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Am andern Tage kam der Brandeiser Doktor; er zeigte sich ganz erstaunt, den Kranken auf dem Wege entschiedener Besserung zu finden. Er erklärte jede Gefahr für beseitigt, aber nur ein Wunder, meinte er, konnte ihn gerettet haben, denn von ihm, das gestehe er jetzt offen, sei er bereits »aufgegeben« gewesen. Nachime erzählte ihm das »Wunder« von dem geheimnisvollen Morgengruße eines Mädchens, die ans Fenster geklopft, aber in der Aufregung des Erlebten, in ihrer Seligkeit, den verlorenen Sohn dem Tode abgekämpft zu sehen, tat sie dies in einer Weise, daß der Doktor den ganzen Vorgang für ein wirkliches Wunder halten mußte.
»Wenn Sie eine Christin wären, Frau Hahn,« sagte er mit einem eigentümlich stechenden Lächeln, »so könnten Sie glauben, die hochgebenedeiete Mutter Gottes sei selbst gekommen und habe Ihrem Sohne die Gesundheit gebracht. Denn bei uns geschieht das bisweilen.«
Nachime verstand diesen Witz nur zur Hälfte; weil sie aber frohen Herzens war, lächelte sie auch dazu. In sich dachte sie aber, was sie dem Doktor sagen wollte, wenn er nicht der Sohn des Apothekers wäre, nämlich, wieso er denn ein so großer Judenfeind sein könne, wenn ihm selbst an seinem Allerheiligsten nichts »aufliege«.
»Für unsere geistlichen Herren,« sagte dann der Doktor weiter, »wäre Ihr Sohn jetzt ein gefundener Bissen. Ein Wunder müßte vorgegangen sein, selbst wenn es sich auf die allernatürlichste Weise erklären ließe. Je natürlicher, desto besser. Lassen Sie doch Ihren Sohn zu uns übergehen; er könnte in kurzer Zeit seine ›Karriere‹ machen.«
»Wie verstehen das der Herr Doktor?« fragte Nachime erschrocken, aber noch immer lächelnd.
»Ich meinte,« rief der Doktor spöttisch, »wenn Sie Ihrem Sohne die Erlaubnis geben würden, das Wunder, das mit seiner Gesundheit vorgegangen war, von einem unserer Kirchenlichter nur erklären zu lassen, so möchte Ihr Sohn und ihr alle euer Glück machen. Aber Sie tun das nicht, nicht wahr?«
Nun erst verstand ihn Nachime.
»Der Herr Doktor meinen wohl,« sagte sie ruhiger, als man nach diesem Verständnis erwarten konnte, »wenn sich mein Sohn –«
»Was wär's, wenn sich Ihr Sohn taufen ließe?« ergänzte lachend der Brandeiser Doktor.
»Mein Sohn, der ein Rabbiner werden soll?« rief Nachime nicht so sehr entsetzt, als erstaunt aus. »Was fällt da dem Herrn Doktor ein?«
»Pah,« sagte der Doktor mit einer ausdrucksvollen Miene, »wie lange wird es dauern, so werden Sie gar keinen Rabbiner brauchen. Die neue Freiheit wird Sie um das Judentum bringen. Ihre Leute, die jetzt alles werden können, Advokaten, Beamte, Minister, Bauern, werden sich von einer Religion nicht genieren lassen, die ihnen mehr als einen Riegel vorschiebt. Als gescheite Leute, die nichts unternehmen, was nicht einen gewissen Zweck hat, werden sie sich bald fragen: Ist es ein besseres Geschäft, wenn wir unsere alte Religion beibehalten, die bei aller Freiheit so viel Unbequemes hat, oder wenn wir es so machen?«
Dabei machte der Doktor eine Bewegung mit seiner Hand, als wenn er Staub oder dergleichen davon abstreifen wollte.
Diese bedeutungsvolle Gebärde des Doktors machte Nachime ganz verblüfft. Eine Weile lang blickte sie auf seine Hände, als ob er wirklich davon etwas abgestreift hätte. Sie war jetzt erst recht erschrocken, der Apothekersohn hatte aus seiner Gesinnung kein Hehl gemacht. Dennoch vergaß sie mit der den Frauen eigentümlichen Geistesgegenwart nicht, wen sie vor sich stehen hatte. Sie hatte sich von ihrem Schrecken sogleich erholt.
»Der Herr Doktor spaßen nur,« sagte sie lächelnd. »Wie sollt' es einem von uns einfallen, unsere Religion so herunterzuwerfen von uns? Einen Wurm kann man von sich abschütteln, ein Bissel Staub abblasen, das weiß jedes Kind; aber so etwas nicht. Ich kann mich nicht so ausdrücken, Herr Doktor, so wie Sie; ich hab' nicht vierzehn Schulen studiert; aber ich meine, eher geht die Welt zusammen und alles fällt durcheinander, ehe das geschieht. Glauben Sie denn, Herr Doktor, es wird mit der Freiheit so bleiben? Es wird schon wieder eine Zeit kommen, wo keine Freiheit sein wird, und dann wird man auch nichts werden dürfen – –«
Nachime brach plötzlich ab. Der Brandeiser Doktor blickte, nun selbst etwas aus der Fassung gebracht, in das leise gerötete Antlitz der Frau. Sie mochte ihm in diesem Augenblicke doch als ein anderes Wesen vorkommen, als er gewöhnlich in ihr gesehen. Namentlich schien auf ihrer letzten Bemerkung von der freiheitslosen Zeit etwas Freudiges herauszuklingen, was ihm auffiel.
»Was wird dann geschehen, Frau Hahn?« fragte er dringend, als hätte er die letzten Worte überhört.
»Dann werden wir wieder vom Dorfe wegziehen können,« antwortete Nachime rasch, aber in großer Bewegung.
Das Erstaunen des Brandeiser Doktors wuchs.
»Und auf diese Zeit scheinen Sie sich zu freuen?« rief er. »Wozu hätten sich Ihre Leute so angestrengt, hätten so viel gearbeitet, um Grund und Boden erwerben zu können? Jetzt, da sie das Recht haben, freuen Sie sich, Frau Hahn, auf die Zeit, wo sie beides wieder verlieren könnten? Was sagen Sie dazu, Herr Schlome?«
»Sie sagen ja selbst, Herr Doktor,« fiel Nachime ein, ehe ihr Mann eine Antwort gefunden hatte, »daß es mit unserer Religion aus ist, wenn man zu viel Freiheit hat? Ich hab' den Kaiser nicht darum gebeten – ich war so zufrieden genug.«
»Mit der bringen Sie nichts heraus, Herr Doktor,« sagte nun Rebb Schlome, anscheinend lustig, »wegen ihr hätt' keine Rebellion sein müssen; da hätten die Sachen lange noch so bleiben können, wie sie waren. Es sind nicht alle Weiber so; es haben sich jetzt manche noch mehr ausgezeichnet als die Männer. Ich hab's erst neulich in einer Zeitung gelesen, wie so eine mit Flint' und Patrontasche mitgefochten hat für die Freiheit, besser wie ein Mann. Aber wenn die da für die Freiheit etwas tun sollte, was nur auf ein halb Lot geht, so macht sie ein Geschrei darüber, daß es der Kaiser bis nach Wien hören muß. Das kommt davon her, weil sie keinen Sinn dafür hat.«
Solch ein Kampf mit versteckt zielenden Worten, der in Gegenwart eines dritten geführt wird, hat für die, die er angeht, mehr Schmerzliches, als wenn er von Angesicht zu Angesicht, von Lippe zu Lippe vor sich geht. Man möchte niemanden es offenbaren, daß dem Worte, wie es lustig und launig spielt, eine spitzige Waffe anhängt; nur die Kämpfer fühlen, wie sie ins Fleisch fährt und unsichtbare Wunden schlägt. Während der Mund lacht, weiß der dritte, wenn er nicht sehr aufmerksamen Ohres ist, nicht, daß in seiner unmittelbaren Nähe so ernste Wunden geschlagen worden.
Zum Glücke erinnerte sich Nachime wieder, daß der Sohn des Apothekers vor ihr stand, und wieder überfiel es sie mit einer Art von Scham, daß sie »dem« da, dessen Grundsätze sie so gut kannte, eine hochwillkommenes Schauspiel ihrer häuslichen Leiden gewähren sollte. Dazu dünkte sie sich »doch zu gut,« und dieser eigentümliche Stolz gab ihr den Mut, im Gespräche mit dem Doktor die lächelnde Miene, den scherzenden Ton beibehalten.
»Was reden wir da für Dummheiten,« rief sie ärgerlich lachend. »Und wenn ich auch keine Freiheit will, wird's der Kaiser darum tun? Weiß er, wer ich bin? Kennt er mich? – Machen Sie mir lieber meinen Sohn gesund, Herr Doktor! das ist mir mehr als alle Freiheit.«
»Was wollen Sie von mir, Frau Hahn,« sagte der Doktor mit lustiger Gebärde, »ich habe für die Genesung Ihres Sohnes nichts getan. Halten Sie sich an das lebendige Wunder, das ihn gerettet hat. Das wird ihn vollends gesund machen!«
Als der Doktor wieder das Haus verlassen hatte, war alle Freude über Eliehs so schnell gewordene Genesung in dem bittern Gefühle untergegangen, das die Bemerkungen ihres Mannes in Nachime hervorgerufen. Das Wunder, wie sie es selbst erlebt, hätte sie gern, als von Gott geschickt, betrachtet, aber die hämischen Witze, die der Apothekersohn daran geknüpft, taten ihr weh und vergällten den Tag. Gott habe ihren Jammer gesehen, sprach es alleweil in ihr, weil sie bereits zu schwach gewesen, ihn zu ertragen, ob sie denn wieder neuen solle über sich kommen sehen? Jetzt sei ihr das Kind wiedergegeben, nun aber müßte sie mit Schrecken an die Worte des Doktors denken. Die natürlichen Folgen der Freiheiten sollten darin bestehen, daß sie »um die Religion« kämen? Und wenn sie sich es recht überlegte, so sprach er ja die lebendige Wahrheit. Wie sollte man sich mitten unter den Bauern, abgeschieden von allem Verkehr mit seinesgleichen, die Religion bewahren? Wenn das schon ein Christ, der noch dazu der Sohn des Apothekers war, bemerkte, wie mußten erst andere, die zu ihnen gehörten und sich nicht täuschen ließen, auf den Grund der Sache sehen? Es fehlte ihnen ja die Übung, sie hörten ja kein »jüdisch« Wort an ihr Ohr erklingen! Wenn jetzt einer von »drüben« zurückkäme, etwa die fromme Mutter, was würde die zu der plötzlichen Verwandlung des Hauses sagen, in dem ihre Tochter als Hausfrau waltete? Dazu hatte sie sie also geboren und aufgezogen? War das ein jüdisches Haus, das Haus ihrer Tochter, in das sie getreten wäre? Feierte man so den Freitag Abend, den schönen duftigen Vorboten des Sabbats? War das ein Sabbat, wie sie ihn von Kindheit auf gewohnt war? Ruhte man an diesem Tage aus, schien es nicht vielmehr, als trügen alle es mit Unwillen, daß man überhaupt an diesem Tage ruhen müsse? Das hatte ja der Brandeiser Doktor gesagt. Was brauchte seine Prophezeiung erst einzutreffen? Man fühlte sich ja schon unbequem in ihrem Hause! Wußte sie denn, ob Anschel täglich bete? ob er täglich »Tefillin legte«? ob er mittags »bensche«? Wenn sie das jetzt schon nicht wisse, was würde erst geschehen, wenn sie einmal die Augen geschlossen hätte für immer? Verantworten werde sie es müssen vor Gott in der andern Welt; denn Gott halte sich stets an die Mutter. Die hätte »achtgeben« sollen, daß dem Hause kein Unheil widerfahre, daß die Kinder nicht Schaden litten an Körper und Seele. Aber sie werde sich nicht verantworten können, sie werde sich nicht einmal unterstehen dürfen, ein Wort vorzubringen. Immer werde es heißen: Warum hast du nicht besser acht gegeben? Du bist ja die Mutter gewesen!
War es zu verwundern, wenn Nachime jetzt mehr als je darauf bedacht war, wie sie Elieh aus dem Hause bringen könnte? Der Gedanke ging ihr auch nicht mehr aus dem Kopfe; wie etwas Weißes, Leuchtendes aus einem Meer von Finsternis stand er vor ihr Tag und Nacht. Er tröstete sie; er erhob sie in ihrem Weh. Wenigstens er sollte nicht mitgerissen werden, der kranke, schwache Elieh, der nichts verbrochen hatte. Gleich nachdem er gesund geworden, wollte sie die Abreise ins Werk setzen.
Indessen schritt die Genesung des Bochers in fast erschreckender Eile vor; es war, als ob der Kranke inmitten seiner Leiden das Geheimnis entdeckt hätte, wie man über die Mächte der Zerstörung Meister wird. Es schien allen, als wenn er, noch keineswegs genesen, den festen Vorsatz hätte, gesund zu werden. War auch das Fieber von ihm gewichen, die Unruhe, die sich während der Krankheit oft in so grauenhaften Ausbrüchen geäußert hatte, war es nicht. Stundenlang konnte er oft regungslos im Bette liegen, namentlich wenn Nachime bei ihm war, oder Wojtech; wie er aber die Stimme Anschels vernahm, mochte dieser vom Felde heimkommen oder zum Hause hinausgehen, kam diese Unruhe über ihn, die allen um so rätselhafter vorkam, da sie die Krankheit für gebrochen hielten.
Man fragte den Brandeiser Doktor, der jetzt nur zuweilen kam, nach der Ursache dieser befremdenden Erscheinung; der aber schüttelte den Kopf und meinte, das Wunder, das schon so Großes an ihm verrichtet, müsse sich noch einmal wiederholen. »Gefährlich« sei der Kranke nicht mehr, darauf könne man sich verlassen. Nachime fand aufs neue Gelegenheit, die Wissenschaft des Doktors zu verdächtigen. Sie wußte besser als er, was ihrem Sohne noch fehlte, was ihn nicht ganz gesund werden ließ. Warum fiel er, der Mann mit den vierzehn Schulen, nicht darauf? Warum sagte er nicht zu dem Kranken: Steh auf, packe deine Bücher ein und geh zurück, von wo du gekommen bist!
Ein Umstand hätte Nachime aufmerksam machen sollen, daß dieses Mittel vielleicht doch nicht so unfehlbar war, als sie in ihrer mütterlichen Sorge träumte. Elieh begehrte niemals zu »lernen«; die Bücher standen unberührt, kaum daß er ihnen einen Blick schenkte. Nicht als ob Nachime es gewünscht hätte, daß Elieh in dem Zustande der Schwäche und Entkräftung sich mit dem schweren Lernen beschäftigen sollte; sie hätte das sogar verboten. Wie kam es aber, daß er nicht einmal danach begehrte? Konnte die Krankheit in einem Menschen so vernichtend wirken, daß sie eine alte Gewohnheit, das eigentliche Leben in ihm auslöschte? Das war ihr aufgefallen; aber sie legte nicht so viel Gewicht auf diesen Umstand, als er verdiente. »Die Lust wird ihm schon wieder kommen zum Lernen,« tröstete sie sich; »und besser ist's, er ruht sich aus.«
Einen andern Umstand kannte Nachime nicht, aber wir müssen ihn erwähnen. Der »Bocher« sprach nämlich seit seiner Genesung stets böhmisch mit dem Knechte Wojtech. Das erstemal, als dieses geschah, war es in einer Nacht, die der Knecht, wie immer, am Bette des Kranken zubrachte. Bis dahin hatte Elieh nie ein Wort an Wojtech gerichtet, es war selbst ungewiß, ob er dessen Gesichtszüge kannte. Für den rätselhaften Knecht war diese Ansprache so befremdend, daß er nicht recht gehört zu haben meinte. Sprach der Kranke aus einem neuen Fiebertraume? Ungewiß trat er näher und fragte ihn, was er denn begehre. Mit deutlicher Stimme wiederholte nun der Bocher seine Ansprache: er begehrte Wasser.
Wojtech brachte ihm rasch das Geforderte; aber als er das volle Glas dem Kranken hinreichte, zitterte er so heftig, daß einige Tropfen auf Eliehs Hand fielen.
»Bist du selbst krank, Wojtech?« fragte der Bocher, ihn scharf fixierend.
»Ich?« entgegnete der Knecht mit unsicherer Stimme, »ich bin gesund, wie der Fisch im Wasser.«
»Du zitterst ja aber,« meinte der Kranke.
»Ich freue mich nur, daß der hochwürdige Herr mit mir spricht,« sagte der Knecht, und auf seinen sonst so strammen Gesichtszügen zeigte sich in diesem Augenblicke eine eigentümliche Weichheit.
»Hab' ich denn mit dir noch nicht gesprochen?« meinte der Bocher erstaunt. »Es kommt mir vor, als möcht' ich dich von langer Zeit her kennen.«
»Der hochwürdige Herr sagt das?« rief der Knecht fast schreiend. »Aber der hochwürdige Herr war ja krank,« setzte er sogleich wie beschämt über seinen freudigen Ausruf hinzu.
Nach einer langen Weile sagte Elieh:
»Warum nennst du mich hochwürdig? Ich bin's ja nicht.«
»Wie soll ich denn anders sagen?« rief der Knecht verwundert.
»Wie sagst du denn zum Pfarrer?«
»Hochwürdiger Herr!« entgegnete Wojtech demütig.
»Und zu mir auch?« meinte schwach lächelnd der Kranke.
»Alle Geistlichen sind hochwürdige Herren,« sagte Wojtech mit einer Überzeugung, wie sie nur das Resultat jahrelangen Nachdenkens oder natürliche Beschränktheit erzeugen kann.
»Und ich?« rief der Bocher und fuhr in der Verwirrung über die Antwort des Knechtes nach der Stirn. »Ich bin doch kein Pfarrer?«
»Das sind Sie nicht, hochwürdiger Herr!« sagte Wojtech ehrerbietig; »aber Sie sind ein Geistlicher.«
Ein neues schwaches Lächeln kehrte auf Eliehs Lippen zurück.
»Wenn das auch jetzt wahr sein sollte,« sagte er dann, und ein seltsames Aufflackern in den Augen ward dabei sichtbar, »so wird es bald nicht wahr sein. Ich werde kein Geistlicher werden, darauf kannst du dich verlassen, mein lieber Wojtech.«
Der Knecht sah zu dieser Äußerung des Bochers seltsam darein; er meinte, der Kranke rede wieder irre. Schon zuckte seine Hand, um bereit zu sein, wenn einer der früheren Ausbrüche wieder zum Vorschein kommen könnte. Aber der Kranke lag ruhig da; nur das matte Lächeln um die Lippen hatte ihn nicht verlassen. Darum sagte Wojtech auch mit tröstendem Tone:
»Sie, hochwürdiger Herr, kein Geistlicher? Wenn Sie heute in unserer Kirche auftreten wollen, so können Sie ebensogut Pfarrer sein, wie unser geistlicher Herr. Und wenn Sie ein Kanonikus werden wollen, glauben Sie, hochwürdiger Herr, Sie werden es nicht? Gelernt haben Sie genug. Ich möcht' den sehen, der so große und dicke Bücher hat; da muß ja darin stehen, daß man wenigstens Bischof davon werden kann.«
Vielleicht nahm der »Bocher« das, was Wojtech sagte, wirklich für das einfältige Gespräch des Knechtes, den er nicht beleidigen wollte. Vielleicht auch nicht. Wenigstens verriet nichts in seinem regungslosen Antlitz, was in ihm vorging; er sah aus, wie einer, dem das Reden eine Last ist, der ein Vergnügen daran findet, daß ein anderer für ihn spricht. Das ist so die Weise ermüdeter Seelen, solch ermatteter Gemüter, wie Elieh das seine heraustrug aus dem Kampfe mit der schweren Krankheit! Nicht einmal, daß Wojtech, ein Knecht, es war, der so zu ihm sprach, schien ihm in diesem Augenblicke auffallend genug: er ließ den Redestrom des Knechtes über sich ergehen, weil er nicht die Macht anwenden wollte, ihn aufzuhalten. So fuhr Wojtech in der bisherigen Weise noch lange fort.
Plötzlich unterbrach ihn der Kranke mit einer so leise gesprochenen Frage, daß Wojtech sie nicht verstand.
»Glaubst du, Wojtech,« sagte dann der Kranke mit heller Stimme, »daß ich gut böhmisch reden kann?«
Die Frage stand mit dem vorigen Gespräche in so wenigem Zusammenhange, daß es nicht befremden kann, wenn der Knecht mit einer Art Schrecken den Bocher ansah, als erwarte er jeden Augenblick den Rückfall in die kaum überstandene Krankheit.
Elieh wiederholte zum dritten Male seine Frage, diesmal aber mit einer Bitterkeit und Ungeduld im Tone, die den Knecht lebhaft ergriff.
»Ob Sie gut böhmisch reden können?« rief Wojtech mit jener erkünstelten Wahrheit in Stimme und Gebärde, die so eigentümlich im Gespräche mit Halbgenesenen klingt, in deren wirren Gedankengang man einzugehen bemüht ist. »Ob Sie gut böhmisch reden können, hochwürdiger Herr. Sie könnten gleich morgen auf die Kanzel steigen und eine Predigt halten.«
»Narr,« sagte Elieh nach einer Weile lachend. »Wer sagt dir denn, daß ich predigen möcht'?«
»Und wozu möchten Sie denn böhmisch reden, hochwürdiger Herr?« fragte der Knecht fast verblüfft.
Der Bocher stellte sich an, als habe er diesen Einwand Wojtechs ganz überhört.
Nach einer langen Pause fing er wieder an:
»Redet mein Bruder gut böhmisch? Ich meine so, daß ihn die Leute verstehen?«
»Der redet, hochwürdiger Herr, als ob er hier auf dem Dorf wär' geboren worden, als ob seine Eltern Bauersleute und nicht . . .«
»Was, Wojtech?« fragte Elieh, vielleicht bloß um zu fragen.
»Als ob er zu uns gehörte,« sagte der Knecht halblaut. »Man weiß gar nicht, wenn man ihn reden hört, wie ihm das gekommen ist. Aber mein eigener Bruder hat nicht besser mit mir gesprochen.«
Hätte Wojtech in diesem Augenblicke seine Augen schärfer auf das Antlitz des Bochers gerichtet, er hätte da leicht eine eigentümlich schmerzliche Bewegung wahrnehmen können.
Mit einem Seufzer, der aber so leise, so unhörbar über seine blassen Lippen glitt, daß ihn nur unsichtbar lauschende Geister hätten vernehmen können, wandte sich Elieh auf die andere Seite und lag dann lange still und regungslos da.
Als ihn Wojtech nach einer Weile fragte, ob er nichts wünsche, richtete sich der Bocher halb auf.
»Kannst du mir ein böhmisch geschriebenes Buch bringen?« fragte er den Knecht.
»Ich hab' kein anderes, als mein Gebetbuch,« sagte Wojtech stockend; »aber das wird Ihnen nicht recht sein, hochwürdiger Herr,« setzte er fast erschrocken über die Größe seines Antrages schnell hinzu.
Nach einigem Überlegen sagte der Bocher:
»Hast du wirklich kein anderes, so bring mir das.«
Der Knecht ging. Er hatte noch nicht die Türe erreicht, als ihm Elieh schon nachrief:
»Wenn dich einer fragt, Wojtech, was ist's? so sag ihm nichts von mir. Es braucht kein Mensch zu wissen, was wir beide miteinander haben. Hörst du, Wojtech?«
Der Knecht nickte mit dem Kopfe. Gleich darauf brachte er wohl verborgen unter seiner Weste das Gebetbuch, nach dem der Bocher mit einer Gier haschte, die nicht befremden kann.