Artur Landsberger
Haß
Artur Landsberger

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Zweites Kapitel.

Vom Tode des jungen Stoelping.

Feldpostbriefe
Stoelping an seine Frau.

Meine Liebe, es dauert und bedrückt mich, Dich in Angst um mich zu wissen. So sehr Du Dich in Deinen Briefen mühst, tapfer und zuversichtlich zu scheinen, so fühle ich doch, wie hinter jedem Deiner Worte Dein Herz zittert.

Wie mußt Du Dich quälen, Du Arme, Gute, daß mir Dein Zuspruch, Dein Vertrauen, Deine Munterkeit, statt mich zu beruhigen, wie ein Angstschrei ins Herz schneidet. Was gäbe ich drum, könnte ich Dich nur ein paar Minuten lang in den Armen halten und Dich ruhig streicheln.

Denn was kann ich Dir noch sagen, um Dich zu beruhigen?

Glaube mir doch, daß ich stolz und glücklich bin, dabei sein zu dürfen. Bei aller Liebe zu Dir: ich würde es einfach nicht ertragen, in dieser Zeit zu Haus zu sitzen. Ich würde mich vor Dir und mir und nicht zuletzt vor unserem Jungen schämen, für dessen Zukunft ich letzten Endes ja auch kämpfe.

Einmal mußte dieser Krieg kommen; und es ist gut, daß er jetzt kam. Bedenke auch, wenn er später gekommen wäre, daß Du dann vielleicht unseren Jungen hättest hergeben müssen. Denn er wäre nicht unser Sohn, wenn die Stunde der Gefahr ihn in mannbarem Alter getroffen und zu Hause gelitten hätte.

Der aber hatte sein Leben noch vor sich, während ich an Deiner Seite zehn Jahre leben durfte. Diese zehn glücklichen Jahre – das bedenke, wenn Gott will, daß ich falle, – waren reich genug, ein ganzes Leben zu füllen.

Aber noch lebe ich! Lebe schöne, unvergleichliche Tage mit meinen Jungens, die sich wie die Löwen schlagen. Sie gehen mit mir durch dick und dünn. Und gilt es mal, ein paar tollkühne Leute für einen schwierigen Ritt zu bestimmen, und ich sage: »Kinder, ich brauche drei mutige Kerls! wer will freiwillig . . .?« Weiter komme ich nie; denn im selben Augenblick brüllt auch schon die ganze Schwadron einstimmig: »Ich!«

In solcher Gesellschaft zu kämpfen und, wenn Gott will, zu fallen, wiegt – zürne mir nicht, Ella – alles Glück der Welt auf.

Aber noch lebe ich! Und die Beruhigung wenigstens darfst Du haben: meine Jungens würden meinen Tod blutig rächen. Dabei sind unzählige unter ihnen, die Frau und Kind, an denen sie genau so hängen, wie ich an Euch, zu Haus gelassen haben – ohne zu wissen, wovon die morgen leben sollen, wenn sie heute fallen.

Denke immer, wie gut wir es haben, und mit wie frohem Gedenken an Euch ich kämpfen und – was schwerer wiegt – wie sorglos ich, wenn es dahin kommt, die Augen schließen kann. Während Tausenden, die fallen, in ihrer letzten Stunde die Not der Ihren vor Augen steht.

Aber noch lebe ich, Ella, und kann nicht fassen, daß Du so mutlos bist; so ganz anders, als ich Dich in so großer Stunde erwartet hatte. Wenn ich daran denke, wie stark Du warst, als wir Abschied nahmen.

Du mußt Dich zusammenreißen, Ella, schon des Jungen wegen. Jetzt, wo sein Vater im Felde steht und für Deutschlands Größe kämpft, ist die beste Zeit, daß die Vaterlandsliebe in ihm Wurzeln schlägt. Indem Du dafür das Verständnis in ihm weckst, hilfst Du Dir am besten über schwere Gedanken hinweg.

Noch lebe ich und umarme Dich und den Jungen,

in Liebe Dein Mann.

*

Bester Mann!

Ja, Du siehst mir ins Herz. Du erinnerst mich, wie stark ich war, als wir Abschied nahmen. Und so sehr ich mich mühe, ebenso mutig zu scheinen, wie ich damals war, Du fühlst doch, daß ich eine andere bin.

Soll ich Dich in dem Glauben lassen? Muß ich doch immer daran denken, daß ich Dir gerade in schweren Tagen durch meinen Mut und mein Gottvertrauen neben dem »Weibchen«, das man zärtlich liebt, der treue Kamerad wurde.

Muß ich nicht fürchten, Dir wieder nur Weib zu sein, wenn ich jetzt versage, wo jedes Zeichen, das Dir von mir wird, ganz nur mutige Fassung und freudige Zuversicht sein dürfte?

Mein Vertrauen müßte Dir Sicherheit und Ruhe geben. Und wenn Du Dich, Deinen Jungens voran, in den Kampf stürzt, müßte der Gedanke an mich Dich begleiten und Dich an den Frieden Deines Hauses mahnen, in dem mit Deinem Sohne auch Dein Geist fortlebt. – So unerschütterlich fest müßte ich sein!

Und, bester Mann, ich wäre es!

Und wenn Du, was Gott verhüten möge, gefallen wärst: eine stolze Mutter hätte ihrem Sohne von dem Heldentode seines Vaters erzählt. Die Zähne hätte ich aufeinander gebissen, und keine Träne hätte dem Jungen meinen Schmerz verraten. Und Jahr für Jahr hätte ich die Wiederkehr dieses Tages in stolzer Erinnerung mit ihm gefeiert. So hätte ich die Grundlage zur Stärke und Treue – Deine besten Tugenden – in ihm gelegt.

Hätte! Wenn – und nun heraus mit dem Entsetzlichen! – Gott ihn nicht zu sich genommen hätte. –

Da steht's nun! Und ich beuge mein Gesicht über die Worte, die ich eben schrieb und fühle den ganzen Jammer Deines Herzens, und sehe Dich zusammenbrechen, wie ich zusammenbrach und nun mit gefalteten Händen sitze von früh bis spät und spät bis früh und es hinausschreie, um nicht zu ersticken: Ich will meinen Jungen wiederhaben! –

Einer Diphtherie, der Folge einer Erkältung, die er sich auf der Rückreise von Luzern holte, ist er am achten Tage zum Opfer gefallen.

Deine Ella.

*

Meine Ella!

Nun, wo Du weißt, daß ich mit Dir trage, wird Dir leichter sein.

Zu den moralischen Werten, die der Krieg zeitigt, gehört auch der Wille, sich zu überwinden und seine Gedanken von sich und seiner Person ab und der Gesamtheit zuzuwenden; sein Einzelschicksal unbedingt und in allem dem des Vaterlandes unterzuordnen.

Dazu gehört Kraft! Ich hier draußen unter Millionen gleichgestimmter Menschen habe diese Kraft. Daß Du sie nicht hast, nicht haben kannst – arme Ella, ich fühle es deutlich.

Dennoch ist es Deine Pflicht, gegen Deinen Schmerz anzukämpfen. Schon um meinetwillen. Ausharren! bis ich komme und Dir tragen helfe! Gelingt Dir das nicht, und mußt Du Dich erleichtern, so vergiß, wenn Du Deinen Schmerz hinausschreist, nie, daß Du in erster Linie Dich selbst beklagst. Denn wer sagt Dir, ob Gott unserem Jungen, indem er ihn so früh schon zu sich nahm, nicht manchen Schmerz ersparen wollte.

Gedenke des Glücks, das wir vier Jahre durch ihn hatten, und statt zu grollen, sei dem dankbar, der es uns schenkte.

Denn wir wollen uns nicht etwa mühen, zu vergessen. Ich wenigstens möchte die Erinnerung nicht missen. Ich habe bisher im Felde alle Tage Zeit gefunden, mich mit Dir und dem Jungen zu beschäftigen. Ich werde es weiter tun, wenn meine Gedanken an unseren Jungen von nun an auch eine andere Richtung nehmen müssen.

Mich gefaßt und ruhig zu wissen, wird hoffentlich auch auf Dich seine Wirkung üben. Bin ich erst wieder daheim, soll meine Sorgfalt und Liebe Dich alle Schmerzen, die Du jetzt leidest, vergessen machen.

Zittere nicht, wenn ich jetzt seltener schreibe; je weiter wir nach Frankreich hineinkommen, um so unsicherer wird die Bestellung.

 
Nächster Morgen.

Gut, daß die Feldpost gestern nicht ging. So kann ich Dir heute eine Freude machen. – Denke Dir, dank dem Schneid zweier meiner Jungens, die des Abends einen kühnen Erkundungsritt unternahmen, gelang es mir heute nacht, zwei feindliche Batterien zu überrumpeln, und ohne daß ich einen meiner braven Jungens zu opfern brauchte, zu nehmen. Du kannst Dir mein Glück denken. Ich fasse es als eine Art Abschiedsfeier auf, da es beschlossene Sache ist, daß ich in diesen Tagen als Major zum Stabe komme. –

Nun geht's fort! Sei stark und zwinge Deine Gedanken, sich mit dem zu beschäftigen, was wir Deutsche in diesen großen Tagen durchleben: ein Wunsch und Wille in den Herzen von Millionen Menschen, denen sterben nichts, siegen alles bedeutet; die sich, ohne an sich zu denken, in dem Gefühl einer heiligen Pflicht und ungeheuren Verantwortung nur als Teil des Ganzen fühlen. Gegenüber der Größe, die in dieser Selbstüberwindung liegt, erkenne, wie wenig in solcher Zeit das Schicksal des einzelnen bedeutet. Erfasse die Zeit, und Dir wird Dein Leid nicht mehr so groß erscheinen.

In treuer Liebe

Dein Mann.

*

Bester Mann!

Deine Fassung und Dein Mut haben mich vor dem Zusammenbruch bewahrt. Ich war ganz einsam und sah keinen Menschen, seit sie unseren Jungen aus dem Hause trugen. Ich habe jeden Tag von früh bis spät in seinem Zimmer gesessen und das Tischchen, an dem er seine Mahlzeiten nahm, und das leere Bett und sein Spielzeug angestarrt.

Ich konnte nicht begreifen, daß das alles nun aus sein soll.

Ich habe an das Mädchen denken müssen, dessen Bräutigam 1870 in den Krieg zog. Am Tage des Einzugs der siegreichen Truppen stand sie als eine der ersten stolz und mit Blumen geschmückt unter den Linden. Strahlenden Auges sah sie vom frühen Morgen an Truppe nach Truppe an sich vorüberziehen. Jetzt endlich kamen die Jäger, mit denen er hinausgezogen war. Da mußte er bei sein! Aber er kam nicht. Das Mädchen stand und wartete. Und als der letzte Soldat vorübergezogen war, und die Menschen sich längst zerstreut hatten – da stand sie noch immer, die Augen, die nun nicht mehr glänzten, zum Brandenburger Tor gerichtet, – stand, bis tief in die Nacht, und wartete. – Aber er kam nicht.

Und an jedem Morgen erschien sie wieder; wartete an derselben Stelle; Blumen in der Hand; sah nicht, was um sie herum vorging; stand, und starrte die Straße hinunter – bis zum Abend.

Jeder kannte sie und wußte, was sie hierhertrieb; aber keiner wagte, mit ihr zu sprechen und ihr zu sagen, daß er ja nun nicht mehr kommen werde.

Ihre Augen sind inzwischen gebrochen, ihr Haar ist weiß geworden – aber sie steht nach 44 Jahren noch immer und starrt auf dieselbe Stelle. Ihr Geist ist umnachtet, und sie weiß wohl nicht mehr, worauf sie wartet. Aber wenn die Truppen diesmal wieder ihren Einzug halten, – vielleicht, daß Gott dann ein Wunder tut, – und daß sie gesundet.

Siehst Du, bester Mann, genau so trieb es mich Morgen für Morgen in das Zimmer unseres Jungen. Genau so treibt es mich noch heute. Aber während ich bisher da saß, die Wände anstarrte und wartete, ohne zu denken, arbeitet nun, wo ich Dich gefaßt und stark weiß, auch mein Verstand wieder. Denn ich habe nun ein Ziel, dem zuliebe ich gegen meinen Schmerz kämpfe; Dir nachzustreben, Bester, damit Du bei Deiner Rückkehr, an die ich glaube, eine stolze, mutige, glückliche Frau findest.

Über Deine Heldentat und die Beförderung zum Stabsoffizier bin ich stolz und zugleich glücklich, weil ich – darf ich das? – Dein Leben nun weniger als bisher gefährdet weiß.

Siehst Du, Bester, ich billige alles, was Du schreibst und begreife und teile sogar Deine Gefühle. Ich fühle die Größe der Zeit wie Du. Ich bete wie Du für unseren Sieg. Ich gäbe alles für ihn hin; und gäbe es freudig. – Aber daß Du mir erhalten bleibst, ist ein Gebet, das ich nicht zurückstellen kann hinter meine anderen Gebete. – Auch nicht hinter die, die unserem Siege und dem Vaterlande gelten. Sei mir darum nicht böse! Ich habe Dich lieb!

Deine Ella.

 


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