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12.

Ehe ich von den drei Kronen Abschied nehme, muß ich noch einer lieben, treuen Hausgenossin gedenken, unserer alten Katze, die wir natürlich mit uns nahmen. Sie war großgefleckt, dreifärbig, eine »Glückskatze«, wie man im abergläubischen Böhmen sagte. Schöner als ihr Äußeres war ihre Sanftmut und rührende Anhänglichkeit. Sie begleitete Mama stets bis ans Haustor und erwartete sie abends im Hofe, wenn sie aus der Oper zurückkehrte. Außer dieser, unserer »Tschitschi« hatten wir aber noch viele andere Katzenkostgänger. Schleppten wir Kinder doch alles heim, was wir von verlassenen Tieren fanden, und Mama selbst auch, wo immer sie einem unglücklichen Tiere begegnete. Sie kamen wohl auch allein, denn unser Boden mündete direkt auf unseren Treppenflur, und in die Türe hatten wir ein viereckig Loch sägen lassen, damit Tschitschi nach Belieben auf dem Boden spazieren gehen konnte. Waren die verhungerten oder verwundeten Kostgänger ausgefüttert und auskuriert, so verschwanden sie auch wieder. Tschitschi war berühmt, ihrer Schönheit halber, im ganzen Kreise unserer Bekannten, und jeder abonnierte sich lange vorher auf eines ihrer schönen Kinder. Im Bewußtsein ihrer hohen Sendung, beschenkte uns die Gute denn auch nach besten Kräften, zwei bis dreimal jährlich, mit je sieben bis neun Jungen, was ungefähr einundzwanzig bis achtundzwanzig Katzen im Jahre gleich kam. Man kann nicht sagen, daß sie es sich leicht machte. Ihr Wochenbett war stets ein sehr schmerzensreiches, obwohl törichte Menschen behaupten, es verursache den Katzen ein besonderes Vergnügen. Sieben bis neun solcher Tierchen zu gebären, zu reinigen und zu erziehen, ist aber keine Kleinigkeit und sicherlich auch kein Vergnügen. Jeden Abend brachte sie uns sämtliche Kinderchen ins Bett, bis wir sie ihr alle wieder in ihren molligen Korb legten; sie beruhigte sich erst dann, wenn sie sah, daß wir sie durchaus nicht behielten, behalten durften, weil Mama fürchtete, wir Kinder würden sie im Schlafe erdrücken. Nach einigen Jahren, als alle unsere Freunde mit Glückskatzen versehen waren, ließen wir die Jungen von einer vertrauenswürdigen Person in der Moldau ertränken, denn wie die Alte sich auch bemühte, angesichts der Tatsache, anstatt sieben nur fünf Junge und anstatt dreimal nur zweimal im Jahre zu werfen, so konnten wir ihr doch nicht helfen. Es war uns lieber, die Tierchen tot als in schlechten Händen zu wissen, und heute würde ich überhaupt nie mehr ein Tier verschenken, weil man nie sicher sein kann, ob sie zu verständigen Herren kommen, die sie pflegen und ihrer achten, wie man ihrer achten muß.

Natürlich übersiedelte sie mit uns und lebte sich gut ein. Einmal aber fehlte sie uns vier Wochen lang. Wir durchsuchten alle Böden und Häuser der Nachbarschaft, alle Keller – alles umsonst; unsere Katze schien verloren. Wir hatten eine ihrer Töchter aufgezogen, ein kleines, graues Persönchen mit übermäßig großen Augen, mit denen sie ganz »betroffen« in die Welt schaute. War sie zu Zeiten »verliebt«, dann schnurrte sie in weichsten Melodien: »Frau Grau!« Wir nannten sie also: Frau Grau! Als wir aber eines Abends aus dem Theater kamen, fühlten wir einen beweglichen Gegenstand vor der Türe an unseren Füßen. Es war unsere gute, liebe Tschitschi, die statt weiß-gelb-schwarz schwarz-schwarz-schwarz, ein Bild des Jammers und Elends bot; ein Knochengerüste. Wir weinten vor Schmerz und Freude um das arme Tier, gaben ihr gleich ordentlich zu essen und besahen sie dann von allen Seiten, wobei wir entdeckten, daß eine Hinterpfote gebrochen war. Arme Miez! Sie mußte in einem Kohlenkeller eingesperrt gewesen sein. Andern morgens lief ich gleich auf die Universität, um einen rührend lieben Tierarzt zu holen, der schon oft geholfen hatte. Mit Gewalt hatten wir sie ans Zimmer gefesselt; ihr Reinlichkeitsgefühl litt sie nicht mehr darin. Sobald der Arzt klingelte und die Tür öffnete, witschte sie hinaus, um abermals zu verschwinden. Erst nach vierzehn Tagen kam sie mit geheiltem Bein zurück, um uns nun nicht mehr zu verlassen.

Heute kommt mir der Gedanke, ob das arme Tier, eingesperrt, Junge geworfen, sich schließlich aus Hunger mit Gewalt befreite, dabei das Bein brach und, nachdem sie sich bei uns gestärkt hatte, wieder zu ihren Kindern zurücklief? Ich glaube es mit Bestimmtheit annehmen zu dürfen. Vielleicht waren diese bei der kargen Nahrung der Mutter verhungert!

Von der Zeit an bekam sie nur mehr einmal im Jahre Junge, und die meisten kamen als Mißgeburten zur Welt. Gleich Vogelflügeln waren die Vorderbeine am Rücken angewachsen und zeigten nur zwei Krallen, während eine dritte, wie eine Wolfskralle, hoch oben darüber saß. Die Hinterfüße normal, nur vier statt fünf Krallen, gar keinen Schwanz oder nur eine Art Stumpf. Obwohl groß und stark, also lebensfähig, ging sie von ihnen und nährte sie nicht – sie, die treueste Katzenmutter! Sie ließ sie einfach verhungern. Natürlich wurden sie schnell und schmerzlos getötet. Professor Maschka bat sich mehrere Exemplare aus, um sie aufzubewahren. Übrigens muß diese Spezies von Mißgeburten öfters vorkommen, da ich in Paris, im jardin d'acclimatation, ganz ähnliche Katzen in Sprit gesehen habe. Tschitschi war nun sechzehn Jahre alt und hatte das »Jungen« ganz an den Nagel gehängt, es machte ihr keine Freude mehr. Sie liebte es, des Morgens auf dem Dache in einer Lucke zu liegen, wohin die ersten Sonnenstrahlen fielen, und eines Morgens stürzte sie von dort herunter in den Hof, auf Blumentöpfe. Wir hörten die Leute schreien, liefen hinunter, da kam sie uns entgegen, und wir glaubten schon, daß sie glücklich davongekommen sei. Bald aber stellten sich furchtbare Krämpfe ein, sie lief laut schreiend im Zimmer herum und fiel plötzlich tot zu Boden. Sie mußte wohl innerlich schwer verletzt sein und beendete auf so tragische Weise ihr viel bewegtes Leben, das sie nun in Ruhe hätte genießen können. – In unsern Herzen lebt sie weiter. – Die kleine »Frau Grau« erbte nun unsere ganze Zuneigung. Sie war in der Tat ein »kleines Persönchen«, hatte einen streitbaren Charakter, und vor ihren übermäßig großen Augen fürchteten sich alle Menschen. Sie ließ sich von anderen auch nicht gerne anfassen, machte aber, was Katzen so selten tun, Kunststücke. Sie konnte »schön machen«, sprang über den Stock, wenn sie wollte; aber sie wollte nicht immer. Sie war nervös veranlagt, litt an Muskelrheumatismus, obwohl sie sehr gut gehalten wurde und unsere Wohnung nie verließ, liebte die Vogeljagd, was wir ihr mit der Rute sehr schnell abgewöhnten; später hielt sie ihre Siesta sogar auf dem Käfig des Dompfaffen, ohne je wieder in Jagdgelüste zu verfallen. Sie trank am liebsten aus dem Goldfischglase, dessen Bewohner über den Besuch so erfreut war, daß er jedesmal an die Oberfläche kam, um mit der kleinen Grauen zu kokettieren. Der arme rote Goldjunge schwamm nun schon seit acht Jahren in dem runden, kleinen Behälter herum! Wenn ich heute daran denke, könnte ich mich über die Qual des armen Fisches und unsere Eselei geradezu prügeln. – Muskelrheumatismus hatte sie einmal für lange Zeit unbeweglich gemacht; auf Anraten des Arztes rieb ich ihr täglich dreimal mit wollenen Lappen und aromatischem Geist den ganzen Körper ein und hatte die Freude, sie bald wieder ganz hergestellt zu sehen. Daher aber stammte wohl ihre Aversion vor allem Anfassen; wer das nicht wußte, tat ihr weh, und dann rächte sie sich sofort mit ihren scharfen Krallen. Sie war so zierlich, daß sie, während wir schrieben, Stunden gaben oder arbeiteten, auf unseren Schultern oder gar auf unseren Köpfen zusammengeringelt lag. Aber auch sie nahm in Berlin ein trauriges Ende, als sie einem – solcher Scherze ungewohnten – Dienstmädchen auf den Kopf sprang, die sie im Schreck abschüttelte, wobei sie unglücklich fiel und das Kreuz brach. In meinem Schoße mußte ich »die kleine Graue« vergiften lassen. – Nun kam uns lange kein liebes Tierchen mehr entgegen, bis wir unsere Liebe auf Hunde verpflanzten, deren wir immer mindestens ein Exemplar besaßen. Schön waren sie nicht immer; vom Mitleid uns zugeführt, das gar nichts nach dem Äußeren frug, wohl aber die Plätze genau kannte, wo warme Herzen zu hilfreicher Aufnahme bereit waren.


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