Rudolf Lindau
Der Gast
Rudolf Lindau

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II

Harry Maclean galt für einen glücklichen und beneidenswerten Mann. Er erfreute sich des besten Rufes im Kreise der Geschäftsmänner, mit denen er verkehrte, er war reich und hatte eine schöne, kluge, liebenswürdige Frau und blühende, hübsche Kinder. Aber Herr Maclean, obgleich er erst neununddreißig Jahre zählte, war seit geraumer Zeit schon ein ernster, wortkarger Mann geworden, den man nur selten lächeln sah, und auf dessen Gesicht sich ein resignierter, kummervoller Ausdruck gelagert hatte, der seinen Ruf als glücklicher Mensch Lügen zu strafen schien. Er war in der Tat nicht glücklich.

Als Harry Maclean die schöne Monja Antoniades gefreit, hatte er gewähnt, in ihr eine Frau nach seines Herzens Wünschen zu finden. Er war ein rücksichtsvoller Mann, aber dem entsprechend, in der Theorie wenigstens, nicht ganz anspruchslos. Als er, bald nach seiner Verheiratung, die Unklugheit begangen hatte, seiner Frau, die nur um wenige Jahre jünger und in gewisser Beziehungen lebensklüger als er war, seine Ansichten über die Ehe auseinanderzusetzen, die in den trockenen Worten zusammengefaßt werden konnten: »Ich gebe alles, was ich habe, um alles zu empfangen, was du hast,« da hatte Frau Monja ihn mit ihren großem Augen verwundert und kalt angesehen und ihm in ihrem Herzen – ohne Enttäuschung und ohne Bitterkeit – das Zeugnis ausgestellt, er sei ein Egoist und ein Pedant. Wäre Frau Monja imstande gewesen. Betrachtungen anzustellen, so würde sie mit Leichtigkeit entdeckt haben, daß Harry Maclean zweifelsohne geneigt gewesen wäre, in der Praxis seine Ansprüche ganz erheblich herabzustimmen, und daß er in der Tat ein rücksichtsvoller und anspruchsloser Mensch war; aber die leichtlebige Russin fühlte nicht das geringste Bedürfnis, über die Eigentümlichkeiten des methodischen Schotten oder über irgend etwas anderes nachzudenken, sondern begnügte sich damit, alle äußeren Eindrücke schnell und leicht zu empfangen, sich, je nach der Natur derselben zu vergnügen oder zu langweilen, jeden Tag mit dem Abend abzuschließen und an jedem Morgen ein neues Leben zu beginnen.

Harry Maclean gehörte zu jenen beklagenswerten Menschen, die in dieser Welt voll Unklarheit, Mißverständnissen und Halbheiten nach vollständiger Klarheit ringen. Es ließ ihn dies häufig schwer und pedantisch erscheinen; Monja dagegen forschte nie nach Motiven und war imstande, fünf Minuten nach einem peinlichen häuslichen Auftritt, ohne Anstrengung, mit voller Aufrichtigkeit, heiter und liebenswürdig zu sein. – Der Schotte, dessen ganzes Leben harte, strenge Arbeit gewesen, und für den Ruhe etwas Kostbares war, hatte gehofft, an Monjas Seite ausruhen zu können. Er liebte sie. Er wollte sie glücklich machen; dafür sollte sie die Freude, der Friede seines Lebens sein. Aber Monja verlangte nicht nach Liebe, Glück, Frieden, Ruhe. Frau Monja war reich, jung und schön, und wollte sich am Leben erfreuen, »sich amüsieren«, wie sie es nannte. Am Arme des ehrbaren Herrn Direktors in den schattigen stillen Anlagen des Parkes spazieren gehen, dem arbeitsmüden Mann bei Tische gegenübersitzen und sich, nach eingenommener Mahlzeit, mit ihm in eine ruhige Unterhaltung oder in die Lektüre eines guten Buches vertiefen, von Zeit zu Zeit einige Bekannten des Gatten empfangen, ebenso ehrenwert und schwerfällig wie dieser und mit nicht minder ehrenwerten Gemahlinnen gesegnet, – das war kein Vergnügen für Frau Monja, dazu brauchte sie nicht jung und eine der gefeiertsten Schönheiten Londons zu sein. – Aber in der Oper sitzen und angestaunt und beneidet werden, in einer großen Gesellschaft, in blendender Toilette, die liebenswürdigsten Männer zu ihren Füßen sehen, diese durch einen vielversprechenden, sehnsüchtigen Blick berauschen, ohne im entferntesten daran zu denken, das gegebene stumme Versprechen je einzulösen, sich von jenem kalt und strafend abwenden, ohne einen andern Grund als den, ein empfindsames Herz zu beunruhigen, überall Hoffnungen und Befürchtungen erwecken, ohne selbst bewegt zu sein, und dabei in den Blicken der Frauen ohnmächtigen Neid lesen, – das war Leben!

Frau Monja war noch nicht drei Monate verheiratet gewesen, als sie sich in diesem Sinne ihrem Gemahl gegenüber klar und deutlich ausgesprochen hatte. Sie hatte damit Harry Maclean einen Schlag versetzt, dessen Schwere er mit jedem Tage schmerzlicher empfand. Bei seiner selbstquälerischen Veranlagung, sich über sich selbst und andere Rechenschaft ablegen zu wollen, hatte er sich klar gemacht, daß von einem innigen Zusammenleben mit seiner Frau, wie er es geträumt hatte, niemals die Rede sein könne. Sie hatte gar kein Verständnis für das, was in der Tiefe seines Herzens vorging, sie ahnte nicht, daß das Herz überhaupt Tiefen hat, und sie stand in ihrer kalten Armut nicht etwa neidisch vor den ihr verborgenen Schätzen – nein – das Schöne, das sie nicht erkannte, hatte für sie etwas Lächerliches.

Harry Maclean malte sich sein zukünftiges Leben aus, und ihm graute davor. Er erkannte, daß er an eine Frau gefesselt sei, die ihn nicht liebte, die überhaupt nicht lieben konnte, deren höchste Ansprüche an das Leben, auf Eitelkeit und Gefallsucht gegründet, ihm so niedrig erschienen, daß er dafür nur Verachtung empfinden konnte. – Er ging mit sich selbst zu Rate. Er wollte nicht sagen: Alles ist verloren! Er wollte versuchen, aus dem Schiffbruch seines Glücks zu retten, was noch zu retten war. – »Man muß mit den gegebenen Faktoren rechnen,« sagte er sich. – Aber Monja war für ihn eine unberechenbare Größe, und er machte in seinem Verkehr mit ihr Fehler auf Fehler, für die sie ein grausames Gedächtnis hatte, und die ihn, zu seinem Ingrimm, der untergeordneten Frau gegenüber, in eine ihr untergeordnete Stellung zurückdrängten.

Einmal, nachdem Maclean festgestellt zu haben glaubte, daß Monja völlig außerstande sei, Güte zu würdigen, hatte er versuchen wollen, mit Strenge zu regieren. Er wußte wohl, daß er sich dabei nie glücklich und behaglich fühlen könne; aber er hoffte, es werde ihm gelingen, sich auf diese Weise Ruhe zu schaffen.

»Wir werden in diesem Jahre nicht ausgehen,« sagte er, unmittelbar vor Beginn einer neuen Saison. »Meine Gesundheit gestattet mir nicht, mich, wie im vergangenen Jahre, wöchentlich ein halbes Dutzend Mal bis tief in die Nacht hinein in überfüllten Räumen aufzuhalten.«

»Du denkst immer nur an dich,« antwortete sie. »Weshalb mißgönnst du mir ein harmloses Vergnügen? Andere Frauen gehen aus. Weshalb soll ich immer allein zu Hause sitzen?«

»Du hast noch niemals allein zu Hause gesessen, und ich verlange nicht, daß du es immer tust. Ich wünsche nur, daß wir nicht auch in diesem Jahre wieder allabendlich ausgehen oder Besuche empfangen.«

»Das klingt schon etwas vernünftiger. Mir ist es auch ganz recht, daß wir eine Auswahl treffen und nur angenehme Gesellschaft sehen.«

In den nächsten Tagen trafen die ersten Einladungen zu Bällen und Mahlzeiten in üblicher Fülle ein. Maclean sah sich die Karten an und sagte ruhig:

»Schreibe ab. – Wir gehen nicht!«

Monja erwiderte kein Wort, aber sie saß ihm an jenem Abend wie eine Statue stumm und kalt gegenüber, und als Harry ihr vorschlug, einen Spaziergang mit ihm zu machen, antwortete sie, sie sei müde. Gleich darauf zog sie sich in ihr Zimmer zurück, wo Maclean sie zwei Stunden später in gesunden Schlaf versunken vorfand.

Derselbe Auftritt wiederholte sich während der nächsten Tage. – Wenn sie ihn, zu ungewöhnlich früher Stunde, von ihrer stummen Gegenwart befreit hatte, so saß er allein in dem hellerleuchteten, großen Gemach, voller Bitterkeit, in dem sicheren Vorgefühl, daß er in dem Kampfe, den er augenblicklich gegen seine Frau führte, unterliegen werde. – Sie würde das Leben, wie es sich während der letzten Tage gestaltet hatte, jahrelang ausgehalten haben. Ihr starrer, ruhiger Eigensinn war unbeugsam; er aber fühlte sich bereits erschöpft. Und doch glaubte er sich in seinem Rechte. – Durfte er denn nicht von seiner Frau erwarten, daß sie Rücksichten auf ihn nehme? Sah sie nicht, daß er des Abends matt und zerschlagen, ruhebedürftig nach Hause kam, nachdem er den Tag über gearbeitet hatte, damit sie und die Kinder in Wohlleben schwelgen und der Zukunft sorgenlos entgegensehen konnten? Waren seine Gesundheit und sein Frohsinn denn ganz wertlos für sie? Hatte sie denn keine Pflichten als Hausfrau und Mutter, lebte sie nur, um sich zu vergnügen?

Er ging im Hause und im Park grübelnd, bitteren und finsteren Gedanken nachhängend, stundenlang auf und ab, bis körperliche Ermattung ihn zur Ruhe trieb. – Am nächsten Morgen schied er ohne ein Wort der Versöhnung von ihr. Das quälte ihn den ganzen Tag. Sie hatte es vergessen, sobald er den Rücken gekehrt und kam ihm am Abend leichten Sinnes, aber mit demselben eisigen Gesichte entgegen, das ihm am Morgen das Herz schwer gemacht hatte.

Bald darauf gab er nach. – Was sollte er anders tun? Ihre Unfreundlichkeit machte ihm das Haus zur Hölle. – Sie schickte sich sofort in die neue Lage und zeigte ihm das freundlichste Gesicht.

Als er wenige Tage darauf in Frack und weißer Binde in ihrem Zimmer saß und darauf wartete, daß sie ihre Toilette vollendet habe, wandte sie sich vom Spiegel ab, und, mit einer kleinen Rose im Munde – sie war damit beschäftigt, einige Blumen an ihrem Kleide zu befestigen – sagte sie:

»Mein armer Harry, wie angegriffen du aussiehst! Aber das wird vorübergehen. Freue dich doch über meine Freude! . . . Wie steht mir die neue Haartracht?«

Er antwortete, ohne aufzublicken: »Sehr gut!«

Darauf, im Vorübergehen, streichelte sie ihm die Wange mit der Hand und dann, in vollem Staat, in strahlender Schönheit, stellte sie sich vor ihm hin, drehte sich langsam um und sagte:

»So! Nun sieh deine Frau ordentlich an: von Kopf bis zu Füßen! Gefalle ich dir?«

Und im Vorgefühl der Triumphe, die sie feiern würde, gab sie ihm einen flüchtigen Kuß.

»Nun komm', und sieh nicht so verdrießlich aus!« sagte sie, und damit lief sie leichtfüßig voraus. Er folgte ihr schleppenden Schrittes, schweren Herzens.

Aber auch diese oberflächlichen Liebenswürdigkeiten ihrerseits hatten mit der Zeit aufgehört. Maclean war immer verbitterter, sie immer gleichgültiger für seine Gemütsverfassung geworden. – Es hatte Auftritte gegeben, wo sie seiner Verstimmung mit schonungsloser Harte entgegengetreten war:

»Ich weiß nicht, was du von mir verlangst. Soll ich mich wie eine Gefangene von dir einschließen lassen? Versuche es! Soll ich zum Kindermädchen und Aschenbrödel werden? Befiehl! Du verlangst, daß ich dir zu Gefallen zu Hause bleibe. Weshalb willst du nicht mir zu Liebe ausgehen? Ist mir nicht recht, was dir billig ist? – Wo bleibt deine vielgerühmte Gerechtigkeit? – Du mißgönnst mir jede Freude, und dann wirfst du mir vor, ich sei herzlos. – Wo sehe ich, daß du ein Herz für mich hast? – Weil es dir paßt, am Abend vor dem Kamin zu sitzen und die Zeitung zu lesen, deshalb erwartest du, daß ich zu Hause bleibe: Lies deine Zeitung – aber laß mich ausgehen! Ich verlange kein Opfer von dir. – Gib du mir meine Selbständigkeit. Dein Ideal aber wäre, daß ich schlafe, weil du müde bist. Hinter deiner Vorliebe für Promenaden beim Mondschein und sentimentalen Plaudereien vor dem Kaminfeuer steckt grenzenlose Selbstsucht, unerträgliche Tyrannei. Du bist der größte Egoist, den ich je gesehen habe, und ein recht trauriger Egoist obendrein, der nicht dulden will, daß andere sich freuen, weil er nicht das Herz dazu hat?«

Harry Maclean fand darauf nichts zu erwidern. Monja peitschte seine nackte Brust mit Nesseln, und sie war für ihn geharnischt vom Scheitel bis zur Zehe. Er konnte sie nirgends angreifen, nirgends verwunden. Er wurde des ungleichen Kampfes müde und zog sich zurück. Er erstrebte in seinem häuslichen Leben fortan nur noch, möglichst wenig Verdruß zu haben: auf jede Freude hatte er verzichtet. Er gewöhnte sich wieder an das leichte Londoner Klubleben, das er unmittelbar nach seiner Verheiratung aufgegeben hatte, und sah nur noch wenig von seiner Frau. Sie aßen zusammen – darauf beschränkte sich ihr Verkehr. Im übrigen ging sie ihrer Wege, er seiner. Sie befand sich dabei ganz wohl und wunderte sich, daß er nicht auch vergnügt war. Er hätte sicherlich noch mancherlei Zerstreuung, wohl auch Beschäftigung für sein Herz, außer dem Hause finden können – an Trösterinnen hätte es dem vornehmen, reichen Manne nicht gefehlt – aber dazu war er nicht veranlagt. Sein Herz war mit Bitterkeit getränkt, und Monja hatte ganz recht: er war ein Pedant, er war schwerfällig. – Sogenannte häusliche Auftritte wurden immer seltener und hörten schließlich ganz auf. Monja war dafür in ihrer Weise dankbar. Sie hieß Maclean, wenn er des Abends heimkehrte, freundlich lächelnd willkommen, sie kleidete sich im Hause in einer Weise, von der sie annahm, daß sie ihm besonders gefiele, sie ging ihm entgegen, wenn sie seine Schritte im Park hörte, hielt die Wirtschaft in musterhafter Ordnung, sorgte für die Kinder und empfing die Freunde ihres Mannes, die dieser von Zeit zu Zeit bei sich sah, mit großer Liebenswürdigkeit. Die Macleansche Gastfreundschaft stand, dank ihren Bemühungen, im besten Rufe. Als er ihr eines Tages dafür seine Erkenntlichkeit aussprach, antwortete sie ihm freundlich und ermutigend, ja mit einer gewissen Zärtlichkeit in der Stimme.

»Du siehst, wie leicht es ist, mit mir in Frieden zu leben. Ich mache dir gern jede Freude, wenn du es nur übers Herz bringen willst, mir hier und da etwas gefällig zu sein, mich in meinem harmlosen Vergnügen nicht zu stören und mir zu gönnen, daß auch ich meine Freude am Leben habe.«

Maclean erwiderte hierauf kein Wort; aber hätte sie beobachtet, wie er die Zähne zusammenpreßte, hätte sie gewußt, wie es in seinem Innern kochte, so würde sie erschreckt gewesen sein. Er konnte jetzt ruhig neben ihr leben in stummem Ingrimm ob ihrer Frivolität; aber wenn ein Wort von ihr ihn daran erinnerte, wie sie sein ganzes Lebensglück zerstört, und welchen Erbärmlichkeiten sie es aufgeopfert hatte, wenn er sich sagte, daß sie nie zur Erkenntnis ihrer Kleinheit kommen, niemals ahnen werde, wie grausam sie ihn gekränkt habe, dann gährte es in ihm, und das Herz wurde ihm voll zum Zerspringen. – Und niemand ahnte sein schweres Unglück, und er mußte es allein tragen, bis er darunter zusammenbrach.


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