Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXVIII.
Das Jackett des Herrn Hudson B. Riggs

Herr Hudson B. Riggs tritt nun in die Erzählung ein – etwas spät zwar und nur ganz vorübergehend – in einem Jackett, das über den Schultern ein wenig spannt, und einem strahlenden Lächeln, unter dem sich seine Lippen ein wenig zu sehr spannen.

Herr Riggs hatte sich eine glänzende Stellung im Bergbau von Alaska errungen auf dem Weg über Pachtgut, Staatslandkolonist, Meßkette und Schürfen; und seine groben Hände waren ein Zeichen und Beweis seiner Entwicklung. Der Zweck seines Lebens war, Frau Riggs zu gefallen und zufrieden zu stellen, und er erreichte niemals den Zweck seines Lebens. Sie trug Spangen, und ihr Korsett knackste, und sie hatte ein nervöses Lächeln und konnte auf den ersten Blick, schneller als ein Hundertstel-Sekunden-Kodakverschluß, sagen, ob eine neue Bekanntschaft der Mühe wert sei, »weiter kultiviert« zu werden oder nicht. Es war ihr gelungen, daß Herr Riggs sich in Gesellschaft vollkommen ungefährlich benahm und vollkommen unbehaglich fühlte. Er stand herum und enthielt sich, alles das zu tun, was er gern hätte tun wollen und war überschwänglich höflich mit jungen Bengeln, die er für sein Leben gerne einmal bei sich im Büro gehabt hätte – um mit ihnen fertig zu werden.

Bei der dritten großen Teegesellschaft, welche die Gilsons für Fräulein Claire Boltwood gaben, hätte sich Herr Riggs am liebsten hinausgeschlichen, aber nach seinen letzten Erfahrungen in diesem Punkte mit Frau Riggs hatte er die Methode als unklug verworfen und stand nun am Kamin – also wenigstens von einer Seite gedeckt – und aß Salat-Sandwiches, die er insgeheim »Kuhfutter« nannte und hörte einer zum größten Teil weiblichen Menge zu, die unverständliche Epigramme mit unglaublicher Schnelligkeit vorbrachte, aus denen er nur einzelne Worte auffing, wie: »Famose Hand – gelernte Nurse – Whipcord – wirklich sehenswert – knapp vor dem Loch den Ball verspielt – albernste Person – neues Stubenmädchen – danke verbindlichst«.

Was Herr Riggs nicht wußte, war, daß ein junger Mann, der wie ein guter Tennisspieler aussah und einen unauffälligen blauen Anzug trug, ihn beobachtete. Der junge Mann kam auf ihn zu und sagte:

»Ich höre, daß Sie Bergwerksbesitzer in Alaska sind, Herr Riggs.«

»Ja, ja.«

»Ist jetzt viel zu tun, dort?«

»Nein, nicht sehr viel.«

»Ich hoffe auch, eines Tages nach Alaska verschlagen zu werden – Ich studiere jetzt Maschinenbau auf der U.«

»Wirklich? Schlankweg?« Herr Riggs setzte heftig seine Teetasse auf den Tisch nieder – Frau Riggs würde ihm wohl nachher sagen, er hätte sie an einen falschen Platz niedergestellt, aber das machte nichts. Er beugte sich zu Milt hinüber und schnaubte: »Bieten Sie mir, bitte, eine Zigarette an. Ich weiß nicht, ob man hier raucht und ich wag es nicht, der Erste zu sein. Sagen Sie einmal – Alaska – ich wollt, ich wär jetzt dort. Hören Sie, es ist zu blöd, wie gut Tee in einer Blechschale schmecken kann und wie wässerig aus einer Porzellantasse. Mein lieber Junge, ich weiß nichts von Ihnen, aber Sie schauen ganz gut aus, und wenn Sie fertig sind, um nach Alaska zu gehen, dann kommen Sie zu mir und ich will sehen, ob ich Ihnen nicht helfen kann, dort vorwärtszukommen. Aber kommen Sie nur ja niemals zurück!« Als die Menschenmenge anfing, sich zu zerstreuen und aufzubrechen, wollte auch Milt gehen. Da kam Claire, die während der ganzen Gesellschaft nichts mit ihm gesprochen hatte, außer: »Freu mich so, daß Sie gekommen sind. Kennen Sie Dolly Ransome? Dolly, das ist mein lieber Herr Daggett«; sie schlich sich jetzt an seine Seite, leise wie ein Schatten und flüsterte: »Bitte, gehen Sie noch nicht. Ich möchte mit Ihnen sprechen. Bitte!« Es lag ein bebender Ernst in ihrer Stimme, der jedoch gleich wieder verschwand, als sie, zur Türe eilend, jemandem versicherte, wie gut es ihr in Seattle gefiele.

Milt sah sich in der Halle um. Er studierte eine Konsole mit einer merkwürdigen weiß-schwarzen Vase, in der eine einzige Pfauenfeder war und einen Goldspiegel an einer grauen Wand.

»Schöne Sachen. Der Spiegel gefällt mir. Aber nicht wert, dafür sein Leben lang ein Sklave zu sein. Ich will kein Herr Riggs werden. Armer Teufel, der Kerl tut mir leid. Hat noch die eine leise Chance, sich hinsetzen zu dürfen, den Rock auszuziehen, um eine Zigarre zu rauchen – wenn sie einmal tot ist!«

Die Gäste waren fort; die Gilsons hinaufgegangen. Claire kam dahergerannt, packte Milt am Ärmel und zog ihn zu einem Fauteuil in den Salon – dann seufzte sie, rieb sich die Stirne und sah so müde aus, daß er nichts anderes sagen konnte, als: »Ich hoffe, Sie haben sich nicht überanstrengt.«

»Nein, nur – nur ein bißchen zu viel geredet.«

Er zwang sich zu sagen: »Fräulein Ransome ist sehr nett.«

»Ja?«

»Ja – wirklich – Was hören Sie von Ihrem Vater?«

»Oh, der ist wieder zurück, bei seiner Arbeit.«

»Hat ihm die Tour gut getan?«

»Oh ja, sehr.«

»Hat er – –«

»Milt, erzählen Sie mir von sich. Was machen Sie, was studieren Sie? Wie leben Sie? Kochen Sie sich wirklich das Essen selbst? Geht's vorwärts auf der Universität? Oh, erzählen Sie mir alles. Ich will so vieles wissen!«

»Es gibt nicht so viel zu erzählen. Ich arbeit hauptsächlich Mathematik. Bin ganz herausgekommen. Von Motoren versteh ich mehr als die meisten Anderen. Das hilft mir. Und was das Leben anbelangt – da bin ich konservativ geblieben. Haben Sie gewußt, daß ich meine Garage verkauft hab?«

»Oh nein, das hab ich nicht gewußt!«

Er wußte nicht, warum sie es so bestürzt und beschämt sagte, aber er fuhr sanft fort: »Nun, ich hab sie ganz gut verkauft, aber natürlich will ich nicht riskieren, daß mir das Geld ausgeht und darum geb ich nicht viel aus. – Und« – Er sah auf seine Fingernägel, drehte den Kopf zur Seite und dann wieder zurück mit einem scheuen: »Und ich lerne Bridge spielen und Tennis!«

»Oh Gott!« Es klang wie ein Schmerzensschrei. Sie preßte einen Augenblick lang die Hände krampfhaft aneinander, bevor sie murmelte: »Wann werden wir zusammen unsere erste Tanzstunde haben – – – –?«

»Ich weiß nicht«, parierte er. Dann blickte er sie ehrlich an und gestand: »Ich glaube, niemals, Claire, ich kann es nicht. Ich tauge zu diesem Gesellschaftsspiel nicht. Sie wissen, wie ungeschickt ich wieder war. Oh, ich fürchte mich nicht mehr vor den Leuten; jetzt, wo ich sie näher kennen gelernt habe, kommen sie mir ziemlich genau so vor, wie alle anderen Menschen. Aber ich kann ihr Benehmen nicht lernen. Ich kann nicht genug Aufmerksamkeit aufbringen für den Gedanken, wie man eine Teetasse halten soll.«

»Ach, an diesen Dingen liegt doch nicht so viel – es liegt doch gar nichts daran! Außerdem gefallen Sie allen Leuten – nur sind Sie so vorsichtig, daß Sie niemals zeigen, wieviel Kraft und Mut in Ihnen steckt und wie viel herrliche, liebenswerte Güte. Und was Ihr Benehmen anbelangt – Gott weiß, ich bin keine Tanzmeisterin, aber ich will Sie alles lehren, was ich weiß.«

»Claire, ich weiß es unsäglich zu schätzen, aber – ich bin nicht sicher, ob ich es lernen will. Ich fang an, Angst zu bekommen. Ich hab den Vogel, Riggs heißt er, glaube ich, heute hier beobachtet. Er ist ein Prachtkerl oder war es einmal, aber jetzt ist er einfach untergegangen in dem Treiben. Ich will nicht einer von den Millionen Schatten und Geistern einer Großstadt sein. Seattle ist arg genug, aber New-York wäre noch viel ärger. Ich will kein Herr Riggs werden.«

»Ja, aber – ich bin doch keine Frau Riggs!«

»Was wollen Sie – –«

Er beendete die Frage nicht, was sie damit meinte. Sie war in seinen Armen, sie flüsterte: »Ich fühl mich ja so einsam!« und das Zimmer lag ganz still. Die untergehende Sonne strömte zum Fenster ein und glitzerte um den Spiegel in der Halle, aber sie achteten nicht darauf und sahen nicht die goldene Pracht.

Erst beim Ton eines nahenden Schrittes sprang sie aus seiner Umarmung zur Seite, besah sich im Glas eines Bildes, dann murmelte sie beschämt:

»Mein Haar – oh … schreckliches Sich-gehenlassen – –«

Er wollte seinen Arm um ihre Schultern legen aber sie bat:

»Nein. Bitte nicht. Kommen Sie – oh, wir wollen zusammen spazieren gehen, ehe Sie nach Hause wandern.«

»Hören Sie! Wir wollen davonlaufen und die Stadt auskundschaften und erst spät abends heimkommen.«

»Ja. Gehen wir!«

So wanderten sie von Queen Anne Hill durch die Stadt bis zu den Docks. Sie schritten über einen hohen Damm, von dem aus man die Werft der Stadt überblickte. Sie sahen ein Schiff, das Eisenschienen und Eßwaren lud für den staatlichen Bahnbau in Alaska. Sie freuten sich laut über eine Schaar kleiner teeriger Fischerboote. Sie sahen Leuten zu, die bis spät am Abend arbeiteten beim Ausladen von Lachs aus Alaska.

Sie durchkreuzten die Straßen bis zur Japaner-Stadt mit den verschlungenen Gäßchen, den dunklen Wegen und Stiegen, die verloren den Hügel hinaufzogen. Sie lächelten schwarzäugigen Kindern zu, fanden ein japanisches Restaurant und versuchten, dort eine Mahlzeit zu halten von rohen Fischen und ungeheuerlichen Krebsen und Wurzeln, die in hohem Grade von leichtem Motoröl durchtränkt waren.

Mit Milt als Führer lernte sie, in den Straßen der Japaner-Stadt, in billigen Kinos und in Gasthäusern für fremde Arbeiter, ein drängendes, eiliges, leichtes, vielfarbiges Leben kennen; und es schien ihr, daß dort hinten im Hause der Himmelbetten und der Wände feinabgetönten Graus, das Leben mit den herrlichsten rosafarbenen, wattierten Steppdecken erstickt würde. Milts Entzücken über jeden malerischen Winkel und die Beredsamkeit der täglichen Umgangssprache der Straßenredner ergötzte und begeisterte sie.

Doch schüchtern standen sie vor der Hecke der Gilsons und als Milt frohlockte: »Herrlicher Spaziergang, das wollen wir wieder einmal machen!« da sagte sie nur: »Oh ja, es hat mir sehr gut gefallen«.

Er hatte plötzlich seinen schönen, neuen Filzhut fallen lassen. Er hielt sie an beiden Armen fest und fragte: »Können Sie mich wirklich lieb haben? Oh, mein Gott, Claire, ich kann mit diesen Dingen nicht spielen. Ich bin verrückt – ich lebe ja nur mehr in Ihnen. Sie sind mein Blut und meine Seele. Kann ich jemals – der Mann werden, den Sie wollen?«

»Mein Lieber!« Sie wendete sich wütend nicht nur an ihn, sondern an alle Betzes und Coreys und Gilsons und Jeff Saxtons. »Man darf doch nicht einen Augenblick lang vergessen, daß alle diese Leute, – hier und auch in Brooklyn – die so exklusiv und vergnügt und zufrieden zu sein scheinen, innerlich eigentlich nur lauter gewöhnliche Menschen sind, außen ein wenig emailliert, und Sie …«

»Gib mir einen Kuß!«

»Nein! Bitte nicht! Ich – ich versteh uns beide nicht mehr. Können wir nicht noch eine Zeit lang einfach Spielkameraden bleiben? Aber – ich hab dich lieb!«

Sie entfloh. Als sie in die Halle trat, waren ihre Augen naß.

Es war am folgenden Nachmittag.

Claire lag zusammengekauert auf der gestickten Decke ihres Sofas und dachte an Schokolade und Brooklyn und die Fahrt durch den Yellowstone-Park und Maiskuchen und Crêpe-de-Chine-Wäsche und Mount Rainier und Milt und Spiritismus und Maniküren, als Frau Gilson zufällig bei ihr eintrat und in so gleichgültigem Ton fragte: »Beschäftigt?« daß Claire sofort mißtrauisch wurde.

»Nein. Nicht sehr. Ist was los?«

»Nette Leute sind gekommen. Ein interessanter Mann aus Alaska; komm dann hinunter.«

Claire beeilte sich nicht, während sie sich die Nase puderte und schlenderte dann gemächlich die Treppe hinunter in den Salon um dort …

Jeff Saxton, Herrn Geoffrey Saxton zu finden, die Spitze von Brooklyn Heights, an den Kamin gelehnt und ihr zulächelnd.


 << zurück weiter >>