Leopold Kompert
Am Pflug
Leopold Kompert

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8. Anschel findet zwei Mädchen.

Anschel hatte an diesem und dem darauffolgenden Tage keine leichte Schule zu bestehen.

Wojtech hatte wieder seine alte Natur angetan; er war wieder mürrisch, störrig und befehlshaberisch geworden und ließ dies seinen Zögling in jeder Weise fühlen. Es schien, als ob mit dem Augenblicke, wo seine Füße wieder auf dem eigentlichen Ackerboden standen, der alte Geist der Abneigung, ja des Hasses über ihn gekommen wäre. Anschel tat es ihm in nichts recht; bald hastete er zu sehr seinen Schritt, ließ die Pferde nicht gemessen genug gehen, bald ging er wieder zu langsam neben ihnen einher. Der Pflug schnitt entweder nicht tief genug ein, oder er zog eine zu starke Furche. Beides rief aus dem Munde des Knechtes Vorwürfe und Ermahnungen hervor, die für jeden andern, nur nicht für Anschel verletzend klangen.

»Stellt er sich nur so? Oder ist er wirklich so?« richtete Anschel oft die Frage an sich. Das eine begriff er aber mit allen Sinnen, daß er dem Knechte folgen und die Ausbrüche seiner finstern Laune ertragen müsse. Ein höheres Gefühl, als das der Furcht, etwas, was ihn unwillkürlich mit Gehorsam gegen Wojtech erfüllte, ließ jeden Trotz, jede Beleidigung und jeden Schimpf an seinem äußern und innern Ohre vorüberrauschen. Anschel sah in dem Knechte seinen Lehrer, der sich mit ihm Mühe gab.

»Muß er dir's denn zeigen, wie man ackert?« sprach er zu sich; »zahlt ihm einer dafür?«

Einmal ließ Wojtech plötzlich innehalten.

»Da sieh her,« rief er bitter, »was du da gemacht hast. Wenn auf dem Feld etwas wachsen wird, so muß der Teufel es gesät haben.«

Anschel wandte sich erschrocken um, und Wojtech zeigte mit der Hand auf eine eben aufgeworfene Scholle; sein Zögling konnte jedoch nichts besonderes daran bemerken. Die Unkenntnis dessen, was er eben jetzt begangen haben sollte, malte sich auf seinem Antlitze.

Darauf bückte sich der Knecht nieder auf den Boden und nahm eine Hand voll Erde von der bezeichneten Scholle auf.

»Ist das Erde?« rief er und hielt sie Anschel hin.

Anschel begriff noch immer nicht, was der Knecht wolle, er sah ihn mit verlegen bittender Miene an.

»Wenn ein Pferd auf das tritt,« sagte Wojtech darauf mit Zorn, »so kommt ein Funke heraus. aber etwas Grünes kann darauf nicht wachsen. Das merk dir, Bürschchen.«

Damit nahm er zwei Kieselsteine, die der scharfe Pflug aus der Unterlage des Bodens hervorgefördert hatte, und warf sie in weitem Schwunge über die Felder, bis sie auf der Straße krachend niederfielen. Anschel wagte kein Wort der Widerrede, er verstand offenbar im ersten Augenblicke nicht die Absicht des Knechtes. Hatte er denn die Kieselsteine hingelegt? War es nicht Wojtech, der den Pflug lenkte und von dem es abhing, ob dieser leicht oder tief in den Boden schneiden solle? Erst, als sie sich wieder in Bewegung gesetzt, dämmerte ein leises Verständnis in ihm auf, daß gerade Wojtech es war, der an der bezeichneten Stelle plötzlich den Pflug tief in die Erde gedrückt hatte; er hatte den Ruck gefühlt, mit dem er das Ackerwerkzeug auf der bis dahin eingehaltenen Linie in eine tiefer liegende schob.

»Hat er das mit Fleiß getan, um dir etwas Böses zu sagen?« fragte er sich, »oder hat er dir's nur zeigen wollen, wie man es besser machen muß?«

Wojtech wußte wahrscheinlich nicht, welches Wesen hinter einem »Schullehrerseminar« sich barg, wußte nicht, daß man, um lehren zu können, die absonderlichsten Dinge lernen müsse, Dinge, von denen man dann kein einziges gebrauchen kann; wußte vielleicht nur, daß es in seiner Kindheit ein Büchlein gab, das ABC hieß, weiter aber nichts von »Propädeutik« synthetischer oder analytischer »Methodologie«. Wenn aber Anschel mit seiner letztern Vermutung recht hatte, wenn Wojtech an seinem eignen Fehler das Verwerfliche desselben beweisen wollte – hatte er damit nicht ein Talent zum »Lehrfach« dargetan, das auf so manchem Lehrstuhl unsers Vaterlandes im hellsten Lichte geglänzt hätte?

Im Laufe des Vormittags gestaltete sich so der Knecht für Anschel zu einem stets rätselhafter werdenden Wesen; glaubte er ihn in dem einen Augenblicke erkannt, aus seiner Miene Neigung und Gefühl gesehen zu haben, so entschwebte ihm das alles wie ein Traum in der nächsten Viertelstunde. Wojtech schien dann eine grausame Freude, eine Art Blutgier an den Tag zu legen, um jedes günstige Urteil, jeden schmeichelnden Wahn in Anschels Seele gleich im ersten Augenblicke zu ersticken. Es war ihm nichts daran gelegen, was Anschel von ihm denke, ob Gutes oder Böses, wenn er ihn nur seine Oberherrlichkeit und seine Laune konnte fühlen lassen. So fragte ihn einmal Anschel ganz unschuldig, ob Wojtech noch nie gehört habe, daß man in einem Lande, er glaube es sei in England, oder drüben über dem Meere, gar nicht mehr mit dem Pfluge umgehe. Da schicke man eine Maschine, aus der Dampf herausgeht, auf das Feld hinaus, die laufe hin und her und habe den Verstand für den Menschen. Die Leute blieben zu Hause; wenn sie aber gegen Abend auf ihre Felder herauskommen, so sei alles getan, als wenn zwanzig Menschen mit vereinten Kräften sich abgemüht hätten.

»Glaub du das nicht, Bürschlein,« hatte Wojtech mit beinahe mildem Ausdrucke gesagt, »so ein Feld kennt seinen Menschen, es weiß gleich, will dieser Mensch ihm gut oder ist er ihm ein Feind, und danach richtet es sich auch. Du wirst sehen, Bürschlein, wie das immer und immer eintrifft. Und wahr kann das gar nicht sein. Das Feld möcht's ja wissen. daß es von keinem Menschen gepflügt worden ist, und aus Zorn möcht' es nicht ein einziges grünes Korn herausbringen. Es wär' verhext.«

Als aber Anschel darauf erwiderte, es müsse doch wahr sein, denn man habe schon viele absonderliche Dinge gehört, und sie seien doch jedesmal wahr gewesen, rief Wojtech in einem Ausbruch leidenschaftlichen Grimmes, daß Anschel entsetzt davor zurückbebte:

»Wenn es wahr sei mit dieser Teufelsmaschine, so seien die Juden nur daran schuld. Weil die nun Felder kaufen könnten, so viel sie wollten, so glaubten sie auch schon, die ganze Welt gehöre ihnen. Ackern, säen, überhaupt sich abmühen, wolle keiner von ihnen; darum sei so eine Maschine, aus der Dampf herausgeht, ihnen gerade recht; da brauchten sie keinen Christenmenschen dazu, denn was läge ihnen daran, wenn alles zugrunde gehe? Aber er hoffe, man werde sich das nicht gefallen lassen, und sei eine solche Maschine mit Dampf stark, so seien die Menschen doch noch stärker; sie würden sie totschlagen mit Sensen und Dreschflegeln, daß auch nicht ein Stück zurückbliebe, um damit seine Pfeife anzuzünden.«

Diesem wilden Haßausbruch war dann ein langes Schweigen gefolgt. Anschel verrang nur mit Mühe diese schrecklichen Worte; Zornesgewalten drängten sich in ihm auf und nieder; er fühlte sich voll Wut gegen den Knecht. Nur mit Widerwillen blieb er; er wäre am liebsten davongegangen. Ahnte der Knecht, was in Anschels Gemüt vorging? Wollte er ihn versöhnen? Als Anschel einmal ermüdet stehen blieb, und mit dem Tuche den Schweiß von der Stirne wischte, sagte Wojtech im Tone des tiefsten Mitleids:

»Setz dich nieder, Bürschlein, und ruh dich aus. Das Feld läuft uns nicht weg.«

Als sich Anschel, der Erlaubnis des Knechtes folgend, auf den nackten Boden setzen wollte, sagte Wojtech verwehrend:

»Nicht, nicht, Bürschlein. Da ist jetzt kein Sitzen für einen gesunden Menschen; böser Dunst steigt herauf und könnte dir den Tod bringen. Was möcht' deine Mutter dazu sagen?«

Und ehe Anschel es sich versah, hatte Wojtech mit einer raschen Wendung sich seiner Jacke entledigt und sie auf den Boden gebreitet.

»Da setz dich her,« sagte er, »und ruh dich aus. Ich will mir indessen eine Pfeife stopfen.«

Dankend, aber sprachlos blickte Anschel von seinem Sitze zu dem Knechte auf. Er wurde aus ihm nicht klug.

Zu Mittag brachte eine Magd das Essen für Wojtech; Anschel sollte nach Hause kommen, meldete sie, man warte schon auf ihn. Anschel vernahm diesen Bericht mit Verdruß; ihm dünkte, es schicke sich nicht, den Knecht »so allein« da zu lassen, sein Mahl unter freiem Himmel verzehrend, während er selbst nach Hause ging, um sich mit seinen Eltern in aller Gemächlichkeit an den Tisch zu setzen. Aber so sehr stand er bereits unter der rätselhaften Gewalt des Knechtes, daß er vorher gleichsam um Erlaubnis bittend zu Wojtech aufschaute. Dieser hatte sich, nachdem er über Kopf und Brust das Kreuzeszeichen gemacht, auf den Pflug niedergelassen und sogleich seine Mahlzeit begonnen. Wojtech mußte die fragende Miene verstanden haben, denn er sagte lachend, mit einem Bissen im Munde:

»Geh nur, mein Bürschchen, und laß dir's schmecken; das ist noch nichts für dich . . bis später.«

Er meinte wahrscheinlich damit, Anschel sei noch nicht Bauer genug, um auch die Mühen des Bauernstandes zu übernehmen.

Als Anschel aus dem Bereiche des sonderbaren Knechtes gekommen war, überfiel ihn eine Empfindung der Ungebundenheit und des Wohlseins, wie er sie seit langem nicht gekannt hatte. Schrie er laut auf? Hallten die Felder von seinem Gesange wider? Er hätte es nicht sagen können, ob, was das innere Ohr vernahm, auch nach außen hin die Luft in Schwingungen versetzte. Aber es war ihm zumute, als hätte er das Recht, die ganze Gegend mit seinem Gesange zu wecken, hellauf zu lachen und Possen zu treiben. Hätte Anschel nachgedacht, er hätte vielleicht in den fernen Tagen seiner Kindheit Stunden erkannt, deren Antlitz eine schlagende Ähnlichkeit mit den heutigen hatte. Er hätte sich als Kind gesehen, das springend und wohlgemut aus der Schule des Lehrers kam, in namenlosem Jauchzen, daß die Lehrzeit vorüber. War Anschel heute nicht auch in die Schule gegangen? Hatte er nicht auch einen strengen Lehrmeister gehabt? Ganz und ungeteilt war jene Ungebundenheit, jenes Wohlsein einer befreiten Seele über ihn gekommen. Nur das eine war noch hinzugetreten: Anschel hatte zum ersten Male den Segen der schweren Arbeit kennen gelernt. Er war Kind und zugleich Mann geworden. Er war Wojtechs Zögling; aber die Schule war sein eigenes Feld.

In dieses innere Singen und Freuen trat mit einem Male etwas ein, wovor es wie ein scheuer Waldvogel aufflatterte und verstummte. Vor ihm gingen zwei Mägde, mit Körben an dem Arm, in denen sie die leeren Eßgeschirre von den Feldern heimbrachten. Die eine dieser Mägde war auffallend schlank und feingegliedert, während die andre in ihrer gedrungenen Gestalt sich fast plump neben ihr ausnahm. Noch ehe Anschel die beiden Mädchen erreichen konnte, hörte er sie leise untereinander kichern, und die Kleine sagte darauf so laut, daß ihm kein Wort entgehen konnte, zu der andern:

»Du wirst sehen, er kennt dich noch.«

»Narr, es war ja in der Nacht,« gab die Große mutwillig zur Antwort, »und du weißt, bei Nacht ist alles schwarz, selbst eine rote Henne.«

In Anschels Herzen regte sich etwas mit großer Gewalt; zugleich fühlte er plötzlich einen so heftigen Schmerz in dem Finger, den er in der ersten Nacht an einem Nagel der Gartenplanke blutig geritzt, als ob es in dem Augenblicke geschehen wäre.

Die Stimme der Sprecherin, jener schlanken, feingegliederten Gestalt, schien ihm so bekannt . . . War sie es?

Die Mädchen machten kleine trippelnde Schritte, als wollten sie es dem Nachkommenden erleichtern, sie zu erreichen. Verstand Anschel diesen Wink nicht? Oder wollte er ihn nicht verstehen? Mit einem Male sah er, wie die Kleine mit einer hastigen Bewegung den Korb vom Arm der Großen riß.

»Geh,« sagte sie, wie unwillig, »du machst mir zu langsam, du trippelst wie ein Hühnchen herum, wenn es aus dem Ei gekrochen ist, und ich habe noch viel zu tun.«

Ohne weitere Gegenrede abzuwarten, war sie davongeeilt. Die Große schien das ohne Weigerung angenommen zu haben.

Anschel kam nun näher; er befand sich nur noch wenige Schritte von dem Mädchen. War er erst mutig geworden, seitdem er keinen Zeugen um sich sah? . . . Ehe er es selbst wußte, stand er, ging er neben ihr; aber die beiden sahen sich nicht; mit gesenkten Blicken, pochenden Herzen und schweigenden Lippen wandelten sie nebeneinander. Wartete einer des andern, bis der Geist über ihn gekommen?

Endlich drängten sich Worte auf Anschels Lippen, Worte, die keinen eigentlichen Zusammenhang hatten, aus denen nur das eine hervorging, daß ihr Sprecher sich in namenloser Verlegenheit befand. Er wollte gesagt haben, ob sie sich seiner und jener Nacht noch erinnere, da er mit ihr über die Gartenplanke hinüber so viel und mancherlei geredet, aber er hatte nichts davon gesagt. Und je mehr Anschel sprach, desto mehr geriet er in die wirren Netze seiner eigenen Rede hinein, bis ein herzhaftes Gelächter des Mädchens ihn plötzlich wie mit einem Rucke aus dieser drangvollen Lage befreite.

»Bist du gescheit oder nicht?« rief sie. »Warum sollte ich dich nicht kennen? Einen Dieb. der das Haus so umschleicht, den merkt man sich leicht, und . . .«

Jetzt erst schaute Anschel auf. Da stand wirklich vor ihm jenes Mädchen, das ihm bei ihrer Ankunft im Dorf so rätselhaft Bescheid gegeben, aber schöner und lieblicher, als er es in jener Nacht flüchtig im Mondenglanz an sich hatte vorübergleiten gesehen. Auch sie warf auf ihn einen jener schnellen Blicke, gegen die der Blitz des Himmels, ja selbst der Gedanke langsam sind; denn er ist beides zugleich, Blitz und Gedanke, zündendes Feuer und Seelenausdruck.

»Hältst du mich noch für einen Dieb?« rief Anschel mit einem Male ermutigt.

»He, warum nicht?« lachte das Mädchen mutwillig und zeigte dabei eine Reihe weißer Zähne, die es noch lieblicher machten. »He, warum nicht? Wie heißt man einen, der mitten in der Nacht, wenn es niemand sieht, einem Mädchen etwas aus der Hand reißt und damit forteilt?«

»Du meinst das Tuch,« sagte er stockend, »das ich mit mir genommen habe? Du hast es mir aber selbst gegeben.«

»Da seh' mir einer den an, der das sagt,« rief das Mädchen wieder lachend. »Du hast mir's weggerissen und bist damit fortgelaufen.«

»Verzeih mir,« meinte Anschel im gerechten Bewußtsein seines Rechtes, »du hast es mir gegeben, hast es selbst ins Wasser eingetaucht, damit ich es auf das blutige Gesicht lege. Ich muß das ja besser wissen als du.«

»Es ist nicht wahr!« sagte das Mädchen plötzlich heftig werdend und wandte sich rasch ab.

Wunderbares Sprießen und Keimen eines einzigen Gefühles in zwei Menschenherzen. Da nimmt das eine nicht Anstand, dem andern Lüge und Falschheit anzudichten, sich zu wehren gegen es mit stachlichten, schneidenden Worten, mit Mutwillen und Spott. Aber es beleidigt, es verletzt nicht; es führt süße Nahrung herzu, klingt wie schmeichelnde Musik. Das ist dann dasselbe Gefühl in zwei Seelen, das sie mutig macht, um den Kampf mit einer Welt zu bestehen, demütig und aufopfernd zugleich, ernst und freudeberauscht. Aus scheinbarem Widerspruch ringt sich das Verständnis los; unter Spiel und Tand steht sie plötzlich da, die verzehrende, über alles flammende, in sich selbst versinkende Liebe!

Darum klang es auch nicht als Beleidigung an Anschels Ohr, als das Mädchen ihm so offenbar eine Unwahrheit vorwarf.

»Wenn du willst,« sagte er hastig mit überquellenden Lauten, »so geb' ich dir's zurück. Ich habe ganz vergessen.«

»Wo hast du's denn?« rief das Mädchen gleichfalls heftig. »Gib mir's gleich!«

»Hier, hier!« rief er gepreßt.

Mit zitternden Händen fuhr er unter den Rock.

»Da nimm es!« sagte er atemlos, »wenn du's willst. Ich will kein Dieb sein, ich hab's bei mir behalten seit jener Nacht.«

Er gab ihr aber das Tuch nicht hin; er behielt es an sich gedrückt, als fürchtete er, eine kleine Handbewegung könnte ihm dasjenige rauben, was bis dahin . . . auf seinem Herzen geruht hatte.

Das Mädchen warf einen scheuen Blick darauf, dann zuckte es mit der Hand danach, aber sie berührte nicht das Tuch, sie lag auf Anschels Hand brennend heiß. Da ging ein Schauer, ein Wehen durch beider Seelen, ein Licht flammte vor ihnen auf, Auge fand sich im Auge, . . . sie standen sich wie im Boden wurzelnd eine Weile gegenüber.

»Behalt's nur,« sagte sie leise, »behalt's nur.«

»Wenn du's aber willst,« meinte Anschel, ihr aufs neue das Tuch hinreichend.

»Behalt's nur, behalt's nur!« schrie sie fast laut.

Weiter ward kein Wort zwischen den beiden gesprochen. Sie hatten die ersten Häuser des Dorfs erreicht, sie standen in der Gasse und wußten nicht, wie sie dahin gekommen. Mit gesenkten Blicken waren sie nebeneinander gegangen, Anschel noch immer das wie eine Beute auf dem Schlachtfelde geholte Tuch in der Hand haltend, nicht bedenkend, daß so etwas geborgen werden müsse scheu und sicher vor der Menschen Neugier und Urteil. Aber solche Gemüter, die der süße Rausch überkommen, wandeln mit offenen Augen über Abgründe und Tiefen und sehen sie nicht; setzen über tosende Wasserflächen und hören sie nicht; Feinde scharen sich rings um sie; aus tausend Verstecken schwirren Pfeile über sie, aber sie fühlen das tödliche Geschoß nicht.

Plötzlich sah sich Anschel allein, das Mädchen hatte ihn verlassen. War sie klüger als er? Fürchtete sie mit ihm gesehen zu werden? Jetzt erst kam über ihn eine Eile, ein Hasten, als hätte er Langversäumtes in einem einzigen Augenblicke nachzutragen. Blickten nicht von allen Seiten fragende Augen ihm nach? Fühlte er sie nicht brennend auf sich liegen? Mußte er nicht sein stilles Glück ungesehen und unbeachtet nach Hause tragen?


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