualms gehüllt das blutrothe Licht lodernden Feuers, die Brandfackel der sengenden und mordenden Bauern.

Der Mönch mußte sich an der Thurmwand halten, als er niederstieg, und aus seinen Zügen lasen die Brüder das Entsetzliche. Stumm schritten sie in die Kirche und knieten nieder und beteten; so sah sie die niedergehende Sonne und sah, wie Mancher schmerzlich zu ihr emporblickte, der ihr Licht nicht wieder schauen sollte. Die Sonne sank, und ein friedliches Abendlicht spielte in den Hallen der Kirche, aber in die heilige Stille hinein erklang näher und näher ein Ton, wie vom Brausen des Meeres; die Zerstörer nahten. Aus dem einen dumpfen Getöse lösten sich einzelne Töne ab, laute Rufe, schrilles Pfeifen, Pferdegetrappel und wilder, trunkener Gesang, und jetzt, jetzt standen die Schreckensbringer vor den Mauern, Einlaß fordernd und trotzig drohend. Aber die Mönche öffneten ihnen nicht, tiefer beugten sie das Haupt zur Erde, heißer entströmte ihren Lippen das Gebet. Mit scheu seitwärts gewandten Blicken sahen sie die Brandfackeln vorüberfliegen an den hohen Fenstern, hörten, wie das zertrümmerte Glas klirrend niederstürzte – dann hörten sie noch ein anderes, unheimlicheres Geräusch. Ueber ihren Häuptern ward es lebendig, auf dem Dache über dem Chore begann ein seltsam schreckliches Treiben, um so schrecklicher, weil unerklärt. Dann kam eine kurze Zeit, in der es wieder stiller wurde, eine Ruhe, wie vor dem Gewittersturm, und dann ein Augenblick, wo alle die Beter in die Höhe geschreckt dastanden und ihnen das Blut gerann vor Entsetzen; denn sie schauten in das Angesicht des Todes. Ein furchtbares Krachen ging durch den Raum, ein mächtiger Körper stürzte mit donnergleichem Getöse auf die Gewölbe, berstend öffneten sich die steinernen Massen – dann verhüllte eine hochaufwirbelnde Wolke von Staub und Schutt milde den Schauplatz des Todes. Als sie sich verzog, lag die Nacht über der Erde und die Sterne des Himmels schauten hinein in den Raum der Kirche und auf die bleichen, todten Gesichter.

«Die Bauern», sagt wieder der Schulmeister von Walkenried, «vermutheten Silber in der Glocke des Vierungsthurmes und deshalb schlangen sie Seile um denselben und an mächtigen Hebebäumen ziehend stürzten sie ihn nieder auf das Kirchdach, daß er die Gewölbe zertrümmerte. Seitdem ward die Kirche verlassen.» Pax vobiscum, ihr todten Mönche.

Herrlich ist der Kreuzgang von Walkenried! Er erscheint, wenn man eben die wenigen, wankenden Trümmer der Kirche gesehen hat, wohl erhalten, und seine Hallen sind so friedlich und weltabgeschieden, wie in den Tagen, als hier die Mönche wandelten. Der Kreuzgang ist in der Uebergangszeit erbaut, seine nach Norden, der Kirche zu gelegene Seite ist doppelschiffig und am reichsten ausgestattet; Säulen von feinster, spätromanischer Arbeit tragen hier die hohen Kreuzgewölbe, während spitzbogige Arkaden den Blick auf den stillen, übergrünten Friedhof und auf die anderen den Platz umschließenden Hallen eröffnen. Und zu den reizenden Formen der Kapitale und Basen, zu den feinen Linien der aufsteigenden Gewölbrippen und Hohlkehlen gesellt sich in diesen prächtigen Gängen, um das Schöne noch schöner erscheinen zu lassen, ein eigenthümlich wundervolles Farbenspiel. Alle Architekturtheile leuchten gleichsam von innen heraus in halb gebrochenen und doch kraftvoll glänzenden Farbentönen, in Roth und Grün und saftigem, warmem Braun. Der schlüsselklirrende Führer macht einen schwachen Versuch, uns zu überzeugen, daß es Pilze seien, die den alternden Stein überziehen und so bunt schillern, aber wir wissen es besser und glauben ihm nicht. Denn die Erscheinung ist nicht so einzig, als sie herrlich ist; wie hier, findet sie sich in manchen alten Bauwerken und erklärt sich einfach. Nach dem Sinne des Mittelalters waren alle Architekturtheile in kräftigen Farben bemalt; es kamen kriegerische, unruhige Zeiten, und weiße Tünche deckte die Malereien. Aber die beizenden, mineralischen Farben ließen sich nicht ganz ertödten und zum Theil den Ueberzug durchdringend traten sie wieder ans Licht, den eigenthümlich reizenden Schimmer über das Mauerwerk ausbreitend, den wir jetzt bewundern. Und so steht Walkenried in der Erinnerung, zwar umzogen von trüben, regendrohenden Morgenwolken, aber verklärt und erleuchtet durch das nie verlöschende Licht der Schönheit.


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