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Porzellan

Porzellan ist so rein, so weiß und kühl, und man sollte gar nicht glauben, wie lebendig es werden kann, und so ist vieles im Leben, das aussieht wie Porzellan. Am Tage steht es stumm und steif und zierlich da, aber wenn die Sonne gesunken ist und die letzten Lampen in der Dämmerung erlöschen, dann atmet das Porzellan tief auf im blauen Mondlicht und regt sich und redet. Und beim Porzellan ist es auch so, daß die größten Schnauzen am meisten reden. Aber das ist gar nicht immer gut.

»Der Mondschein ist heute so fade«, sagte eine alte Kaffeekanne, die eine große und spitze Schnauze hatte und zur Kritik neigte. Alte Kaffeekannen haben meistens spitze Schnauzen und neigen zur Kritik.

Die Kaffeetassen um sie herum klirrten leise Beifall. Sie hatten dasselbe Muster und richteten sich ganz nach der Kaffeekanne.

»Wir sind eben immer der gleichen Meinung, meine Damen«, sagte die Kaffeekanne befriedigt, »das kommt daher, weil wir alle aus derselben Familie sind und das gleiche vornehme, solide Zwiebelmuster haben, so gar nichts Leichtsinniges oder Selbständiges. Aber dort über uns, o du lieber Himmel, was ist das für eine bunte, gemischte Gesellschaft! Es ist mir, als stieße ich mich an eine scharfe Ecke, wenn ich daran denke, welch ein Gesindel über uns im Glasschrank steht.«

Die Kaffeekanne schlug die Augen in frommer Ergebung nach oben. Denn über ihr standen eine Nymphe und ein Mohr, eine Schäferin und ein Lautenspieler, und schließlich noch ein Chinese ohne Beine. Die alle konnten durch die Glasscheibe heruntergucken, und das taten sie auch. Es stand auch noch ein schwarzer Teufel dabei mit gruseligen, roten Augen und Hörnern auf dem Kopf. Aber über den sagte die Kaffeekanne grundsätzlich nichts Abfälliges, denn die Kaffeekannen mit der gespitzten Schnauze und der Teufel haben irgendwie gemeinsame Interessen.

»Sehen Sie nur, meine Damen«, sagte die Kaffeekanne, »diese entsetzliche Nymphe! Hat sie irgend etwas an? So gut wie nichts! Es ist unsagbar peinlich. Wenn man bedenkt, daß die kleinen, unschuldigen Mokkatassen das sehen könnten!«

Die Kaffeetassen klirrten, und die kleinen, unschuldigen Mokkatassen kicherten vor Vergnügen, denn sie hatten natürlich alles gesehen.

»Was sagen Sie dazu, liebe Kusine?« fragte die Kaffeekanne eine dicke Teekanne, die neben ihr saß, und stieß sie mit dem Henkel in die Seite, »ist es nicht empörend?«

Die Teekanne war rund, sanft und behaglich. Sie schlummerte beinahe immer und verstand niemals, wenn man sie etwas fragte. Als die Kaffeekanne sie anstieß, hob sie den Deckel ab und grüßte.

»Guten Abend«, sagte sie und schlief wieder ein.

»Haben Sie denn gar nichts anzuziehen?« rief die Kaffeekanne nach oben und schielte bedenklich nach der Nymphe, »in Griechenland ist es wohl sehr warm, Mademoiselle? Aber hier sind wir nicht in Griechenland, sondern woanders.«

Damit, daß man hier nicht in Griechenland war, sondern ganz woanders, hatte die Kaffeekanne nur allzu recht.

Die Nymphe sagte kein Wort und kehrte der Kaffeekanne einfach den Rücken zu. Sie war auf dem Rücken genauso nackt wie vorne.

»Entsetzlich, meine Damen«, sagte die Kaffeekanne, »und sehen Sie einmal den schwarzen Mohr an. Ist das nicht scheußlich? Wenn man so schwarz ist, soll man nach Afrika gehen. Hier bei uns ist das doch eine Blamage.«

Daß der Teufel auch so schwarz war, ja, noch schwärzer, darüber sagte die Kaffeekanne kein Wort.

»Pst, Sie! Schwarzer!« rief die Kaffeekanne nach oben, »warum gehen Sie nicht nach Afrika?«

Der kleine Mohr aber hatte ein anderes Temperament als die griechische Nymphe.

»Bäh!« sagte er und streckte der Kaffeekanne die Zunge heraus.

Als der Teufel sah, daß es Streit geben würde, rieb er sich die Hände vor Vergnügen, rollte die roten Augen und kokettierte mit den Hörnern. Er hatte Sympathien für die alte Kaffeekanne, denn sie sorgte immer dafür, daß es ihm erfreulich ging und daß er etwas zu tun hatte.

Der Chinese sagte nichts und nickte mit dem Kopf. Es war dies das einzige, was er wollte oder konnte. Er hatte keine Beine, sondern nur einen Bauch, gelb wie eine Zitrone, und auf dem Bauch einen Kopf, mit dem er wackelte. Mehr brauchte er nicht, denn er war ein Weiser aus China, und da genügt das. Die Kaffeekanne konnte ihn eigentlich auch nicht leiden, aber da er auf alle Beleidigungen, die sie ihm zugerufen hatte, nur immer freundlich mit dem Kopfe nickte, fand sie es langweilig und ließ ihn in Ruhe. »Wackelkopf« war das letzte, was sie über ihn gesagt hatte, und das ist für einen Weisen aus China immerhin ein ziemlich starker Ausdruck. Aber auch dazu hatte er genickt, und seitdem hielt sie ihn für blödsinnig.

»Bäh!« sagte der kleine Mohr noch einmal und streckte die Zunge zum zweiten Male heraus. Es war eine lange, breite, rote und gesunde Zunge.

»Dieser schwarze Bengel ist abscheulich«, sagte die Kaffeekanne, »mein Himmel, was sind das für afrikanische Manieren mitten unter unserem vornehmen Zwiebelmuster! Aber diese nackte Nymphe und der eklige kleine Mohr sind noch lange nicht das Schlimmste. Das Schlimmste, meine Damen, ist das Liebespaar über uns, das sich nicht schämen wird, sich demnächst vor unseren Augen zu küssen!«

Die Kaffeetassen klirrten entrüstet und sahen neugierig nach oben. Dort saß eine niedliche kleine Schäferin mit einem Blütenkranz im Haar, und vor ihr kniete ein Pierrot mit einer Laute und sang für sie ein altes Liebeslied aus der Provence. Sie sah zu ihm hinunter und wippte mit dem zierlichen Fuße den Takt der Melodie, die schon so viele vor ihnen gesungen hatten, im blauen Mondlicht und mit dem Blütenkranz im Haar.

Der Teufel rollte mit den roten Augen, kokettierte mit den Hörnern und rieb sich die Hände vor Vergnügen. Auf dem Gebiet der Liebe waren die alten Kaffeekannen mit der spitzen Schnauze für ihn von unschätzbarer Bedeutung.

Die feine Porzellanuhr aber, die ganz oben auf dem Glasschrank über allen stand und allen ihre Stunden schlug, wollte auch wirklich gerade die Stunde schlagen, zu der die Schäferin und der Pierrot sich küssen sollten. Denn die Uhr geht ihren Gang, und sie nimmt keine Rücksicht auf die alten Kaffeekannen und ihre spitzen Schnauzen.

»Ja, das ist das Schlimmste«, sagte die Kaffeekanne, »aber das Allerschlimmste ist es noch nicht. Das Allerschlimmste, meine Damen, ist …«

Die Kaffeetassen zitterten vor Aufregung, und die unschuldigen, kleinen Mokkatassen kicherten vor Vergnügen.

»Liebe Kusine, hören Sie auch, was das Allerschlimmste ist?« fragte die Kaffeekanne und stieß die dicke Teekanne mit dem Henkel an.

Die Teekanne wachte auf, hob den Deckel ab und grüßte.

»Guten Abend«, sagte sie und schlief wieder ein.

»Das Allerschlimmste, meine Damen, ist, daß diese Liebenden, an denen wir mit Recht Anstoß nehmen, sich nicht einmal treu sind! Der Pierrot hat soeben mit der nackten Nymphe Blicke getauscht, und die leichtsinnige Schäferin hat ihren Blütenkranz dem schwarzen Negerscheusal geschenkt.«

Der Teufel rieb sich die Hände derartig vor Wonne, daß sie anfingen abzufärben und helle Flecken bekamen.

Es war aber gar nicht wahr, was die Kaffeekanne gesagt hatte. Denn die Nymphe hatte sich abgewandt, und auf dem Rücken hat auch eine Nymphe keine Augen, und der kleine Mohr hatte keinen Blütenkranz in der Hand, sondern ein großes Messer, wie das für einen Schwarzen aus Afrika einfach zur Garderobe gehört. Es war aber kein Mordmesser, sondern ein Messer für Butterbrote, denn der kleine Mohr war eine ganz harmlose Person und bloß aus Porzellan.

Die Lauten aber und die Herzen sind empfindliche Dinge, auch wenn sie nicht aus Porzellan sind, und sie fragen nicht immer, ob etwas wahr ist oder nicht. Und so geschah es, daß eine Saite auf der Laute des Pierrots zerriß und das Herz der kleinen Schäferin einen Sprung bekam. Das alte träumende Liebeslied aus der Provence verstummte, der Pierrot sah traurig zu Boden, und die kleine Schäferin sah traurig zur Seite. Die feine Porzellanuhr über ihnen schlug silbern die Stunde, da sie sich küssen sollten. Aber es war nicht mehr ihre Stunde, die ihnen schlug, und sie küßten sich nicht mehr. Es ist etwas Trauriges um einen Sprung im Herzen und um eine zerrissene Saite.

Der kleine Mohr aber war der Tapferste von allen. Er ergrimmte, als er das alles sah, so sehr, daß er sein Butterbrotmesser von sich warf und einen Putzlappen erwischte. Und mit diesem Putzlappen sprang er durch den schmalen Spalt zwischen den Fächern des Glasschrankes hindurch und stopfte der Kaffeekanne die spitze Schnauze, so daß sie nicht einmal mehr das Wort Kaffee aussprechen konnte.

Als aber der Teufel das sah, rieb er sich nicht mehr die Hände, sondern ihm wurde mit einem Male sehr flau zumute. Und dann fiel er um und zerbrach in lauter Scherben. Denn immer, wenn einer alten Kaffeekanne die spitze Schnauze gestopft wird, wird einem Teufel flau, und er geht kaputt. Darum kann man das gar nicht oft und nachdrücklich genug besorgen.

Die Nymphe lachte, und der kleine Mohr strich sich ein Butterbrot mit dem großen Butterbrotmesser, und das hatte er gewiß reichlich verdient. Die Schäferin sah den Pierrot an, und der Pierrot sah die Schäferin an, und dann küßten sie sich doch noch. Die Uhr aber tat ihnen den Gefallen und schlug die Stunde, die ihnen bestimmt war und die sie verpaßt hatten, noch einmal.

Es geschieht nur ganz selten im Leben, daß eine Stunde, die einem bestimmt war und die man verpaßt hat, noch einmal wieder schlägt. Darum soll man sehr vorsichtig sein mit allem, was von Porzellan ist und was so leicht einen Sprung bekommt. Nachher ist es zu spät.

Es haben ja wohl alle irgendeinen Sprung im Herzen, und daran ist selten etwas zu ändern. Und man mag wohl einen Sprung im Herzen bekommen um eine zerrissene Saite und um ein verstummtes Lied, um einen Kuß, der nicht geküßt wurde, oder um eine Stunde, die einem niemals schlug – aber keinesfalls soll man einen Sprung bekommen bloß wegen der spitzen Schnauze einer alten Kaffeekanne. Die soll man tüchtig mit einem Putzlappen stopfen, wo man sie nur immer findet. Denn die ist keinen Sprung im Herzen wert.

Der Weise aus China ohne Beine und mit dem gelben Bauch meinte wohl ganz dasselbe, denn er nickte mit dem Kopfe dazu. Aber es ist freilich wahr, daß er auch vorher stets mit dem Kopf genickt hatte. Wahrscheinlich konnte er gar nicht anders, und dann darf man auch nicht allzuviel darauf geben. Vielleicht war er auch gar kein Weiser, denn eigentlich war er nicht aus China, sondern aus Meißen.

Die dicke Teekanne aber hatte die ganze Geschichte verschlafen, und sie wußte nichts von einem Sprung im Herzen. Nur als der Teufel in Scherben ging, wachte sie schnell ein bißchen auf, hob den Deckel ab und grüßte.

»Guten Abend«, sagte sie und schlief gleich wieder ein.


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