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Es war nur ein unschuldiges, kleines Briefchen von Jeff Saxton; ein höfliches, bescheidenes Briefchen: es besagte, daß Jeff eine Karte für den Astoria-Klub hätte, und ob Milt nicht mit ihm dort speisen wollte?
Es schien noch gefährlicher, abzulehnen als hinzugehen. Er putzte die berühmten, braunen Schuhe, er bügelte die elegante, neue Hose mit einem leichten und ganz unzulänglichen Bügeleisen; er band wieder und immer wieder seine beste, getupfte, blaue Kravatte – sie beharrte beständig darauf, daß der obere Zipf zu kurz ausfiel, doch das wiederholte Binden gab ihm Geistesstärke und Kraft; zur angegebenen Zeit schritt er bescheiden und befangen durch das prunkvolle Portal in den Astoria-Klub.
Er war niemals vorher in einem Klub gewesen.
Er besah den rotgemusterten Boden des Vorraumes; er starrte durch die Halle in ein ungeheuerliches Rauchzimmer mit den breitesten und weichsten Fauteuils von der ganzen Welt, mit Ölporträts der vornehmsten, alten Mitglieder, und auf neunzig Prozent des Reichtums und der Macht von Seattle, die ihre verschiedenen Schnurrbärte drehten, Zeitung lasen und den einsamen Eindringling draußen in der Halle nicht beachteten.
Ein kleiner Zuluneger in enganliegenden blauen Hosen und Messingknöpfen glotzte Milt an und ein großer, geschmeidiger, geschwätziger, beleidigender junger Mann fragte: »Bitte, Herr?«
»Suche Herrn G-g-geoffrey Saxton?« brachte Milt vor.
»Nicht hier, Herr.« Das »Herr« klang wie: »Und Sie wissen es genau.« Der flammende Wächter zog sich hinter ein schmales Endchen von einem großen Schreibpult zurück und ignorierte Milt.
»Ich soll ihn hier zum Speisen treffen«, beharrte Milt ein wenig verloren.
Der junge Mann blickte auf, verletzt und belästigt durch die Tatsache, daß man sich mit diesem Menschen noch weiter zu beschäftigen habe.
»Wenn Sie, bitte, da drinnen warten wollen«, brummte er. Milt setzte sich »da drinnen« nieder, was, wie sich herausstellte, ein kleines, blau tapeziertes Zimmer war, mit harten Sesseln, wohl mit der Absicht, Rechnungsinkassanten zu entmutigen. Milt drehte seinen Hut in der Hand um und um, bis er Jeff Saxton in die Halle segeln sah, schlank und gerade und steif wie der Stock, den er über den Arm gehakt trug. Milt stürzte auf ihn zu und suchte bei ihm Schutz vor den noch immer nicht überzeugten, scharfen Blicken des Portiers. Zwanzig Sekunden lang liebte er Jeff Saxton.
Und Jeff schien ihn anzubeten. Er führte Milt überall herum, zeigte ihm den Rauchsalon und das Billardzimmer, drängte ihn in den Grillroom, der eine Kreuzung zwischen einem chinesischen Thronsaal und einer Wiener Weinstube zu sein schien, und er flehte seinen Freund Milt an, ihm den Gefallen zu tun und eine wirklich »ganz ausgezeichnete« englische Kotelette mit pommes de terre au gratin zu versuchen.
»Ich wollte Sie nochmals sehen, bevor wir wieder nach dem Osten gehen, Daggett«, sagte er freundlich.
»D-danke. Wann fahren Sie?«
»Ich bemühe mich, Fräulein Boltwood dazu zu bewegen, bald abzureisen. Die Saison beginnt jetzt. Sie liebt ja Euern herrlichen, gesunden Westen, ebenso wie ich, aber immerhin, wenn wir an all die interessanten Premieren denken und an die großen Bälle, kurz, an das Leben in der großen Welt – oh, da bekommt man eben Lust und Sehnsucht, bald heimzukommen.«
»Ja, natürlich«, warf Milt ein.
»Wir – eh – Daggett – Tatsächlich ich möchte Sie gerne Milt nennen, so wie Claire es tut. Sie wissen gar nicht, wie ich mich freu, Sie kennen gelernt zu haben. Ihr Bewohner des Westens habt so etwas herrlich Offenes, Mutiges an Euch, das einen alten, vorsichtigen Philister wie mich, neidig machen könnte. Ich werde immer mit viel Freude an die Begegnung mit Ihnen denken.«
»D – danke. Freu mich, Ihnen begegnet zu sein.«
Milt fühlte, daß man falsches Spiel mit ihm trieb. Er wollte es ablehnen, daß Saxton sich als Mittelsperson zwischen Claire und ihm aufspielte, er war nicht kompetent, nicht maßgebend, nicht geeignet und durch nichts dazu berechtigt. Er konnte nicht sehen, wohin all dies führen sollte und wenn Saxton ihn so herzlich und beinahe so fettig wie die Kotelette anstrahlte, konnte Milt nur matt lächeln und sinnend nach dem Tischbein greifen, um zu probieren, ob es locker genug wäre, um im Notfall als Waffe herausgerissen zu werden.
Saxton begann zuversichtlich:
»Claire und ich, wir hoffen wirklich, daß wir Sie eines Tages, wenn Sie hier Ihren Ingenieur gemacht haben, im Osten wiedersehen werden. Ich weiß nicht – wie gesagt, ich habe Sie wirklich lieb gewonnen und ich hoffe daher, daß Sie es mir nicht als eine zu große Intimität übelnehmen, wenn ich sage, daß Sie wahrscheinlich nicht einmal durch Ihre reizende Freundschaft mit Fräulein Boltwood je recht erfahren haben, was für einflußreiche Leute die Boltwoods eigentlich sind. Ich hab mir gedacht, daß ich es Ihnen sagen will, damit Sie wissen, welchen Vorzug wir beide, Sie und ich, genießen, so gut mit ihnen bekannt zu sein. Henry B. wird – wenn auch nicht als ein Mann von ungeheuerlichem Reichtum – so doch als einer der klügsten Köpfe im Kreis der Großkaufleute von New-York anerkannt. Aber außerdem ist er ein halber Gelehrter und ein Mann von umfassenden Interessen. Natürlich sind die Boltwoods zu bescheiden, um davon zu reden. Sein Vater war bundesstaatlicher Richter und der Bruder seiner Mutter war im Bürgerkrieg General und nachher Gesandter. So können Sie sich einigermaßen vorstellen, welche Stellung Claire in dieser vornehmen, stillen, gediegenen, alten Gesellschaft von Brooklyn einnimmt –«
Nein, der Tischfuß war nicht locker zu bekommen, so mußte Milt, der plötzlich seine Fassung wieder gewann, eben nur durch Worte zum Angriff übergehen:
»Sicherlich ist es angenehm, einer jener alten Familien anzugehören. Es ist so wie – Wie Sie sagen, sind wir beide nun gut genug mit einander bekannt geworden, so daß ich es Ihnen sagen kann, nehm ich an – Mein Vater und seine Leute stammen auch aus einer solchen Familie. Vaters Papa war Richter drüben in Maine, und im Kriege war der Großpapa mit Grant befreundet.«
Dieser Tribut, den Milt, seinem Großvater zollte, war aufrichtig gemeint, aber ein wenig ungenau. Richter Daggett, der gar kein eigentlicher Richter war, hatte den General Grant nur einmal gesehen.
»Vater war einer von den Pionieren. Er war Arzt. Er mußte all dieses gute Leben lassen, um den Westen der Zivilisation erschließen zu helfen, aber ich glaube, es war der Mühe wert. Er mußte oft die schwierigsten Operationen auf Küchentischen vornehmen, während sein Kutscher die Patienten narkotisierte. Ich bin mächtig stolz auf ihn. Es gibt einem, wie Sie ganz richtig sagen, ein wenig Halt und Ehrgeiz, zu der alten, bodenständigen Aristokratie zu gehören.«
Es war das erste Mal, daß Milt ähnliche verwandtschaftliche Ansprüche erhob, aber er brachte seine Prahlerei mit klaren Augen und überlegenem, freundlichem, ruhigem Lächeln vor.
»Oh! Das ist sehr interessant«, brummte Saxton. »Ja, was ich sagen wollte – Claire hat zweifellos eine fabelhafte soziale Karriere vor sich. Alle Leute nehmen an, daß sie gut heiraten wird. Sie besitzt ja auch so einen ungewöhnlichen Charme, der Geist und Grazie vereint und – wirklich, ich glaube, wir können beide froh sein, daß –«
»Ja. Das ist wahr. Und das Schönste an ihr ist, wie sie all den gesellschaftlichen Unsinn abschütteln kann und hingehen kann, um im Freien zu kampieren und ein regelrechtes menschliches Wesen zu sein«, schmeichelte Milt.
»Hum – oh – sicherlich, sicherlich, obwohl – natürlich ist dies eigentlich nicht das Wesentliche an ihr. Ich glaube, diese lange Tour hat sie etwas müde gemacht, armes Kind. Natürlich, sie ist nicht sehr stark.«
»Das ist wahr. Richtige Schinderei. Und natürlich wird sie auch stärker werden, wenn sie das Wandern mehr gewöhnt sein wird. Sie haben nie gesehen, wie sie einen gefährlichen Hügel nimmt – ich habe irgendwie das Gefühl, daß ein Mensch, der sie nicht draußen in der Natur gesehen hat, sie eigentlich nicht kennt.«
»Ich will nicht widersprechen, alter Freund, aber ich habe andererseits das Gefühl, daß niemand, der sie nicht auf einem großen Ball in einem Poiret-Abendkleid gesehen hat, sie wirklich kennt! Kommen Sie! Ich weiß nicht, wie wir in diesen Lobgesang auf Claire hineingeraten sind! Was ich Sie fragen wollte, was halten Sie vom ›Pierce-Arrow?‹ Ich denke daran, einen zu kaufen, glauben Sie, daß –«
Auf dem ganzen Heimweg frohlockte Milt: »Ich hab es ihm zurückgegeben! Ich hab mich nicht einschüchtern lassen von dem Unsinn: ›Misch dich nicht in Aristokratenkreise, mein junger Freund!‹ Ich habe fein gelogen. Aber – verflucht, jetzt werd ich auch standesgemäß leben müssen – macht nix; ich bin von jetzt an ein Daggett von Daggett.« Er sprang zu seinem Zimmer hinauf und bemerkte siegestrunken: »Hier bin ich nun einmal mit meinen Ahnen. Ich bin in der schönen Stadt Schoenstrom aufgewachsen, die von einer Kolonie Vermonter Yankees gegründet wurde unter der Führung von Hermann Skumautz. Ich durfte niemals mit den dütschen Kindern spielen und …« Er öffnete die Türe … »Der Geistliche von Schoenstrom lehrte mich Griechisch und war mein Busenfreund …«
Er blieb wie erstarrt stehen. Auf dem Bett lungerte grinsend und eine Zigarette schwingend Bill McGolwey, Besitzer des »Alten Heimes« von Schoenstrom, Minnesota.
»Wwwwwieso, wo zum Teufel kommst du her?« stammelte der abgedankte Aristokrat zu seinem Busenfreund Bill.
»Du altes Zitronengesicht, plattfüßiger, krummnasiger Sohn des Elends, herrjeh, aber es tut gut, dich zu sehen, Milt!«
Bill war vom Bett unten und schüttelte Milts Hand in ehrlicher, ungezierter Freude, in dem vertrauensvollen Glauben, daß jetzt, da er seinen Freund gefunden hatte, aller Kummer des Lebens vorbei sei. Und Milt entdeckte düster sinnend die Kunst, sich diplomatisch zu verhalten. Bill war sein Freund, ja, aber –
Es war schwer genug, mit dem eigenen Ich fertig zu werden.
Er stellte sich vor, daß Jeff Saxton verstohlen zur Türe hereinguckte und während er Bill auf die Schulter klopfte, ihm Namen gab, die westlich von Chicago das Zeichen tiefsten Hasses und äußerster Freude bei einer Begegnung sind, fühlte er, daß ihm jemand seinen Magen gestohlen und an dessen Stelle ein Stück Eis zurückgelassen hatte.
Sie nahmen auf dem Bett und dem Stuhl Platz – Bills Ohren waren vor Freude dunkelrot – und Milt fragte:
»Wie, zum Teufel, bist du hergekommen?«
»Na, will ich dir gleich erzählen, alter Kerl. Schoenstrom ist so verflucht langweilig geworden, seitdem du fort bist und wie Ben und Heinie deine Adresse bekommen hatten und die Garage kauften, denk ich mir, gehn wir einmal ein bißchen auf den Bummel.«
Milt bemerkte – und ärgerte sich darüber, daß er es bemerkte – daß Bills Gesicht schmutzig war, sein Haar staubig und seine Hose unten zerfetzt und kotig, während Bill kicherte:
»Ich hab mir ausgedacht, daß ich hier vielleicht in einem Restaurant Arbeit finden werde, und daß wir beide, du und ich, zusammen wohnen könnten. Da hab ich mein ›Altes Heim‹ verkauft und wollte fein reisen. Aber Pete Swanson wollte, daß ich erst noch mit ihm in die Stadt fahre und da sind wir in Minneapolis auf ein paar flotte Reisende gestoßen mit ihren Mädeln – hörst du, Freundchen, Mädeln! erstklassig!«
Bill blinzelte und Milt – Milt wurde übel. Er kannte Bills Begriffe von »Klasse« in bezug auf junge Weiber. War das der Bursche, den er so gern gehabt hatte? Das die Ideen, die er wenige Monate zuvor als selbstverständlich und unterhaltend hingenommen hatte?
»Und da bin ich in einem Seitengäßchen von Washington Avenue angehalten worden und sie haben mir meine letzten zwanzig Knöpfe weggenommen. Da bin ich denn als blinder Passagier nach dem Westen weiter gefahren. Oh, das war eine feine Reise!«
Milt versuchte die Stimme zu überhören, die in ihm tobte: »Und jetzt will er auf meine Kosten leben, nachdem er sein Geld verschleudert hat, der Verschwender! Der Landstreicher! Er erwartet wohl, Claire kennen zu lernen – ich bring ihn lieber um, bevor er sie mit seinem Blick beschmutzt. Der, mit seinen erstklassigen Mädeln!« Milt bemühte sich, nur die andere innere Stimme zu hören, die besagte: »Er sieht dich so vertrauensvoll an. Er würde sein letztes Hemd für dich hergeben, wenn es notwendig wäre – und er würde nicht erst warten, bis du ihn drum bittest!«
Milt versuchte herzlich zu sein: »Was willst du jetzt machen, alter Freund?«
»Na, das erste, was ich machen werde, ist, mir von dir zehn Eisenknöpfe auszuborgen und ein Paar Hosen.«
»Kannst dich drauf verlassen! Da hast du. Hab keine einzelne Hose. Hör mal, da sind noch extra fünf und du kannst dir eine Hose im Laden unten gleich nebenan auf der selben Seite von der Straße kaufen. Tummel dich jetzt und hol sie schnell!« Er lachte Bill an, klopfte ihm auf den Arm und wollte ihn eiligst loswerden – er mußte jetzt allein sein, um nachzudenken.
Doch Bill küßte die fünfzehn Dollars, steckte sie achtlos in die Tasche, kroch auf das Bett zurück und gähnte: »Wozu die Eile? Gott, bin ich schläfrig. Sag, Milt, was hältst du davon, wenn wir uns beide zusammen hier eine Frühstückstube einrichten würden? Du hast genug Geld aus der Garage bekommen –«
»Oh nein, nei–ein, herrjeh, ich möchte gerne, Bill, aber verstehst du, na, ich muß mir das wenige, was ich hab, aufheben, damit ich auskomme für die Zeit meines Studiums.«
»Ja, natürlich. Aber an einem Restaurant könntest du verdienen – du könntest abends mithelfen beim Rummel, und es gibt da so eine Menge lustige Stadtvögel, die sich herumtreiben, und wir hätten eine herrliche Zeit.«
»Nein, ich – ich studiere am Abend. Und ich – Tatsache ist, Bill, ich habe hier eine Menge nette Leute kennen gelernt, auf der Universität, und ich verkehr mit ihnen, so gewissermaßen.«
»Au, wie bist du nur dazu gekommen? Unsinn, du wirst diesen Laffen nicht nachlaufen. Verfluchte, dreckige Schmöcke. Und die Mädels sind noch ärger.«
»Was weißt du von ihnen?«
»Nein, werd nicht gleich beleidigt. Ich sag dir, ich will nicht, daß mein Freund einen Narren aus sich macht und sich in einer Gesellschaft umtreibt, die ihn verachtet, bloß weil er nicht reich ist, das ist alles.«
»Ja, wir sprechen noch darüber. Jetzt muß ich in eine Mathematikvorlesung gehen. Mach dir's bequem, ich werd um Fünf zurück sein.«
Milt mußte in keine Mathematikvorlesung gehen. Er ging eilenden Schrittes, ein Buch unterm Arm, davon; doch als er um die Ecke war, stellte es sich heraus, daß die Eile nur vorgetäuscht und das Mathematikbuch ein Roman war, den ihm Claire im Yellowstone-Park gegeben, und den er aus dem zertrümmerten Wagen gerettet hatte.
Er stand und starrte auf das Buch. Traurig und zärtlich schlug er es auf. Man hatte ihn aus der Welt der schönen Worte und heiteren Menschenwürde gerissen, von stolz sich erhebenden Bergen freudiger Kameradschaft mit Claire, aus dem strahlenden Morgen war er in den Kot von Schoenstrom zurückgeworfen worden, aus der Oper fort zu »Lustigen Stadtvögeln« in Frühstückstuben! Er haßte Bill McGolwey und seine grinsende Annahme, daß Milt zu ihm in den Schmutz gehöre. Und er haßte sich selbst, daß er nicht genug Ehrlichkeit und Kraft besaß, Bill McGolwey und Claire Boltwood zu vereinen. Aber nicht ein einziges Mal in all dem Wirbel schmerzlicher Gedanken an jener Straßenecke erwartete er von Claire, daß sie Bill lieben sollte. In all seiner jugendlichen Qual behielt er so viel gesunden Menschenverstand, um zu wissen, daß Claire – wenn sie auch einen Bergpaß zu bezwingen vermochte – niemals den sozialen Anforderungen von Schoenstrom und Bill McGolwey entsprechen konnte.
Er wanderte eine Stunde lang herum und kam endlich heim, um zu finden, daß Bill es in dieser »trockenen« Stadt, die er nie zuvor gesehen, zuwege gebracht hatte, eine Flasche Bourbon aufzutreiben und sich nun in einem Zustand wankender Glückseligkeit befand. Jetzt wollte er, kündigte er an, tanzen.
Milt brachte ihn in die gemeinsam zu benützende Badewanne und tauchte ihn unter, aber Bills nasser Körper war schlüpfrig und Bills fröhlicher Sinn war nur auf Scherz und Spiel gerichtet; er entwand sich Milts festem Griff, er spritzte in der Wanne herum, er besudelte Milts geheiligten, guten Anzug mit Seifenwasser, entschlüpfte und führte im Adamskostüm orientalische Tänze in Milts Zimmer auf, bis ihn Schläfrigkeit und Weltenschmerz überkamen und er sich in Tränen – und nichts anderem – in Milts Bett zurückzog.
Das Zimmer sank in graues Dämmerlicht. Die Straßenlaternen draußen warfen einen matten, zitternden Schein ins Zimmer. Abendliche Menschenmengen zogen vorbei und aus einem Kinotheater tönte ein klapperndes Klavier. Bills Atem glich einem ruckweisen Schnarchen. Milt saß unbeweglich, fühlte sich sehr alt, sehr müde, zu stumpf und unglücklich, als daß ihn das Herannahen der entsetzlichen Stunde noch erschrecken konnte, in der Claire und Jeff von Bill erfahren und Milts eigentliche Welt entdecken würden.
Er war nicht so romantisch-anständig, so unmenschlich heroisch, daß man wahrheitsgemäß berichten könnte, er habe niemals daran gedacht, Bill loswerden zu wollen. Er dachte daran, immer und immer wieder. Aber jedesmal wurde er von Bills ahnungslosem Vertrauen gerührt und schüttelte den Kopf und versank wieder in Nebel.
Was nützte es, sich zu bemühen, vorwärtszukommen? War er selbst schließlich nicht auch bloß ein Bill McGolwey?
Wenn ja, so wollte er sich Claire nicht aufdrängen.
Einige Minuten lang gab er allen Ehrgeiz, sich hinaufzuarbeiten, für immer auf.
Als Bill erwachte, offensichtlich besorgt um den Rest in der Bourbon-Flasche und sehnsüchtig bereit, »auszugehen und sich's gut gehen zu lassen«, strich Milt ziellos mit ihm durch die Straßen und zeigte ihm die Stadt. Er schwänzte aus Stumpfheit am nächsten Tag seine Vorlesungen und führte Bill auf die Werften.
Spät am Nachmittag kamen sie nach Hause geschlendert und Bill bewunderte seine neue Hose – er prahlte damit, sie um drei Dollars gekauft zu haben und legte dar, daß Milt ein Verschwender sei, weil er zehn Dollars für ein Paar Schuhe ausgegeben hatte; da klopfte es an die Türe. Milt, schläfrig und mißmutig, erwartete, daß seine Hausfrau eintreten würde und öffnete die Türe vor Fräulein Claire Boltwood, Herrn und Frau Gilson und Herrn Geoffrey Saxton.
Saxton blickte gelassen an ihm vorbei auf Bill, lächelte ein wenig und ließ sich herab zu sagen: »Ich dachte, wir sollten Sie einmal besuchen und da sind wir heraufgekommen, um Sie um eine Tasse Tee zu bitten.«
Bill hatte mitten in seiner Beschäftigung, sich den Kopf zu kratzen, innegehalten und glotzte Claire an. Claire erwiderte den Blick und starrte auf Bills struppiges Haar, auf seine roten Handgelenke, auf seinen verdrückten, befleckten Rock, auf sein impertinent dummes Gesicht. Dann sah sie Milt fragend an, der hervorstieß: »Oh ja, ja, natürlich, freu mich, Sie zu sehen. Kommen Sie, bitte, weiter und nehmen Sie eine Tasse Tee bei mir, ich freu mich so, Sie zu sehen, kommen Sie weiter – – –«