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6.
Ein vergessenes Schlachtfeld

Die Schlacht bei Ronnenberg. Der Untergang des Thüringerreiches. Auftreten und Landerwerb der Sachsen. Das heutige Ronnenberg. Die sieben Trappen.


. Tausende stehen hier und blicken auf das Schlachtfeld, ohne des blutigen Schauspiels zu gedenken. Vom Ring der Hügelkette umschlossen liegt das Feld gleich einem flachen Seebecken da, und in ihm rauschen die gelben Wogen des reifenden Kornes. Sie rauschen und flüstern, aber sie erzählen nichts. Sie verrathen nichts von den Geheimnissen, welche der Boden den Halmen anvertraut, die in ihm wurzeln. Er weiß von der Schlacht, welche hier – es ist lange her – geschlagen wurde, denn er ist mit Blut gedüngt, und in ihm ruhen vergangen und wieder zu Staub geworden die Gebeine derer, die hier zu Tode getroffen vom Lichte der Sonne Abschied nahmen. Die Sonne hat es gesehen, dieselbe, die jetzt das Abendlicht über die friedliche Landschaft ausgießt, aber auch sie geht schweigsam am Himmel entlang und verkündet nichts von dem, was hier geschah. So ist sie gewandert jeden Tag von Osten nach Westen und wieder von Osten nach Westen, länger als dreizehnhundert Jahre, seit jene mörderische Schlacht geschlagen wurde. Der Boden hat das Blut aufgesogen, der Frühling ist darüber hingegangen und hat junge Blüthen emporgelockt, der Winter ist tobend herangebraust und hat den Schnee darüber hingeschüttet, und das ist so oft geschehen, und so viele Menschen sind seitdem geboren und gestorben, daß die Schlacht von Ronnenberg fast vergessen und ausgelöscht ist aus dem Gedächtniß der Lebenden. So gehen Tausende vorüber und blicken auf das Schlachtfeld und wissen nicht, was an dem Tag geschah.

Und doch sollte die Erinnerung an dies Ereigniß nicht sterben. Denn jene Schlacht, welche um das Jahr 531 hier in der Nähe Hannovers bei dem Orte Ronnenberg geschlagen wurde, gab den Anlaß, daß unsere Vorfahren, die Sachsen, das Land erwarben, auf welchem wir ihnen dankbar heute noch wohnen. Bis dahin dehnte sich weit nach Norden das große Thüringerreich aus, das zu Anfang des 6. Jahrhunderts in seiner stärksten Machtentfaltung von den Grenzen der Baiern und Alemannen sich über den Thüringerwald hinaus, über die Berge des Harzes hinweg bis nach der unteren Elbe erstreckte. Ueber das gewaltige Reich aber herrschte Irminfried, durch Blutthat und Verrath zu dieser Macht gelangt. Brudermord und Bruderkrieg hießen die Mittel, mit denen er um die Herrschaft geworben, und ein grausames Weib, Amalberga, war ihm zur Seite, das ihn mit bösem Rath zum blutigen Beginnen antrieb und reizte. Berthar und Baderich waren die Brüder, die neben ihm standen und mit ihm das Reich theilen sollten, Berthar aber fiel von dem Schwerte des Bruders, und Baderich allein blieb übrig, um neben Irminfried über das Thüringervolk zu herrschen. Doch Amalberga duldete nicht die Theilung des Reiches. Mit aufstachelnden Reden reizte sie den Gatten zum Bruderkrieg, und als er eines Tages – so erzählt Gregorius von Tours – zum Mahle kam, fand er den Tisch nur halb gedeckt, und da er sie fragte, was das bedeuten solle, antwortete sie: «Wer das halbe Reich nur sein nennt, muß auch den Tisch nur halb gedeckt haben». So reizte sie ihn auf und trieb ihn zu der unseligen That, welche ihn und sein Reich verderben sollte. Denn weil er allein sich zu schwach fühlte, den Bruder zu besiegen, warb er um Hilfe drüben überm Rhein und sandte Boten um Bundesgenossenschaft zu dem mächtigen Frankenkönige Theodorich. Er warb ihn zur Unterstützung im Kampfe gegen den Bruder und gelobte im Geheimen: «Wenn Du ihn tödtest, so wollen wir sein Reich zu gleichen Theilen theilen». So kamen die Franken ins Land, und ein Krieg entbrannte, in welchem Baderich unterlag und Land und Leben verlor. Nach dem Siege jedoch vergaß Irminfried sein heimlich gegebenes Versprechen, und nachdem das Frankenheer wieder abgezogen war, bemächtigte er sich für sich allein des ganzen Thüringerreiches. Wie er aber den Bruder durch unbrüderliche That mit fremder Hilfe beseitigt, so ging er selbst mitsammt seinem Reich an dem Treubruch zu Grunde, zu welchem der Bund mit dem Frankenkönig ihn geführt hatte.

Denn Theodorich ergrimmte über den Wortbrecher, rüstete sich zum Kampfe gegen das Thüringerreich und dessen ungetreuen Herrn und warb Hilfe bei seinem Bruder Chlothar. Den Muth der Franken aber stachelte er durch die Erinnerung an Gewaltthaten der Thüringer gegen sie in früheren Kriegen und sprach also zu dem versammelten Heer: «Gedenket, ich bitte, voll Ingrimm an die Schmach, die mir angethan, und an den Mord eurer Väter. Erinnert euch daran, wie die Thüringer einst über unsere Väter mit Gewalt hereinbrachen und ihnen viel Leid zufügten, da diese doch ihnen Geiseln stellten und Frieden mit ihnen machen wollten. Aber jene tödteten die Geiseln auf verschiedene Art, brachen herein über eure Väter, nahmen ihnen alle ihre Habe, hingen die Knaben an den Bäumen auf und ließen mehr als zweihundert Mädchen eines grausamen Todes sterben. Denn sie banden ihre Arme auf den Nacken der Pferde und peitschten diese mit aller Gewalt, da stoben sie nach entgegengesetzten Seiten auseinander und zerrissen die Mädchen in Stücke. Andere legten sie auf die Wagengeleise der Landstraßen, befestigten sie mit Pfählen am Boden und ließen schwere Lastwagen darübergehen, die ihnen die Beine zerbrachen: dann warfen sie die Leiber den Hunden und Vögeln zur Speise vor. Und nun hält Irminfried mir nicht das Versprechen, das er mir gab, und will es in keiner Weise erfüllen. Seht, wir haben eine gerechte Sache! Laßt uns also unter Gottes Beistand gegen sie ziehen!» Da die Franken das hörten, wurden sie voll Ingrimm über solchen Schimpf, und sie zogen einmüthig alle nach Thüringen. Außer dem Bruder Chlothar hatte Theodorich auch seinen Sohn Theodobert zur Hilfe aufgeboten, und so war ein drohendes, mächtiges Heer zusammengebracht, das er gegen die Thüringer ins Feld führte zum Rachekampf. Er zog gen Osten und kam ins Land diesseit der Weser. Wahrscheinlich auf der Straße, die an den Deisterbergen entlang sich zieht, kam das Heer heran bis in den Gau Marstem, in welchem Hannover liegt. Und hier bei dem Orte Runibergun trafen Franken und Thüringer aufeinander. Auch diese hatten auf die Kunde von der Franken Heerfahrt mit Eifer gerüstet, und es waren stattliche Schaaren, die einander zum Entscheidungskampfe gegenüber traten. Auch mit List stellten die Thüringer, die vermuthlich auf den Höhen von Ronnenberg verschanzt den Feind erwarteten, den fränkischen Reitern nach. Auf dem Felde, wo der Kampf entschieden werden sollte, hatten sie tiefe Löcher gegraben und diese mit Rasen überdeckt, so daß es eine gleiche Fläche zu sein schien, und als nun die Reiter der Franken heranstürmten, brachen diese ein und stürzten hinab in die Gruben. Mancher Mann verlor so das Leben, und die Wucht des Angriffs wurde gebrochen. Ein wüthender Kampf entbrannte hier auf dem Felde bei Runibergun. Die Sonne ging auf und wieder nieder, und noch war das Schicksal der Schlacht nicht entschieden; ein zweiter Tag ging über die Welt, ohne daß der Sieg sich auf die eine oder andere Seite geneigt hätte, und erst am dritten Tage begannen die Schlachtreihen der Thüringer zu weichen. Furchtbar hatte das Schwert gewüthet, und die Stätte der Schlacht trug das blutige Zeichen des Mordes. Niedergetreten die Blumen und das frische Gras, zerstampft der Boden von wüthenden Rossen, getränkt die Erde mit dem rothen Naß, das aus den versiegenden Quellen des Lebens strömte. Mit Todten und Sterbenden, mit zerbrochenen Waffen und zerschmetterten Schilden war das Feld bedeckt, und im Angesichte dieses grausen Schauspiels neigte der Stern des Thüringerreiches sich zum Untergange. Mehr Blut mußte noch fließen, bevor er gänzlich erlosch, aber mit der dreitägigen Schlacht von Ronnenberg war der Würfel der Entscheidung geworfen und der Untergang eines Reiches besiegelt, das von den süddeutschen Bergen bis fast zum nordischen Meere sich erstreckt hatte.

Die Thüringer flohen nach Süden, und Theodorich folgte den Flüchtigen. Auch sein Heer war arg geschwächt durch den Verlust von Tausenden, und als eine zweite Schlacht an der Ocker die Schaar seiner Streiter noch mehr gelichtet hatte, ging er mit den Feldherren und Hauptleuten seines Heeres zu Rathe, ob er die Thüringer, welche sich in die Burg Schidungen an der Unstrut zurückgezogen und dort verschanzt hatten, noch weiter verfolgen, oder im heimischen Lande ein neues, stärkeres Heer aufbieten solle. Manche riethen zur Heimkehr und zur Pflege der Verwundeten, ein vertrauter Diener des Theodorich aber, der sich ihm durch manchen klugen Rath werth gemacht hatte, gab mit seinem Worte den Ausschlag zum Weiterführen des Krieges. So wenigstens erzählt Widukind, der Mönch von Corvey, der im 10. Jahrhundert begeistert für die Kriegsthaten seines Sachsenvolkes dessen Geschichte schrieb, und der hier, wo die Sachsen eine wichtige Rolle zu spielen beginnen, breiter und ausführlicher berichtet. Jener Mann nämlich wies den Frankenkönig darauf hin, wie das Schönste die Beharrlichkeit sei, die seine Vorfahren so hoch gehalten, daß sie eine begonnene Unternehmung selten oder nie aufgaben; und indem er daran mahnte, wie die Thüringer sich in einer Zeit des Friedens wieder erholen, auch mit Geld, an dem es ihnen nicht fehlte, barbarische Völker zur Kriegshilfe werben könnten, erzeugte er in Theodorich's Brust den Gedanken, selbst solche Hilfe zu suchen, um die Thüringer ganz und für immer vernichten zu können. Und hier ist der Moment, wo die Sachsen aus dem Dunkel hervortreten, das ihre früheren Thaten und ihre Wohnsitze unseren Augen verhüllt. Woher sie gekommen und wo sie zuerst gewohnt, Niemand weiß es genau zu sagen. «Die Meinungen über diesen Gegenstand sind verschieden,» sagt Widukind, «da die Einen glauben, die Sachsen stammten ab von den Dänen und Northmannen, Andere aber die Herkunft derselben von griechischem Geschlecht behaupten, wie ich selbst in früher Jugend jemand rühmen hörte, daß die Griechen selber angäben, die Sachsen seien Reste des macedonischen Heeres gewesen, welches dem großen Alexander gefolgt und nach dessen Tode über den ganzen Erdkreis zerstreut worden sei. Gewiß aber wissen wir, daß die Sachsen in diese Gegenden zu Schiff gekommen und zuerst an dem Orte gelandet sind, der noch heutiges Tages Hadolaun genannt wird.» Dann erzählt Widukind weiter, wie die Sachsen zunächst sich in einem Hafenplatz Hadolauns, des jetzigen Landes Hadeln, festgesetzt, bis sie durch eine List größeres Besitzthum erwarben. Ein Sachsenjüngling, reich mit Goldschmuck behangen, begegnete einem Thüringer, und dieser erbot sich, das Gold ihm abzuhandeln. Jener forderte als Kaufpreis nichts weiter, als einen Mantel voll Erde, den der Thüringer lachend gewährte. Der Sachse aber nahm die Erde und bestreute mit derselben eine weite Fläche Landes, von welcher seine Volksgenossen nun triumphirend Besitz ergriffen. Was durch List erworben war, mußte im Kampfe behauptet werden, doch blieben die Sachsen die Herren des neu gewonnenen Landes.

Was an dem sagenhaft klingenden Berichte wahr ist, haben die Gelehrten vielfach erörtert. Das eine steht jedenfalls fest, daß die Sachsen im 6. Jahrhundert in den Küstengegenden unseres Landes feste Sitze und ausgebreitete Macht besaßen, und daß sie bei den Nachbarvölkern durch Wildheit, Kraft und kühne Beutelust gefürchtet und angesehen waren. So waren sie es denn, auf welche Theodorich griff, als er die Unmöglichkeit erkannte, aus eigener Kraft allein dem Thüringerreiche den Todesstoß zu versetzen. Er warb die Sachsen als Bundesgenossen und versprach ihnen einen ansehnlichen Theil des feindlichen Reiches zu ewigem Besitze, wenn sie ihm hülfen, die Burg Schidungen zu brechen und die Thüringer zu vernichten. Neun Feldherren, einen jeden mit tausend Kriegern, sandten die Sachsen hierauf zu den Franken, und im Lager Theodorich's erhob sich lauter Ruf der Verwunderung, als die riesigen Gestalten erschienen. Ihre Waffen, das lange Messer «Sachs« vor allem, das sie an der Hüfte trugen, ihre Tracht und ihr lang wallendes Haar wurden angestaunt, und Stimmen erhoben sich, welche sagten, daß die Franken solch gewaltige Freunde nicht gebrauchen könnten. Denn wenn sie das Land bewohnten, würden sie es sein, welche dereinst das Reich der Franken zerstören würden. Theodorich aber hörte nicht auf diese Stimmen, sondern hieß die starken Bundesgenossen willkommen und übertrug ihnen den Sturm auf die Burg. Und noch einmal erhob sich der Kampf um die Existenz des Thüringerreiches, noch einmal erfüllte sich die Luft mit dem Lärm der Schlacht, und Tausende sanken hin in den Tod. Der Lohn des Kampfes aber war der Sieg, und obwohl der Thüringerkönig Irminfried selbst mit kleinem Gefolge entkam, so war doch seine Macht gebrochen, sein Reich den Feinden zur Beute gegeben. Treuer, als er dereinst, hielt Theodorich sein den Sachsen gegebenes Wort und setzte sie als Herren ein in dem nördlichen Theile des Thüringerreiches bis zur Unstrut und Saale hin, den er ihnen gelobt. Das südliche Thüringen aber verleibte er in dem eigenen Reiche ein. So erwarben die Sachsen die Sitze, in denen ihre Nachkommen heute noch leben, und nicht geziemt es sich für diese, die Thaten der Väter zu vergessen, welche ihnen die Heimath begründeten.

Ronnenberg, dessen Name mit diesen Kämpfen so eng verknüpft erscheint, ist heute ein wenig beachtetes Dorf, das sich am Hügel hinanzieht und vom Thurm einer schönen alten romanischen Kirche beherrscht wird. Sicherer noch, als sonst, kann man aus dem Namen des Ortes schließen, daß hier die Sitte befolgt wurde, das christliche Gotteshaus an der Stätte heidnischer Gottesverehrung zu errichten. Denn Runibergun heißt «die Zauberberge», und so verkündet das Wort schon, daß den Ureinwohnern dieses Landes die niedrigen Berge, welche das Schlachtfeld von Ronnenberg im Ringe umschließen, der Benther, der Gehrdener, der Tönnies-Berg als geheiligt galten und eine uralte Kultusstätte bezeichneten. Die Kirche von Ronnenberg verräth durch ihre Lage wohl heute noch den Platz der heidnischen Opfer, und der Thurm des christlichen Gebäudes ist so als Wegweiser an der Grenze zwischen Christenthum und Heidenthum aufgerichtet, zurückweisend in lange vergangene Zeiten.

Nicht weit von Ronnenberg findet sich noch ein zweites interessantes Denkmal verflossener Tage, nicht durch historische Erinnerungen bedeutsam gemacht, aber vom bunten Zaubernetz der Sage umsponnen. Es sind «die sieben Trappen», sieben an der Nenndorfer Chaussee, etwa in der Mitte zwischen Benthe und Ronnenberg errichtete, halb verwitterte Steine. Die Sage erzählt, daß zu der Zeit, als noch unter freiem Himmel Gericht gehalten wurde, sich hier ein solcher Ort der Rechtsprechung befunden. Ein reicher Bauer aber habe mit seinem Knecht um bedungenen Lohn prozessirt und geschworen, er habe denselben ausgezahlt; wenn sein Eid falsch, dann wolle er gleich in die Erde versinken. Da habe er nur noch sieben Schritte vom Gerichtsorte fort gethan, dann aber habe die Erde sich geöffnet und ihn verschlungen. Und dieses Ereigniß im Gedächtniß der Menschen zu erhalten, zur Warnung aller, die falsches Zeugniß wagen, habe man dort den sieben Schritten entsprechend die sieben Steine errichtet. So stehen sie dort noch heute, seltsam geformt und mit verschiedenartigen Ornamenten in Kreuzesform versehen.

Wie Geschichten aus der Kinderzeit in des Mannes Erinnerung weiterleben und freundliche Tage wieder heraufbeschwören, so spinnen diese Sagen und Erzählungen ein liebes Band zwischen uns und denen, die vor uns waren. Die Fluren und Wälder beleben sich, Todte stehen wieder auf, eine Fülle von Gestalten drängt sich heran, und das eben noch leere Gefilde ist voll von mannigfachen Erscheinungen. Wir sehen zugleich das Gegenwärtige und das Gewesene, und doppelte Liebe gewinnen wir für die Stätte, welche das Auge und die Phantasie gemeinsam beschäftigt.


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