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In einem Blumentopf im Fenster lebte einmal ein Kaktus – dick, grün und beschaulich. Er setzte Pickel um Pickel, Beule um Beule an, und dieser Kaktus hieß Archibald Pickelbeul.
Neben ihm stand eine Rose und reckte duftende Blüten ins Sonnenlicht. Aber Herr Pickelbeul nahm kein Interesse an ihr, weder ein sachliches noch ein persönliches. Denn sachliche Interessen hatte er überhaupt nicht, und sein persönliches Interesse erschöpfte sich restlos darin, seinen fetten grünen Bauch in der Sonne zu wärmen und Pickel um Pickel und Beule um Beule anzusetzen, aber langsam und ohne Übereilung. Der Pickel, der heute nicht kommt, kommt morgen, und die Beule, die morgen nicht kommt, kommt übermorgen. Also war Archibald Pickelbeul.
»Dasein ist alles«, sagte Archibald Pickelbeul – und er war da.
»Herr Pickelbeul«, meinte die Rose und neigte verbindlich eine Blüte zu ihm hinüber, »wollen Sie nicht auch einmal blühen?«
»Wozu?« fragte Archibald Pickelbeul.
»Es ist Sommer, und die ganze Natur jubelt.«
»Soll sie ruhig tun«, sagte Archibald Pickelbeul.
»Sie verjüngt sich.«
»Das tu ich auch, Beule um Beule.«
»Ihre Beulen in Ehren, aber Sie sollten blühen«, sagte die Rose, »warum blühen Sie nicht?«
»Es juckt mich nicht«, sagte Archibald Pickelbeul unhöflich.
»Es juckt Sie nicht?« fragte die Rose enttäuscht. »Was hat denn das damit zu tun? Muß es Sie jucken, damit Sie blühen? Ist Blühen nicht Schönheit, die von selbst in der Sonne erwacht? Ein Mysterium?«
»Nun ja, dann juckt's doch«, sagte Archibald Pickelbeul.
Über die Scheiben seines Glases guckte der Laubfrosch Moritz Fingerfeucht. In der ihm eigenen pneumatischen Art klebte er an seiner Umgebung und blickte mit ebenso vorwurfsvollen als erheblichen Augen auf Archibald Pickelbeul.
»Sie sollten nicht davon reden, daß es Sie juckt«, sagte er, »man sollte viel eher meinen, daß es einen selbst jucken kann, wenn man Sie ansieht samt Ihren Haaren und Stacheln. Ich möchte mich nicht auf Sie setzen.«
»Dazu habe ich Sie auch nicht eingeladen«, sagte Archibald Pickelbeul nicht unrichtig.
»Herr Pickelbeul«, sagte Moritz Fingerfeucht, »Herr Archibald Pickelbeul, gerade wenn man so aussieht wie Sie, sollte man etwas für die Schönheit tun und wenigstens blühen.«
»Was tun denn Sie für die Schönheit?« fragte Archibald Pickelbeul geärgert.
Moritz Fingerfeucht machte mit dem schlüpfrigen Arm eine großartige Geste. »Ich singe – und auch wenn ich nicht sänge, ich bin schön an sich«, sagte er mit bescheidenem Selbstbewußtsein.
»Tun Sie Ihren großen Mund zu«, sagte Archibald Pickelbeul.
»Ich weiß, Herr Pickelbeul ist mehr für das Zweckmäßige«, sagte die Rose einlenkend, »aber, mein lieber Herr Pickelbeul, sehen Sie sich Frau Knolle im Garten unten an, eine brave Kartoffelmutter und eine hochachtbare Person. Sie übersieht keineswegs die Notwendigkeit der Beulenbildung in der Erde, aber auch sie blüht regelmäßig und ohne daß es sie juckt. Blühen ist Schönheit, die von selbst in der Sonne erwacht …«
»Ich weiß schon«, sagte Archibald Pickelbeul.
»Ich nehme ein gewisses biologisches Interesse an Ihnen«, sagte Moritz Fingerfeucht, »wann juckt es Sie, und wann und wo blühen Sie?«
»Wenn's mich eben juckt«, sagte Archibald Pickelbeul, »irgendwann und irgendwo, wahrscheinlich auf dem Bauch.«
»Archibald«, flötete die Rose und streute eine duftende Blüte über ihn, »der Sommer ist da, die Sonne scheint, und alles blüht – Archibald, willst du nicht auch blühen?«
»Aber wenn's mich doch nicht juckt!« schrie Archibald Pickelbeul voll Erbosung.
Viele Leute heißen Archibald Pickelbeul oder so ähnlich. Pickel um Pickel und Beule um Beule setzen sie an, eine stacheliger als die andere. Sie blühen gar nicht oder selten einmal, irgendwann und irgendwo, meistens auf dem Bauch. Aber sonst – Sommer, Sonne, Schönheit – es juckt sie eben nicht!