Rudolf Lindau
Der Gast
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Rudolf Lindau

Der Gast


I

Die beiden Männer, die auf dem Dampfboot, der »Hudson«, im Hafen von Neuyork, am 26. April 1865 Abschied voneinander nahmen und von vielen der Fahrgaste neugierig beobachtet wurden, schienen nur wenig zueinander zu passen; doch sah man wohl, daß ihnen die Trennung schwer wurde. – Der eine, der Zurückbleibende, ein Mann, der vierzig Jahre alt zu sein schien, aber möglicherweise jünger war als er aussah, stand an der Treppe, um das Schiff zu verlassen. Er war ein Riese von Gestalt. Seine kolossalen Gliedmaßen steckten in einem schlecht gemachten, augenscheinlich fertig gekauften Anzuge und waren darin beengt, seine Bewegungen linkisch, unbeholfen. Er sah aus, als habe er seit Jahren keine städtischen Kleider angelegt und fürchte nun, bei jeder Bewegung den neuen, glänzenden, schwarzen Rock, den er heute zum ersten Male auf dem breiten Rücken trug, zu zerreißen. – Er hatte schlichtes, pechschwarzes Haar, das in einer gewissen altmodischen Weise gescheitelt und gebürstet war und ihm das gemessene, pedantische Aussehen eines Dorfbewohners gab, der mit besonderer Sorgfalt feierlichen Sonntagsstaat angelegt hat. Sein Gesicht war vom Wetter gebräunt, die Züge waren massiv und mächtig, keineswegs häßlich, in gutem Verhältnis zur Gestalt; – geradezu schön waren die großen, schwermütigen, dunkeln Augen und der kindlich gutmütige Mund, hinter dessen glatt rasierten, edel gewölbten Lippen die starken Zähne weiß hervorleuchteten. – Der andere, hellblond, mit blauen, lachenden Augen, sonnverbrannt wie der Riese, die Züge von jugendlicher Anmut und Energie, war mittlerer Größe, schlank und wohlgebaut. Er trug einen Reiseanzug, der aus demselben Laden stammen mochte, wie der schwarze Rock seines Freundes; aber er war einer von den Leuten, denen alles, was sie anziehen, gut sitzt. Frei und edel war jede seiner Bewegungen.

»Nun, Nick, mein alter Gefährte, gehab' dich wohl,« sagte der Riese. »Sobald ich da drüben alles in Ordnung gebracht habe, folge ich dir. Richte dich zu Hause für uns zwei ein, und wenn du dir eine Frau nimmst, bedinge, daß sie mich in deiner Nähe dulden muß. Und suche meinen Bruder Harry gleich auf und sage ihm, wie es mir geht: gut, ganz gut, mit etwas Sehnsucht nach ihm und den Schwestern und der Heimat. – Du kannst ihn unter Tausenden nicht verfehlen; denn er gleicht mir, wie ein Ei dem andern. Und grüße auch seine Frau und sage ihr, ich hoffe, sie nun bald persönlich kennen zu lernen. – Gott beschütze dich, mein lieber Nick! Lebe wohl!«

Die Augen wurden ihm feucht, als er sich endlich abwandte und das Schiff verließ, und Nikolaus Ohlsens Blicke folgten ihm mit unverkennbarer Rührung.

Das Dampfboot war nun vom Hafendamm losgemacht, der Steg, der es noch mit dem Lande verbunden hatte, fortgezogen. Es manövrierte, den kurzen, energischen Befehlen des Kapitäns gehorchend, ungeduldig, schnaufend, ächzend, pfeifend, zischend eine kleine Weile hin und her, um sich von den Schiffen und Booten, die es umgaben, frei zu machen; aber bald hatte es offenes Fahrwasser vor sich, und nun zog es majestätisch, ruhig und schnell, seiner Straße.

Da ertönte es, einer Posaune gleich, vom Ufer her: »Fahre wohl, Klaus Ohlsen! Fahre wohl!« und der Gerufene, der, mit dem Taschentuche winkend, auf dem Deck stand, setzte beide Hände an den Mund, stieß einen hellen, langgezogenen, wilden Schrei aus und rief dann aus voller Brust zurück: »Glück auf, John Maclean! Auf Wiedersehen!« – Darauf blieb er noch eine Minute mit dem Tuche winkend stehen, dann wandte er sich gelassen ab, und ohne auf die verwunderten Blicke und das Lächeln der andern Fahrgäste zu achten, stieg er die Treppe hinab, um sich, wie alte Reisende dies zu tun pflegen, vor allen Dingen in seiner Kajüte einzurichten. – Ein junger Mann, der zwischen zwei eleganten, hübschen Damen stand, blickte ihm nach und sagte, sich an seine Gefährtinnen wendend: »Einer aus dem ›Fernen Westen‹, ich wette!«

Der Schotte John Maclean und Nikolaus Ohlsen aus Lübeck hatten sich vor acht Jahren in Kalifornien kennen gelernt, als sie, »Gold suchend«, fast gleichzeitig dort angekommen waren. Ohlsen zählte damals zwanzig Jahre; aber er war bereits ein Mann, der seit vier Jahren, auf eigene Faust, den Kampf mit dem Leben und um das Leben begonnen, Gefahren getrotzt, dem Tode ins Auge geschaut hatte, und der, wenn er die sichere Hand auf dem großen, gut gehaltenen » Navy Revolver« hielt, den er in einem breiten, ledernen Gürtel, an der Seite trug, in Gesellschaft der wilden Abenteurer, die damals aus allen Weltteilen nach dem Gold verheißenden Lande gezogen kamen, so ruhig und behaglich dasaß, und seine Pfeife rauchte, als erfreute sich seine persönliche Sicherheit des Schutzes der besten Polizei einer großen zivilisierten Stadt.

Nikolaus Ohlsen war eine Waise und hatte weder Bruder noch Schwester. Das Leben bei einem alten, griesgrämigen, strengen Onkel in Lübeck, der ihn erzogen hatte, war ihm zur Last geworden. Er hatte sich von einem wohlhabenden Freunde seines verstorbenen Vaters, dem sein offenes, kühnes Wesen gefallen, »auf Ehrenwort« die für seine damaligen Verhältnisse bedeutende Summe von hundert Talern zu verschaffen gewußt und war damit heimlich davongegangen. Die geborgte Summe hatte er schon nach einem Jahre mit einem herzlichen Dankschreiben zurückgesandt. Der Onkel war ganz froh gewesen, seinen Wildfang von Neffen losgeworden zu sein und hatte keine weiteren Nachforschungen nach ihm angestellt. Er hatte in langen Zwischenräumen lakonische Briefe von Nikolaus empfangen und wußte, daß dieser sich in kurzer Zeit in verschiedenen Weltteilen umgesehen hatte und schließlich nach Kalifornien gelangt war. Von dort aus empfing der Onkel im Jahre 1858 folgenden Brief:

»Es geht mir gut, lieber Onkel, und ich hoffe, Du befindest Dich ebenfalls wohl. Wenn Du mir etwas mitteilen willst, so schreibe mir Poste restante San Francisco. Dort führen mich meine Geschäfte alljährlich zwei bis dreimal hin.

Dein ergebener Neffe N. O.«

Der Onkel hatte gemeint, es sei eine Schande und Sünde, daß Nikolaus ihn schweres Porto habe bezahlen lassen – denn der Brief war nicht frankiert gewesen –, um so wenig zu schreiben. Er hatte zuerst absichtlich nicht geantwortet, dann gezweifelt, daß ein Brief von ihm den vagabundierenden Neffen noch in Kalifornien finden werde, und schließlich war er gestorben, ohne diesem wieder ein Lebenszeichen gegeben zu haben. Nikolaus wußte nicht, was aus dem Onkel geworden war, kümmerte sich sehr wenig um ihn und hatte ihn nach zwei Jahren vergessen. »Keine Sorge im Kopf, keine Kette am Bein; – der Vogel in der Luft ist nicht freier als ich,« sagte er; und leichten Herzens zog er durchs Leben.

John Maclean war in die Welt hinausgezogen, um Geld zu verdienen. Er hatte ein halbes Dutzend unverheirateter Schwestern, die oben im Norden von Schottland in einer kleinen Stadt wohnten und dort mit ihren alten Eltern ein kümmerliches Leben führten. John und sein Zwillingsbruder Harry waren in Glasgow erzogen worden, hatten sich durch eisernen Fleiß, durch eine an Geiz grenzende Sparsamkeit ausgezeichnet und als sechzehnjährige Burschen angefangen, von ihrer Arbeit zu leben. – Harry war in ein Geschäft eingetreten. Seine Tüchtigkeit und Ehrlichkeit hatten ihm das Zutrauen und das Wohlwollen seines Prinzipals erworben. Er war rasch vorwärts gekommen, und mit seinem zwanzigsten Jahre schon imstande gewesen, seine Eltern zu unterstützen. Dann war er in eine große Bank nach Edinburg und später nach London berufen worden, und dort bekleidete er seit seinem dreißigsten Jahre die Stelle eines Direktors und bezog ein Gehalt, das ihm gestattete, Wohlleben in das Vaterhaus zu bringen. Er hatte dies getan, ohne jemals ein Wort des Dankes dafür zu erwarten oder zu bekommen. – Die Macleans waren ernste, fromme Leute, denen es selbstverständlich erschien, daß ein Mann seine Pflicht tut. Die Eltern hatten mit schweren Opfern, aber ohne sich dessen zu rühmen oder darüber zu klagen, ihre Pflicht an ihren Söhnen getan und ihnen eine gute Erziehung zuteil werden lassen; die Söhne taten nun, ohne dafür Lob zu ernten, ihre Pflicht an den Eltern. Das war in Ordnung. Aber der alte Maclean war stolz auf seinen Sohn Harry, den Direktor der »Western Bank«, und sprach gern und oft von ihm. Anders war es, wenn es sich um Harrys Zwillingsbruder handelte.

John war eines Tages, nachdem er vier Jahre lang in einem kleinen Geschäft gearbeitet hatte, nach dem Vaterhause zurückgekehrt und hatte dort ungefähr folgende Rede gehalten:

»Männer kann ich den Mädchen nicht verschaffen; dazu sind sie zu groß und zu wild« – es waren sechs Riesinnen, die älteste zweiunddreißig, die jüngste sechzehn Jahre alt –; »aber für sie sorgen, das will ich. Harry hat sich entschlossen, sein Glück in Edinburg und in London zu versuchen; ich will sehen, ob ich meines auf der andern Seite des Wassers finden kann. Wenn es mir gut geht, so sollt ihr wieder von mir hören.«

Während langer Jahre hatte man in Schottland aus erster Hand nichts von ihm gehört. »Es muß ihm schlecht gehen,« hatte der alte Maclean oftmals gesagt, und Frau Maclean hatte im geheimen manch' bittere Träne darüber geweint. Doch wußte man zu Hause, daß John am Leben sei; denn Harry berichtete regelmäßig über ihn und schrieb wohl alle drei Monate: »Ich habe Nachrichten von John. Es geht ihm, Gott sei Dank, wohl.« – Endlich, im Jahre 1859, zwölf Jahre, nachdem John die Heimat verlassen hatte, war ein Brief von ihm eingetroffen, der einen Wechsel über tausend Pfund enthielt. In diesem Briefe schrieb der pflichttreue Sohn ehrerbietigst seinem greisen Vater und seiner alten Mutter, es gehe ihm nun endlich gut – sehr gut, und er werde in Zukunft viel Geld nach Hause schicken, das nach Beratung mit dem sachverständigen Harry dazu benutzt werden sollte, um »den Mädchen«, von denen nur zwei Männer gefunden hatten, ein sorgenfreies Leben zu sichern. – Neue Geldsendungen waren sodann in kurzen Zwischenräumen gefolgt, so daß die Macleans für reiche Leute gegolten, als im Jahre 1862 der Vater Maclean und wenige Monate darauf seine Frau das Zeitliche gesegnet hatten. Dann waren die vier alten Jungfern nach Edinburg übergesiedelt, wo sie mit der Hälfte ihres Einkommens ein zurückgezogenes, strenges Leben führten. Sie empfingen nun mit großer Regelmäßigkeit Briefe von John sowohl, wie von Harry, aber nachdem ihnen ein Vermögen gesichert worden war, das ihnen gestattete, alle ihre Bedürfnisse mit Leichtigkeit zu befriedigen, hatten die Geldsendungen aus Amerika aufgehört. Die Schwestern fanden dies ganz in Ordnung, und eine jede von ihnen hatte frühzeitig am gemeinschaftlichen Vermögen so verfügt, daß dasselbe nach ihrem Ableben in gleichen Beträgen unter ihre überlebenden Geschwister verteilt werden sollte.

Harry Maclean hatte sich im Jahre 1857, bald nach seiner Ernennung zum Direktor der »Western Bank«, mit einer Witwe verheiratet, die eine Tochter hatte und nur vier Jahre jünger war als er. – Die kleine Natalie, das Kind aus erster Ehe, zählte damals acht Jahre, die Mutter sechsundzwanzig. Die Familie Maclean hatte diese Heirat nicht gebilligt. Daran hatte sich Harry wenig gekehrt. Er tat in erster Linie seine Pflicht, der er ohne Murren alles andere opferte, dann aber, unbekümmert um dritte, rücksichtslos das, was ihm gefiel. – Die junge Witwe hatte ihm gefallen, er hatte sich um sie beworben, und sie war bereit gewesen, ihm ihre Hand zu reichen. – Die neue Schwägerin war nach der Meinung der streng protestantischen Schwestern keine rechte Christin. Sie war ebenso schlimm, vielleicht noch schlimmer als eine Paptistin. Sie gehörte einer Religion an, die sich die orthodoxe nannte: sie war Russin. Ihr erster Mann war ein vornehmer, griechischer, in London ansässiger Kaufmann gewesen. Sie war von eigentümlicher, großer Schönheit. – Harry Maclean hatte sie, bald nach seiner Verheiratung, seinen Eltern und Schwestern vorgestellt; aber die Schotten und die Russin waren sich wildfremd geblieben. Monja hatte sich nicht etwa als stolze, vornehme Dame gezeigt. Nicht die leiseste Spur eines Lächelns oder das geringste Zeichen von Verwunderung war auf ihrem Antlitz zu entdecken gewesen, als ihr die riesigen Verwandten, in groben, im Hause Maclean angefertigten Kleidern, vorgestellt worden waren; aber die ganze Familie hatte gefühlt, daß zwischen der großen, schlanken Frau mit dem weißen, hellen Gesicht, den heißen, dunkelblauen Augen, dem hellbraunen, üppigen Haar, die ihnen wie eine Königin, überraschend schön, feierlich entgegengetreten war und ihnen mit fremder, melodischer Stimme, mit absonderlicher Aussprache »guten Tag« gewünscht hatte – daß zwischen dieser Frau, der neuen Schwiegertochter und Schwägerin, und ihnen, keine Gemeinschaft bestehen könne. – Sie war nach wenigen Tagen wieder abgereist, und die ganze Maclean-Familie hatte, nachdem sie gegangen war, aufgeatmet, als habe man sie von einem Zwange befreit. – Ein Jahr später hatte Harry Maclean seinen Verwandten angezeigt, daß ihm ein Sohn geboren sei, später hatte er die Geburt eines zweiten Kindes, einer Tochter, gemeldet. Man hatte sich darüber in Schottland gefreut; aber die alten Macleans hatten nicht den Wunsch geäußert, ihre Enkel zu sehen, und waren im nächsten Jahre gestorben, ohne mit ihrer Schwiegertochter wieder zusammengetroffen zu sein. Harry hatte an dem Sterbebette seines Vaters und später auch an dem seiner Mutter gestanden und der Beerdigung der beiden alten Leute beigewohnt. Er war dabei ruhig und gefaßt erschienen, aber bei dem letzten Begräbnis hatte er totenblaß ausgesehen, und nachdem er die üblichen drei Handvoll Erde auf den Sarg der Mutter geworfen, war er mehrere Schritte zurückgetaumelt und hatte verstört um sich geblickt, wie einer, von dem man gewärtig sein muß, daß er ohnmächtig wird. Er hatte die Abwesenheit seiner Frau damit entschuldigt, daß sie die Kinder nicht allein in London lassen könne. Er war dabei sichtlich verlegen gewesen und hatte gebeten, man möge Monjas Abwesenheit nicht als einen Mangel an Teilnahme deuten; aber die Schwestern waren mit der von Harry gegebenen Erklärung zufrieden gewesen. Monja Maclean gehörte nach ihrer Meinung nicht zur Familie und hatte nichts mit dem Begräbnis von Vater und Mutter zu tun.

Im Jahre 1865, zur Zeit, als Nikolaus Ohlsen und John Maclean auf dem »Hudson« voneinander Abschied nahmen, war die Entfremdung zwischen den schottischen und den Londoner Macleans eine vollständige geworden. Harry besuchte zwar seine Schwestern noch von Zeit zu Zeit, aber er sprach nicht mehr von seiner Frau, und die Misses Maclean, die keine Schmeichlerinnen waren, erkundigten sich nicht nach ihrer Schwägerin; aber sie freuten sich an den Photographien der beiden Kinder Harrys, richtiger Macleans, mit schwarzen Haaren und schwarzen Augen. Harry zeigte ihnen auch das Bild seiner Stieftochter, eines blassen Mädchens mit großen, blauen Augen und goldenem Haar.

»Sie sieht kränklich aus,« sagte Katharina, die älteste Schwester.

Die andern nickten dazu mit dem Kopfe. Das war alles.

»Sie ist schwächlich,« sagte Harry, »und wir haben sie nach einer Pension auf dem Kontinent gebracht, da sie das Klima in London nicht vertragen kann.«

Die Schwestern fragten nicht einmal, in welcher Stadt das kränkliche Mädchen wohnte. – Natalie Antoniades mochte leben oder sterben, wo und wie sie wollte, das ging die Misses Maclean nichts an.

Um diese Zeit empfing Harry Maclean einen Brief von seinem Bruder John. Er war aus San Francisco datiert und enthielt unter anderem folgendes:

»Gleichzeitig mit diesem Briefe verlasse ich Kalifornien: auf kurze Zeit nur, denn ich denke, im Monat Juni wieder hier zu sein. Der Zweck meiner Reise nach Neuyork ist, Nikolaus Ohlsen das Geleit zu geben. Wir halten uns vielleicht unterwegs etwas auf, und Du siehst ihn möglicherweise erst im Sommer; aber wann er auch kommen mag, vergiß nicht, daß er mir acht Jahre lang treu zur Seite gestanden, und daß mir, nächst Dir und den Mädchen, niemand auf der Welt so lieb ist wie er. Empfange ihn wie zur Familie gehörig. – Ohlsen wird Dir Auskunft über den Stand unseres gemeinschaftlichen Vermögens geben. Ich denke, dasselbe im Laufe eines Jahres liquidieren zu können. Sobald das geschehen ist, kehre ich ebenfalls nach Hause zurück, und wir drei: Du, Nick und ich, wollen dann zusammen leben.

Nick spricht seit Monaten von nichts anderem, als davon, daß er sich verheiraten will. Er ist zehn Jahre jünger als wir und versteht von Frauenzimmern so viel wie ich, also nichts. Aber Du wirst Erfahrung haben. Also achte darauf, daß er sich nicht von einem schlechten Weibsbilde betören läßt und bitte Deine Frau, ihm bei seiner Wahl behilflich zu sein. Er ist Männern gegenüber trotzig und wild; aber in den Händen einer Frau ist er weich wie Wachs. Meine Schwägerin muß ihm eine gute Gefährtin finden. Sie wird damit zwei Menschen glücklich machen; denn Nick ist treu und sicher wie Stahl.«

Harry nahm sich diesen Brief zu Herzen, wie alles, was von seinem geliebten John kam. Er zeigte den Brief auch seiner Frau, die dazu lächelte und sagte:

»Schade, daß Natalie nicht ein paar Jahre älter ist, oder dein Freund nicht noch zwei oder drei Jahre warten will. Aber wenn er so ungeduldig ist, so müssen wir ihm gleich eine Braut suchen. – Nun, es fehlt in England nicht an hübschen Mädchen! Du siehst, es hat sein Gutes, daß ich nicht alle Verbindungen abgebrochen habe und nicht ein Klosterleben führe, wie du es gewünscht hättest. – Wenn dein Goldgräber nur nicht gar zu verwildert ist! Zeige mir noch einmal die Photographie, die John dir von ihm geschickt hat.«

Sie betrachtete das Bild aufmerksam und sagte:

»Ein hübsches Gesicht! Ich denke, wir werden etwas Passendes für den jungen Mann finden.«

Auf der Rückseite der Photographie standen mit großer, fester Handschrift die Worte: »Dem Bruder meines Freundes J. M. in aufrichtiger Freundschaft N. O.«

»Er ist schon dein Freund, noch ehe er dich gesehen,« sagte Frau Monja.

»Er kennt John. Da ist es, als ob er mich kennt,« antwortete Harry Maclean. »Und du weißt, welch' großen Dienst er meinem Bruder erwiesen hat.«

Frau Monja kannte die Geschichte genau, auf die Harry Maclean anspielte. John hatte sie in seinen Briefen ausführlich erzählt, und sie hatte diese Briefe bald nach ihrer Verheiratung gelesen und seitdem weit öfter, als es sie kümmerte, davon sprechen hören.

John Maclean war eines Tages unverschuldet in einen Streit mit Abenteurern geraten, die im Jahre 1857 in denselben Minen wie er und Ohlsen nach Gold suchten. Messer und Revolver waren gezogen worden, und es war zu tödlichem Kampfe gekommen. Da hatte Ohlsen seinen Rücken gegen den von Maclean angelehnt, und die beiden hatten, Hacken gegen Hacken, so tapfer und ruhig gefochten, daß sie ihre Gegner, fünf an der Zahl, in die Flucht geschlagen. Einer von diesen war getötet, zwei waren schwer verletzt worden. Ohlsen und Maclean hatten zahlreiche Wunden empfangen, aber keine war lebensgefährlich gewesen. Das ganze » Camp« hatte ihnen recht gegeben, sie gut gepflegt, ihre Gegner aus dem Lager verwiesen und bei Todesstrafe verwarnt, nicht dorthin zurückzukehren. Nikolaus und John waren bald darauf die Lieblinge und, bis zu einem gewissen Grade, die Richter und Führer ihrer wilden Arbeitsgenossen geworden. Sie hatten ihre Interessen miteinander verbunden und waren, vom Glück begünstigt und dank ihrer Ausdauer und Furchtlosigkeit, zu reichen Leuten geworden. Sie hatten im Jahre 1862 ihre Minenanteile verkauft, einen großen Teil ihres Vermögens in Grundstücken in Sacramento und San Francisco angelegt und dort Häuser errichtet, deren Mieten hohe Zinsen auf die angelegten Kapitalien abzuwerfen versprachen. Zwei Jahre später hatte der siebenundzwanzigjährige Ohlsen den Wunsch geäußert, nach Europa zurückzukehren. Maclean hatte es übernommen, noch ein Jahr oder achtzehn Monate in Kalifornien zu bleiben, um die Vollendung der begonnenen Bauten zu überwachen. Wenn dies geschehen, wenn die Geldanlage so sicher wie möglich gemacht war, dann wollte der vorsichtige, geduldige Schotte seinem Freunde folgen.

Die Trennung von Ohlsen war Maclean sehr schwer geworden; aber er hatte sich der Abreise nicht widersetzt. Er fühlte eine Art väterlicher Zuneigung für seinen jüngeren Genossen, und er wollte dem Glück seines Freundes in keiner Weise entgegenstehen. – Er war vom Hafendamm schwermütig in das Gasthaus zurückgekehrt, nachdem der Rauch des davondampfenden »Hudson« seinen Augen unsichtbar geworden, und hatte Neuyork noch an demselben Tage verlassen, um so schnell wie möglich nach San Francisco zurückzukehren. Er wollte die Arbeiten, die während seiner Abwesenheit vernachlässigt werden konnten, eifrig vorwärtstreiben, keinen Tag verlieren, um die Trennung von seinem Freunde Nick so sehr wie möglich zu verkürzen. – Ohlsen dachte ebenfalls mit Wehmut an seinen alten John und ging während der ersten Tage der Überfahrt einsam und in sich gekehrt auf dem Verdeck auf und ab. Dann befreundete er sich mit seinen Tischnachbarn, bald darauf mit einigen anderen der Mitreisenden, darunter mit den beiden hübschen Amerikanerinnen, die hinter ihm gestanden hatten, als Maclean von ihm gegangen war, und die sich damals darüber gewundert hatten, daß der vornehm aussehende junge Mann so wild und laut schreien konnte, – und als der »Hudson« nach zwölftägiger Überfahrt in Liverpool vor Anker ging, war ein so vollkommenes »Flirtations-Verhältnis« zwischen Herrn Nikolaus Ohlsen und Fräulein Rosa Dixon hergestellt, daß Wetten an Bord des Dampfers gemacht wurden, die beiden würden sich, noch bevor sie ans Land gestiegen seien, miteinander verloben. – Dazu kam es aber nicht, dank dem vorsichtigen Vater des jungen Mädchens, dem die Leute aus dem »Far West« nur geringes Vertrauen einflößten, und der seiner klugen Tochter empfahl, sich auf nichts Ernstes einzulassen, bis er in Erfahrung gebracht habe, welcher Art die Verhältnisse des Herrn Ohlsen in Wirklichkeit seien.

Die beiden jungen Leute trennten sich voneinander mit zärtlichem Händedruck, mit dem Versprechen, sich ganz regelmäßig zu schreiben und hatten sich bald darauf vergessen. Die hübsche Rosa Dixon ließ sich in Paris von einigen unzweifelhaft reichen Amerikanern den Hof machen, und Nikolaus Ohlsen hatte in England vollauf Beschäftigung für sein Herz und seinen Kopf gefunden.


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