Artur Landsberger
Haß
Artur Landsberger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel

Am nächsten Morgen

Am nächsten Morgen sagte der alte Stoelping mit einem leisen Vorwurf zu seinem Sohne, der ganz gegen seine Gewohnheit mit keinem Worte von seinem Ausflug sprach:

»Das war, soweit ich mich erinnere, das erstemal, daß du einer Frau wegen deine Arbeiten zwei Tage lang im Stiche gelassen hast.«

Frau Ella, die längst die Veränderung im Wesen ihres Sohnes sah und fühlte, daß sein Schweigen mehr als schlechte Laune war, stieß ihren Mann an und sagte:

»Ich bin froh, wenn der Junge sich mal eine kleine Erholung gönnt; wenn er verheiratet wäre, würde ihn seine Frau jedenfalls mehr in Anspruch nehmen als jetzt der Sport.«

»Du verstehst mich falsch . . .«

»Nein, nein, ich verstehe schon richtig,« – wehrte Frau Ella ab und bat ihren Mann durch Schütteln des Kopfes, nicht zu widersprechen.

Aber der alte Stoelping fuhr trotzdem fort und sagte:

»Gewiß! Willi arbeitet eher zu viel als zu wenig, und über seine Tüchtigkeit ist kein Wort zu verlieren. Er ist mir manchmal sogar zu tüchtig – aber,« – und er machte eine Pause und sah seinen Sohn an –

Die Pause benutzte Frau Ella, um zu sagen:

»So laß doch!«

Der alte Stoelping achtete nicht darauf.

»Aber,« sagte er noch einmal, – »wenn er die Hälfte arbeiten würde und halb so tüchtig wäre und dafür mit einer deutschen Frau verheiratet und glücklich wäre, so wäre mir das tausendmal lieber.«

»Es hat ja noch Zeit!« vermittelte Frau Ella, – »er ist ja kaum dreißig.«

»Und hat doch schon Partien ausgeschlagen, um die ein Prinz ihn beneidet hätte!«

»So laßt mich doch!« sagte jetzt der junge Stoelping laut und gereizt. »Ich werde nur eine Frau heiraten, die ich liebe.«

»Oho!« erwiderte der Alte. »Das klingt ja ganz neu! Bisher hieß es immer, du könntest nicht lieben und würdest daher überhaupt nicht heiraten.«

»Aber du hörst doch . . .« suchte die Alte wieder zu vermitteln.

»Gewiß! Und ich höre vielleicht mehr heraus als du! Aber die Schande wirst du dir und uns nicht antun . . .«

»Vater!« rief der junge Stoelping, »ich bitte dich, laß das!«

»Was habt ihr nur?« fragte Frau Ella ganz verzweifelt.

»Und wenn du wirklich das Unglück hast und das fertig bringst, dich in diese Miß Harrison zu verlieben, so mußt du eben darüber hinweg! und zwar so schnell wie möglich! Ich sage dir das, bevor du dich etwa zu irgendeinem unbedachten Wort hinreißen läßt.«

Aber Stoelping sprang auf und stürzte, ohne ein Wort zu erwidern, aus dem Zimmer.

Frau Ella sah ihm nach, schwieg erst, schüttelte dann den Kopf und sagte zu ihrem Mann:

»Du hättest ihn nicht so reizen sollen.« Aber der Alte erwiderte:

»Ich werde es nicht dulden!«

»Du tust ihm unrecht . . . Du vergißt . . .«

»Er sorgt dafür, daß ich es nicht vergesse! –«

Frau Ella rang verzweifelt die Hände:

»Wenn es uns in 25 Jahren mit Liebe nicht gelungen ist!«

Der alte Stoelping fiel ihr ins Wort:

»Es ging sehr gut bisher! Besser als ich es je erwartet hätte. Und was noch fehlt oder etwa von Geburt her noch in ihm ist, das wird in der Ehe mit einer deutschen Frau ganz schwinden.«

Frau Ella seufzte:

»Und das glaubst du wirklich?« fragt« sie und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Ich bin sogar davon überzeugt,« erwiderte der Alte.

»Das kommt daher, daß du nur mit den Augen siehst,« erwiderte sie sanft, »eine Frau und Mutter aber sieht auch mit dem Herzen. Und daher kommt es wohl, daß sie mehr sieht.«

*

Förmlich, wie am ersten Tage, hatte Miß Harrison den jungen Stoelping mittags vor dem Kaiser-Friedrich-Museum begrüßt, hatte mit pedantischer Sorgfalt, als gälte es einen geschäftlichen Auftrag zu erledigen, an der Hand Baedekers jeden Saal nach Sternenbildern abgesucht, ihn im Namen ihres Vaters zum Lunch in ihr Hotel gebeten und, ohne auch nur mit einem Blick sich etwas zu vergeben, ihm zum Abschied die Hand gereicht.

Und Stoelping, der die ganze Zeit über auf ein Wort oder Zeichen oder sonst eine Gelegenheit gewartet hatte, um dieser Farce ein Ende zu machen, hatte den Mut nicht gefunden, mit ihr über Dinge zu reden, die – wie er annahm – beiden näher lagen als Rembrandt, Holbein und Filippino Lippi.

Nur als Mr. Harrison beim Lunch sagte:

»Übrigens, Herr von Stoelping, meine Tochter hat mir zu meiner Freude erzählt, daß Sie sich entschlossen haben, in Köln für mich zu reiten,« und er, im ersten Augenblick betroffen, sich gerade wieder in der Gewalt hatte und im Begriffe war, trotz dieser Zusage Bedenken zu äußern, da traf ihn ein Blick der Miß Harrison, der ihn an die Stunden in Bayreuth erinnerte. Die sonst so klugen, kalten Augen blickten ihn jetzt so weich und zärtlich an, daß er am liebsten aufgesprungen und ihr an den Hals geflogen wäre.

»Ich habe es Ihrem Fräulein Tochter versprochen; Sie können auf mich rechnen!« sagte er.

Und dann, als er sich von ihrem Vater und ihr im Vestibül verabschiedet hatte und eben in Hut und Pelz aus der Garderobe trat, kam sie wie zufällig vorüber und rief ihm beim Vorbeigehen zu:

»Bitte kommen Sie doch im Flugzeug nach Köln. Ich möchte gern noch einmal den Rhein herunter.«

Stoelping stand wie elektrisiert, behielt den Hut auf dem Kopf, sah sie groß an und sagte:

»Gewiß! Gewiß!«

Und als er auf sie zugehen wollte, nickte sie ihm flüchtig zu und war im selben Augenblick im Vestibül, das voll von Menschen war, auch schon wieder verschwunden.

 


 << zurück weiter >>