Joseph von Lauff
Springinsröckel
Joseph von Lauff

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4

Schon eine halbe Stunde vorher . . . der Kapitän war gerüstet.

Es ging auf acht.

Er stand in Erwartung der von ihm geladenen Freunde.

Alles war blitzblau um ihn: die Wände, das Bett, das sich in einer verschwiegenen Nische aufhob, der Glasschrank, die Stühle, die Anrichte mit den Delfter Tellern und Assietten, selbst die Vorhänge, die dem Zimmer nach außen hin einen würdigen Abschluß verliehen.

Mitten über dem Tisch hing eine mächtige Lampe. Ein Schirm aus blauem Nesselzeug dämpfte das Licht und gab eine Stimmung wie die in der berühmten Grotte von Capri. Sie verfeinerte die gröberen Linien, das Derbe, Ungefüge der Ausstattung. Sie lasierte mit einem eigenartigen Schmelz und schuf auf diese Art einen harmonischen Ausgleich – eine Farbenskala vom hellsten Ultramarin bis zu den tiefsten Indigotönen. Allerlei Schildereien aus dem Leben der heimischen Schiffer, Ansichten von Duisburg-Ruhrort, von Emmerich, Nymwegen und Rotterdam reihten sich nett aneinander, während das Modell des aufgetakelten Kohlenschiffes ›Maria, sei mit uns‹, die Flagge von Matthias Stinnes & Söhne an der obersten Toppstange, ein stattlicher Schleppkahn von 2000 Tonnen Tragfähigkeit, an einem Kettchen von der Decke niederbaumelte und sofort erraten ließ, mit wem man es in dieser Behausung zu tun hatte.

Moritz, in Ehren ergraut, mit Ehren in Pensionierung gegangen, war ein kerniger Mann, kurz gedrungen, so um die siebzig herum, glattrasiert und mit einem bronzeroten Gesicht, das von einem graumelierten Haarkranz eingerahmt wurde. Allein in diesem bronzeroten Gesicht saßen zwei Augen, hell und durchsichtig wie aus Schmalte geblasen, kindliche Augen, aber auch Augen wie die eines Gewaltigen, die, wenn der Zorn sich unter der Schädeldecke regte, aufbegehrten und flammten wie der Blitz in der Wetterwolke. An seinen Ohrläppchen klebten silberne Anker, feingetrieben und von je zwei Stiftchen gehalten. Der echte und rechte Typ eines niederrheinischen Schiffskapitäns, das war dieser Moritz van Dornick, etwas verlähmten Fußes, ein Gebrest, das ihm seine letzte Talfahrt eingebracht hatte, jovialen Sinnes, aufbrausend, zeitweilig Bombastikus, aber immer darauf bedacht, den ehrlichen, braven, rechtschaffenen Kerl der engeren Heimat flott und über Wasser zu halten. Nebenher und so beiläufig war er auch noch von einer beneidenswerten Grobheit, wenn auch vorsorglich gegen Nellecke und leider zu nachsichtig gegen seinen Sohn Ewert, der im benachbarten Emmerich die Handlung erlernte und sich anschickte, den würdigen Posten eines Kommis zu bekleiden – Kommis im Hause Harkopp & Söhne, einer geachteten und seßhaften Firma, die sowohl in Tabak, Zigarren und Zucker wie auch in Kaffee und Zichorien machte.

Straffen Leibes, in blauem Jackett und roten Plüschpantoffeln, saß Moritz vor einer bauchigen Suppenterrine, in der er bereits eine ergiebige Portion Punschessenz mit Zucker, Tee und verschiedenen Zitronenscheiben angesetzt hatte. Das hierzu gehörige Wasser stand auf dem Ofen und begann in dem kupfernen Kessel schon leise zu plaudern. Vier stattliche Gläser umgaben das porzellanene Gefäß, dem bald ein wohliger Brodem entsteigen sollte. Ebenso viele Teller und Schüsselchen mit belegten Broten und gesulzten Schweinsknöchelchen schlossen sich an, dazu die erforderlichen Messer und Gabeln – alles blank und sauber hergerichtet wie das Küchengeschirr auf einer holländischen Treckschuit.

Der Kessel plauderte immer heller und lauter, begleitet von dem bedachtsamen Gang des Perpendikels, der sich mit sonorem ›Tick-Tack‹ in dem altfränkischen Kasten bewegte, als plötzlich ein heiseres, langatmiges Näseln einsetzte, dem ein Klingen folgte, ähnlich dem gebieterischen Ton einer Schiffsglocke.

Der blaue Mynheer zählte die einzelnen Schläge.

»Acht Uhr,« sagte er in gehobener Laune und streckte die Beine. »Jetzt müssen sie kommen.«

Gleichzeitig klopfte es an. Das Schloß winselte auf, und zwischen Tür und Angel zeigte sich das bartlose, bleiche, gespensterhafte Gesicht eines Mannes, der, eine weiße Zipfelmütze auf den Spinnwebhaaren, mit verwaschenen, ausgebleichten Augen die Wohnung absuchte.

»Moritz, wenn es erlaubt ist . . .«

»Immer man 'rein in die Koje, und setz' dich, Johannes!« und siehe: steifbeinig wie ein Marabu, im abgetragenen, aber properen Gehrock, unter dessen Schößen er die Hände verborgen hielt, stelzte der weiße Mynheer in die gastliche Stube, legte dem Kapitän die rechte Hand auf die Schulter und sagte: »Moritz, in den Sprüchen Salomonis, und zwar im sechzehnten Kapitel, steht dieses geschrieben: Graue Haare sind eine Krone der Ehren, die auf dem Wege der Gerechtigkeit gefunden werden. Moritz, wir sind mit solchen behaftet, und wir gehören nicht zu denen, von welchen verkündet wird: Wer mit den Blicken zwinkert, denkt nichts Gutes, und wer mit den Lippen deutet, vollbringet Böses. Moritz, wir beide haben niemals gedeutet und niemals gezwinkert. Besonders du nicht, mein Junge. Dein Auge ist sonder Arglist, und deine Zunge ist ehrlich. Aber was ich für die Hauptsache ansprechen möchte: Deine Rechte weiß nicht, was die Linke tut. Du gibst gewissermaßen mit schöner Noblesse; justament wie'n Proviantmeister an seinem Geburtstag.«

»Oho!«

»Nichts für ungut, mein Lieber. So per Exempel zum heutigen Abend: Schweinsknöchel und Punsch von richtig gehendem Arrak. O, o! solches ist 'ne großartige Nummer. Und daß ich dabei sein darf, daß du in deiner kavaliermäßigen Freigebigkeit . . . Moritz, ich danke dir vielmals.«

»Herr und kein Ende!« rief der blaue Mynheer und packte seinen Zimmernachbar beim Ärmel. »Johannes, ich bitt' dich, keine Bibelsprüche für heute. Leg' dich vor Anker, gib Breitseite her und lass' dich auf dein Achterdeck nieder,« und damit drückte er den etwas umständlichen alten Herrn in den bequemen Polsterstuhl nieder, der hinter dem kreisrunden Tisch wie ein ehrfurchtgebietendes Phantom aufragte.

Da saß nun Johannes Terstegen, bolzengerade, schmächtigen Körpers und geisterte unheimlich über das Tafeltuch fort. Der Alte imponierte. Er zählte nicht zu den alltäglichen Leuten, war viel herumgekommen und hatte als Vorsteher der Weber seinen Mann gestanden, obgleich es ihm niemals vergönnt war, irdische Schätze zu sammeln. Aber er hatte sein Leben genutzt und sich weiter gebildet. Seine Frömmigkeit konnte Berge versetzen. Im alten und neuen Testament wußte er Bescheid wie ein gediegener Kanzelredner. Seine Lippen sprudelten über von heiligen Sentenzen, die sich bei Gelegenheit übereinander häufelten wie die glasigen Perlen im Froschlaich. Außerdem: geraume Zeit hindurch hatte er der streitbaren Kirche als Schatullenverwahrer und Bücherrevisor unschätzbare Dienste erwiesen, was diese dankbar quittierte, indem sie ihm eine Freistelle im Altmännerhaus verschaffte, um dem armen Weltweisen die Sorgen und Nöte des Lebensabends weniger fühlbar zu machen. So wurden ihm seine achtzig Jahre wie Daunenfedern und seine Tage wie ruhige Sommertage, an denen sich die Sonne langsam hinter den sanften Hügellehnen versteckte.

»Hm!« sagte Terstegen, und seine Blicke pilgerten um die geheimnisvolle Suppenterrine, stellten die Anzahl der Gläser fest und befaßten sich eingehend mit den gesulzten Schweinsknöchelchen, die sich lieblich und verheißend dem schönen Rahmen der lukullischen Aufmachung einfügten.

»Hm!« sagte er nochmals. »Ich zähle vier Gläser, ebenso viele Teller mit Delikatessen. Wer ist denn noch weiter geladen?«

»Per primus: Herr Aloys Furtwanger. Ohne den Herrn Aktuarius kann ich mir den Jahresabschluß nicht denken.«

»Ganz meine Ansicht. Gediegener Charakter, selbstloser Mensch, Käfergelehrter und Träger eines geachteten Namens. Feiner Gesellschafter, keine hitzige Leber. ›Chevalier‹, wie es die Franzosen benennen. Zart wie Seide; die Krawatte stets mit 'nem doppelten Knoten. Allerhand Achtung! Aber was ich noch sagen wollte: Nellecke ist doch vorhin bei dir gewesen? So um viere herum, wenn ich nicht irre.«

War hier, brachte mein Schmisettchen für den morgigen Sonntag, um dann wieder nach Hause zu kreuzen.«

»So, also doch! und kommt zum heutigen Abend? Ich meine: Silvester und so. Man möchte doch gerne in ihrer Gesellschaft sein Gläschen verzehren.«

»Natürlich. Aber erst das Geschäft. Du weißt ja: wer sich in Kondition bei Röschen Jungklaas befindet, der hat seine Arbeit. Außerdem ist sie dort noch an 'ner kleinen Feier beteiligt.«

»Verstehe, verstehe!« sagte Johannes. »Überhaupt deine Tochter! Ihr fröhliches Herz macht ein fröhliches Angesicht. Ihre Leuchte verlöscht des Nachts nicht. Sie streckt ihre Hand nach dem Rocken, und ihre Finger fassen nach der Spindel. So geschrieben in den Sprüchen des jüdischen Königs. Moritz, du weißt nicht, welchen Schatz du in deiner Tochter besitzest.«

«Na und ob!« lachte der blaue Mynheer. »Aber Kreuzkuckuck noch mal! schon ein Viertel nach achte, der Kessel wird immer mobiler, und noch kein Aktuarius in Sicht! Wollen mal tuten!« und mit einem energischen Ruck stand er auf, hinkte der Tür zu, riß sie auf und brüllte mit seiner verrosteten Stimme durch die langen Korridore des Altmännerhauses: »Dores! Heda, Dores van Bommel!«

Irgend jemand antwortete aus verdämmerter und verlorener Ferne: »Was soll's denn?!«

»Geh' mal zum Aktuarius hin! Er sollte sich sputen. Wir warten schon lange, und das Wasser läuft über.«

»Wird gemacht!« erwiderte Dores; lurksende Schritte ließen sich aus der Tiefe vernehmen.

»All right,« sagte Moritz, schlug die Tür zu, machte sich am brodelnden Kessel zu schaffen und setzte sich wieder, was den weißen Mynheer veranlaßte, seine dürren Finger auf die mächtige Pranke seines Hausgenossen zu legen.

»Du,« meinte er etwas beklommen, »bevor der Herr Aktuarius präsent ist . . . Wer seinen Acker bebauet, der wird Brotes die Fülle haben, wer aber unnötigen Dingen nachgehet, der ist ein Narr. Moritz, ich will meinen Acker bebauen und keine unnötigen Dinge betreiben. Kann ich dir daher mit 'nem Anliegen kommen?«

»Bong! Lege man die Hand an den Riemen; du sollst offenes Fahrwasser haben.«

»Junge, das geht nicht so einfach. Da muß ich die richtige Besinnung erst finden. Ich meine: es will mir schwer von der Seele herunter. Gute Leinweber sind flink mit's Schiffchen, können sich auch mit der Bibel benehmen. Aber in weltlichen Sachen und in solchen, die sich mit der Liebe befassen, sind sie man schwach auf der Zunge. Und dennoch und trotz alledem: ich möchte gerne wissen . . .«

»Was willst du denn wissen?«

»Moritz,« sagte der alte Herr mit aufgerissenen Augen, in deren Tiefe es wie Phosphor flämmerte, »offen und ehrlich: bin ich jemals zudringlich oder neugierig hinsichtlich deiner Dispositionen gewesen?«

»Eigentlich niemals.«

»Oder bin ich dir irgendwie zu nahe getreten im Leben, aus besonderen Gründen oder um 'nen gewissen Profit zu gewinnen?«

»Auch das nicht.«

»Na denn also, dann möchte ich mir die Frage erlauben: Was soll nun mit Nellecke werden?«

»Woso!« meinte der blaue Mynheer. Sein bronzerotes Gesicht wurde noch bronzeroter, und seine Brauen krochen schwer in die Höhe.

Wie auf ein dringliches Geheiß war es plötzlich mäuschenstill in der gemütlichen Stube geworden; nur die altmodische Kastenuhr tat ihren ebenmäßigen Gang, und der kupferne Wasserkessel versuchte heimelig mit seinem Deckel zu klappern.

Johannes Terstegen brach das peinliche Schweigen.

»Du,« sagte er mit einer gewissen Zurückhaltung, »meine Ansicht ist diese: ich denke nicht bloß an Nellecke allein, sondern im vorliegenden Fall auch an Lambert. Er ist mein Einziger, das geliebte Vermächtnis meiner Seligen, hat was prestiert in der Welt, belernt in Obermörmter die Kinder und wäre jetzt hier, hätte der hochwürdige Herr daselbst ihn nicht dringend gebeten, mit ihm den heutigen Abend bei einem Glase Punsch zu verleben. Sonst wäre er totensicher gekommen, schon um Nelleckes wegen.«

»Stopp!« rief Moritz, und seine rechte Hand legte sich nachdrücklich auf das Tafeltuch. »Mensch, darf ich dir gegenüber auch 'ne Lippe riskieren?«

»Immer man zu,« entgegnete der weiße Mynheer und stellte die Fingerspitzen hart gegeneinander.

Moritz tat einen tiefen Atemzug, schlenkerte das rechte Bein über das linke, wippte mit dem scharlachroten Plüschpantoffel und sagte: »Johannes, du kennst mich und kennst mich schon lange. Auch weißt du, in welcher Assiette ich mich allzeit befunden. Was war ich? Du brauchst nur zu fragen. Zwischen Duisburg-Ruhrort und Rotterdam kennen mich alle; alle binnenländischen Kaptäns und solche, die nach Westindien fahren. Blank war ich an Leib und Seele und bin es bis zum heutigen Tage geblieben, abgesehen davon, daß ich mir manchmal einen über 'ne durstige Kehle vergönnte. Habe Glück gehabt, aber auch mächtiges Unglück und habe zu öfters auf schwerer Wetterseite gestanden. Leider Gottes! auch mein Weib ist mir frühzeitig koppheister gegangen. Hab's aber verwunden wie das, daß ich den Hauptteil meines Ersparten zu Rotterdam in der Estaminet von Klaartje Düffels verspielte. Hätte die Karte 'ne bessere Volte geschlagen – Menschenskind, das sage ich dir, es wäre ganz anders gekommen, ganz anders, Johannes. Alle Silberminen von Texas und Louisiana hätte ich in meinem Portefeuille nach Hause getragen, hätte gerufen: Hier bin ich! Hätte als Reeder . . . Was wollt ihr? Na, und nun befind' ich mich hier; denn als das Malör auf der Talfahrt passierte, war's aus mit der Navigatschon, und ich konnte mich auf den Altenteil setzen. Das tat ich denn auch, warf den Rest meiner Barschaft auf 'nen Hümpel zusammen, um zwischen diesen vier Pfählen rentenieren zu können. Geld hab' ich man wenig, aber das kann ich behaupten« – und seine Stimme schwoll an wie ein kleiner Orkan, der steif aus Westen herüberdrückte – »Honnör habe ich von jeher zwischen den Rippen besessen, feines Honnör, pompöses Honnör, so'n handfestes Honnör, das wie'n Blinkfeuer über die See spritzt und alle Sterne verdüstert.«

»Und meinst du – ich nicht?« fragte Terstegen, einen langen, nachdenklichen und etwas verweisenden Blick auf den Sprecher gerichtet.

»Natürlich, natürlich! Selbstverständlich und außer Zweifel, Johannes! Aber nicht als Schiffskaptän, nicht als Kaptän von ‹Maria, sei mit uns‹, in Firma Matthias Stinnes & Söhne, Duisburg-Ruhrort. Gott Verdammich! das nicht, mein Junge, denn zwischen 'nem regulären Schiffskaptän und 'nem properen Leinweber sind doch noch gewisse Unterschiede zu machen. Aber sieh mal, mein Bester: wir zwei beiden haben von jeher liebreiche Freundschaft gehalten und hier im Altmännerhaus auf dem nämlichen Flur und Tür an Tür, sozusagen Dose an Dose, gemeinsam Anker geworfen. So was verpflichtet, ist nicht aus der Welt zu schaffen, hält wie Taustricke, ist für immer kalfatert. Aber mein Honnör als Kaptän von ›Maria, sei mit uns‹ gebietet . . .«

Er wurde unterbrochen.

Dores van Bommel drückte die Klinke auf, steckte den gerupften Schädel, der so glatt aussah wie ein geschältes Straußenei, durch den Türspalt und meldete: »'ne schöne Empfehlung von Drüke Anstoots, und Drüke Anstoots läßte sagen, sie hätte Notiz von die Sache genommen, und der Aktuarius würde bald kommen. Ein Viertel vor neun könnte er hier sein.«

»Merci, mein Söhnchen!« sagte Moritz van Dornick, obgleich dieses Söhnchen schon in die siebzig Jahre hineinwuchs. »Kannst dir auf meine Kosten 'nen Ollen Klaren vergönnen, auch zwei. Morgen wird die Rechnung beglichen. Adjüs denn,« und als sie wieder allein waren, wandte er sich zu seinem Hausgenossen zurück und sagte mit einer majestätischen Geste: »Aber mein Honnör als Kaptän von ›Maria, sei mit uns‹ gebietet . . .«

»Na, was gebietet es denn?« fuhr der weiße Mynheer mit einer unwilligen Bewegung des Kopfes und der bammelnden Schlafmütze energisch dazwischen. »Was gebietet es denn? Keine Ausflüchte. Immer klaren Wein in die Buddel. Ich sollte doch meinen, so'n Honnör ist für alle Menschen gemeinsam und kann keiner in Einzelpacht nehmen.«

Er schien krötig geworden, ebenso krötig wie der kupferne Kessel, der jetzt in unwirschen und lauten Tönen rumorte und einen zischenden, brodelnden Dampf in das Zimmer hineinprustete.

»Na, was gebietet es denn?«

Die kalten Hände verflochten sich krampfhaft.

»Sieh mal, Johannes,« suchte Moritz die Unterhaltung wieder in stillere Bahnen zu lenken, »man muß die Dinge nicht auf den Kopf stellen, sondern sie hinnehmen, wie sie gemeint sind. Wir Männer von den geteerten Planken beanspruchen nun mal 'nen besonderen Pegel; den lassen wir uns von keinem nicht nehmen. Ihr Leinweber habt eure Leinweberbewertung, wir Schiffer hingegen . . . und solche schwebt über dem Wasser, wie Gott, der Herr, über dem Wasser schwebte, als alles noch öde und wüst war. Daran kann man nicht tippen, und daran läßt sich kein Wörtchen verdrehen. Aber jetzt kuck' mal! Da ist nun mein Einziger, da ist Ewert, mein Junge. Großartig! Prächtiger Bengel! Bei dem ist keine Leckage. Regelmäßiger Kurs. Allen anderen toujours zwölf bis dreizehn Faden voraus. Fährt zwanzig Knoten in 'ner einzigen Stunde. Immer alle Segel im Wind. Nobel in Stellung. Nächstens regelrechter Kommis in der Emmericher Firma Harkopp & Söhne . . .«

»Kenn' ich,« nickte der Alte. »Nichts dagegen zu sagen.«

»Tabak und Zigarren,« dozierte Moritz unentwegt weiter. »Außerdem Zucker und Kaffee von der obersten Sorte. Die Firma erstickt an Überbeleibtheit, so steckt sie im Tran drin.«

»Weiß ich,« bestätigte Johannes Terstegen. »Bedeutsame Sache!«

»Schon richtig. Aber mein Junge will über die Harkopps hinaus. Schwungkraft und Freiheit! und ich lasse mich fressen: mein Ewert begnügt sich nicht damit, hinter der Theke zu stehen und pfundweise Tütchens zu wiegen. Dem steht 'ne opulente Geschichte vor Augen. Immer aufs Ganze. Johannes, dem steckt 'n Königlicher Kaufmann im Blute . . . Rotterdam oder Hamburg . . . Hol' mich der Kuckuck, was weiß ich! – in Makassar vielleicht, Yokohama, meinetswegen auch Hongkong, oder wie die anderen südamerikanischen Städte auch heißen. Der macht's mit dem Kopp, mit Tabak- und Zuckerplantagen, und da ist's nur allzu natürlich: er hat seinen berechtigten Ehrgeiz und seinen Stolz unter der Weste und will aus den diesbezüglichen Gründen in 'ne vornehme Familie hinein. Ich betone, ›ne vornehme Familie‹, mein lieber Johannes, und das muß man unter Beurteilung halten.«

»Kann ich verstehn,« versetzte Terstegen, grinste beifällig und rückte seine weiße Schlafmütze etwas zur Seite.

»Blexem und Donnder!« nahm Moritz wieder das Wort auf, »das hat er von mir als Erbteil bezogen. Leider ich blieb an der Binnenfahrt kleben, obgleich mir der alte Herr Stinnes toujours auf die Schulter kloppte und sagte: van Dornick, deine Navigatschon ist vorbildlich im rheinischen Wasser. Eigentlich aber vertrittst du 'nen höheren Standpunkt, denn dein Platz ist auf der Kommandobrücke von 'nem Ostindienfahrer. Schon richtig! nur ich fand den bekömmlichen Dreh nicht. Das soll nun mein Junge besorgen, wenn auch in anderer Hinsicht. Also fort mit ihm, aus der Enge heraus, hinaus auf den Weltmarkt, um als Königlicher Kaufmann seinem Vater und seiner Familie als Vorbild zu leuchten. Und daher, wie ich eben schon sagte: Ewert kann Ansprüche machen.«

»Soll er und kann er,« bestätigte der alte Terstegen, »aber ich wollte für meine Person nicht von Ewert, sondern von Nellecke sprechen, wenn auch die heiligen Sprüche besagen: Mancher kommt zu großem Unglück durch sein eigenes Maul, obgleich ich dieses Wort nicht auf mich selber beziehe, denn für deine Tochter bin ich allzeit durchs Feuer gegangen. Ebenso Lambert. Also, was soll nun mit Nellecke werden?«

»Mit Nellecke?« fragte der blaue Mynheer, und seine Brauen schoben sich abermals straff in die Höhe. »Sie ist meine einzige Tochter, und ich bin stolz auf das Mädchen.«

»Wird unterschrieben,« meinte Johannes. Seine Wimpern fielen wie graue Spinnwebe herunter, um sich wieder langsam zu heben. »Wie das Feuer Silber und der Ofen Gold prüfet, also prüfet der Herr die Herzen der Menschen. Auch das von Nellecke, und es wurde für ehrlich und würdig befunden.«

»Meine Erziehung. Fest und energisch. Ich habe sie immer stramm an der Kandare gehalten, denn es ist kommoder im Leben, 'nen Korb mit Flöhen als ein Weibsbild unter Obacht zu nehmen. Johannes, du weißt es ja selber. Vorläufig ist sie noch wohnhaft und in Kondition bei Röschen Jungklaas. Prima Plätterin. Rassiges Frauenzimmer. Ebenbild meiner Seligen. Knackig und munter, sauber wie'n Borsdorfer Apfel an 'nem feinen Spalierbaum . . .«

»Und ihre Lippen sind wie eine rosinfarbige Schnur,« unterbrach ihn Johannes, »und ihre Rede ist lieblich.«

»Bravo!« rief Moritz. »Da sieh mal!« und schwerfällig hob er sich auf, trat an die Anrichte, entnahm ihr ein Lichtbild, das Nellecke darstellte, und hielt es dem Alten dicht vor die Nase.

»Kreuzkuckuck nochmal!« lachte er auf, »an so was kann sich schon ein Mannskerl vergaffen. Dieser Schwung, diese Haltung! Diese Turnüre! So was gibt's nicht mehr zwischen Kleve und Xanten. Und wenn man alle Honoratiorentöchter in einen Ballsaal zusammen täte« – und damit stellte er die mit einem vergoldeten Rähmchen versehene Daguerreotypie neben die große Suppenterrine und setzte sich wieder – »gegen Nellecke sind sie man bloß aus 'nem Affenkasten gesprungen.«

»Vornehm, sehr vornehm!« echote der weiße Mynheer. »Moritz, sie ist schön deine Tochter, und kein Flecken ist an ihr.«

»Na, wenn du dieses schon selber behauptest, dann kannst du auch meinen Gusto verstehn, wenn ich hiermit feststelle: auch Nellecke will in 'ne vornehme Familie hinein, genau so wie Ewert.«

Johannes Terstegen schreckte zusammen. Seine ausgebleichten und verwaschenen Augen brannten wie Totenlämpchen. Starr und verlähmt waren sie auf den selbstgefälligen Schiffer gerichtet, wobei er mit beiden Händen eine trostlose Gebärde machte, als sähe er sich genötigt, eine delikate und schöneingefädelte Herzensangelegenheit von jetzt an und für immer schwimmen zu lassen.

»Moritz, was heißt das?« stotterte er mit blutleeren Lippen. »Wo soll ich das hintun? Sind wir ihr und dir etwa nicht nobel genug? Ist mein Lambert . . . bin ich nicht . . .? Du willst uns doch nicht die Totenlade bestellen? Sind wir etwa nicht wert und würdig, mit dir in Konkurrenzschaft zu treten? Ich bitte dich im Namen der allerseligsten Jungfrau Maria . . .«

Seine Worte erstickten, gingen unter in einem wehen Gestammel.

»I den Kuckuck nochmal! Wie kommst du auf so was? Das sind ja Salven von persönlicher Dummheit. Immer man stopp, mein lieber Johannes. Du mußt nur den zuständigen Kompaß benützen und das richtige Perspektiv vor die Kucklichter setzen. Überhaupt die Terstegens! Respektabel bis in die äußersten Knöppe hinein. Das will ich dir schriftlich geben, mit 'nem notariellen Siegel drunter. Dunnerkiel und kein Ende! wer das bezweifeln tun täte, der kriegte eins mit 'nem Tauende über, daß er in die oberste Takelage hineinkröch'. Also Respekt vor die Herren Terstegens, aber auch Respekt vor das, was sich van Dornick tut schreiben. Johannes, verstöre dich nicht, aber jeder ist sich selber der nächste. Doch später mehr von der Sache . . . zu 'ner kommoderen Stunde. Ich höre wen kommen. Es kloppt. Angtree! Immer 'rein in die Koje . . .! Ah! – gehorsamster Diener . . .!« und während der Teekessel laut aufpolterte und den Deckel unter Qualm und Dampf auf die Dielen prustete, war der Herr Aktuarius Aloys Furtwanger in die blaue Stube getreten.

* * *


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