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John Maclean wohnte nun seit acht Tagen im Hause seines Bruders; aber er war nicht glücklich. Das Leben, das er führte, ließ ihn unbefriedigt. Er fühlte sich befangen, unbehaglich. Er wollte alle Schuld dafür auf sich nehmen. »Ich bin wie ein wilder Bär,« sagte er sich; »ich passe nicht in ein geregeltes, ruhiges Familienleben.« – Die pünktlichen Mahlzeiten, der Diener in Livrée, der würdige »Butler«, der ihm den Wein einschenkte, die Blicke der Frau Schwägerin – alles das und manches andere ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Wohl und behaglich wurde ihm nur zumute, wenn er mit seinem Bruder oder mit den kleinen Kindern allein war. Dann konnte er noch laut lachen und Geschichten erzählen; aber ganz leicht wurde ihm selbst dann nicht ums Herz. Unter den wildfremden, rücksichtslosen Menschen, mit denen er sich sein Leben lang herumgeschlagen, hatte er sich mehr zu Hause gefühlt als hier im Kreise seiner besten Freunde und nächsten Verwandten. Diese nahmen unnütze Rücksichten auf ihn, die er wie stille Vorwürfe über seine eigene Rücksichtslosigkeit empfand, und die ihn bei jedem Schritt, den er in ihrer Gesellschaft tat, aus der Befürchtung nicht herauskommen ließen, er könne, trotz aller Behutsamkeit, Unschicklichkeiten begehen. – Hätte er sich nur mit Nikolaus aussprechen können, so wäre alles gut gewesen. Dieser wußte, daß John Maclean nicht gewöhnt war, in engen Stiefeln einherzugehen, und es wäre gewissermaßen seine Pflicht gewesen, ihn, John, darüber zu belehren, wie man sich in England bei Tische, im Salon und in Damengesellschaft zu benehmen habe. Aber gerade Ohlsens Haltung ihm gegenüber, hatte ihm zuerst seine Unbefangenheit geraubt, war der Grund gewesen, daß er schon am Tage seiner Ankunft gefühlt hatte, er sei ein fremdes, ein störendes Element in dem brüderlichen Familienkreise.
John Maclean war an jenem Abend seinem Genossen freudig entgegengeeilt; aber schon bevor dieser die ihm treuherzig entgegengestreckte Hand ergriffen, hatte der Kalifornier gefühlt, daß der Mann, der ihm gegenüberstand, sein alter Nick nicht mehr sei. Wo waren die lebensfrischen, blitzenden Augen, die stolze, freie Haltung seines Freundes geblieben? Wie befremdlich leise und matt tönte die Stimme, die in den Goldlagern so hellen, festen Klang gehabt? – Ohlsen hatte gesagt: »Es freut mich, dich zu sehen« – aber er hatte nicht ausgesehen, als ob er sich wirklich freute. Und gleich darauf, ohne weiter ein Wort mit Maclean gewechselt zu haben, war er einen Schritt zurückgetreten, um ihn in förmlicher Weise mit der schönen, großen Frau, die neben ihm unter den Bäumen hervorgetreten war, bekannt zu machen.
»Erlauben Sie mir, Ihnen meinen guten Freund, Ihren Schwager, Herrn John Maclean aus San Francisco vorzustellen.« –
›Herrn John Maclean!‹ – Jedes dieser drei Worte hatte dem Kalifornier wie eine Beleidigung geklungen. ›Jack‹ oder ›Mac‹ so war er gewohnt, von Nick angeredet oder bezeichnet zu werden, und nun nannte ihn dieser ›Herr John Maclean!‹ – Was wollte Ohlsen damit sagen? – Er hatte ihn darüber befragt, sobald er mit ihm allein gewesen war.
»Was soll es bedeuten, daß du mich meiner Schwägerin als ›Herrn Maclean‹ vorstellst? Bin ich ihr ein Fremdling? Stehe ich dir etwa gegenüber wie ein beliebiger Herzog von Sutherland oder Erzbischof von Canterbury? Beabsichtigst du mir anzudeuten, daß ich dich in Zukunft als ›Herr Nicolaus Ohlsen‹ anzureden habe und daß ich meine Briefe an dich mit ›Geehrter Herr‹ beginnen und mit ›Gehorsamster Diener‹ schließen soll? – Bin ich von Sinnen oder hast du den Verstand verloren?«
Ohlsen antwortete mit großer Traurigkeit in Stimme und Gebärde:
»Ich glaube, ich habe den Verstand verloren oder bin nahe daran, ihn zu verlieren. – Ach, John, weshalb hast du mir nicht telegraphiert, ich solle nach San Francisco kommen?«
Der Kalifornier hatte sofort vergessen, daß er eigentlich der Gekränkte war.
»Was ist los?« sagte er treuherzig, die schwere Hand auf die Schulter seines Freundes legend. »Sprich heraus wie ein Mann. Wo drückt dich der Schuh?«
Aber Ohlsen begnügte sich statt aller Antwort langsam und wiederholt den Kopf zu schütteln, und dabei bemerkte Maclean zu seinem grenzenlosen Erstaunen und seiner tiefsten Bekümmernis, daß die Augen seines Freundes feucht wurden. – Ein weinerlicher Ohlsen! Wer hätte das je geglaubt! Die Freunde in Kalifornien würden der Ansicht sein, Maclean mache sich über sie lustig, wollte er ihnen sagen, Nick Ohlsen habe geflennt wie ein junges Mädchen oder ein altes Weib, Nick Ohlsen befinde sich in einem Zustande, der in den Goldminen noch nicht entdeckt sei und den man in eleganten europäischen Kreisen mit »nervös« bezeichne.
»Entschuldige mich, ich bin nicht wohl,« sagte Ohlsen leise, und dann zog er sein Taschentuch hervor, beugte sein Gesicht tief herab, um es in seine beiden Hände zu legen, und blieb in dieser Stellung, ein Bild tiefen Seelenkummers, unbeweglich sitzen.
»Was ist vorgefallen? – Was ist los? – Was gibt es?« fragte Maclean vollständig ratlos.
Aber Ohlsen antwortete nicht.
Maclean wollte mit diplomatischer Feinheit das Gespräch auf etwas anderes lenken. Er fing an, von Geschäften zu sprechen: das Haus in Montgommery-Street sei auf zehn Jahre vermietet, das in Portland ebenfalls. Ohlsen winkte abwehrend mit der Hand.
»Das ist mir ganz gleich,« sagte er.
»So? – Das ist dir ganz gleich,« erwiderte Maclean verletzt. – »Willst du mir hochgeneigtest mitteilen, was dir nicht gleich ist? – Was kümmert dich? . . . Du willst nicht sprechen? – Nun wohl! Ich will dir die Mühe ersparen: an all deinem Elend ist ein Frauenzimmer schuld!«
Ohlsen fuhr erschreckt in die Höhe und blickte seinen Freund verstört an.
»Leugne es nicht! Du kannst mir gegenüber die Komödie nicht durchführen. – Also nimm an, du hättest von Anfang an wie ein vernünftiger Mensch gehandelt und mir Vertrauen geschenkt, und ergänze nunmehr, was ich noch zu erfahren habe. – Wie heißt die Spröde, die dich nicht erhören will? Weshalb weist sie deine Bewerbung zurück? Berichte mir das genau, und dann wollen wir gemeinsam beraten, wie deinem Übel abzuhelfen ist. – Es wäre doch wirklich schlimm, wenn zwei wie wir ein junges Mädchen nicht zur Vernunft bringen sollten.«
»Du irrst dich,« sagte Ohlsen leise und ruhiger.
»Und du willst mir nicht sagen, was dir fehlt?«
»Ich kann es nicht.«
Darauf stand der Kalifornier auf und ging einige Male im Zimmer auf und ab. Dann blieb er wieder vor Ohlsen stehen und sagte zutraulich:
»Was meinst du – sollen wir dem alten Lande wieder den Rücken wenden und nach Kalifornien zurückkehren?«
Eine freudige Erregung flog über Ohlsens Gesicht.
»Nun gut, mich hält hier nichts,« fuhr John fort, dem Ohlsens Bewegung nicht entgangen war. »Ich will noch einige Tage hier bleiben, um mich mit Harry ordentlich auszusprechen. nach Edinburg hinunterlaufen, um die Mädchen zu begrüßen, und wenn ich damit fertig bin, was nicht lange dauern wird, dann hole ich dich hier wieder ab, und wir treten die Rückreise an. Paßt dir das?«
»Ja.«
»Das ist also eine abgemachte Sache. Aber nun zeige mir auch ein vergnügtes Gesicht. – In vier Wochen hast du England und alles, was dich hier kränken mag, hinter dir gelassen.«
John hatte das Anerbieten, mit Ohlsen nach Kalifornien zurückzukehren, freudig und aus eigenstem Antriebe gemacht. Aber bald darauf war es ihm leid geworden, ohne daß er sich hätte sagen können, woher seine Bekümmernis kam. Er fing nicht etwa an, sich im Hause seines Bruders wohler zu fühlen – es wurde ihm dort im Gegenteil immer unbehaglicher zumute; – aber ein unbeschreiblich wehes Gefühl beschlich ihn, wenn er daran dachte, daß er jenseits des Ozeans die Stimme seines Bruders nicht mehr hören und Nataliens Augen nicht mehr sehen würde. – Er war kein Träumer, er hatte seine eigenen Gefühle niemals zu analysieren versucht. Er wußte nicht einmal, daß man über sich selbst, über sein Glück oder Unglück nachdenken könne. Er nahm Freud' und Leid, wie sie gerade kamen; aber nun konnte er nicht umhin, mit einer gewissen Angst an das einsame Leben in Kalifornien zu denken. – »Was ist denn eigentlich mit mir geschehen?« fragte er sich.
Er konnte auf diese Frage keine Antwort finden und suchte auch gar nicht nach einer Antwort; aber er fühlte, daß etwas Neues, Fremdes in sein Leben getreten war, das alles darin verrückte und veränderte, und wofür er noch keinen Platz gefunden hatte.
John war mit der kleinen Tascha, wie auch er Natalie nannte, merkwürdig schnell befreundet geworden. Sie hatte ihre Befangenheit, die ihn selbst bei ihrem ersten Zusammentreffen eingeschüchtert hatte, in wenigen Tagen abgelegt, nannte ihn »Onkel John« und hing sich zutraulich an seinen Arm, wenn er, eine kurze Pfeife rauchend, nach dem Essen seinen regelmäßigen Spaziergang im Park machte. Als sie das erste Mal ihre leichte Hand auf seinen schweren Arm gelegt, war er rot geworden, wie am Tage seiner Ankunft, als sie ihm die Hand geküßt hatte. – »Fremdländisch,« hatte er sich sodann gesagt, um die Vertraulichkeit zu erklären, die ihm gefiel, und sein Blick war mit Behagen und Wohlgefallen auf die zarte, lichte Gestalt gefallen, die wie ein Sonnenstrahl neben ihm herzuschweben schien. Er hätte gewünscht, »so ein kleines, zartes, schwaches Ding« gegen alle Unbill zu schützen, ihm die Pfade zu ebnen und ihm das Leben leicht und angenehm zu machen. Sein Wohlwollen war deutlich in seinem Auge zu lesen, und Natalie schien dies zu verstehen und war zutraulich und harmlos mit ihm, wie Kinder es Kinderfreunden gegenüber sind.
Harry Maclean hatte Freude an dem Verhältnis, das sich zwischen seinem Bruder und seiner Stieftochter gebildet hatte; Frau Monja und Ohlsen schienen es nicht zu bemerken. Dieser war seit Wochen nachdenklich und zerstreut, jene bekümmerte sich dem Anscheine nach überhaupt nur wenig um das, was um sie her vorging. John und Tascha waren täglich stundenlang zusammen und hatten sich viel zu erzählen. Wovon sprachen sie? Vom Leben, das John Maclean in Kalifornien geführt hatte – und bei dieser Gelegenheit von Nikolaus Ohlsen, dessen Dasein jahrelang mit dem seines Freundes auf das innigste verbunden gewesen war.
Vierzehn Tage waren dahingegangen. John wußte nicht, was ihn in Lower Norwood festhielt; aber es wurde ihm schwer, sich von dort loszureißen. Eines Abends endlich faßte er einen Entschluß. Er durfte sich nicht länger den Seinen in Edinburg entziehen. Die regelmäßigen und kurzen Briefe seiner Schwestern, von denen ihm bald die eine, bald die andere schrieb, enthielten zwar nie eine Aufforderung, seinen Besuch bei Harry abzukürzen und nach Schottland zu kommen, aber es sprach aus denselben eine kalte Verwunderung darüber, daß dies nicht geschehe.
»Ich nehme an, du wirst durch Geschäfte in London zurückgehalten,« schrieb Katharina, die älteste Schwester.
John empfand diesen Satz wie einen verdienten Vorwurf, und am selben Abend bei Tische, bald nachdem er Katharinas Brief gelesen und eine Weile still und nachdenklich dagesessen hatte, sagte er plötzlich:
»Ich werde morgen nach Edinburg reisen.«
Natalie war die Einzige, die verwundert und ängstlich aufblickte, Nikolaus schien die Worte seines Freundes gar nicht gehört zu haben, Monja denselben keine Beachtung zu schenken.
»Natürlich! Du mußt die Mädchen bald sehen,« sagte Harry. »Wie lange gedenkst du dort zu bleiben?«
»Nun, ich habe kalkuliert, daß ich es wohl schwerlich unter acht Tagen tun kann. Ich habe die Mädchen seit achtzehn Jahren nicht gesehen, und wir müssen doch endlich wieder Bekanntschaft miteinander machen.«
»Dazu wirst du Zeit genug haben, wenn du dich einmal hier niedergelassen hast,« sagte Harry. »Man fährt jetzt mit dem Schnellzug nach Edinburg, als wäre es eine Vorstadt von London.«
»Das ist richtig . . .« John machte eine kurze Pause, nachdem er diese Worte gesagt hatte, und setzte dann hinzu: »Aber es ist doch noch nicht sicher, wann und ob ich mich in London niederlassen werde.«
»Wie sonst?« fragte Harry ruhig. »Ich empfehle dir, unter allen Umständen in London oder wenigstens in der Nachbarschaft von London zu bleiben. In Schottland hast du keine Bekannten und, außer den Mädchen, keine Verwandte. Hier werden wir schon dafür sorgen, daß du dich nicht langweilst. Oder gefällt es dir bei uns nicht?«
»Es gefällt mir sehr gut bei euch . . . aber . . .«
»Nun?« –
Die anderen waren jetzt auf das Gespräch aufmerksam geworden. Ohlsen schien befangen und blickte nicht von seinem Teller auf.
»Nun?« fragte Harry von neuem.
»Ja . . .« sagte John langsam, mit der Hand über Mund und Kinn streichend, »ja . . . aber du weißt doch, oder hat Nick dir es noch nicht gesagt, daß wir noch einmal nach Kalifornien zurück müssen . . . und zwar bald . . . Nicht wahr, Nick?«
Monja bewegte den Kopf nicht, aber ihre Augen wanderten langsam nach dem Platze hin, wo Ohlsen saß. Dieser nickte, ohne die Augen aufzuschlagen. Ein großes und peinliches Erstaunen schien sich der übrigen Gesellschaft zu bemächtigen. – Tascha richtete einen flehenden Blick auf Onkel John. Monja faltete die Hände und rieb langsam die weichen, weißen Handflächen gegeneinander. Aber sie sprach kein Wort. Harry allein gab seiner unangenehmen Überraschung klaren Ausdruck.
»Bist du bei Sinnen?« rief er. »Ihr wollt nach Kalifornien zurückkehren? – Warum denn? Hast du mir nicht zwanzigmal geschrieben und gesagt, du hättest mit dem neuen Lande abgeschlossen und wollest nun im alten leben und sterben? Was bedeutet das? Ich verstehe dich nicht! Sprich!«
»Ein anderes Mal . . . ein anderes Mal,« sagte John, eine beschwichtigende Bewegung mit der Hand machend. »Ereifere dich nicht! Ich bin ja kein leichtsinniger Mensch. Es hat alles seinen guten Grund.«
»Ich soll mich nicht ereifern?« fuhr Harry leidenschaftlich fort. »Glaubst du, ich würde dich ziehen lassen, ohne daß du mir sagst, was dich forttreibt? – Was verdrießt dich hier? Willst du es mir sagen?«
»Nun natürlich werde ich es dir sagen, natürlich; aber ereifere dich nicht! Warte! Ich bin ja noch nicht fort.« –
Ohlsen warf einen unruhigen Blick auf die beiden Brüder.
»Du willst jetzt nicht sprechen? – Gut! Also nach dem Essen!« Harry schien vor Ungeduld und Aufregung zu ersticken. – »Ich kann nicht mehr essen!« stieß er hervor und legte Messer und Gabel mit einer so ungeduldigen Bewegung auf den Tisch, daß die Teller klirrten.
»Aber Harry!« sagte John. »Sei doch nicht so aufgeregt! Du kannst dir doch denken, daß ich nicht zu meinem Vergnügen von dir fortgehe.«
Da richtete Harry Maclean die großen, schwarzen Augen sanft und liebevoll auf seinen Bruder, und seine Stimme war bewegt, als er mit inniger Zärtlichkeit sagte: »Mein alter John!«
Monja blickte mit Verwunderung auf die beiden und schüttelte leise, kaum bemerkbar das Haupt. – Ein sentimentaler Bankdirektor! Es fehlte nur, daß der Goldgräber ebenfalls lyrisch wurde! Männer von vierzig Jahren, einer Familienvater, der andere ein Abenteurer! – Geschwisterliebe war eine schöne und achtbare Sache, aber sie sollte doch auch ihre Grenzen haben. Die Komödie, die da aufgeführt wurde, mußte einem jeden vernünftigen Menschen unverständlich oder lächerlich erscheinen.
Unmittelbar nach dem Essen versuchte Ohlsen, sich John zu nähern; aber Harry hatte bereits dessen Arm ergriffen und führte ihn ins Freie. Natalie folgte ihnen langsam und gesenkten Hauptes, nachdem sie ihrer Mutter ehrerbietig die Hand geküßt hatte. Nikolaus und Monja blieben einen kurzen Augenblick allein im Speisezimmer zurück; aber sie wechselten kein Wort, nicht einmal einen Blick miteinander und traten schweigend in den Salon.
»Wo sind die Herren?« fragte dort Monja in gleichgültigem Tone.
Nikolaus wies mit einer stummen Gebärde nach dem Garten.
»Tascha, mein Kind, rufe deinen Vater,« fuhr Monja fort. –
Als das junge Mädchen, das auf der Terrasse stehen geblieben war, sich entfernt hatte, beschäftigte sich Monja gelassen damit, den Kaffee einzuschenken. Sie hielt dabei die Augen gesenkt und summte ganz leise ein russisches Lied vor sich hin. Ein eigentümliches Lächeln – kein freundliches – spielte um ihren Mund. Nach einer Weile blickte sie verstohlen auf ihren Gast. Als sie sah, daß dieser, die Augen gesenkt, anscheinend teilnahmslos dasaß, heftete sie ihre Blicke lange und fest auf ihn. Dann zog sie die Augenbrauen in die Höhe, atmete tief auf und setzte sich nieder. Durch die offenen Fenster drang dumpf und kaum vernehmlich das Geräusch der großen Stadt, dem Brausen des fernen Meeres gleich. Das schrille Pfeifen einer Lokomotive zerriß die Stille. Ohlsen fuhr erschreckt zusammen. Sie lächelte und sagte:
»Wie nervös Sie seit einiger Zeit geworden sind!«
Der leichte Schritt Taschas ließ sich hören, und gleich darauf trat das junge Mädchen wieder in das Zimmer.
»Vater läßt sagen, ihr möchtet nicht auf ihn warten.«
Monja nahm darauf eine Tasse, lehnte sich nachlässig in den Sessel zurück, auf dem sie saß, und trank den Kaffee in kleinen Zügen aus. Nach einer kurzen Weile sagte sie sodann zu Ohlsen: – »Sie wollen rauchen . . . Ich habe auf meinem Zimmer zu tun . . . Auf Wiedersehen zum Tee!«
Damit erhob sie sich und verließ das Gemach. Ohlsen war aufgestanden und hatte sich verbeugt und blieb jetzt gesenkten Hauptes am Tische stehen. Natalie beobachtete ihn. Er selbst schien die Anwesenheit des jungen Mädchens vergessen zu haben. Da redete sie ihn leise an:
»Warum sind Sie so traurig, Herr Ohlsen?«
Er blickte sie groß an; dann sagte er leise, nicht die an ihn gerichtete Frage beantwortend, sondern wie zu sich selbst sprechend: »Ich möchte, ich wäre tot.«
Darauf trat er geräuschlos in den Garten. Der dunkle, schwere Nachthimmel der Großstadt breitete sich über ihn aus. Nirgends war ein Stern zu erblicken, nur der matte Widerschein von Millionen Gasflammen rötete die Luft in der Richtung nach London. Plötzlich hörte Ohlsen den Kies knirschen unter den schweren, langsamen Schritten der beiden Brüder, die leise sprechend vor dem Hause auf und ab gingen. Er trat in den Schatten, so daß er nicht gesehen werden konnte. Dort wartete er, bis die Beiden vorübergegangen waren, und dann begab er sich ungesehen auf sein Zimmer, wo er verharrte, bis ein Diener ihm meldete, die gnädige Frau lasse ihn bitten, zum Tee zu kommen.